Bundestagswahl
Kommt die Reform der Schuldenbremse?

Den einen gilt sie als Kern solider Haushaltspolitik, anderen hingegen als Ursache des Investitionsstaus in Deutschland: die Schuldenbremse im Grundgesetz. Im Bundestagswahlkampf deutet sich an, dass eine Reform näher rückt.

    Der Vollmond ist am Abend am Himmel über der teileingestürzten Carolabrücke. Ein Strang der Brücke ist gebrochen, die Bruchstelle zeigt nach oben. Im Hintergrund sind Häuser.
    Sollte nicht so sein: In Deutschland sind viele Schulen, Straßen und Monumente wie hier die Carolabrücke in Dresden sanierungsbedürftig – auch weil Geld für Investitionen fehlt. (picture alliance / dpa / Robert Michael)
    Der Investitionsstau ist groß. Deutschland brauche 400 Milliarden Euro an Investitionen, schätzt der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze . Bildung, Digitalisierung, Klimaschutz, Verkehr, Verteidigung – die Infrastruktur des Landes muss in vielen Bereichen modernisiert werden.
    Deutschland liegt bei den staatlichen Investitionen in öffentliche Infrastruktur weit hinten in der EU, wie diese Grafik zeigt.
    Deutschland liegt bei den staatlichen Investitionen in öffentliche Infrastruktur weit hinten in der EU. (Eurostat / Statista)
    Auch im beginnenden Bundestagswahlkampf wird über die Schuldenbremse im Grundgesetz debattiert. Befürworter und Gegner argumentieren mit dem Begriff der Generationengerechtigkeit. Die Bremse führe zum Sparen auf Kosten der Zukunft, so Kritiker. Unterstützer der Regel sehen sie als wichtiges Instrument, um staatliche Zinslasten zu begrenzen und finanzielle Spielräume zu erhalten.

    Inhalt

    Was war Auslöser der aktuellen Debatte über die Schuldenbremse?

    Die Schuldenbremse war ein wichtiger Treiber des Scheiterns der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Herbst 2023 zur Einhaltung der Schuldenregeln im Grundgesetz verschärften sich die Konflikte innerhalb der Ampelkoalition über den Kurs in der Haushalts- und Finanzpolitik – bis hin zum Bruch des Regierungsbündnisses im November 2024.
    Er habe der FDP ein Angebot gemacht, um die Lücke im Bundeshaushalt zu schließen, ohne "das Land ins Chaos zu stürzen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Ende der Koalition. Ganz anders äußerte sich Finanzminister Lindner: Der Kanzler habe "ultimativ von mir verlangt", so der FDP-Chef, "die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen". Dies habe er wegen seines Amtseids abgelehnt.
    Der Grundsatzkonflikt um die Schuldenbremse ist also in den letzten Wochen eskaliert. Umstritten ist die Regelung aber seit ihrer Aufnahme ins Grundgesetz 2009.

    Was ist die Vorgeschichte?

    Die Schuldenbremse wurde nach der Finanzkrise von 2007/08 eingeführt. Ein "schlanker" Staat mit hoher Ausgabendisziplin wurde von der Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) propagiert. Die Kanzlerin erklärte das maßvolle Wirtschaften einer "schwäbischen Hausfrau" zum Vorbild.
    Schon damals gab es viel Kritik an diesem Vergleich zwischen Privat- und Staatshaushalten – oft versehen mit dem Hinweis, dass die Staatsverschuldung in anderen Industrienationen deutlich höher liegt. Wechselnde Finanzminister – darunter Peer Steinbrück, Olaf Scholz (beide SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) – riefen in den Folgejahren die "schwarze Null" als haushaltspolitisches Ziel aus.
    Eine Wende brachten die Coronapandemie sowie der Ukraine-Krieg. Um auf die Krisen zu reagieren, weitete der Staat die Kreditaufnahme erheblich aus. Dies war aber nur möglich durch eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse in Notlagen. Doch diese Erklärung von Notlagen war politisch und juristisch umstritten – wie das erwähnte Urteil aus Karlsruhe zeigte.
    Nettokreditaufnahme des Bundes von 2008 bis 2023 (Ist-Werte in Milliarden Euro)
    Mal ausgeglichene Haushalte, dann massive neue Schulden: Nettokreditaufnahme des Bundes von 2008 bis 2023. (Statista)

    Wie sehen die Vorschläge der Wirtschaftsweisen zur Schuldenbremse aus?

    Über die Schuldenbremse wird seit Jahren auch unter Ökonomen, Finanz- und Politikwissenschaftlern kontrovers diskutiert. Die Bestimmungen seien zu starr, teilten die sogenannten Wirtschaftsweisen Anfang 2024 mit.
    Die Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Münchener Ökonomieprofessorin Monika Schnitzer, sprach sich für eine umfassende Flexibilisierung aus: Schulden machen sei „dann gut, wenn man zukunftsorientierte Investitionen machen möchte, von denen auch die nächste Generation etwas hat. Das ist nun etwas, wofür es sich lohnt, Schulden zu machen.“
    Der Sachverständigenrat schlug unter anderem vor, die Defizitgrenzen nach der Höhe der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote zu staffeln. "Defizitgrenzen, die bei niedrigen Schuldenstandsquoten eine höhere Kreditaufnahme erlauben als bisher, erweitern die fiskalischen Spielräume moderat, ohne die Tragfähigkeit zu gefährden", sagte Veronika Grimm, ebenfalls Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft.

    Welche Parteien sind für oder gegen eine Reform der Schuldenbremse?

    Auch Bundeskanzler Scholz befürwortet "eine moderate Anpassung der Schuldenbremse" in der kommenden Legislaturperiode. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) drängt bereits seit Monaten auf eine Reform.
    Auch Linke und BSW sind für Änderungen an den Regelungen. FDP und AfD positionieren sich hingegen seit Jahren als Bewahrer der Schuldenvorschriften.
    Die Union hat sich in jüngster Zeit bewegt – nachdem sie jahrelang strikt für die Schuldenbremse war. Erst riefen CDU-Länderchefs nach Lockerungen, denn die Schuldenbremse trifft die Bundesländer ganz besonders. Nun muss sich die Union auf Bundesebene positionieren.

    Wie kann die Schuldenbremse geändert werden?

    Notwendig ist eine Änderung des Grundgesetzes. Dies geht nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Mit FDP und AfD ist dies wohl nicht zu machen. Entscheidend ist das Verhalten der Union.
    CDU-Chef Friedrich Merz lässt Raum für Spekulationen: "Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist – wozu? Mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort Nein."
    Merz sagte weiter: "Ist das Ergebnis: Es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein."
    Offen ist, ob Merz nur über eine Änderung der Schuldenregeln für die Länder reden will. Auch der Zeitpunkt einer möglichen Grundgesetzänderung ist unklar; vor der Wahl schließt der CDU-Chef eine Verfassungsänderung aus. Vieles spricht dafür, dass die Schuldenbremse im Bundestagswahlkampf weiter eine zentrale Rolle spielen wird.

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