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Schulen nach Corona
Eltern beklagen Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen

Seit knapp sechs Wochen dürfen Kinder in Nordrhein-Westfalen wieder in die Schule. Eine Initiative von Eltern von Kindern mit Behinderungen beklagt in einem Offenen Brief aber eine neue Form von Diskriminierung. Ihre Kinder würden nicht zum Präsenzunterricht zugelassen, sagte Eva-Maria Thoms im Dlf.

Eva-Maria Thoms im Gespräch mit Matthis Jungblut |
Schülerinnen und Schüler einer Grundschule stehen mit Abstand zueinander auf dem Schulhof
Nach und nach durften immer mehr Schülerinnen und Schüler nach Corona in den Unterricht zurück - aber nicht alle sind willkommen (picture alliance/Arne Dedert/dpa)
Eva-Maria Thoms von der Initiative "mittendrin" berichtet von Eltern, die sich, als die Schulen nach dem Lockdown wieder öffneten, bei ihr meldeten und erzählten, sie seien gebeten worden, ihr Kind, weil es eine geistige Behinderung hat, zu Hause zu behalten. Sie und andere Eltern hätten das sofort dem Schulministerium gemeldet, es sei aber nichts passiert und die Fälle häuften sich. Das sei eine Diskriminierung, so Thoms im Dlf.
Eltern seien völlig am Ende
Es passiere nicht an jeder Schule, aber inzwischen gebe es schriftliche Belege dafür, dass Schulen beschlossen hätten, dass diejenigen Kinder, die eine geistige Behinderung haben, bis zu den Sommerferien nicht zum Präsenzunterricht zugelassen werden sollten. Es sei erschreckend, denn seit Jahren werde versucht, inklusive Bildung aufzubauen. "Nun taucht eine Krise auf und das erste, was passiert ist, dass man die Kinder anhand ihrer Behinderung identifiziert und sagt, die gehören jetzt nun doch nicht so wirklich dazu und sie auch noch zu Gefährdern stempelt", beklagt Thoms.
Das ganze Unterstützungssystem wie Pflege, familienentlastende Dienste und Therapien sei zudem weggefallen. "Wir haben Familien, deren Kinder einen hohen Pflegebedarf haben, die jetzt seit zehn Wochen 24 Stunden am Tag das alles alleine stemmen müssen." Die Eltern müssten jetzt alle dringend mal in Kur fahren, sagt Thoms. "Die sind völlig am Ende. Und dann machen die Schulen auf und dann wird ihnen erzählt, die anderen können kommen, aber dein Kind leider nicht."
Auch die Kinder mit Behinderungen, die in der Schule eine Schulbegleitung haben, die sie im Unterricht unterstützt, hätten nicht nur die Schule verloren, sondern auch den Schulbegleiter, gibt Thoms zu bedenken. Einige Kommunen hätten auf Anfrage eine weitere Teilbetreuung möglich gemacht, andere hätten sich auf den Standpunkt gestellt: Keine Schule, keine Schulbegleitung, so Thoms. "Das kann einen fassungslos machen."
Furcht um Errungenschaften der letzten Jahre
Thoms befürchtet, dass die Errungenschaften der vergangenen Jahre durch Corona wieder zurückgedreht werden. "Ich könnte mir vorstellen, dass inklusive Settings zurückgebaut und aufgelöst werden, weil die Kinder mit Behinderung ja aus der Klassengemeinschaft raus genommen werden, alles wieder mit dieser Begründung, dass diese Kinder ja angeblich pauschal nicht in der Lage seien, die Regeln einzuhalten, was ja nicht stimmt".
Es werde auch größere Probleme bei der Schulbegleitung geben. Viele Träger hätten lange auf Unterstützung warten müssen oder überhaupt keine bekommen und hätten in der Folge die Schulbegleiter entlassen. "Wenn der Unterricht wieder startet, wird es viele Schulbegleiter gar nicht mehr geben." Es seien viele Situationen, in denen sie befürchte, "dass Inklusion das letzte ist, an das man denkt, wenn die Schulen ihren Betrieb wieder aufnehmen."