Bund und Länder haben Anfang Januar 2021 vereinbart, die in den Ländern im Dezember getroffenen Maßnahmen mit der Aussetzung der Präsenzpflicht an den Schulen bis Ende Januar zu verlängern. Der Bund-Länder-Beschluss ermöglicht aber auch Ausnahmen für Abschlussklassen. Für die Schulen sind die Länder selbst zuständig.
Welche Vor- und Nachteile gibt es beim Distanzunterricht?
Welche konkreten Probleme gibt es derzeit beim Distanzunterricht?
Welche Alternativen und Verbesserungsvorschläge gibt es?
Welche Perspektiven gibt es?
Welche konkreten Probleme gibt es derzeit beim Distanzunterricht?
Welche Alternativen und Verbesserungsvorschläge gibt es?
Welche Perspektiven gibt es?
Für den Distanzunterricht spricht natürlich das aktuelle Infektionsgeschehen. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Brien von der CDU sagte am 4. Januar im Deutschlandfunk zwar, dass Kinder und Jugendliche besonders unter der Pandemie leiden würden und Bildung essenziell sei, daher müsse man so schnell wie möglich wieder in einen geregelten Präsenzunterricht zurückkehren. Gleichzeitig sei die Datenlage aber zu ungewiss, um zu erfahren, ob der Lockdown erfolgreich sei. Da zudem die Auswirkungen der neuen Virusvariante B.1.1.7. nicht klar seien, "können wir die Schulen nicht verantwortlich öffnen", betont Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Brien.
Allerdings sprach die Studienlage im November dafür, dass sich die Annahme nicht bestätigt habe, dass Kinder Beschleuniger der Pandemie seien. Zwar gab es Ausbrüche an Schulen, bislang waren die aber relativ selten. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts sind die Hälfte der Infizierten bei Corona-Ausbrüchen an Schulen Erwachsene. Jugendliche ab 15 Jahren infizieren sich aber genau so häufig wie Erwachsene. In der Frage, ob Kinder SARS-CoV-2 effektiv verbreiten können, sind sich Virologen weiterhin uneinig. Zwar können sich auch Kinder mit dem neuartigen Coronavirus anstecken, sie zeigen aber seltener Symptome und werden daher bei der Teststrategie in Deutschland vermutlich auch häufiger übersehen. Diverse Studien legen nahe, dass Schulen keine Treiber der Infektionswelle seien.
Schülerinnen und Schüler lernen im Distanzunterricht weniger
Der durch die Coronakrise bedingte Unterrichtsausfall der vergangenen Monate konnte nicht annähernd durch sogenanntes Homeschooling aufgefangen werden, so das Ergebnis einer Studie des Ifo-Instituts für Bildungsökonomik. Für die Studie hätten die Forschenden zunächst Schülerinnen und Schüler zu der Zeit vor Corona befragt und die Aussagen mit der Zeit während der Pandemie verglichen, sagte der Leiter des Ifo-Instituts, Ludger Wößmann im Deutschlandfunk.
Vor der Coronakrise hätten Kinder insgesamt siebeneinhalb Stunden in der Schule und Zuhause gelernt. Während Corona sei diese Zeit beim Homeschooling auf dreieinhalb Stunden zusammengeschrumpft, betont Wößmann. Das seien allerdings alles Durchschnittswerte.
Vor der Coronakrise hätten Kinder insgesamt siebeneinhalb Stunden in der Schule und Zuhause gelernt. Während Corona sei diese Zeit beim Homeschooling auf dreieinhalb Stunden zusammengeschrumpft, betont Wößmann. Das seien allerdings alles Durchschnittswerte.
Corona verstärkt soziale Ungleichheit an Schulen
Studien und Erhebungen aus der Zeit des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr zeigen, dass Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Familien am meisten unter den Schulschließungen gelitten haben.
Auch Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft sagte schon im April im Deutschlandfunk, er sehe die Gefahr, dass die Coronakrise die Ungleichheit an Schulen fördere: "Kinder aus bildungsfernen Haushalten leiden am meisten darunter, wenn sie nicht in die Kita oder die Ganztagsschule gehen können, um dort gefördert zu werden." Daten des sozioökonomischen Panels zeigen ebenfalls, dass es in bildungsfernen Haushalten seltener Zugänge zu einem ruhigen Arbeitsplatz und digitalen Endgeräten gibt. Wenn Plünnecke den Bildungsgrad der Eltern betrachtet, sieht er zudem große Unterschiede bei der digitalen Kompetenz, "bei der Frage, ob Eltern ihren Kindern entsprechende Lernmöglichkeiten im Internet eröffnen können."
Wie Lernplattformen oder Lernmanagementsysteme im Distanzunterricht genutzt werden, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Thomas Wagner berichtet Anfang Januar 2021, dass es nach Angaben des baden-württembergischen Kultusministeriums ein "Überlastungsproblem" gab, von dem 200 Schulen betroffen waren, das sind etwa fünf Prozent der Schulen im ganzen Land.
Besonders betroffen waren die Schulen, die die Bildungsplattform "Moodle" nutzten. Doch nicht nur in Baden-Württemberg waren die Lernplattformen überlastet, auch Sachsen-Anhalt meldete Schwierigkeiten mit digitalen Lernplattformen. In Schleswig-Holstein gab es gravierende Probleme mit dem Schulserver "Iserv", Schülerinnen und Schüler in Brandenburg verzweifelten an der Schulcloud des Hasso-Plattner-Institutes, die nach einer Meldung des Senders rbb nach den Weihnachtsferien auch noch zum Ziel eines Hacker-Angriffs wurde. In Bayern lief der Online-Schulstart nach den Weihnachten mit der landeseigenen Plattform "Mebis" zwar problemfrei ab, doch schon vor Weihnachten waren Mängel an der Plattform beklagt worden.
Hürden der Digitalisierung an deutschen Schulen
"Wir sind in Deutschland noch nicht so weit, wie wir sein wollen, das ist klar", sagte Stefanie Hubig im März vergangenen Jahres im Deutschlandfunk, als die Schulen zum ersten Mal wegen Corona geschlossen worden waren. Die sozialdemokratische Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz war bis Jahresende Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Nicht alle seien so weit, wie sie gerne wären und wie es für die aktuelle Situation hilfreich wäre.
Da Schulpolitik Ländersache ist, durfte der Bund aber die Digitalisierung in Schulen lange Zeit gar nicht fördern. Erst 2019 wurde dafür das Grundgesetz im Artikel 104c geändert, damit der "Digital Pakt Schule" geschlossen werde konnte. Ein milliardenschweres Programm, das vor allem den Aufbau einer digitalen Infrastruktur fördern soll, zum Beispiel den Ausbau des WLANs in den Schulgebäuden oder die Anschaffung digitaler Tafeln.
Anfangs gab der Bund fünf Milliarden Euro, die Länder steuerten 500 Millionen dazu. Wegen der Coronakrise wurde kräftig aufgestockt, zum Beispiel für die Wartung digitaler Technik und auch für das Verleihen von Endgeräten. So schwoll der Topf auf mehr als sieben Milliarden Euro an. Doch dem Bildungsministerium zufolge hatten die Länder bis Ende 2020 erst etwa 700 Millionen Euro abgerufen bzw. beantragt - also nur sieben Prozent - trotz Pandemie und Fernunterricht. Das liegt wohl vor allem an bürokratischen Hürden, denn die Schulen müssen ihren Bedarf zunächst in einem technisch-pädagogischen Medienkonzept darlegen. Das Konzept wird über die Schulträger beim Land eingereicht, wobei jedes Land eigene Förderrichtlinien und Vorgaben für die Medienkonzepte hat.
Auch jetzt sind viele der Probleme des Distanzunterrichts und Online-Lernens nicht gelöst. So sind zum Beispiel viele Schulen noch nicht mit Videokonferenzsystemen ausgerüstet und können somit keinen echten Digitalunterricht anbieten. Viele Schülerinnen und Schüler bekommen hierzulande weiterhin bloß E-Mails mit Aufgabenblättern zugeschickt.
"Was hier deutlich wird, dass wir im Grunde genommen eine Fehlentwicklung haben, die vielleicht zehn oder fünfzehn oder vielleicht sogar zwanzig Jahre sich langsam entwickelt hat und jetzt kriegen wir mit Corona die ganz große Baustelle und wundern uns, dass wir die nicht von jetzt auf gleich in den Griff bekommen", sagte der Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung NRW, Harald Willert, im Dlf.
Situation von Abschlussklassen
Die Kultusministerkonferenz sei zuversichtlich, dass die Abschlussprüfungen in diesem Jahr wie geplant stattfinden könnten, sagte Britta Ernst, Präsidentin der Konferenz, im Dlf. Dafür setze der Schutz der Abschlussklassen durch die Bund-Länderbeschlüsse einen wichtigen Rahmen:
"Aber uns ist natürlich bewusst, dass die Abiturienten, die 2021 Abitur machen, ehrlichweise durch die Pandemie mehr herausgefordert sind als diejenigen, die 2020 mit ihren Vorbereitungen schon fast zu Ende waren."
Für Darius Schramm würden Abschlüsse in der Pandemie immer weniger vergleichbar, sagte der Vorsitzende der Bundesschülerkonferenz im Deutschlandfunk. Die derzeitige Situation mache es fast unmöglich, für alle eine faire Grundlage zu finden. Dass etwa jede dritte Lehrkraft bei mehr als der Hälfte ihrer Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen messbare Defizite bemängelt, zeigt eine aktuelle Forsa-Umfrage, über die die Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet.
Um Schülerinnen und Schülern trotzdem faire Abschlussprüfungen zu ermöglichen, würde man unter anderem die Abschlussklassen im Präsenzunterricht auf die Prüfungen vorbereiten,
sagte der hessische Kulturminister Alexander Lorz im Deutschlandfunk.
Zudem würden die Prüfungstermine in einzelnen Bundesländern nach hinten verschoben, ergänzt Lorz. Damit Lehrkräfte im Vorfeld Aufgaben aussortieren könnten, deren Stoff im Unterricht zu kurz gekommen sei, stünden dieses Jahr mehr Aufgabenvorschläge für die Abschlussprüfungen zur Verfügung, betont der hessische Kultusminister. Weiterhin hat sich die Kultusministerkonferenz darauf verständigt, den Prüfungsstoff zu reduzieren.
Hohe Belastung der Schulen, Schulleitungen und Lehrkräfte
Das der Job eigentlich nicht mehr zu schaffen ist, legen die Umfrageergebnisse des Verbandes Bildung und Erziehung unter knapp 800 Direktorinnen und Direktoren an Schulen bundesweit nahe. Nur drei Prozent kriegten noch alles hin. Jeder Vierte schaffe höchstens die Hälfte der Aufgaben. Auch der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann
sagte Ende November im Deutschlandfunk
, dass die Schulleitungen in den vergangenen Monaten besonders gefordert gewesen seien:
"Sie werden mit der Nachverfolgung von Infektionen betraut, weil die Gesundheitsämter das längst nicht mehr leisten können. Das fresse Arbeitszeit", ergänzt Beckmann, während gleichzeitig alle anderen Aufgaben erfüllt werden müssten.
Aufseiten der Lehrkräfte betont der Vorsitzende der Schulleitungsvereinigung NRW, dass unmotivierte Lehrkräfte die Ausnahme seien. Die allermeisten Lehrer und Lehrerinnen engagierten sich mit Leidenschaft und machten Überstunden, um ihre Schülerinnen und Schüler auch während der Pandemie gut zu unterrichten. Wer pauschal über Lehrkräfte herziehe, mache es sich zu einfach, sagt Willert.
Sondersituation an Förderschulen
Homeschooling an Förderschulen sei oft "praktisch ein Ding der Unmöglichkeit", sagte einer der Vorsitzenden der Landeselternschaft der Förderschulen,
Steffen Uschmann, im Deutschlandfunk.
Förderschulen funktionierten nicht wie Regelschulen - und durch den Ausfall würde das Fördern komplett unterbrochen, was die Kinder sozial isoliere, ergänzt Uschmann. Für ihn könne das Recht auf Teilhabe für Förderschüler und -schülerinnen so nicht durchgesetzt werden.
Auch eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt, dass besonders die Förderschulen unter der Corona-Pandemie litten. Bei der Umfrage bestätigte jede zweite Lehrkraft an Förderschulen messbare Defizite bei den Schülerinnen und Schülern.
In Baden-Württemberg hingegen werden Kinder mit geistiger und körperlicher Behinderung an Sonderschulen in Präsenz unterrichtet. Dabei gehören gerade diese Kinder zur sogenannten vulnerabelen, also besonders gefährdeten, Gruppe. Über diese Sondersituation berichtet die Deutschlandradio-Korrespondentin für Baden-Württemberg, Katharina Thomas.
Mehr Autonomie für Schulen
Der Grundschulleiter Mario Michael plädierte im Deutschlandfunk dafür, dass jede Schule eigene Lösungen in der Pandemie finden müsse. Durch mehr Autonomie statt pauschaler Vorschriften wie der diskutierten Maskenpflicht könnten vor Ort Lösungen für die einzelnen Grundschulen gefunden werden. Basis dafür seien gleiche Informationen, sagt der Grundschulleiter.
Mehr Entscheidungsspielraum bei Wahl der Digitalunterrichts-Plattformen
Einige Plattformen seien den Schulen im Sommer aus Datenschutzgründen eher verboten worden, sagte Verena Pausder im November im Deutschlandfunk. Dadurch seien die Schulen eingeschränkt worden statt ihnen mehr Möglichkeiten zu geben, betont die Gründerin des Vereins "Digitale Bildung für alle e. V.". Pausder plädiert daher für "Positivlisten", die Schulen in Bezug auf ihre Datenschutzrechtlichen Pflichten Orientierung böten.
Neue Lehrformen: mehr digitale Teamarbeit
Dass während der ersten Schulschließung Schülerinnen und Schüler vor allem mit Aufgaben versorgt wurden, die zu Hause erledigt werden mussten, sei eine bedauerliche Reduzierung auf eine einzige Sozialform Einzelarbeit, sagte Dennis Sawatzki im Deutschlandfunk. Er ist Erziehungswissenschaftler und leitet ein privates Institut für Schulentwicklung und Lehrerfortbildung. "Die Digitalisierung muss aus meiner Sicht auch damit einhergehen, dass alle Sozialformen ihre Berücksichtigung finden, weil sie wichtig sind für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen", betont Sawatzki.
Hybrid-Unterricht - Wechselmodelle zwischen Präsenz und Distanz-Lehre
Einen klaren Fahrplan für die Unterrichtsformen in der Pandemie wünscht sich der Vorsitzende der Bundesschülerkonferenz, Darius Schramm. Bislang fehle der. Für Schramm brauche es ein Wechselmodell, da ausschließlich Präsenzunterricht unverantwortlich sei und man auf einen vollständigen Distanzunterricht zu schlecht vorbereitet sei.
Für einen Wechselunterricht als Lösung zwischen Präsenzunterricht und Schließung plädierte im November die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe, im Deutschlandfunk. So gebe es regelmäßigen Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern, das Modell wird auch vom Robert Koch-Institut bis zu einem 7-Tage-Inzidenzwert von 50 empfohlen. So ein Wechselunterricht könnte im täglichen, zweitägigen oder wöchentlichen Wechsel ablaufen:
" Dann bekommen die Schülerinnen und Schüler klare Aufgaben gestellt, die sie in der Zeit zu Hause bewerkstelligen sollen, und kommen danach ja wieder in die Schulen.
Langfristige Voraussagen zu Schulschließungen in der Pandemie seien nicht möglich, betont die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst. Es gebe Bundesländer mit 7-Tages-Inzidenzen von über 300 und welche mit 110, sagte sie im Deutschlandfunk. Zuversichtlich sei die Kultusministerkonferenz allerdings, dass die Abschlussprüfungen wie geplant durchgeführt werden könnten.
Im Hinblick auf den Digitalunterricht gehe es nicht allein um die technische Ausstattung, sondern es sei auch über den roten Faden der Bildungspolitik zu reden, nämlich die gute Qualität des Unterrichtes nicht aus den Augen zu verlieren. Digitale Technik könne dabei helfen, Schülerinnen und Schüler individuell gut zu fördern, die Schwächeren zu unterstützen und die Gruppe der leistungsstarken Schüler auszuweiten, so Britta Ernst.