Aufgrund des neuerlichen Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland sind wieder zigtausende Schülerinnen und Schüler auf Distanzunterricht angewiesen. Obwohl neun Monate seit der ersten bundesweiten Schließung der Schulen in der Pandemie vergangenen sind, Kultus- und Schulministerien also Zeit hatten, sich auf die Wiederholung dieses Szenarios vorzubereiten, gibt es vielerorts erneut große Probleme.
In Bayern, Berlin und im Saarland etwa gab es gravierende Ausfälle der Online-Lernplattformen, aus Sachsen wurde gar ein Hackerangriff gemeldet. Udo Beckmann, Bundesvorsitzender beim Verband Bildung und Erziehung (VBE), zeigte sich im Gespräch mit dem Dlf verwundert darüber, dass diese Probleme weiterhin bestünden. Die Lehrkräfte seien erneut auf sich gestellt, kritisierte Beckmann. Zudem fehlten den Schulen klare Vorgaben.
"Es passiert ähnliches wie beim ersten Lockdown"
Regina Brinkmann: Herr Beckmann, was heißt das jetzt ganz praktisch, wenn Lernplattformen wie zum Beispiel mebis in Bayern ausfallen?
Udo Beckmann: Ja, die große Erwartung, die ja geschürt worden ist seitens der Politik, ist, dass jetzt im zweiten Lockdown ja schon vieles besser ist. Man hat ja die Lernplattformen in den verschiedenen Ländern, die ja auch größtenteils unterschiedlich sind, weiterentwickelt und den Eindruck erweckt, jetzt würde dies eine ernsthafte Unterstützung für die Lehrkräfte sein. Wir haben jetzt festgestellt, dass Ähnliches passiert ist wie im ersten Lockdown auch, da gab es ja auch schon die ein oder andere Plattform, die dann gleich in die Knie gegangen ist, also Beispiel logineo in Nordrhein-Westfalen, und den gleichen Effekt haben wir jetzt wieder.
Anscheinend ist die Ausstattung auch bezüglich der Plattformen nicht so ausgelegt, dass sie einem tatsächlichen Ansturm gewachsen ist, und das muss eigentlich zum jetzigen Zeitpunkt schon sehr wundern. Und jetzt sind die Lehrkräfte natürlich dann wieder auf sich gestellt, zu gucken, wie sie dieses Defizit, was sie in der Infrastruktur haben, weiter ausstatten.
Brinkmann: Das heißt, gibt es irgendeine Form von Unterstützung inzwischen für Lehrkräfte? Bei Unternehmen gibt es ja so klassischerweise immer den IT-Support.
Beckmann: Ja, der IT-Support ist auch ein spannendes Thema, weil das ist ja eine sehr alte Forderung, solange wir über Digitalisierung diskutieren, auch im Kontext mit dem Digitalpakt, dass es ja nicht sein kann, dass der IT-Support davon abhängt, ob die Schule eine Lehrkraft oder ein Elternteil hat, was dies regeln kann, sondern das ist Aufgabe der Schulträger, dies zu unterstützen.
Da stellen wir allerdings fest, dass es da im zurückliegenden Jahr doch erhebliche Anstrengungen gegeben hat. Unsere Forsa-Umfragen zeigen, dass wir hier eine deutliche Verbesserung haben, aber das bei Weitem noch nicht flächendeckend so ist, wie es sein müsste, sondern immer noch eine starke Abhängigkeit der einzelnen Schule von den unterschiedlichen Gegebenheiten ist, wie vorhin angesprochen – Lehrkraft, Elternteil –, oder eben der Schulträger stellt Support zur Verfügung.
"Es fehlt eine klare Linie der Ministerien"
Brinkmann: Technisch gibt es Schwierigkeiten, aber auch organisatorisch, also viele Schulen mussten ja nach den Bund-Länder-Beschlüssen zum Lockdown sich erst mal sammeln. Woran liegt das, warum ist es so schwer, langfristige Konzepte, Stundenpläne zu erstellen, die man dann – je nachdem, wie vielleicht dann auch wieder so eine Bund-Länder-Versammlung sich entscheidet – aus der Schublade holen kann?
Beckmann: Ja, es ist schon verwunderlich, dass auch seitens der Kultusbürokratie hier nicht besser vorgearbeitet worden ist. Wir haben ja immer so diese Geschichte, auf Sicht fahren, und ich glaube, von diesem Auf-Sicht-Fahren muss man sich dringend verabschieden, wir brauchen ganz klare Angaben auch. Das ist auch eine Forderung des VBE seit Beginn der Pandemie, zu sagen: Wenn es ein bestimmtes Infektionsgeschehen gibt, dann müssen ganz bestimmte Maßnahmen von den Schulen eingesetzt werden können, angesetzt werden können.
Wobei man ja, sag ich mal, einen Standard beschreiben kann, aber den Schulen darüber hinaus auch Spielräume gibt, in denen sie sich bewegen können, je nach Gegebenheit der Schule. Wenn ich eine Schule habe, die sehr gut digital ausgestattet ist, die schon das auch eingeübt hat mit den Schülerinnen und Schüler, also wo es Bestandteil des Schullebens und des Unterrichts war, dann kann man denen ja eher die Chance geben, auf Distanzlernen zu gehen, wie anderen, bei denen das nicht ist. Da fehlt uns eigentlich eine klare Linie der Ministerien beziehungsweise der Schulminister.
"Kulturministerien müssen konkrete Perspektiven entwickeln"
Brinkmann: Und die erhoffen Sie sich sicherlich auch fürs nächste Jahr dann mal endlich.
Beckmann: Oh, die ist sehr zwingend, weil ich glaube, wir gucken jetzt alle gebannt auf den Januar. Wir haben jetzt ja erst mal die Ansage bis zum 10. Januar, am 5. Januar soll es ja wieder eine Konferenz geben der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Ich erwarte eigentlich, dass die Schulen auch frühzeitig informiert werden, wie es weitergehen kann, denn es bedarf ja immer eines gewissen Planungszeitraums auch, um sich auf neue Situationen einzustellen.
Also, die Kultusministerien sind in der Pflicht, jetzt konkrete Perspektiven für das laufende Schuljahr zu entwickeln, und dabei ist für mich ganz wichtig, auch mal jetzt deutlich zu machen, wie sieht das denn mit der Leistungsbeurteilung unter den gegebenen Corona-Bedingungen aus, welche Spielräume haben da die Schulen, wie wird man das bei den Abschlussprüfungen berücksichtigen. Da war der Hinweis aus der KMK jetzt, ja, wir warten mal erst noch den Januar ab. Nein, man kann den Januar nicht abwarten, wir haben Ende Januar Halbjahreszeugnisse. Wir brauchen jetzt Ansagen, verlässliche Ansagen für die Schülerinnen und Schüler und Eltern und Lehrer.
Impfstrategie für Lehrpersonal diskutieren
Brinkmann: Jetzt wird ja aktuell diskutiert, wie eine Impfstrategie aussehen soll. Konkreter Anlass: Es deutet sich an, dass vielleicht schon vor Jahresschluss die ersten Impfungen hier in Deutschland möglich sein könnten. Welche Impfstrategie wünschen Sie sich dann für den schulischen Bereich?
Beckmann: Na ja, wir wissen ja, dass es verschiedene Kategorien gibt, wann wer beim Impfen berücksichtigt wird. Wenn wir natürlich weiterhin die Priorisierung des Bildungssystems und auch den Fokus der Offenhaltung von Schulen haben, dann muss man sich darüber verständigen, ob die Eingruppierung der Lehrkräfte jetzt in die Impfgruppe vier dann weiter so belassen werden kann oder ob man hier noch mal neu diskutieren muss.
Die UNICEF hat ja zum Beispiel den Hinweis gegeben, dass Lehrkräfte zu einer höheren Priorisierungsgruppe gehören sollten, wenn man eben vermeiden will, dass es sehr lange Schulschließungen geben soll. Natürlich ist hier immer zu betonen, dass der Impfschutz für Lehrkräfte natürlich auch auf der Freiwilligkeit der Lehrkräfte beruht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.