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Schuldenstreit mit Griechenland
"Da ist viel Inszenierung dabei"

Trotz aller Polemik und gereizten Töne, die derzeit die Griechenland-Debatte beherrschen: Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider gibt sich zuversichtlich, dass Griechenland in der Eurozone bleiben wird. Es gebe daran ein politisches und ein ökonomisches Interesse, sagte Schneider im DLF.

Carsten Schneider im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Carsten Schneider am Rednerpult
    Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider. (Imago/Jakob Schröter)
    Das aktuelle Gerangel um Reformvorschläge der griechischen Regierung, die den Geldgebern nicht weit genug gehen, kommentiert der Haushaltspolitiker mit folgenden Worten: "Da ist viel Inszenierung dabei."
    Ein Austritt der Griechen aus der Eurozone, der sogenannte Grexit, ist für Schneider jedoch keine Option: "Das ist nichts, was wir wollen." Er verwies auf die bereits von Deutschland geleisteten Zahlungen, die in solche einem Fall verloren wären. Allerdings könnten nur die griechische Regierung und das Parlament entscheiden, ob sie aus dem europäischen Währungssystem austreten wollten.
    Schneider betonte auch, dass die Konzentration in der Debatte auf die Auszahlung des nächsten Hilfspakets an Athen zu kurz greift. Griechenland müsse zu mehr Wirtschaftswachstum kommen, Korruption bekämpfen, das Oligarchensystem aufbrechen. Die europäischen Länder müssten im Gegenzug Fehler in der gesamten Rettungslogik korrigieren und die europäische Finanzpolitik auf eine zentralere Ebene heben: "Das wäre auch besser für Vertrauen in die Investitionssicherheit Griechenlands", sagte Schneider. Das Land brauche eine langfristige Perspektive - "und nicht alle sechs Monate diese Unsicherheit, dieses Gefeilsche."
    In Brüssel könnte es heute Abend ein Treffen zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras mit Bundeskanzlerin Angela Merke und dem französischen Präsidenten Francois Hollande geben. Ob die Gespräche am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels tatsächlich zustande kommen, ist aber noch unsicher.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Ehrlich gesagt, viele wirklich unverbrauchte Formulierungen gibt es nicht mehr. Fünf vor zwölf war es für Griechenland ja schon vor Monaten und der Countdown für Athen, der läuft jetzt wirklich auch schon längere Zeit. Und selbst die Meldung, dass Griechenland jetzt ein Reformpapier nach Brüssel geschickt habe, die Meldung von gestern, die können wir jetzt schon fast alle auswendig mitsprechen.
    Zugehört hat der Finanzpolitiker Carsten Schneider, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.
    Carsten Schneider: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Schulz: Herr Schneider, war es falsch, so lange geduldig auf Griechenland zu warten?
    Schneider: Es gibt ja gar keine andere Möglichkeit. Die Griechen müssen ja den Antrag auf Hilfen stellen und sie müssen letztendlich auch ihren Beitrag dazu leisten, wie sie das Land reformieren wollen. Und wenn sie das nicht tun, kann man gar nichts anderes machen, außer letztendlich abzuwarten und nicht alles ganz so heiß zu nehmen, wie es teilweise gespielt wird. Der Bericht Ihres Korrespondenten hat das ja auch gezeigt. Da ist sehr viel Inszenierung dabei und ich bin mir relativ sicher, dass wir wenn nicht in dieser, dann in der nächsten Woche auch eine Einigung bekommen.
    Schulz: Aber wieso sagen Sie, es gibt keine andere Möglichkeit? Es gibt die Möglichkeit des Grexit.
    Schneider: Ja, aber diese Entscheidung trifft die griechische Regierung und nicht der Deutsche Bundestag. Nur die griechische Regierung und das Parlament können für sich entscheiden, dass sie für ihre Schulden nicht mehr aufkommen wollen und dementsprechend dann vom europäischen Währungssystem mehr oder weniger austreten. Das ist nichts, was wir erstens wollen, was wir politisch nicht wollen, ganz und gar nicht, und zweitens, was wir auch nicht entscheiden können.
    "EU ökonomisch und politisch zusammenhalten"
    Schulz: Worüber der Bundestag aber durchaus entscheidet oder entscheiden würde, wofür Sie ja auch schon geworben haben bei der Unions-Bundestagsfraktion, wäre ein drittes Hilfspaket. Welches Argument spricht dafür?
    Schneider: Sie müssen grundsätzlich sehen: Wir haben eine Währungsunion und die ist sehr fragil. Da gibt es den Euro und darunter gibt es verschiedene Nationalstaaten und es gibt keine klaren Regeln, an die sich alle wirklich zu halten haben. Das ist der Grundfehler der Währungsunion und wir brauchen diese politische Union, wo Finanzpolitik viel stärker koordiniert und abgestimmt wird, auf eine zentralere Ebene auch gehoben wird. Dieser Schritt muss gegangen werden und damit hängt auch die Frage zusammen, ob die Griechen nun im Euro bleiben oder nicht, ob sie ein Interesse daran haben. Und ich kann Ihnen sagen, sie haben ein sehr, sehr großes Interesse daran, ein ökonomisches, aber auch ein politisches, um die EU auch zusammenzuhalten. Aber die Griechen müssen natürlich dafür auch sich bereit erklären, in ihrem Land die Reformen durchzuführen, dass es zu mehr Wachstum kommt. Auch in dem Bericht haben Sie ja gehört, was auch in den Zeitungen steht, da geht es jetzt um sieben Milliarden Auszahlung ja oder nein. Das ist ja nur ein ganz, ganz kleiner Tropfen auf das, was in den nächsten Jahren noch notwendig sein wird. Entscheidend ist, dass Griechenland in der Lage sein wird, die Kredite zurückzuzahlen und eigenständig zu werden, wenn sie zu mehr Wachstum kommen, und ich finde, das gehört eigentlich in das absolut Zentrale auch der Verhandlungen, die jetzt ja die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister führt und die die griechische Regierung, glaube ich, auch beantworten muss.
    Schulz: Herr Schneider, wissen die Sozialdemokraten denn überhaupt noch, was sie von Griechenland wollen? Der Sozialdemokrat Martin Schulz sagt, der Präsident des Europäischen Parlaments, er habe die Faxen dicke. Sigmar Gabriel, der SPD-Chef in Deutschland, sagt, eine Schmerzgrenze sei erreicht. Und sie werben wie gesagt für ein drittes Hilfspaket. Wie passt das zusammen?
    Schneider: Nein, nein, ich werbe nicht dafür. Ich sage die Konsequenz. Wenn Sie das zweite, das bis zum 30. Juni läuft, auszahlen, die sieben Milliarden Euro - diese ganze Rettungslogik folgt ja den Verhandlungen der Bundeskanzlerin, die ja von Anfang an die Verhandlungen dazu geführt hat -, dann ist ja auch ganz klar, dass das dritte Programm kommen wird. Darum geht es aber jetzt nicht bei dieser Entscheidung, sondern erst mal geht es darum, dass die Altschulden, die noch ausstehen - das sind in etwa 50, 60 Milliarden Euro; die Griechen machen ja keine neuen Schulden mehr -, dass sie die dann quasi umschulden müssen. Das ist das Angebot, das ja auch die Gläubiger der griechischen Regierung gemacht haben. Dafür müssen sie aber in ihrem Land die Korruption, die Steuerhinterziehung bekämpfen und zu Wirtschaftswachstum kommen, mehr Freiheit auch zulassen und das Oligarchensystem aufbrechen. Das sind eigentlich für mich die zentralen Fragen, die im Mittelpunkt stehen, und nicht, ob der Primärüberschuss jetzt 0,75 oder ein Prozent ist. Sorry, aber das ist eine lächerliche Diskussion.
    Schulz: Aber dass die Griechen diese vielen Fragen, die Sie jetzt wieder in den Raum stellen, die Sie auch schon seit Monaten in den Raum stellen, dass die Griechen diese Fragen noch nicht beantwortet haben, nehmen Sie das zur Kenntnis?
    Schneider: Ja. In Teilen haben sie es, in Teilen nicht. Es ist eine ganz leichte Bewegung zu sehen. Diese Regierung ist eine Links-Rechts-Regierung, die aus der Fundamentalopposition herauskommt, wo man ehrlicherweise vorher den Eindruck hatte, dass man vorher gar nicht mal die Papiere tatsächlich gelesen hat im Wahlkampf und davor. Das ist alles die Vorgeschichte. Dies stimmt auch alles und deswegen könnte man auch sehr beleidigt sein und sagen, mit denen rede ich jetzt nicht mehr, die sind auf Deutschland nicht gut zu sprechen. Das muss man aber bei Seite schieben. Die Kulturen in Europa sind unterschiedlich und die griechische Regierung ist in Teilen geprägt davon, dass sie sehr naiv auch teilweise verhandelt. Aber das hilft uns jetzt nichts. Ich habe ein Interesse daran, und das ist auch für Deutschland im absoluten zentralen Interesse, dass wir die Währungsunion geschlossen halten, wenn die Griechen bereit sind, sich zu bewegen, und wir müssen auch bereit sein, die Fehler, die in der genannten Rettungslogik gemacht wurden, zu korrigieren. Die Fehler waren, zu sehr auf die Fiskalpolitik zu gucken, schaffen die jetzt ein Prozent weniger Defizit oder solche Fragen, und viel weniger auf die Strukturen. Das ist für mich der zentrale Punkt.
    "Nicht alle sechs Monate dieses Gefeilsche"
    Schulz: Herr Schneider, deswegen würden Sie auch für ein drittes Rettungspaket stimmen, wenn ich Sie richtig verstehe? Auch für ein viertes dann?
    Schneider: Nein, das gibt es ja nicht. Ich habe das ja gesagt. Worum geht es? Griechenland muss noch ausstehende Kredite - das sind knapp 50, 60 Milliarden Euro - in den nächsten Jahren begleichen. Das sind keine neuen Kredite, sondern alte. Wenn sie die nicht begleichen und die ablösen können, dann sind sie Pleite. Dann sind die 250 Milliarden Euro, die wir derzeit schon an Griechenland gegeben haben, auf Vorschlag von Frau Merkel und Herrn Schäuble, die wären dann perdu. Deswegen ist das für uns die günstigste, auch wirtschaftlich günstigste Variante, und ich sage noch mal: Wenn sie jetzt Schritt eins machen, müssen sie auch Schritt zwei machen. Und es wäre besser, gerade für das Vertrauen in die Investitionssicherheit in Griechenland - wir brauchen ja private Investitionen und keine staatlichen; staatliche gab es da genug und die haben nicht funktioniert -, dann brauchen sie auch eine langfristige Perspektive und nicht alle sechs Monate diese Unsicherheit, dieses Gefeilsche. Das ist alles unwirklich.
    Schulz: Herr Schneider, wir müssen noch mal kurz im Bundestag bleiben. Wenn ein drittes Hilfspaket zur Abstimmung kommt, dann haben ja schon über 100 Unions-Abgeordnete gesagt, dass sie da nicht mitgehen. Dann entsteht die Situation Grexit ja oder nein, das entscheidet die SPD. Schickt die SPD Griechenland in den Grexit?
    Schneider: Der entscheidende Punkt ist, was dann im Endeffekt bei den Verhandlungen herauskommt. Wir haben bisher uns an den Abstimmungen konstruktiv beteiligt und wir werden eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen. Festzustellen ist, dass die Unions-Fraktion gespalten ist und auch die Regierung, also auch zwischen Herrn Schäuble und Frau Merkel fast das Verhältnis ist wie zwischen Herrn Tsipras und Herrn Varoufakis. Sie hat ihm das Verhandlungsmandat entzogen und ich vermute aber, dass die Unions-Fraktion im Endeffekt zu ihrer Bundeskanzlerin steht, weil ansonsten wäre diese Regierung am Ende.
    Schulz: Der SPD-Finanzpolitiker und Fraktionsvize Carsten Schneider heute hier in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen!
    Schneider: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.