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Schule
Leistungssteigerung oder -abfall durch mehr Flüchtlinge?

Der Philologenverband hat aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen vor Parallelgesellschaften in Schulen gewarnt. Der Verbandsvorsitzende Meidinger sagte im DLF, dass sich in Klassen mit "ethnisch homogenen Migrantenkonzentrationen" nachteilige Lernbedingungen häuften. Bildungsforscher Bos setzte dem entgegen, dass eine heterogene Zusammensetzung in gewissen Grenzen lernförderlich sei.

Heinz-Peter Meidinger und Wilfried Bos im Gespräch mit Kate Maleike |
    Schüler lernen im Englisch-Unterricht an einer Realschule in Niedersachsen.
    Schüler lernen im Englisch-Unterricht an einer Realschule in Niedersachsen. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Kate Maleike: Durch die Zuwanderung von Flüchtlingen, so rechnet es die Bildungsgewerkschaft GEW vor, werden in den nächsten zwölf Monaten bundesweit rund 300.000 zusätzliche Schüler in Deutschland in den Unterricht strömen, und viele Bundesländer richten deshalb ja zusätzlich Willkommensklassen ein, in denen die Flüchtlingskinder erst mal ankommen sollen und Deutsch lernen, um dann später in die Regelklassen wechseln zu können. Für diese Betreuung fehlen aufgrund des starken Zustroms abertausende Lehrkräfte, und es gibt Debatten darüber, wie man die Flüchtlinge am besten integrieren kann. Der Philologenverband, der die Gymnasialkräfte vertritt, warnt nun vor Parallelgesellschaften in Schulen und spricht sich für eine Begrenzung des Migrantenanteils in Schulklassen aus. Heinz-Peter Meidinger ist der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. Guten Tag!
    Heinz-Peter Meidinger: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Wie soll denn Integration gelingen, wenn wir eine Quote für Migranten in Schulklassen einführen? Ist das nicht ein falsches Zeichen?
    Meidinger: Ich habe ja keine konkrete, starre Quote gefordert, sondern ich habe auf das Problem aufmerksam gemacht, dass wir seit Langem kennen, dass es ja empirisch nachweisbar ist, dass sich in Schulklassen mit ethnisch homogenen Migrantenkonzentrationen eben nachteilige Lernbedingungen häufen und die Schulleistungen infolge dessen leiden, das ist das eine Problem. Und das andere Problem ist natürlich, dass in Klassen, in denen ein hoher Migrationsanteil ist, auch die Integration schwieriger ist, das heißt, es fehlen die Kontaktgelegenheiten, die Lerngelegenheiten mit deutschen Mitschülern. Es gibt nachteilige Peergoup-Effekte, und es wird auch das Anspruchsniveau zum Teil herabgesetzt.
    Maleike: Wenn Sie jetzt sagen, ich habe keine konkrete Quote im Kopf - wo liegt die denn dann ungefähr?
    Meidinger: Also wir können aufgrund bestimmter empirischer Studien sehen, ab wann, ab welchen Migrationsanteil - wobei man sagen muss, kommt natürlich auch darauf an, welche Migrationsgruppen hier sind, denn es gilt nicht für alle Migrationsgruppen, für Vietnamesen zum Beispiel gilt das mit Sicherheit nicht -, ab welcher Konzentration sich ein Leistungsabfall feststellen lässt. Das ist gemessen worden zum Beispiel bei PISA 2000 an Hauptschulen, da hat man gesagt, dass wenn die Quote über 40 Prozent ist, dann sinkt die Leseleistung um 25 Punkte, das ist der Lernfortschritt von einem Jahr.
    Maleike: Mitgehört hat der Bildungsforscher Professor Wilfried Bos von der TU Dortmund, der in seinen Forschungen stets die Heterogenität in Klassen als Vorteil unterstreicht. Guten Tag, Herr Bos!
    Wilfried Bos: Schönen guten Tag!
    "Eine starre Quote vorzugeben, dass kann man nicht machen"
    Maleike: Was halten Sie denn von so einer Quotenforderung?
    Bos: Das hat der Herr Meidinger schon ganz richtig gesagt, also eine starre Quote vorzugeben, dass kann man nicht machen, das kommt wirklich auf den Einzelfall an, das kommt auf das Einzugsgebiet jeweils an. Herr Meidinger hat das ja auch gesagt, bei PISA, das war Hauptschule, das sieht am Gymnasium, bei dem Klientel, was auf das Gymnasium geht, kann das schon wieder ganz anders aussehen. Wir haben ja internationale Klassen, wo Diplomaten aus 25 Ländern in eine Klasse gehen, die Kinder, da ist das überhaupt kein Problem. Die machen ein hervorragendes Abitur und sie machen auch hinterher eine gute Karriere. Wenn ich mir im Ruhrgebiet die Südteile der Städte anschaue, wo wirklich bildungsferne Schichten überproportional vertreten sind, dann geht das natürlich nicht, dass man 25 Kinder aus 25 Ländern zusammen in eine Klasse packt und dann drei deutsche Kinder dazu, dann kann da nicht viel bei rumkommen. Also das muss man wirklich jedes Mal im Einzelfall prüfen, wie das geht. Aber generell, natürlich ist das ein Problem, und da muss deutlich und laut drauf hingewiesen werden.
    "Eine heterogene Zusammensetzung eher lernförderlich in gewissen Grenzen"
    Maleike: Aber im Moment geht es eher darum, das Ganze zu bewältigen, und dann sieht man vielleicht die Vorteile gar nicht, oder?
    Bos: Die Vorteile muss man auf jeden Fall sehen. Also was die Empirie angeht, wissen wir aus Untersuchungen, dass eine heterogene Zusammensetzung eher lernförderlich ist in gewissen Grenzen als eine homogene Klassenzusammensetzung. Wir wissen auch, wenn wir uns die Demografie angucken, dass wir im Prinzip dieses Jahr um 300.000 Einwanderer brauchen, um das einigermaßen auszugleichen. Und mit den Flüchtlingen haben wir jetzt natürlich eine Chance, Leute zu integrieren, gerade auch junge Leute zu integrieren, die wir dringend, dringend brauchen. Aber diese Aufgabe muss man ernst nehmen und muss das so gut machen wie das irgendwie geht.
    Maleike: Also, Herr Meidinger, kommt das darauf an, dass man eine bessere und gute Verzahnung macht, die vielleicht auch individueller ist?
    Meidinger: Natürlich, gegen Verzahnung spricht gar nichts. Ich meine, das Problem, das wir haben - Willkommensklassen sind ja gut und recht, es ist auch richtig - hat man ja auch aus PISA gelernt - dass wir die Kinder, die zu uns kommen, nicht zu früh in die Regelklassen integriert, sondern erst mal intensiv das Sprachenlernen in den Mittelpunkt stellt.
    Das Problem, das wir haben, ist erstens mal, dass der Unterricht in den Willkommensklassen derzeit darunter leidet, dass wir zu wenig dafür ausgebildete Lehrkräfte haben für Deutsch als Zweitsprache und dass wir da einen ständigen Wechsel haben, sodass das Curriculum gar nicht richtig abgearbeitet werden kann. Das Hauptproblem ist natürlich, wie werden diese Willkommensklassen dann in die einzelnen Schularten integriert und überführt, und da beobachte ich - und das war auch einer der Gründe für meinen Ruf, darauf besser zu achten -, dass solche Willkommensklassen dann plötzlich an den Grundschulen oder teilweise an den Berufsschulen sozusagen wieder aufleben, anstatt dass sie - was natürlich Mühe macht, was einen Aufwand macht, was teilweise auch zu Widerstand vielleicht in der Elternschaft, der dort bereits befindlichen Kinder stößt -, dass wir die dann einigermaßen aufteilen, und zwar nicht nur auf eine Schule, sondern auf mehrere Schulen.
    Wenn wir diesen Fehler machen, nämlich den einfachen Weg zu gehen und diese Willkommensklassen dann überführen in eigene Flüchtlingsklassen, sage ich mal, dann sehe ich also Riesenprobleme für eine gelingende schulische Integration, und das bedeutet ja im Grunde genommen auch die Gefahr von Folgen für die gesellschaftliche Integration generell.
    Bos: Ich stimme Herrn Meidinger zu, ich halte das also auch für besser, wenn man das kann an dem jeweiligen Ort, die Kinder auf die verschiedenen Gymnasien der Stadt zu verteilen und die nicht alle in ein Gymnasium zu packen. Wenn man das denn hinkriegt, kann man das mit den Lehrern, mit den Eltern harmonisch regeln. Es wird aber auch Gemeinden geben, wo so viele Flüchtlinge sind, da wird man das nicht anders machen können, die zumindest für eine Zeit in eine eigene Klasse zu packen, und da empfehle ich dann wirklich dringend, da, wo das geht, die trotzdem in den allgemeinen Unterricht in die verschiedenen anderen Klassen, je nach Niveaustufe und je nach Fach, zu integrieren. Das ist immer noch besser als sie wirklich parallel alleine in einer Klasse zu lassen, wo wirklich eine Integration schwieriger wird.
    "Wir müssen jetzt stärker den Blick drauf richten, wie kann Integration an Schulen gelingen"
    Maleike: Herr Meidinger, was ist Ihre Forderung an die zentrale Politik, denn die stellt dafür die Rahmenbedingungen?
    Meidinger: Das Problem ist, dass wir natürlich zurzeit in den Hauptschwierigkeiten feststecken, wie bringen wir die Flüchtlinge, die Menschen, die zu uns kommen, unter, wie bringen wir die Kinder möglichst schnell an die Schulen. Wir müssen jetzt stärker den Blick drauf richten, wie kann Integration - nehmen wir an, dass 50, 60 Prozent dauerhaft in Deutschland bleiben werden -, wie kriegen wir Integration hin, und da ist eine ganz entscheidende Frage, wie gelingt Integration an Schulen, und da muss man wirklich alles tun, um eine einigermaßen Durchmischung der Klassen zu erreichen, wobei mir auch klar ist, dass das erheblich schwieriger ist in Berlin-Neukölln als etwa bei mir hier in Bickendorf im Bayrischen Wald.
    Maleike: Und was ist Ihre Forderung, Herr Bos, an die Politik dann in dem Fall?
    Bos: Dafür zu sorgen, dass die Kinder möglichst schnell und dann aber auch längerfristig an einem Ort sind und in die Schule gehen können, dass da nicht laufend hin und her verteilt wird und umgesiedelt wird et cetera, sondern dass da Kontinuität im Unterricht in den Schulen auch stattfinden kann.
    Maleike: Der Deutsche Philologenverband warnt vor Parallelgesellschaften in Schulen und spricht sich für die Begrenzung des Migrantenanteils in Schulklassen aus und die Bildungsforschung hält dagegen und unterstreicht den Vorteil der Heterogenität, damit Integration besser gelingt. Professor Wilfried Bos waren das und Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologenverband im Gespräch hier in "Campus & Karriere" - danke schön Ihnen beiden!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.