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Schuldenstreit
"Griechenland braucht Luft zum Atmen"

Nach dem aktuellen Reformprozess in Griechenland müsse es auch Maßnahmen zur Entlastung der Bevölkerung geben, sagte die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Simone Peter, im DLF. Man müsse zum Beispiel darüber diskutieren, wie eine Umschuldung möglich werde.

Simone Peter im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Die Vorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, Simone Peter.
    Die Vorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, Simone Peter. (Imago / Metodi Popow)
    Peter betonte, den Griechen und ihrer Regierung sei klar, das sie es nicht aus eigener Kraft aus der Krise schafften. "Sie wissen: Wir können ohne die Hilfe, ohne die Solidarität der EU-Mitgliedsstaaten nicht weiterkommen." Zugleich könne der strikte Austeritätskurs der Vergangenheit "sicher nicht die Lösung sein". Die bisherigen Vereinbarungen müssten allerdings eingehalten werden. "Das Entscheidende ist, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, wie das Vertrauen füreinander entwickelt werden kann", sagte die Grünen-Vorsitzende.
    Sie wies auf die sozialen Nöte in der Bevölkerung hin. "Die Griechen haben sehr, sehr bitter bezahlt für die Fehler der letzten Regierungen." Es gehe nun um die Beseitigung der ärgsten Nöte im sozialen Bereich: "Es gibt flächendeckend Armut im großen Stile."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jasper Barenberg: 541 Ja-Stimmen – noch nie hat der Bundestag mit einer so großen Mehrheit zugestimmt, wenn es um Hilfen für Griechenland ging. Aber diese große Mehrheit trügt wohl. Gerade Abgeordnete von CDU und CSU lassen erkennen, dass ihre Geduld so langsam zu Ende geht und wie groß ihre Zweifel sind, ob die Linksregierung in Athen wirklich zu Reformen bereit ist. Das Misstrauen dürfte am Wochenende noch einmal gewachsen sein, weil Alexis Tsipras in Athen einmal mehr einen Erlass der Schulden ins Spiel gebracht hat, worauf Finanzminister Wolfgang Schäuble einmal mehr an die Verabredungen erinnert.
    O-Ton Wolfgang Schäuble: "Der Text, auf den wir uns mit Griechenland in der Eurogruppe vereinbart haben, ist völlig eindeutig, und der, nur der ist die Grundlage der Zustimmung des Deutschen Bundestags. Und jede Auszahlung erfordert die einstimmige Entscheidung der 18 Mitgliedsstaaten der Eurozone. In Deutschland haben wir eine sehr klare Regelung, dass der Bundestag jeder Änderung zustimmen müsste. Das wird alles nicht stattfinden. Es gilt das, was wir vereinbart haben."
    Barenberg: Wolfgang Schäuble gestern Abend in der ARD. – Am Telefon ist die Co-Vorsitzende der Grünen, die das Wochenende in Gesprächen mit der Spitze der neuen Regierung in Athen verbracht hat. Guten Morgen, Simone Peter.
    Simone Peter: Guten Morgen, Herr Barenberg. Ich grüße Sie.
    Barenberg: Wir haben es doch in Wahrheit mit zwei Regierungen in Athen zu tun: die eine, die beteuert, die Auflagen der Geldgeber ohne Abstriche zu erfüllen, und die andere, die den Griechen das Ende des Spardiktates der Europäer verspricht. Welche von beiden haben Sie denn getroffen?
    "Die Griechen haben sehr, sehr bitter bezahlt für die Fehler der letzten Regierungen."
    Peter: Eigentlich beide. Wir hatten ja sehr intensive Gespräche mit Regierungsvertretern, mit dem Ministerpräsidenten, Finanzminister, Verwaltungsminister und dem grünen Umweltminister. Alle haben uns deutlich gemacht, dass sie am meisten umtreibt die massive humanitäre Katastrophe, so wie sie es selber benennen, im Land, und das kann man dort ja auch sehen. Die Griechen haben sehr, sehr bitter bezahlt für die Fehler der letzten Regierungen. Es war ja ein harter Sparkurs, den sie in den letzten Jahren aufgeordnet, aufoktroyiert bekommen haben. Auf der anderen Seite hat sich das wirtschaftliche Wachstum ja nicht erholt. Im Gegenteil: Es ist ja den Bach runtergegangen mit erheblichen Schuldenleistungen. Und wenn man sich hier anschaut, wie die Menschen leben, teilweise ohne Elektrizität, die Suppenküchen quellen über, dann ist es auch ein berechtigtes Anliegen zu sagen, wir müssen den sozialen Verwerfungen entgegengehen, wir müssen hier eine Programmatik entwickeln, die den Menschen hilft. Und auf der anderen Seite wissen sie, dass sie ohne die Hilfe, ohne die Solidarität der europäischen Mitgliedsstaaten auch nicht weiterkommen. Das heißt, da schlagen durchaus zwei Herzen in einer Brust. Man muss nach innen wirken und gleichzeitig die Interessen auch nach außen deutlich machen. Das wird noch ein sehr, sehr schwieriger Prozess auch jenseits dieses Reformpakets, was jetzt beschlossen ist.
    Barenberg: Sie haben die Sparpolitik und die Folgen angesprochen. Wie viel Spielraum wollen Sie den Griechen denn zugestehen?
    Peter: Ich glaube ernsthaft, man muss jetzt über die Verlängerung des Hilfsprogramms, auch darüber nachdenken, wie geht es weiter. Es stehen ja Rückzahlungen an IWF, an die weiteren Zahlungsgeber aus. Von daher muss jetzt darüber gesprochen werden, wie geht es auch nach Juni, Juli weiter. Ich glaube schon, dass wir deutlich machen müssen auch gegenüber der Bevölkerung in den anderen europäischen Mitgliedsstaaten, dass Griechenland Luft zum Atmen braucht, dass wir nachhaltige Investitionen brauchen, dass wir die Dinge diskutieren müssen, dass sich die Schulden auch in anderen europäischen Ländern erhöhen, das heißt, dass die Forderungen der Griechen nach einer Schuldentragfähigkeit auch berechtigt sind. Von daher ist es wichtig, dass wir nach diesem Reformprozess, der jetzt für die nächsten Wochen und Monate überlegt wird, auch darüber hinaus Maßnahmen der Entlastung der Griechen diskutieren müssen. So ehrlich muss man sein.
    Barenberg: Lassen Sie uns versuchen, das konkret zu machen.
    Peter: Ja gerne!
    Barenberg: Es geht beispielsweise darum, wie viel Überschuss die Regierung in Griechenland erwirtschaften soll. Nach den Vereinbarungen mit den internationalen Geldgebern sollen davon Abstriche gemacht werden, um finanzielle Spielräume zu haben, um die soziale Situation der Menschen zu verbessern. Wäre das ein konkreter Vorschlag?
    Über die Möglichkeiten einer Umschuldung nachdenken
    Peter: Ich glaube, es gibt mehrere Möglichkeiten. Die Griechen sprechen ja selber von der Umschuldung. Da ist nicht von einem Schuldenschnitt die Rede. Wir haben ja auch darüber gesprochen, was die Forderung nach einer Schuldenkonferenz angeht. Das halte ich für sehr berechtigt, weil wir auch in anderen europäischen Ländern eine sehr hohe Staatsverschuldung haben, und in Griechenland ist die Staatsverschuldung ja angestiegen, trotz des erheblichen Sparkurses. Das heißt, man muss darüber diskutieren, wie ist so eine Umschuldung möglich. Geht es um eine Senkung der Zinsen, um eine Verlängerung der Laufzeiten, um eine Tilgung des Wachstums, die mit der griechischen Wirtschaft gekoppelt ist.
    Barenberg: Alles das hat es ja schon gegeben, Frau Peter: Stundung, Reduzierung der Zinsen.
    Peter: Ja, das ist richtig. Das hat es alles schon gegeben. Und trotzdem sind ja die Staatsschulden weiter angestiegen. Wenn Sie sich anschauen: Vor der Finanzkrise lagen sie bei 107 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und sind bis heute auf 175 Prozent gestiegen, und gleichzeitig sind ein Drittel der staatlichen Ausgaben gekürzt worden. Wenn das dann nicht wirkt, dann muss man weiterdenken. Dann geht es ganz dringend darum, Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln, um das selber wieder stemmen zu können. Aber so was passiert ja nicht von heute auf morgen. Deswegen ist die große Hoffnung der Griechen, dass man insgesamt auch überlegt, wie kann man Wirtschaft ankurbeln. Dazu braucht es auch die Beratung anderer Mitgliedsstaaten. Diese Regierung ist neu, sie ist auch teilweise unerfahren, reflektiert das auch für sich so. Von daher wird es wichtig sein, auch eine konkrete Beratung, konkrete Kooperationsmöglichkeiten auszuloten, aber auch nachzudenken, wie kann man weiterhelfen auch mit finanziellen Mitteln.
    Barenberg: Sehen Sie denn bei Ministerpräsident Tsipras und auch beim Finanzminister tatsächlich die Bereitschaft, beides zu tun, die Vereinbarung mit den Geldgebern zu erfüllen und gleichzeitig Spielräume zu schaffen und zu nutzen?
    "Griechenland schafft das nicht aus eigener Kraft"
    Peter: Ja, die sehe ich durchaus. So viel Realismus ist dort ja durchaus vorhanden, dass sie wahrnehmen, sie schaffen das nicht alleine aus eigener Kraft. Die Reformschritte, das Reformprogramm ist der erste Schritt. Da geht es jetzt um die Beseitigung der ärgsten Nöte im sozialen Bereich. Es geht darum – das ist ja ein fester Wille und ein festes Programm –, Korruption, Steuerhinterziehung anzugehen, die Reichensteuer einzuführen, das Steuersystem vom Kopf auf die Füße zu stellen, aber diese Strukturprozesse dauern ja.
    Barenberg: Wieso sollte das Tsipras jetzt in wenigen Monaten gelingen, zumindest das auf den Weg zu bringen, was seine Vorgänger in Jahren nicht geschafft haben?
    Peter: Das ist ja genau das Problem. Das wird er nicht in wenigen Wochen und Monaten schaffen. Deswegen ist die Solidarität Europas so wichtig, und das ist den Griechen bewusst. Ich glaube, das ist auch den anderen Mitgliedsstaaten bewusst. Wenn man ernsthaft jetzt die Solidarität mit Griechenland sucht, dann muss man auch über das Reformpaket und über die vorläufigen Hilfen weiter nachdenken, wie man Griechenland helfen kann, und das hat verschiedene Ebenen.
    Barenberg: Fachleute sagen ja voraus, dass die griechische Regierung schon im Sommer auf zwischen 30 und 40 Milliarden Euro angewiesen sein wird. Kommt Griechenland um ein drittes Hilfspaket herum und wir damit um eine Diskussion darüber?
    "Der strikte Austeritätskurs kann nicht die Lösung sein"
    Peter: Ich glaube, diese Größenordnung bezieht sich auf den Bedarf in den nächsten drei Jahren. Da sind Leistungen beziehungsweise Gelder zurückzuzahlen. Ich glaube, allein an den IWF gehen über zehn Milliarden Euro nach der Sommerpause. Das heißt, es muss darum gehen, jetzt schnell darüber nachzudenken, wie können diese Mittel bereitgestellt werden, und da sind alle Geldgeber gefordert, auf der anderen Seite auch die griechische Regierung. Das ist der griechischen Regierung durchaus bewusst. Aber ich glaube, das Entscheidende ist, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, wie das Vertrauen füreinander entwickelt werden kann. Wir nehmen hier Begrifflichkeiten – wir nicht, aber es gibt ja durchaus Menschen in Deutschland und auch leider Politiker, die von gierigen Griechen sprechen. Das empfinden die Griechen als Demütigung nach dem, was sie bisher erfahren haben. Das heißt, wir müssen Vertrauen aufbauen, wir müssen Verständnis füreinander entwickeln, wie die Situation dort ist, und es gibt flächendeckend Armut im großen Stil. Das ist auch ein Anliegen der griechischen Regierung, was mir deutlich wurde, dass es nie von Überheblichkeit und Arroganz geprägt ist, sondern dass sie ernsthaft darüber nachdenken wollen, wie geht es voran, und da kann der strikte Austeritätskurs der Vergangenheit sicher nicht die Lösung sein.
    Barenberg: Was hat denn Alexis Tsipras für einen Eindruck vermittelt, wenn er öffentlich sagt, dass es kein drittes Hilfspaket geben wird, dass er keine weiteren Kredite und damit neue Bedingungen haben will? Haben Sie einen Eindruck gewonnen, wie er ohne das zurechtkommen will?
    Peter: Na ja. Man kann ja entweder ein Hilfspaket schnüren und oder Schulden erlassen beziehungsweise die Schuldentragfähigkeit erhöhen. Er schlägt ja deswegen auf der anderen Seite eine Reduzierung der Schuldenlast vor. Er spricht von Umschuldung. Das ist ja der Ansatz, den er verfolgt. Ob das reicht, weiß ich nicht. Ich glaube, das ist auch ein Punkt, der mit den anderen europäischen Mitgliedsstaaten, mit der Eurogruppe beraten werden muss. Da müssen jetzt alle Fakten, alle Prozesse auf den Tisch, das Programm gegengerechnet mit dem, was an Hilfsmaßnahmen notwendig ist, und ob die Umschuldung reicht, die weitere Zinssenkung. Da zahlen ja die Griechen schon sehr wenige Zinsen. Aber das ist ein Punkt, der, glaube ich, jetzt dringend mit den anderen Mitgliedsstaaten diskutiert werden muss.
    Barenberg: Die Linie von Finanzminister Wolfgang Schäuble, keine Abstriche von den Vereinbarungen, das ist nicht Ihre?
    Peter: Nein. Die bisherigen Vereinbarungen müssen eingehalten werden. Das haben wir auch immer deutlich gemacht.
    Barenberg: Aber das hieße, pünktlich zahlen vor allem?
    Peter: Das Anliegen ist ja berechtigt, diese Programmprozesse jetzt mal anzugehen. Dass die Eurogruppe jetzt sagt, wir machen jetzt keine Kompromisse, das ist nachvollziehbar, weil jetzt Griechenland erst mal Hausaufgaben machen muss. Von daher ist das Reformprogramm abzuarbeiten. Das ist ganz deutlich. Auf der anderen Seite muss man rechtzeitig überlegen, bevor der Staatsbankrott eintritt, wie kann man das verhindern. Deswegen ist diese Vertrauensbildung und der gemeinsame Prozess sind zentrale Säulen, die hier vorangebracht werden müssen. Ich bin auch froh, dass Herr Schäuble trotz der harten Worte gestern offenbar davon gesprochen hat, dass man den Griechen, der griechischen Regierung erst mal einen Vertrauensvorschuss gewährleisten muss, um sie ins Arbeiten zu bringen. Sie sind jetzt vier Wochen im Amt, die brauchen auch zentral Unterstützung, wie sie all die Prozesse auch in der Verwaltung – das ist uns deutlich geworden im Gespräch mit dem Verwaltungsminister –, wie sie das anstoßen, wie sie das umsetzen, um dieses Reformpaket abschließen zu können.
    Barenberg: Simone Peter, die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Frau Peter.
    Peter: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.