Die Lehrerin Vera Kreiß läutet von Hand eine Glocke. Die fünf Schulkinder des Familienzirkus Aladin kommen in einen Campingwagen, der zu einer Schulklasse umgebaut ist. Dort drin hat jeder seinen eigenen Schreibtisch, es gibt eine Tafel an der Wand und Regale und Schränke voller Bücher und Unterrichtsmaterialien. Jason Trumpf ist mit elf Jahren der älteste in der Klasse. Er setzt sich an seinen Tisch:
- "Und hier an der Wand hängt dein Wochenplan, da steht Deutsch, Mathe..."
- "Deutsch, Mathe, Sachunterricht, das ist mein Körper, Skelett und so was, dann haben wir noch Kunst, bei Sonstiges haben wir Englisch."
- "Und jetzt ist Kunst, Eierbecher aus Tontöpfen und Eier bemalen."
Vera Kreiß verteilt kleine Blumentöpfe, die zusammengeklebt und zu Osterhasen umgestaltet werden sollen. Neben Jason sind seine Geschwister Jamie und Damien, neun und fünf Jahre alt, und sein Cousin Jackson, der auch fünf ist, mit im Schulwagen. Die Lehrerin kommt zweimal die Woche mit dem Schulmobil dorthin, wo der Zirkus gerade gastiert. Nur im Winter gehen die Schüler in eine Regelschule.
"Die stehen im Winter circa drei, vier Monate im Winterquartier und dann gucken wir, dass die in passende Schulen vor Ort gehen mit meiner Betreuung. Dann bin ich an den zwei Tagen, wo ich normalerweise vor Ort den Unterricht mache, bin ich mit im Unterricht und unterstütze meine Schüler natürlich, aber auch die kompletten Schüler in der ganzen Klasse. Und da muss ich die natürlich in Klassen einteilen, wo sie auch mitkommen würden."
"Die müssen an Prüfungen teilnehmen wie andere Schüler auch"
Denn Jason und die anderen sind nicht in der fünften oder ersten oder dritten Klasse. Vera Kreiß fördert sie individuell. Sie bekommen auch noch keine Noten. Vera Kreiß schreibt bis Ende der achten Klasse persönliche Beurteilungen.
"Wir arbeiten nach einem Bausteinprinzip, das heißt, jedes Kind muss bestimmte Bausteine, angegliedert an die ganz normalen Lehrpläne, bearbeitet haben und dann erst kommt es in den Abschlusslehrgang. Im Abschlusslehrgang werden ganz normal Noten verteilt. Wenn Schüler bei uns einen Abschluss machen, müssen die ganz normal an den zentralen Prüfungen teilnehmen wie alle anderen Schüler auch. Da haben die jetzt keine Sonderregelung, weil die nur zwei Tage die Woche Schule haben. Die müssen genau den gleichen Schulstoff letztendlich mitbekommen und daher kriegen die dann auch Noten und Zeugnisse. Und da bereiten wir die in den letzten zwei Jahren drauf vor."
Vera Kreiß kommt zwar nur zwei Tage die Woche mit dem Schulmobil zum Zirkus Aladin. Aber auch an den anderen Tagen müssen die Schüler lernen.
"Andere Kinder sagen: Ja, ihr habt Luxus und alles, aber das ist nicht so, weil über die anderen Tage haben wir noch Hausaufgaben, sehr viele Hausaufgaben. Also am Tag immer wieder drei Stunden hinsetzen mit Hausaufgaben."
Und an zwei Tagen der Woche loggen sich die Kinder in die Online-Schule ein.
"Wir haben ein Online-Klassenzimmer, das läuft über eine Plattform. Wir haben einen Bildschirm. Wir können sehen, wer alles online ist. Die Kinder sitzen zuhause in ihren Wohnwagen und loggen sich ein. Ich logge mich von mir zuhause ein. Morgen der konkrete Tag sieht so aus: Ich gebe erst einen Online-Kurs, das ist im Moment ein naturwissenschaftlicher Kurs über das Thema Körper und anschließend haben wir eine Online-Betreuung, wo Kinder an ihren ganz individuellen Lernplänen arbeiten und jederzeit Fragen stellen können. Und da kann man die in Gruppenräume ziehen, da kann man ganz individuell ihre Probleme bearbeiten. Da sitzen die beiden dann morgen auch und können sagen: Vera, ich komme gerade mit dem Rechnen bis tausend nicht klar, helf mir bitte mal gerade."
Nach dem Unterricht: Vorstellung!
Die zwei Stunden Kunstunterricht im Schulmobil gehen schnell vorbei. Vera Kreiß ruft Jason, Jamie und die anderen zur Abschlussrunde zusammen.
"So, ihr Superkünstler, ihr habt tolle, tolle Eierbecher entworfen, ich bin sehr begeistert!"
Für die Zirkuskinder endet an dem Tag zwar der Unterricht, aber frei haben sie nicht:
"So, bis gleich zur Vorstellung, packt eure Hausaufgaben ein."
Denn sie treten bei jeder Vorstellung des Zirkus Aladin selbst auf. Vera Kreiß hat ein so enges Verhältnis zu Jason, Jamie, Jackson und Damien, dass sie sich noch die Handstandnummer anschaut, die die Kinder mit ihrem Vater im Zirkus machen.
"Begrüßen sie unsere kleinen Nachwuchsartisten mit einem dicken Applaus..."