Martin Zagatta: Wir hören das immer und immer wieder, auch die jüngsten Verhandlungen mit der griechischen Regierung haben zu keinem Ergebnis geführt. Und doch beschleicht einen der Eindruck, dass das eigentlich recht egal ist, denn der Bundestag wird trotz aller Bedenken doch wieder Milliarden freigeben. So jedenfalls könnte es wieder laufen. Was neu ist in der Debatte: Jetzt gibt es erstmals offenbar auch in den Reihen der SPD anscheinend Widerstand gegen weitere Zahlungen.
Mitgehört hat der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß, Mitglied im SPD-Parteivorstand und auch Bundestagsabgeordneter. Guten Tag, Herr Poß!
Joachim Poß: Guten Tag, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Poß, bisher kam ja der Widerstand gegen weitere Hilfsmilliarden vor allem von Abgeordneten der Union. Bei der SPD hat zum Beispiel nur ein einziger Abgeordneter gegen das zweite Hilfspaket gestimmt. Kann sich denn die Kanzlerin jetzt nicht mehr blind auf die SPD verlassen?
Poß: Es geht ja nun wirklich nicht darum, dass die Kanzlerin sich auf die SPD blind verlassen können soll.
"Beibehaltung einer Währungsunion ist im europäischen Interesse"
Zagatta: Aber bisher war es doch so in dieser Debatte.
Poß: Sie konnte sich darauf verlassen, dass wir, sage ich mal, im europäischen Interesse gehandelt haben. Im europäischen Interesse ist die Beibehaltung einer Währungsunion, die nicht reduziert wird. Das ist im europäischen Interesse. Dementsprechend, glaube ich, haben wir und waren wir auch in den Diskussionen da die Stimme der Vernunft.
Aber wir haben ja auch immer wieder betont, was eigentlich auch von Griechenland zu leisten ist. Wir waren für einen anderen Politikmix, haben auch nicht verschwiegen, dass zu Beginn die ersten Hilfspakete, das war zu viel Austerität, das war zu viel Sparen, wachstumsschädliches Sparen, das musste korrigiert werden im Sinne von mehr Investitionen.
Nur um Investitionen umsetzen zu können - da können wir noch so viele Milliarden in die Hand nehmen -, bedarf es funktionierender staatlicher Strukturen in Griechenland, die korruptionsfreier sind als bisher. Das ist das zentrale Problem Griechenlands und an diesem zentralen Problem hat auch die neue Regierung, Syriza geführt, seit Anfang des Jahres nichts verändert.
"Griechische Regierung hat falsche Signale gegeben"
Man muss leider sagen, ganz im Gegenteil. Sie haben falsche Signale gegeben, sie haben eine Steuerstundungsregelung, die Superreiche und Oligarchen mit begünstigt, die selbst bei Samaras nicht in die Begünstigung einbezogen werden sollten. Da hatten sie nämlich eine Grenze von einer Million vorgesehen.
Das heißt, Syriza hat unglaublich viel Vertrauen zerstört, und wenn es dann welche gab, die da die Illusion hatten, das würde dann schon alles besser werden, dann musste man sich jetzt eines Besseren belehren lassen. Das ist die Situation, mit der wir es zu tun haben.
Zagatta: Waren da die Unions-Abgeordneten, die schon seit langem davor warnen, dass da nichts rauskommen wird, die schon beim letzten Hilfspaket mit Nein gestimmt haben, waren die da ein bisschen weitsichtiger als Ihre Parteifreunde?
Poß: Das würde ich wirklich nicht so sehen, glaube ich. Weitsichtig ist derjenige, der für eine Lösung streitet, die dann wirklich auf längere Sicht für Europa die beste ist. Ich glaube, dass wir insofern den engen, manchmal zu engen nationalistischen Ansatz, der auch aus Reihen der CDU/CSU kam, nicht geteilt haben, das ist richtig. An unserer Grundlinie wird sich auch nichts verändern.
"Keine wesentlichen Schritte gegen Korruption und Vetternwirtschaft"
Aber was wir zur Kenntnis nehmen mussten - vorher konnten das auch die Unions-Abgeordneten nicht zur Kenntnis nehmen; wir können ja das Wirken dieser Regierung erst seit Januar beobachten -, das ist, dass keine wesentlichen Schritte ergriffen wurden, um den Grundübeln der griechischen Gesellschaft und der griechischen Politik zu begegnen, die mit Korruption, Vetternwirtschaft, Klientelismus, Steuerhinterziehung gekennzeichnet sind.
Und das wäre eine Voraussetzung auch für Glaubwürdigkeit, dass man die Möglichkeiten nutzt, und es bringt da nichts, ein Spiel zu betreiben, ein Schwarze-Peter-Spiel um Europa, die Troika oder wen auch immer ins Spiel zu bringen. Da sind Fehler am Anfang gemacht worden. Jetzt werden die Fehler fast ausschließlich auf griechischer Seite gemacht. Das macht die gegenwärtige Situation so schwierig.
Zagatta: Herr Poß, diese Diskussion, die haben wir schon so oft erlebt. Dann hieß es im letzten Moment immer, jetzt haben wir doch wieder einen Kompromiss erreicht. Beide Seiten wahren so ihre Gesichter ein bisschen und der Bundestag stimmt zu. Können Sie sich vorstellen, dass es diesmal anders ist, dass die SPD im Bundestag, Sie sind ja Abgeordneter, dass Sie Nein sagen?
"Es kommt auf eine europäische Lösung an"
Poß: Ja, ich kann mir das diesmal vorstellen. Das ist richtig. Das hat man auch nicht erwartet, auch ich nicht, der ich durchaus skeptisch die ersten Schritte schon zum Beispiel von Tsipras oder Varoufakis beobachtet habe, das auch teilweise öffentlich kundgetan habe. Aber falls da in der SPD auch noch manche gewesen sein sollten, die da Illusionen haben, was den Charakter von linken Populisten angeht, ebenso wie den von rechten Populisten - wir haben es in Griechenland mit einer Mischung von beiden zu tun -, die sind im Zweifel auch nationalistisch orientiert, nicht europäisch, und es kommt hier auf eine europäische Lösung an.
Von daher sind, muss ich allerdings sagen - ich habe ja auch mit Varoufakis im SPD-Rahmen am letzten Montag kurz diskutiert - meine Zweifel mit jedem Tag gewachsen. Ich habe Varoufakis sehr konkret fünf konkrete Fragen gestellt zur Steuerpolitik, zu einigen anderen Maßnahmen; keine der Antworten war überzeugend. Und wenn sich das nicht wesentlich bessert, wenn nichts Belastbares uns vorgelegt wird in einer Frage, in der wir auch als Deutscher Bundestag zustimmen müssen, dann liegen alle politischen Alternativen auf dem Tisch und dann kann auch die Situation entstehen, dass wir sagen, beim besten Willen, wir haben keine Grundlage für eine Zustimmung.
"Griechenland sollte dabei bleiben"
Diese Situation will ich nicht ausschließen, aber ich hoffe, dass die nächsten Tage genutzt werden, um eine solche Situation zu vermeiden, weil ich nach wie vor der Meinung bin, dass Griechenland dabei bleiben sollte, weil ich nach wie vor auch nicht frei bin von großen Ängsten, was denn dann humanitär und anders, was denn dann bei einer welche Lösung auch immer in Griechenland passieren könnte.
Und keiner sollte die Illusion haben in Deutschland, auch die Unions-Abgeordneten, aber auch andere nicht, dass jedwede Lösung preisgünstiger würde. Wenn man so das deutsche Interesse betont, wie gestern bei einer Talkshow der Herr Bosbach ständig, dann darf man nicht vergessen, dass jede Lösung mit Kosten verbunden ist.
Zagatta: Herr Poß, Sie haben gesagt, Sie haben mit Varoufakis gesprochen über verschiedene Punkte. Die Gläubiger, auch Finanzminister Schäuble, die machen ja jetzt weitere Zahlungen offenbar davon abhängig - so hören wir das immer wieder in Brüssel -, dass auch die Renten gekürzt werden in Griechenland. Machen Sie sich das auch zu eigen?
Poß: Nein, darum geht's nicht. Die griechische Regierung hat anders als andere - ich habe mich sehr intensiv auch mit anderen Ländern beschäftigt, zum Beispiel Portugal und anderen mehr, da bin ich Berichterstatter für meine Fraktion -, die haben die Alternativen gar nicht genutzt. Die Portugiesen haben nämlich zum Beispiel ihren Haushalt konsolidiert im Wesentlichen auf der Einnahmeseite. Die haben eine funktionierende Steuerverwaltung.
"Unheilvolle Wirkung zwischen linkem und rechtem Populismus"
Die haben anders mehr und dann haben die eben auch Dinge, die vor der Troika erörtert wurden, in Abstimmung mit der Troika (und zwar fast geräuschlos), nicht realisiert. Diese Möglichkeiten hat auch in den letzten Jahren die griechische Regierung nie genutzt und auch in den letzten Monaten. Die Kooperationsbereitschaft, die von Juncker, von Martin Schulz, von anderen unmittelbar nach der Wahl gegenüber der neuen Regierung geäußert wurde, war ja nicht zu übertreffen. Man hätte Spielraum für viele Kompromisse gehabt und es ist einfach unfair, jetzt das auf diesen einen Punkt zu schieben.
Sondern man hat ja denen auch angeboten, dass sie da bei den Militärausgaben, die ja exorbitant sind - das ist ja verrückt, was da in Griechenland, wofür auch Geld ausgegeben wird -, dass man da Kürzungen dann vorsehen muss, und das wird ja dem Vernehmen nach von der griechischen Seite abgelehnt. Man sieht, was diese Verbindung zwischen linkem und rechtem Populismus - denn die Koalitionspartner sind ja rechte Populisten -, was die für eine unheilvolle Wirkung haben.
Zagatta: Nur da sagt ja Herr Tsipras heute, so haben wir gerade in unseren Nachrichten auch gehört, die Gläubiger, die müssten mal in der Realität ankommen. Herr Poß, noch mal die Frage ...
"Griechen sind nicht gewillt, mit den schlimmen Traditionen des Klientelismus zu brechen"
Poß: Ja, den Eindruck muss ich auch sagen, auch durch die Diskussion mit Varoufakis oder so und nicht so unmittelbar. Die Frage kann man klar beantworten. Selbst wenn Tsipras und auch die anderen bleiben ausschließlich in ihrer griechischen Wirklichkeit, so wie sie sie sehen, sie sind bis jetzt jedenfalls nicht ausreichend gewillt, mit den schlimmen Traditionen des Klientelismus, des Stimmenkaufs, den das faktisch bedeutet, und so weiter zu brechen.
Das müssen sie beweisen und sie müssen auch beweisen, dass sie ein europäisches Grundverständnis haben. Varoufakis zum Beispiel spricht ständig in Interviews darüber und beweist praktisch null Grundverständnis für diese europäischen Zusammenhänge. Mit diesem Spiel, da kommt Griechenland nicht weiter. Die betreiben ein Spiel zulasten der griechischen Bevölkerung. Das ist das Schlimme. Varoufakis und Tsipras betreiben ein Spiel zulasten der griechischen Bevölkerung.
Zagatta: Und trotzdem gibt es in der deutschen Bevölkerung die Befürchtung, wenn man sich da auf einen faulen Kompromiss in letzter Minute wieder einigt, das geht vor, die Griechen sollen im Euro gehalten werden, dann wird der Bundestag wieder zustimmen. Sehen Sie das nicht auch so?
Poß: Na ja. Sie wissen ja, in der Demokratie muss man mit dem Begriff des faulen Kompromisses vorsichtig sein. Das ist demokratietheoretisch nicht so gut. Wir brauchen die Kompromissfähigkeit.
"Griechen müssen guten Willen beweisen"
Zagatta: Aber 70 Prozent der Deutschen sind ja jetzt schon gegen weitere Milliarden-Zahlungen. Kann man sich darüber hinwegsetzen?
Poß: Nein. Man muss dann mit 70 Prozent der Deutschen, wenn man denn eine solche Entscheidung trifft, darüber sprechen, warum man sie trifft. Das ist, glaube ich, in der Perspektive insgesamt - das ist keinem jetzt vorzuwerfen - nicht ausreichend geschehen. Dann muss man sagen, welche Alternativen mittel- und längerfristig zur Entscheidung anstehen, worum es eigentlich in Europa geht. Natürlich brauchen wir eine intensivere europapolitische Debatte auch in der Bundesrepublik Deutschland und ein auch größeres Verständnis.
Aber das, was Tsipras und andere und die Rechtspopulisten sowieso machen, ist die reine nationalistische Orientierung. Auch die Altkommunisten, die ja eine große Rolle spielen in Griechenland, sind reine Nationalisten in dem Sinne. Das muss man erkennen. Und von daher: Die müssen in erster Linie ihren Beitrag für eine europagerechte Lösung bringen, und zwar eine Lösung, die auch den guten Willen beweist, den sie bisher nicht bewiesen haben.
Zagatta: Der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Poß, herzlichen Dank für das Gespräch.
Poß: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.