Gescheitertes Migrationsgespräch
Schuldzuweisungen von Scholz und Merz

Nach dem Abbruch der Gespräche zur irregulären Migration machen sich beide Seiten gegenseitig Vorwürfe: Bundeskanzler Scholz äußerte sich überzeugt, dass für CDU-Chef Merz das Rausgehen aus der Runde schon vorher festgestanden habe. "Das ist blamabel für diejenigen, die das zu verantworten haben", so Scholz.

    Der Artikel 16 des Grundgesetzes auf einer Plexiglasscheibe am Reichstag.
    Auf einer Plexiglasscheibe am Reichstag ist Artikel 16 des Grundgesetzes abgebildet. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    "Führung sieht anders aus. Charakter, Ehrlichkeit und Festigkeit sind für dieses Land gefragt und nicht solche kleinen Taschenspielertricks und Provinz-Schauspielereien." Scholz ergänzte, Führung bedeute Führung bei den eigenen Leuten und dass man nicht davonlaufe. Und Führung bedeute, dass man Kompromisse machen könne. Aber das müsse man dann auch wollen.

    "Schon das zweite Mal davongelaufen"

    Merz hatte nach Angaben des Kanzlers schon im vergangenen Jahr Gespräche mit dem Bund und den Ländern zu diesem Thema abgebrochen. Der CDU-Chef habe damals drei Tage lang überlegt und dann gesagt, er habe keine Lust und sei davongelaufen. Jetzt habe der Oppositionsführer aus einem vertraulichen Gespräch mit ihm in der Öffentlichkeit berichtet und dann Gespräche mit der Regierung angekündigt - die er nun wieder verlassen habe. Das sei schade, weil auch der Bundespräsident zuvor gemeinsame Lösungen von Regierung und Opposition angemahnt habe.

    Merz: "Regierung ist handlungsunfähig"

    Merz wiederum warf der Ampelkoalition eine Kapitulation vor der Herausforderung der Migration vor und erklärte, er vermisse Führung durch den Kanzler. Dieser hätte spätestens jetzt wirklich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und es durchsetzen müssen. Die von der Union geforderte Zurückweisung an den deutschen Grenzen hätten einfach ohne neues Gesetz angeordnet werden können. "Dazu hätte der Bundeskanzler eine entsprechende Anweisung geben können. Er tut es nicht. Die Regierung ist führungslos." CSU-Landesgruppenchef Dobrindt erklärte, man stehe weiterhin für eine schnell wirksame Vereinbarung bereit, nicht für Placebo-Maßnahmen ohne echte Wirkung.

    Kritik an Union auch von SPD, Grünen und FDP

    Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Mihalic warf CDU und CSU eine Politik der Show-Effekte vor. Die Union habe bis zum heutigen Tag keinen Vorschlag eingebracht, der auf dem Boden des EU-Rechts stehe. SPD-Generalsekretär Kühnert sagte der Deutschen Presse-Agentur, Unionsfraktionschef Merz sei zum Kompromiss nicht mehr fähig. Auch FDP-Generalsekretär Djir-Sarai kritisierte die Beendigung der Gespräche durch die Union. Der FDP-Vorsitzende Lindner schlug inzwischen ein Spitzentreffen vor. Merz solle mit Scholz, Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen und ihm selbst Verhandlungen führen.

    Regierung plant konkrete Maßnahmen

    Bundesjustizminister Buschmann (FDP) erklärte, bei Maßnahmen zur Eindämmung der irregulären Migration sei die Bundesregierung bereit, alles zu tun, was im Rahmen des nationalen und des europäischen Rechts möglich ist. Man könne nicht von einer Bundesregierung verlagen, dass sie sich offen in Widerspruch zum Recht stellt. Bei den Forderungen der Union nach unmittelbaren Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sei dies aber der Fall. Bundesinnenministerin Faeser betonte, es dürfe "keine riskanten Ausnahmen vom geltenden europäischen Recht und keinen deutschen Alleingang geben."

    Faeser schlägt Grenz-Verfahren für Asylsuchende vor

    Innenministerin Faeser legte ein Konzept vor, das mehr und schnellere Zurückweisungen von Geflüchteten in EU-Staaten ermöglichen soll. Demnach erhält die Bundespolizei mehr Befugnisse und soll bereits an der Grenze prüfen, ob ein anderer Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asyl-Verfahrens zuständig ist. Gegebenenfalls kann die Bundespolizei dann bei einem zuständigen Gericht Haft wegen Fluchtgefahr beantragen.
    Die Unterbringung in Haft ist den Plänen zufolge so lange vorgesehen, bis der betroffene Geflüchtete gemäß der sogenannten Dublin-Regeln an das Mitgliedsland abgeschoben wird, in dem er zuerst in die EU gekommen ist. Um Abschiebungen zu beschleunigen will die Bundesregierung Gespräche mit den betroffenen EU-Ländern führen. Zudem sollen mehr Abschiebe-Haftplätze in Grenznähe entstehen. Bereits Anfang der Woche hatte Faeser Grenzkontrollen an allen deutschen Landesgrenzen angekündigt.

    Polen kritisiert geplante Grenzkontrollen

    Polen kritisierte die Pläne der Bundesregierung zur Einführung von vorübergehenden Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen. Ein solches Vorgehen sei inakzeptabel, sagte Regierungschef Tusk in Warschau. Das Schengen-Abkommen werde damit praktisch ausgesetzt.
    Der österreichische Innenminister Karner hatte zuvor betont, man werde keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen würden. Dagegen meinte der tschechische Innenminister Rakusan, bei den Kontrollen handele es sich um eine Verlängerung der Maßnahmen, die bereits seit einigen Monaten gelten würden.
    Seit Oktober 2023 gibt es bereits stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, deutlich länger.
    Diese Nachricht wurde am 11.09.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.