Schule und COVID-19
Unterricht unter Corona-Bedingungen

Forscher, Virologen, Eltern und Lehrer blicken sehr unterschiedlich auf Schulunterricht unter Corona-Bedingungen. Forschungsergebnisse aus der ersten Jahreshälfte sind auf dem Prüfstand, derweil hat die Schule wieder begonnen. Ein Überblick über die Standpunkte.

    Schüler in einer Klasse aufgenommen
    Was sind die Folgen von Präsenzunterricht an Schulen unter Corona-Bedingungen? (dpa/APA/HELMUT FOHRINGER)

    Warum Psychologen Präsenzunterricht auch während der Corona-Pandemie für richtig halten
    Ein Virologe könne vielleicht sagen, wie man Ansteckungen am besten vermeide, aber vermutlich weniger, "was das mit Kindern macht", sagte Neurobiologe und Psychologe Gerald Hüther von der Universität Göttingen im Dlf . Er plädierte aus seiner Sicht als Psychologe für eine schnelle Öffnung der Schulen im Interesse der Kinder und Eltern.
    Eine Mund-Nasen-Bedeckung liegt während einer Unterrichtsstunde einer fünften Klasse des Friedrich-Schiller Gymnasiums neben einem Mäppchen und Schulbüchern auf einem Schultisch.
    Coronakrise: Start ins neue Schuljahr in Pandemiezeiten
    "Regelbetrieb nach den Sommerferien" hat die Kultusministerkonferenz als Ziel ausgegeben. Es gibt allerdings viele offene Fragen. Wie viel Normalität ist möglich?
    Wenn das Bedürfnis eines Kindes, mit anderen Kindern zusammen zu sein, über eine so lange Zeit nicht erfüllt werden kann, habe das Kind gar keine andere Möglichkeit, als das Bedürfnis nach Kontakt und Zusammensein, nach Spielen und Spontanität in seinem Gehirn zu unterdrücken, warnte Hüther.
    Das könne langfristige Folgen haben und zu strukturellen Veränderungen im Gehirn führen. Erwachsene könnten das aushalten, weil sie über einen viel größeren Erfahrungsschatz verfügten. Bei Kindergartenkindern etwa sei das etwas ganz anderes.
    Was die Lehrerverbände am Schulunterricht unter Corona-Bedingungen bemängeln
    Ein Junge mit Kopfhörern sitzt beim Homeschooling vor einem Bildschirm.
    "Lehrkräfte sind darauf eingestellt, in Gesichter zu schauen"
    Einige Lehrer seien zu Beginn der Coronakrise gegenüber digitalem Unterrichten reserviert gewesen, sagte Buchautor Jürgen Kaube. Wichtig sei, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie es ist, wenn man nicht alle Schüler sehe.
    Er fühle sich ein wenig wie ein Versuchskaninchen, sagte Heinz-Peter Meidinger , Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, im Dlf. Viele der Lehrer gehörten wegen ihres Alters oder wegen ihrer Vorerkrankungen zu den Risikogruppen. Man könne den Eindruck haben, dass an deutschen Schulen ein riesiges Experiment gestartet werde. Geht das gut, wenn alle Kinder wieder in die Schulen kommen?
    Dabei läuft der Schulstart in den verschiedenen Bundesländern nicht reibungslos. So seien in NRW nicht alle Corona-Auflagen rechtzeitig zum Schulstart umgesetzt worden, so Michal Wittka-Jelen, stellvertretender Schulleiter eines Gymnasiums in Köln. "Die unvorhergesehene Situation war noch nie da, wir sind alle, die an dem Schulleben beteiligt sind, in einem Versuchsstadium", sagte er im Dlf.
    Schülerinnen einer sechsten Klasse stehen vor Beginn des Unterrichts am ersten Schultag nach den Sommerferien an der Max-Planck-Schule in Kiel zusammen. 
    Stellvertretender Schulleiter: "Wir sind alle in einem Versuchsstadium"
    Der stellvertretende Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums Köln, Michael Wittka-Jelen, kritisiert im Dlf, dass nicht alle Corona-Auflagen rechtzeitig zum Schulstart in NRW umgesetzt werden konnten.
    Wie der Bundeselternbeirat über die Corona-Schulzeit denkt
    Auch die Eltern sehen die Schule unter Corona-Bedingungen mit gemischten Gefühlen: Einerseits wird Schulunterricht für dringend notwendig gehalten. Andererseits gibt es die Angst vor Infektionen. Es werde trotz Hygienekonzepten zu Lockdowns an Schulen kommen, denkt Stephan Wassmuth vom Bundeselternrat. Es gäbe leider keine einheitliche Lösung der Bundesländer beim Hygienekonzept, kritisierte er im Dlf. "Jeder kocht da wieder sein eigenes Süppchen."
    Blick in ein leeres Klassenzimmer mit Einzeltischen nach Abstandsregel
    Bundeselternrat: "Noch so ein Schuljahr können wir uns nicht erlauben"
    Trotz Hygienekonzepten werde es im neuen Schuljahr zu regelmäßigen Lockdowns kommen, sagte der Vorsitzende des Bundeselternrats, Stephan Wassmuth, im Dlf.
    Was Virologen über Schule unter Corona-Bedingungen denken
    Auch unter den Virologen gehen die Meinungen auseinander, inwiefern Präsenz-Schuluntericht möglich ist bzw. das Infektionsrisiko erhöhe. Zwar kamen in der ersten Jahreshälfte 2020 Studien heraus, die in Kindern keine Treiber des COVID-19-Infektionsgeschehens sahen. Die Gesellschaft für Virologie bewertet das aber nun anders.
    Die Virologin Isabella Eckerle von der Universität in Genf hält die vorliegenden Daten zur Rolle von Kindern im Infektionsgeschehen für nicht zuverlässig. Man müsse "sehr vorsichtig sein mit den Daten, die man in der ersten Hälfte des Jahres gewonnen hat", sagte sie im Dlf. "Man hat tatsächlich zunächst nur einen geringen Anteil an Kindern gesehen. Man weiß aber inzwischen auch, dass Kinder in der Regel nur sehr mild oder auch asymptomatisch (symptomlos) infiziert sind. Das heißt, die sind bei den ganzen Studien, die durchgeführt wurden, einfach unter dem Radar geblieben."
    Schüler tragen Masken beim Unterricht im Musikraum
    Schulunterricht "ist natürlich ein Risikoszenario"
    Natürlich gebe es ein Ansteckungsrisiko, wenn sich viele Menschen über Stunden in einem Klassenraum aufhielten, sagte die Virologin Isabella Eckerle im Dlf. Zu lange habe man sich auf Daten der ersten Jahreshälfte ausgeruht.
    Auch der Virologe Christian Drosten mahnt zur Vorsicht: "Dass die Kinder weniger infektiös sind oder weniger empfänglich für die Infektion, das sieht für mich überhaupt nicht so aus."
    Ein Schüler der Klasse 4d in der Goldbeck-Schule kommt mit Mundschutz in die Klasse und stellt seine Schulranzen auf seinen Tisch. 
    Datenlage vor dem Schulstart: Wie hoch ist das Corona-Infektionsrisiko in Schulen?
    Die Schule beginnt wieder: Droht nun mit dem Präsenzunterricht eine stärkere Ausbreitung von SARS-CoV-2? Die Studienlage ist nach wie vor unklar. Ein Überblick.
    "Aber dennoch würde ich zum Beispiel als Privatperson und nicht als Virologe durchaus auch natürlich die Notwendigkeit sehen und unterstützen, dass dieser gesellschaftlich extrem wichtige Bereich der Kinderbetreuung und Erziehung wieder belebt werden muss", sagte Drosten. Seine Studie war allerdings strittig.
    Eine Studie aus Baden-Wüttemberg sagte vor wenigen Monaten hingegen deutlich, dass Kinder keine Treiber des aktuellen Corona-Infektionsgeschehens seien.
    02.05.2020, Berlin: Ein Kind steht mit seinen Eltern auf einem Spielplatz im Volkspark Wilmersdorf. Nachdem Spielplätze zur Eindämmung des Coronavirus geschlossen waren, öffnen diese nun wieder. Foto: Christoph Soeder/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits | Verwendung weltweit
    Forscher: Die meisten Infektionen kommen von Erwachsenen
    Kinder sind nicht die Treiber des aktuellen Corona-Infektionsgeschehens. Zu dieser Erkenntnis kommen baden-württembergische Forscher nach einer Studie mit 2.500 Kindern und 2.500 Elternteilen.
    Wie Bildungsforscher den Schulstart beurteilen
    "Es wird kein normaler Schulbetrieb sein, es wird kein normales Schuljahr sein", sagte Kai Maaz, der Geschäftsführende Direktor beim Leibniz Institut für Bildungsforschung und Information, im Dlf . Er leitet eine Kommission im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir mit Unsicherheit leben." Präsenzunterricht müsse medizinisch vertretbar sein, aber "wir wissen nicht, wie sich die Infektionszahlen verändern".
    Im Corona-Lockdown hätten sich eine Reihe von Problemen aufgestaut, die bis zum Beginn des neuen Schuljahres nicht abgearbeitet seien. Dazu gehörten auch die unterschiedlichen Bedingungen, unter denen Kinder in den letzten Wochen zu Hause gelernt hätten. Deshalb müsse man unter anderem für das neue Schuljahr darüber nachdenken, die Lehrpläne zu entschlacken, Kürzungen in den Lehrplänen vorzunehmen. Das dürfe aber nicht zu Lasten der Qualität der Bildung gehen.
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)