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Schuldenkrise in Griechenland
Oppositionsvertreter sieht positive Signale

Kommt mit dem geplanten Sondergipfel der Euro-Währungsunion am Montag die Wende in der griechischen Schuldenkrise? Der Oppositionspolitiker und ehemalige Sprecher der Regierung in Athen, Evangelos Antonaros, glaubt jedenfalls daran. Im DLF sagte er, es werde wohl nicht auf ein Ausscheiden seines Landes aus der Eurozone hinauslaufen.

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Evangelos Antonaros
    Evangelos Antonaros (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras dürfte einsehen, dass ein Nachgeben gegenüber den Geldgebern die einzige Möglichkeit sei, Griechenland zu retten, führte Antonaros aus. Die Regierung in Athen habe die Dramatik der Situation erkannt. Ein Grund dafür ist nach Einschätzung des Parlamentsabgeordneten der konservativen Partei "Nea Dimokratia" auch, dass die Gesprächskanäle zwischen der Regierung in Athen sowie der EU und insbesondere Deutschlands weiter offen seien.
    Antonaros zufolge hat die feindliche Stimmung in Griechenland gegenüber Deutschland stark nachgelassen. Das habe auch viel mit den jüngsten Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun, sagte er. Die Krisengespräche zwischen ihr, dem französischen Präsidenten Francois Hollande und Alexis Tsipras hätten vielen Griechen verdeutlicht, dass sich Merkel für ihr Land einsetze.
    Davon abgesehen herrsche unter den Griechen dennoch sehr große Verunsicherung. Antonaros berichtete, sein eigener Bankberater hätte ihm gesagt, es könne sein, dass die Banken des Landes am Montag "trocken", sprich: pleite seien. Der Kapitalabfluss in Griechenland geht derzeit in die Milliarden. Viele Bürger heben ihr Geld ab, aus Sorge von dem Staatsbankrott. Und auch wenn Evangelos Antonaros auf eine Einigung beim Sondergipfel setzt - so hundertprozentig sicher ist er sich scheinbar nicht: "Ich selbst sehe auch zu, dass ich ein paar Hundert Euro zuhause habe", gestand er.

    Das Interview im Wortlaut
    Friedbert Meurer: Es war keine Überraschung mehr. In der heißen Phase der Verhandlungen mit Griechenland übernehmen jetzt die Chefs selbst die Sache. Montag gibt es einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurostaaten. Dabei wird man sich drei Tage später ohnehin sehen beim regulären EU-Gipfel in Brüssel. So wenig Zeit ist, dass eigens ein zweiter Gipfel kurz davor geschaltet wird.
    In Athen begrüße ich Evangelos Antonaros. Er war Regierungssprecher zu Zeiten der konservativen Regierung und dann Parlamentsabgeordneter für die konservative Partei Nea Dimokratia, verfolgt das Geschehen in Griechenland natürlich weiterhin ausführlich. Guten Morgen, Herr Antonaros!
    Evangelos Antonaros: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Ist das zu viel zugemutet, was die EU-Gläubiger und der IWF bei den Renten von Griechenland abverlangen?
    Antonaros: Ja. Es gibt zwei mögliche Lesarten, würde ich sagen. Sehr viele Griechen sagen ja, das ist zu viel, weil im Grunde genommen eine Verkürzung, eine weitere Verkürzung der Renten verstärkt den Teufelskreis, in dem sich Griechenland seit Jahren befindet. Auf der anderen Seite gibt es eine ganz frische Umfrage, nach deren Ergebnis etwa 60 Prozent aller Befragten die Meinung äußern, dass eine schlechte Vereinbarung mit Griechenlands Partnern, also auch eine Verkürzung der Renten, besser wäre, weil dadurch das Verbleiben Griechenlands in der Eurozone gesichert werden könnte. Wie gesagt: Die Griechen, die griechischen Durchschnittsbürger sind zurzeit sehr verunsichert. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie wissen nicht, was sie von den Bemühungen der neuen linken griechischen Regierung halten sollen.
    Große Verunsicherung in der griechischen Bevölkerung
    Meurer: Diese Verunsicherung, Herr Antonaros, führt ja auch dazu, dass viel Geld von den Banken abgehoben wird, innerhalb einer Woche 30 Milliarden Euro, diese Woche von Montag bis Mittwoch, so wie wir lesen, noch mal zwei Milliarden Euro.
    Antonaros: Mehr als zwei Milliarden. Da haben Sie Recht, Herr Meurer.
    Meurer: Ist das schon Panik?
    Antonaros: Das ist wie gesagt auf jeden Fall sehr starke Verunsicherung. Ich kenne keinen bei meinen Verwandten, meinen Bekannten, in meinem Freundeskreis, der nicht dabei ist, fast jeden Tag ein bisschen Geld vom Konto nach Hause zu holen, um für den Ernstfall ein bisschen Geld bei sich zuhause zu haben.
    Meurer: Das heißt, Sie machen es auch?
    Antonaros: Ich habe es zum Teil auch gemacht. Ich sehe zu, wissen Sie, dass ich ein paar Hundert Euro bei mir zuhause habe. Ich habe natürlich in einer Regierung gedient, ich war 30 Jahre lang Journalist, ich habe sehr viel erlebt. Aber so eine Situation der großen Verunsicherung bei den normalen Menschen, beim Normalbürger habe ich in diesem Land noch nicht erlebt. Das ist ein gewaltiger Kapitalabfluss und man fragt sich. Ich kenne Leute, auch der Leiter meiner Bankfiliale, der hat zu mir gesagt, wissen Sie, wenn es so weitergeht, dann kann es gut möglich sein, dass wir am Montag, am kommenden Montag völlig trocken sind, dass wir nicht die Möglichkeit haben, den Leuten das Geld auszuzahlen.
    "Die Situation kann doch stabilisiert werden"
    Meurer: Da gibt es eine Warnung der Europäischen Zentralbank. Es kann sein, dass am Montag die Banken in Griechenland geschlossen werden. Das ist eine reale Gefahr?
    Antonaros: Ich kann es nur instinktiv beurteilen. Eine Gefahr ist es ganz bestimmt. Deswegen gibt es offenbar jetzt heute, glaube ich, eine Schaltkonferenz der Europäischen Zentralbank auf Bitten, soweit ich weiß, der griechischen Zentralbank, damit diese Sonderhilfen, die aus Frankfurt kommen, erhöht werden und diese Möglichkeit abgewendet wird. Und ich glaube, sie muss abgewendet werden, denn die Situation kann doch stabilisiert werden. Ich habe doch die Zuversicht, dass auf dem letzten Drücker jetzt am kommenden Montag, wenn sich die Staats- und Regierungschefs zusammensetzen, doch eine Lösung gefunden wird.
    Meurer: Sie glauben, Alexis Tsipras wird noch nachgeben?
    Antonaros: Ich hoffe, dass er einsehen wird, dass es die einzige Möglichkeit ist, um das Land zu retten.
    Meurer: Die andere Spekulation lautet ja, das ist jetzt alles nur noch ein Schwarze-Peter-Spiel: Keiner will es gewesen sein, aber es läuft auf den Grexit und die Pleite hinaus. Was meinen Sie?
    Antonaros: Ich glaube es nicht. Ich glaube, die bemühen sich tatsächlich jetzt, weil sie die Brisanz der Problematik in ihrem ganzen Umfang eingesehen haben, doch eine Lösung zu finden. Und wissen Sie, alle setzen jetzt auf die Haltung der Bundesregierung und insbesondere von Bundeskanzlerin Merkel. Es ist auch bezeichnend, würde ich sagen, dass jetzt in den letzten Wochen auf höchster Regierungsebene hier von Kritik an Frau Merkel, insbesondere an Frau Merkel bewusst abgesehen wird. Ich habe den Eindruck, die Kanäle, die Gesprächskanäle existieren noch, und ich halte das für ein sehr positives Zeichen.
    Meurer: Glauben Sie, dass die Kanzlerin der griechischen Seite mehr zugesteht als der Finanzminister Schäuble?
    Antonaros: Das kann ich nicht beurteilen. Das hat mit deutscher Innenpolitik zu tun. Aber auf jeden Fall, wenn man das aus der Ferne interpretiert, habe ich den Eindruck, dass die Bundeskanzlerin das Gesamtbild besser kennt als der Bundesfinanzminister und deswegen sie ein besseres Gespräch führen kann mit Alexis Tsipras als zum Beispiel Bundesfinanzminister Schäuble mit dem griechischen Finanzminister Varoufakis, der sowieso, glaube ich, bei diesen Gesprächen weniger zu sagen hat als vor ein paar Wochen.
    Merkels Engagement zeigt: Sie will Griechenland nicht fallen lassen
    Meurer: Sie haben selbst bei uns hier im Deutschlandfunk vor einigen Wochen gesagt: "Deutschland wird in Griechenland zum Feindbild gemacht." Ist das besser geworden oder schlimmer?
    Antonaros: Das hat nach meinem Empfinden stark nachgelassen und das hat, glaube ich, mit dem sehr starken Engagement der Kanzlerin insgesamt zu tun. Sie hat die vielen Schaltkonferenzen zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten Hollande und Tsipras geführt und sie hat durch dieses Engagement gezeigt, dass sie auf jeden Fall nicht die Absicht zu haben scheint, Griechenland fallen zu lassen. Aber es kommt jetzt natürlich darauf an, wie die griechische Regierung, wie der griechische Regierungschef im Endeffekt auch darauf reagiert.
    Wissen Sie, gestern Abend hat es in der Innenstadt in Athen eine große Demonstration von Befürwortern des Verbleibens Griechenlands in der Eurozone gegeben. Ich bin auch dabei gewesen. Der Sinn dieser Demonstration hat darin bestanden, auch der griechischen Regierung positiv den Rücken zu stärken und ihr zu zeigen, dass die Mehrheit der Griechen das Ausscheren aus der gemeinsamen Währung nicht befürwortet. Das muss auch die griechische Regierung berücksichtigen.
    Meurer: Um es kurz auf den Punkt zu bringen, Herr Antonaros. Sie als Oppositionspolitiker, halten Sie Alexis Tsipras für einen Staatsmann, der im Interesse des Landes jetzt Parteiinteressen hintanstellt?
    Antonaros: Das wird vermutlich in den nächsten Wochen entschieden, ob er das Gewicht hat, die Entscheidungsbereitschaft besitzt, sich über die Kritik seines linken Lagers hinwegzusetzen, um Griechenlands Verbleiben in der Eurozone zu sichern.
    Meurer: Evangelos Antonaros, ehemaliger Regierungssprecher und Parlamentsabgeordneter für die Nea Dimokratia, lobt die Kanzlerin. Das Verhältnis zu Deutschland sei besser geworden und jetzt hängt vieles davon ab, was der griechische Regierungschef tun wird. Herr Antonaros, schönen Dank für das Interview und auf Wiederhören nach Athen.
    Antonaros: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.