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Schuldenstreit mit Griechenland
"Brüssel spielt keine gute Rolle"

Der Russland-Besuch des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras sei im Vorfeld überschätzt worden, sagte Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, im DLF. Viel wichtiger sei die Frage nach Athens Reformfähigkeit. Die stellt Lauk infrage - und legt den "Grexit" nahe.

Kurt Lauk im Gespräch mit Bettina Klein |
    Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU
    Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU (dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke)
    Die Regierung in Athen sei offenbar nicht in der Lage, eine belastbare Reformliste vorzulegen, so Lauk im Deutschlandfunk. Deshalb müsse man sich fragen, ob Griechenland überhaupt in der Lage sei, "grundlegende Reformen durchzuführen". Schon vorherigen Regierungen sei dies nicht gelungen. "Hier liegt der Knackpunkt", findet Lauk. Es gehe weniger um eine ökonomische Diskussion, "denn ökonomisch ist Griechenland ein vernachlässigbarer Faktor".
    Brüssel ohne notwendige Härte
    Politisch sei das anders: "Es geht darum, den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union zu festigen, aber dass gleichzeitig die Position des Europäischen Rates, nämlich Solidarität gegen Reformen, nicht aufgelöst wird." Griechenland habe mit der Wahl der Linkspartei Syriza von Ministerpräsident Alexis Tsipras für eine Auflösung dieser Solidarität gestimmt. Deshalb frage er sich, so Lauk, "ob man diesem Wunsch nicht nachkommen sollte".
    Brüssel spielt laut dem CDU-Wirtschaftspolitiker aktuell keine gute Rolle, "weil die Härte fehlt, die notwendig ist, den Reformkurs in Griechenland durchzuführen und durchzusetzen". So könne es nicht sein, "dass aus Brüssel heraus Vorschläge für eine Reformliste gemacht werden, die nach Griechenland geschickt werden und gekürzt zurückkommen".
    "Ein Antrittsbesuch"
    Der Besuch von Tsipras sei nicht mehr als ein Antrittsbesuch gewesen, so Lauk. "Es war nicht zu erwarten, dass Moskau Griechenland mit Geld hilft." Tsipras habe erkannt, dass ein Spalt zwischen Griechenland und der EU ihm mehr schadet als nützt. Hier sei ein Stück Realismus eingekehrt.
    Die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin angesprochenen Infrastruktur-Investitionen begrüßte Lauk. Griechenland brauche "dringend Investitionen, um wieder auf die Beine zu kommen".

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Abend hatte meine Kollegin Bettina Klein Gelegenheit, über den Besuch von Tsipras in Moskau zu sprechen, mit Kurt Lauk, dem Präsidenten des CDU-Wirtschaftsrats.
    Bettina Klein: Herr Lauk, waren die Sorgen der Europäischen Union da völlig unbegründet?
    Kurt Lauk: Also zunächst: Der Besuch von Herrn Tsipras in Moskau wurde, glaube ich, überschätzt, es ging um einen Antrittsbesuch, und da ist ja eigentlich auch nicht zu erwarten, dass Russland in der schwierigen Lage, in der es sich befindet, mit Geld Griechenland hilft.
    "Ein Stück weit Realismus eingekehrt"
    Klein: Und auch politisch war es ja nicht sensationell. Also Tsipras ist nicht von der EU-Linie abgewichen. Er hat die Sanktionspolitik gleichwohl kritisiert. Aber auch da, muss man ja sagen, ist die Furcht, dass Griechenland da ausscheiden könnte aus der gemeinsamen Politik der Europäischen Union, unbegründet gewesen.
    Lauk: Ja, zunächst: Er schwankt hin und her, was die Äußerungen angeht, und ich glaube, er hat erkannt, dass ein Spalt zwischen Griechenland und der EU, wenn er sich mit Moskau einvernehmlich einigen würde, ihm mehr schadet als nützt. Hier ist, glaube ich, ein Stück weit Realismus eingekehrt.
    Klein: Und es wurde angedeutet, dass es zu gemeinsamen Projekten kommen könnte. Das ist aber offenbar noch Zukunftsmusik. Es geht ja unter anderem um Kredite für Großprojekte, falls sich Griechenland entschließen sollte, beim Bau der geplanten Gaspipeline durch die Türkei. Wäre das ein Projekt, was auch die Europäische Union durchaus begrüßen sollte? Denn damit wäre ja innerhalb der Europäischen Union eine Art Knotenpunkt in Südeuropa geschaffen.
    Lauk: Ja. Es ist mit Sicherheit so, dass die Gaslieferungen aus Russland gesichert werden müssen. Wenn es Infrastruktur-Investitionen in Griechenland geben sollte, ist dies nur zu begrüßen, denn Griechenland braucht dringend Investitionen, um überhaupt wieder auf die Beine zu kommen.
    Das Thema Gas ist ein schwieriges Thema, wegen der Energiepolitik auch in der Bundesrepublik, wir sind abhängig vom russischen Gas, Südeuropa insbesondere fast ausschließlich von russischem Gas. Insofern ist hier, ich sage mal, der Knackpunkt nicht gegeben.
    Klein: Das klingt, wenn ich Sie jetzt richtig interpretiere, so eher danach, als sei der Antrittsbesuch von Tsipras in Moskau eher etwas gewesen, das vielleicht sogar die Beziehung der Europäischen Union zu Russland insgesamt wird verbessern helfen und gar nicht mehr so gesehen werden kann, dass da sozusagen eine Gefahr besteht für die EU, oder wie sehen Sie das?
    Lauk: Es ist zu früh, um das zu beurteilen. Jetzt müssen wir mal sehen, ob wirkliche Taten und Investitionen erfolgen und wie die Planung aussieht. Es ist zu früh, um das letztlich zu beurteilen.
    "Im Vorfeld waren die Diskussionen überzogen"
    Klein: Das heißt, unterm Strich muss man sagen, dass eigentlich ein bisschen die Luft raus ist, was diese ganze Kritik im Vorfeld anging. Würden Sie das auch unterstreichen?
    Lauk: Im Vorfeld waren die Diskussionen überzogen. Die geopolitische Argumentation, Griechenland wendet sich Russland zu und verlässt die Europäische Union, war massiv überzogen. Es geht bei Griechenland um eine Inner-EU-Angelegenheit, die nach wie vor ungelöst ist, und da hat auch der Russlandbesuch von Tsipras überhaupt nichts dran geändert.
    Klein: Die Europäische Union wartet ja noch auf eine Reformliste, die die griechische Regierung vorlegen wollte. Wie sind die Perspektiven da Ihrer Meinung nach?
    Lauk: Im Moment ist die griechische Regierung offenbar nicht in der Lage, eine belastbare Reformliste vorzulegen. Das Land, diese Frage muss gestellt werden, ist es überhaupt in der Lage, grundlegende Reformen durchzuführen? Das bedeutet, dass auch schon die letzten Regierungen vor Tsipras nicht in der Lage waren, ausreichend Reformen durchzusetzen. Vielleicht ist Griechenland in der Tat in einer Situation, wo die Infrastruktur, die staatliche Infrastruktur Griechenlands nicht in der Lage ist, die geforderten und vereinbarten Reformen wirklich umzusetzen. Hier liegt, glaube ich, der Knackpunkt der ganzen Diskussion in der EU und Griechenland.
    Es geht weniger um eine ökonomische Diskussion, denn ökonomisch ist Griechenland, ich sage mal, ein vernachlässigbarer Faktor.
    Politisch allerdings ist es völlig anders. Politisch ist Griechenland eine schwierige Situation, denn auf der einen Seite geht es darum, den Zusammenhalt in der EU zu festigen, aber gleichzeitig darauf, die Position des Europäischen Rates und das, was auch die Bevölkerung in Europa mitträgt, nämlich Solidarität gegen Reformen, nicht aufgelöst werden. Und die griechische Bevölkerung hat mit der Wahl von Tsipras im Grunde eine Auflösung der Reformen gegen Solidarität, dafür gestimmt.
    Und irgendwann muss man die Frage stellen, ob man dem Wunsch der griechischen Bevölkerung, die Reformen zurückzudrehen – so interpretiere ich die Wahl von Tsipras – und den Zusammenhang zwischen Solidarität und Reform aufzulösen, ob man diesem Wunsch der Bevölkerung nicht nachkommt.
    "Brüssel fehlt die Härte"
    Klein: Was wir aus Griechenland hören, das ist ja durchaus auch doppeldeutig: Also auf der einen Seite wünscht man sich, dass an diesen Wahlversprechen festgehalten wird, sieht aber andererseits auch, dass das wahrscheinlich relativ schwierig werden wird und möchte trotzdem an einem Weg innerhalb der Europäischen Union ja festhalten.
    Abschließend gefragt, Herr Lauk: Bisher sind die Zeichen ja aus Brüssel zwar mitunter etwas ungeduldig, aber im Großen und Ganzen will man ja Griechenland offenbar noch Zeit geben, zumindest jetzt Ernst zu machen über diese Reformliste. Unterstützen Sie diesen Kurs?
    Lauk: Also aus meiner Sicht spielt Brüssel in diesem Zusammenhang keine gute Rolle, weil die Härte fehlt, die notwendig ist, um den Reformkurs in Griechenland durchzuführen und da durchzusetzen. Es kann nicht sein, dass aus Brüssel heraus Vorschläge für eine Reformliste gemacht werden und nach Griechenland geschickt werden, die dann gekürzt wieder zurückkommen. Hier spielt die Europäische Union in Brüssel keine gute Rolle. Man sollte das dem Europäischen Rat überlassen.
    "Vereinbarungen müssen eingehalten werden"
    Klein: Was meinen Sie mit Härte, Herr Lauk? Welche Härte wünschen Sie sich denn von Brüssel?
    Lauk: Dass die Vereinbarungen eingehalten werden. Das ist eigentlich gar keine Härte, sondern nur eine klare Aussage.
    Es geht einfach darum: Die innenpolitische Situation auch in der EU, die muss berücksichtigt werden.
    Wir können den Zusammenhang zwischen Solidarität und Reformen nicht auflösen, es sei denn, um den Preis, dass Podemos in Spanien, dass Beppe Grillo in Italien, dass Marie Le Pen in Frankreich, UKIP in England und die AfD in Deutschland Oberwasser gewinnen, wenn wir diesen klaren Kurs, den unsere Bundeskanzlerin vorgegeben hat und der vom Europäischen Rat einstimmig beschlossen worden ist, aufgelöst wird.
    Schulz: Kurt Lauk, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Bettina Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.