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"Schuldenschnitt auch für private Gläubiger"

Ein ausgeglichenes Wachstum überall in Europa funktioniere nicht ohne einen Schuldenerlass für öffentliche und private Gläubiger in Griechenland, sagt der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Dass Bundesfinanzminister Schäuble dieses jetzt zurückweise hält Chatzimarkakis für "Wahlkampfstrategie".

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Rainer Brandes |
    Christoph Heinemann: Deutschland und Griechenland haben sich während des Besuchs von Finanzminister Wolfgang Schäuble in Athen auf die Gründung eines "Griechischen Förderfonds für Wachstum" geeinigt. Mit dem Fonds sollen kleine und mittlere Unternehmen durch günstigere Finanzierungsbedingungen unterstützt werden. In der Nacht zuvor hatte das griechische Parlament neue Entlassungen im Staatsdienst beschlossen. Während einer Pressekonferenz in Athen betonte der Bundesfinanzminister, es werde keinen weiteren Schuldenschnitt für private Gläubiger geben. Mein Kollege Rainer Brandes hat den FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis gefragt, ob das stimmt.

    Jorgo Chatzimarkakis: Bis zur Bundestagswahl spricht er mit Sicherheit die Wahrheit. Alle Welt weiß, dass bis zum 22. September in der Frage Schuldenschnitt sich nichts bewegt, da dann ja tatsächlich private Gläubiger und somit Steuerzahler, private, betroffen wären. Das alles war bei den bisherigen Rettungspaketen für Griechenland gar nicht der Fall und deswegen meidet Wolfgang Schäuble das Wort "Schuldenschnitt" wie der Teufel das Weihwasser, völlig klar. Was nicht stimmt, ist, dass Menschen, die von der Sache was verstehen, die Finger vom Schuldenschnitt lassen. Es gibt ernsthafte Stimmen vom IWF, dem Internationalen Währungsfonds, die sagen, der Schuldenschnitt sei nötig, weil sonst der Schuldenstand Griechenlands einfach nicht tragfähig sei. Das ist auch ein Grund, warum der IWF und die beiden anderen Partner der sogenannten Troika, die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission, sich in die Haare bekommen haben, was die zukünftige Rettung Griechenlands angeht. Ich möchte aber daran erinnern, dass es Berlin war, dass es die Bundesregierung war, die den IWF in der Rettungsmaschinerie drin haben wollte. Also Schuldenschnitt jetzt nein, Schuldenschnitt nach der Bundestagswahl wahrscheinlich.

    Rainer Brandes: Aber von welchem Schuldenschnitt sprechen wir dann? Denn Schäuble hat ja hier nur von einem Schuldenschnitt für private Gläubiger gesprochen. Es könnte also durchaus ein Schuldenschnitt für öffentliche Gläubiger kommen?

    Chatzimarkakis: "Den hat es ja schon gegeben. Die öffentlichen Gläubiger mussten ja schon sozusagen dran glauben. Im letzten Jahr gab es einen großen Schuldenschnitt für Griechenland. Da waren im Übrigen zu einem ganz kleinen Anteil auch deutsche Steuerzahler beteiligt, weil die HRE, die deutsche öffentliche Bank, dort beteiligt war und von diesem Schuldenschnitt betroffen war. Ein wesentliches Ergebnis dieses Schuldenschnittes war, dass zum Beispiel die Republik Zypern, die vorher ein Nettozahler war, durch ihre starke Verwicklung in Griechenland in Schwierigkeiten kam und selber ein Rettungspaket brauchte. Also der Schuldenschnitt hat durchaus negative Auswirkungen, das will ich überhaupt nicht wegreden, auf bestimmte Partner. Aber wenn der IWF im Boot bleiben muss und bleiben soll, dann wird man um einen Schuldenschnitt nicht herum kommen, denn der IWF sagt knallhart und eindeutig, ohne eine Überlebensfähigkeit Griechenlands bei diesem Schuldenstand bleiben wir nicht drin, und die ist nur gewährleistet, wenn es einen Schuldenschnitt gibt. Insofern: Da beißt sich die Maus keinen Faden ab. Es wird über kurz oder lang einen Schuldenschnitt auch für private Gläubiger geben."

    Brandes: Und das heißt, Sie, Herr Chatzimarkakis, sprechen sich für einen solchen Schuldenschnitt aus, obwohl der ja schlecht für deutsche Steuerzahler und deutsche Gläubiger wäre?

    Chatzimarkakis: Man muss die Sache in ihrer Gesamtheit sehen. Wenn die jetzige Sparpolitik fortgeführt würde, sprich ein Minus im Wirtschaftswachstum von erheblichen Prozentzahlen – wir haben in Griechenland den Verlust von einer Million Arbeitsplätzen zu verzeichnen in den letzten zwei Jahren, parallel wurden in Deutschland 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, so sagt es jedenfalls die OECD -, dann ist das keine gesunde Entwicklung. Und auf Dauer kann es auch nicht gut sein, wenn wir dann auf die Migration, die Arbeitsmigration setzen. Im Moment läuft ja genau dies: Junge Spanier, junge Portugiesen und vor allem junge Griechen stürmen nach Deutschland, weil sie dort Lehrstellen besetzen, weil sie dort an die Unis wollen. Das ist über kurz oder lang kein guter Tausch. Besser wäre es, wenn man deswegen ein ausgeglichenes Wachstum überall in Europa ermöglicht, und das geht nicht ohne einen Schuldenschnitt, der mit Sicherheit nach der Bundestagswahl kommen wird. Die Reise von Wolfgang Schäuble gerade jetzt, kurz nach der Abstimmung im griechischen Parlament über die Entlassung von Beamten, ist ja nicht zufällig gewählt. Es ist sozusagen eine Beruhigungspille für die Griechen, die die Zeit bis zur Bundestagswahl bitte stillhalten mögen, denn eins kann sich die Kanzlerin und kann sich auch Wolfgang Schäuble nicht erlauben: ein weiteres Problemkind Griechenland. Das würde die Wahlkampfstrategie natürlich über den Haufen werfen.

    Heinemann: Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit meinem Kollegen Rainer Brandes.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.