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Schule in der Türkei
Darwins Lehre wird vom Lehrplan gestrichen

Die türkische Regierung hat die Evolutionstheorie aus den gesetzlichen Schullehrplänen gestrichen. Das Thema übersteige das Verständnis der Schüler, hieß es dazu aus dem Bildungsministerium. Für einige Politiker ist die Evolution sogar eine Erfindung des Westens.

Von Aydogan Makasci |
    Ausstellung der zur Evolution des Menschen im Phyletischen Museum der Uni Jena.
    Ausstellung zur Evolution des Menschen im Phyletischen Museum der Uni Jena. (dpa/picture alliance/Jan-Peter Kasper)
    Über das Thema Evolution wird in der Türkei schon seit Jahren gestritten: 2001 etwa wurde ein Lehrer abgemahnt, weil er einem Fünftklässler etwas über das Thema erzählt hatte - außerhalb des Lehrplans.
    In Zukunft taucht Evolution gar nicht mehr in den Curricula auf – weil das Thema das Verständnis der Schüler übersteige, heißt es im Bildungsministerium. Weil es zu kontrovers, umstritten, kompliziert sei.
    Eine Entscheidung ganz im Sinne dieser Schülerin: "Ich finde das richtig so" – sagt sie – "war sowieso ein schwieriger Stoff."
    Biologielehrer kritisieren die Entscheidung
    Schüler und Lehrer, selten sind sie sich einig. Das gilt für Deutschland wie für die Türkei. Deshalb verwundert es auch nicht, dass er von der Entscheidung des Ministeriums gar nichts hält:
    "Ich bin Biologielehrer und meiner Meinung nach ist die Abschaffung natürlich ein Fehler. Ich sehe darin den Versuch, die Menschen von der Wissenschaft abzubringen. Der Evolutionsunterricht sollte fortbestehen und sogar noch verbessert werden."
    Und er bekommt Unterstützung von einem Kollegen.
    "Ich glaube an die Evolution. Das stärkste Gen siegt und bleibt am Leben. Warum soll man das den Schülern nicht beibringen. Es geht doch nicht allein um die die Frage, ob der Mensch vom Affen abstammt."
    Über 70 Prozent der Menschen zweifeln laut einer Umfrage an der Evolutionstheorie – wichtiger ist in dem islamischen Land die religiöse Schöpfungslehre. Stellvertretend sagt dazu AKP-Politiker Said Yüce:
    "Die Überzeugung, dass das Universum ohne Schöpfer, ziellos, durch Zufall, von alleine oder durch Evolution entstanden sei, darf nicht als vollendete Wirklichkeit in die Köpfe eingetrichtert werden. Wir brauchen in unseren Schulbüchern eine Sprache, die nicht der Sprache des Korans widerspricht."
    Yüce geht noch einen Schritt weiter. Evolution ist für den Politiker eine Erfindung des Westens.
    "Wir wollen, dass sich unser Bildungswesen nicht auf eine ideologische, sondern auf eine wissenschaftliche Grundlage stützt. Der Lehrstoff sollte nicht den Wünschen globaler Mächte entsprechen, sondern dem Ziel folgen, gute Menschen heran zu bilden."
    Evolutionslehre darf an Universitäten weiter unterrichtet werden
    Vor allem unter Akademikern gibt es viel Kritik an der Entscheidung des Ministeriums. Bisher sei nur im streng religiösen Saudi-Arabien Evolution aus den Lehrplänen gestrichen worden. Die Türkei, so sagen sie, werde langsam zu einem Gottesstaat umgebaut.
    Deutlich weniger scharf spricht einer der bekanntesten Wissenschaftler des Landes über das Thema. Nobelpreisgewinner Aziz Sancar will das Thema nicht zu hoch hängen. Die Türkei, findet er, habe im Moment ganz andere Probleme und Krisen zu lösen.
    "Ich glaube an Gott und ich denke, es sollte jedem selbst überlassen sein, ob er an die Evolution glaubt, oder nicht. Aus dieser Frage aber eine Art Staatsangelegenheit zu machen, das ist doch pure Energieverschwendung."
    Komplett aus der Türkei verbannt wird die Evolutionslehre künftig nicht. An den Universitäten soll sie weiter gelehrt werden dürfen, ohne jede Einschränkung.