Gerd Breker: Vor der Sendung haben wir mit Fabio de Masi, für die Partei Die Linke im Europaparlament und dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, zum Thema Griechenland gesprochen. Die erste Frage an Herrn de Masi war: Ist der griechische Staatsbankrott noch abzuwenden?
Fabio de Masi: Nein, der ist nicht abzuwenden, denn der ist schon längst da. Staatsbankrott bedeutet nämlich, dass ein Land seine Schulden nicht mehr bedienen kann, und Griechenland kann nicht immer wieder neue Kredite aufnehmen, um alte Schulden abzulösen. Genau das ist ja derzeit der Fall. Schulden, die aufgenommen wurden 2010, nicht um die griechische Krankenschwester oder den griechischen Rentner zu retten, sondern um die Forderungen bei deutschen und französischen Banken zu begleichen.
"Man kann Schulden nur bedienen, wenn man Einkommen erwirtschaftet"
Breker: Allerdings, Herr de Masi, ist es ja so, dass derzeit die EZB, die Europäische Zentralbank immer wieder die Nothilfekredite an griechische Banken erweitert.
de Masi: Das ist korrekt und das ist daher notwendig, weil die Europäische Zentralbank beschlossen hat, nachdem eine neue Regierung in Griechenland gewählt wurde, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten zu akzeptieren, und dann mussten die griechischen Banken über diese Notfallkredite gehen, die teurer sind, und das ist notwendig, damit nicht das ganze griechische Bankensystem zusammenbricht.
Es wäre aber viel, viel sinnvoller, eine Umstrukturierung der Schulden zu vereinbaren, dass zum Beispiel die Bedienung der Schulden an die Wachstumsrate gekoppelt ist, was ja auch jedes Kind verstehen kann - man kann Schulden nur bedienen, wenn man Einkommen erwirtschaftet -, und dann auch wieder dem griechischen Bankensystem die Möglichkeit zu geben, sich ganz normal zu refinanzieren, um Investitionen in Griechenland anzuschieben.
Breker: Derzeit wird aber darüber verhandelt, Herr de Masi, dass Griechenland weiterhin zahlungsfähig bleibt. Sind diese Verhandlungen aus Ihrer Sicht sinnlos?
de Masi: Die Verhandlungen sind keineswegs sinnlos, wenn man sich eingesteht, dass die bisherige Politik in Griechenland katastrophal gescheitert ist. Die Wirtschaft ist um 28 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit ist explodiert, insbesondere unter Jugendlichen, jeder zweite Jugendliche dort ohne Job, 40 Prozent der Menschen ohne Krankenversicherung. Und die Schulden sind im Übrigen von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung auf über 180 Prozent explodiert, weil die Wirtschaft eingebrochen ist, obwohl oder weil Griechenland das härteste Kürzungsprogramm in der Geschichte einer Industrienation seit dem Zweiten Weltkrieg hatte.
"Ich befürworte ausdrücklich Strukturreformen."
Breker: Nun ist es ja so, dass Griechenland die Ausgaben nicht nur kürzen soll, sondern Griechenland soll sich strukturell so aufstellen, dass die Reformen eine Wirtschaftlichkeit wieder hergeben.
de Masi: Ich befürworte ausdrücklich Strukturreformen, so wie das die griechische Regierung auch tut, zum Beispiel Strukturreformen im Bereich Korruptionsbekämpfung, im Bereich des Steuervollzugs, aber eben keine Strukturreformen, die immer nur bedeuten höhere Mehrwertsteuern. So kommt die Wirtschaft nicht auf die Beine. Insofern ist die Frage, welche Strukturreformen wollen wir in Griechenland. Wollen wir, dass immer die kleinen Leute die Zeche zahlen oder die, die in der Krise noch reicher geworden sind.
Breker: Haben Sie denn eine Erklärung, warum es der Regierung Tsipras bislang nicht gelungen ist, die wirklich reichen Griechen zur Kasse zu bitten?
de Masi: Ja, ich habe dafür eine Erklärung, und zwar ist zum Beispiel durch die Kürzungspakete erreicht worden, dass der Finanzminister, Herr Varoufakis, im Prinzip nur noch über 100 Steuerfahnder verfügt. Wir haben eine Verwaltung, die in einem völlig katastrophalen Zustand ist. Und Griechenland hat gesagt, wir wollen diesen Steuervollzug verbessern. Sie haben zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer angeboten, dass man sich auf ein festes Steueraufkommen einigt bei der Mehrwertsteuer, weil die Erfahrung war, sie haben die in der Vergangenheit (die Vorgängerregierung) immer wieder erhöht, das Steueraufkommen ist aber gesunken durch den Einbruch der Wirtschaft.
Gleichzeitig haben sie auch Verhandlungen mit der Schweiz geführt und die Schweiz konnte nicht zusichern, Vermögen, die ins Ausland verbracht wurden, von reichen Griechen einzufrieren, um sie dann der Besteuerung zuzuführen, sondern haben gesagt, das ist im Prinzip euer Problem, das Geld wandert dann weiter in die Cayman Islands.
Das heißt, wenn man hier glaubwürdig wäre, auch vonseiten der Gläubiger, würde man ihnen Hilfe anbieten und sagen, wir frieren Vermögen ein, etwa über 200.000 Euro, das ins Ausland verbracht wurde an der Steuer vorbei. Dann kann man das prüfen.
Das Problem ist allerdings, dass dazu überhaupt keine Bereitschaft besteht, und deswegen ist es völlig unglaubwürdig, wenn etwa der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, die Backen aufbläst, Syriza sei zu nachlässig bei den Steuern, hier aber gleichzeitig eine Politik unterstützt, die dazu führt, dass sie nur noch 100 Steuerfahnder haben. Das ist Heuchelei.
"Man möchte nicht zulassen, dass eine linke Regierung in Griechenland Erfolg hat"
Breker: Herr de Masi, wenn wir zurückschauen auf den Wahlkampf in Griechenland, waren nicht eigentlich schon die Wahlversprechen von Tsipras so, dass eigentlich klar war, im Euro ist Griechenland nicht zu halten, er kann seine Wahlversprechen nur dann erfüllen, wenn er zurück zur Drachme geht?
de Masi: Nein, das denke ich nicht, denn die Versprechen, die Syriza im Wahlkampf gemacht hat, die haben sie ja nicht darauf gegründet, dass etwa andere Länder für diese Versprechen zahlen sollten, sondern sie haben gesagt, wenn man uns die Möglichkeit gibt, die Schulden umzustrukturieren, dass wir nicht immer wieder neue Kredite aufnehmen müssen, um alte Schulden zu bedienen, dann sind wir in der Lage, diese Wahlversprechen aus eigener Kraft zu finanzieren, weil sie auch zu mehr Wachstum und damit auch zu mehr Steuereinnahmen führen werden.
Aber genau das will man verhindern, denn man möchte nicht zulassen, dass eine linke Regierung in Griechenland Erfolg hat, weil man sonst den Spaniern oder den Portugiesen oder Iren nicht weiter erklären kann, warum sie weiter die Zeche zahlen sollen für die damalige Bankenkrise. Insofern liegt es an den Institutionen, an der Europäischen Zentralbank, an der EU-Kommission, am Internationalen Währungsfonds, ob sie akzeptieren, dass die griechische Bevölkerung mehrheitlich einen anderen Weg gewählt hat, weil die Kürzungspolitik gescheitert ist.
Und ich will hinzufügen: Es ist nicht die griechische Regierung, die die Steuergelder aus Deutschland gefährdet, sondern das ist dieser Kurs, der dafür sorgt, immer neue Kredite zur Ablösung von alten Schulden zu vergeben und gleichzeitig über die Kürzungspolitik dafür zu sorgen, dass Griechenland kein Einkommen erwirtschaftet. Wer kein Einkommen erwirtschaftet, kann keine Schulden bedienen.
Breker: Die Einschätzung von Fabio de Masi, für die Partei Die Linke im Europaparlament und dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Wir haben dieses Gespräch kurz vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Anmerkung: Eine gekürzte Version dieses Gesprächs wurde in den "Informationen am Morgen" am 26.6.2015 um 5:10 Uhr wiederholt.