"Über den Filmwettbewerb sprechen wir später. Heute sprechen wir erst einmal über Oliver Schütte und sein Drehbuchstrukturmodell. Ich hoffe mal, ihr habt das alles vorbereitet? Wer möchte denn mal anfangen?"
Martin Dorr steht in einem schmalen Klassenzimmer im Souterrain des Privatgymnasiums der Königin-Luise-Stiftung. Statt Frontalunterricht sitzen die achtzehn Schülerinnen und Schüler im Kreis. Jeden Montag und Dienstag lehrt der 42-jährige ein in Deutschland eher ungewöhnliches Fach: Film.
An der Stirnseite des Klassenraums ist unter der Decke eine große Leinwand angebracht. Links an der Wand hängt ein Plakat von Charly Chaplins Schwarz-Weiß-Film Goldrausch, daneben ein Ausdruck mit den Schlagzeilen: Tonfilm ist Kitsch, Tonfilm ist wirtschaftlicher und geistiger Mord.
"Dieser Moment, wo sich etwas ändert, wie wird der bezeichnet bei Schütte? Anstoß genau! Wie bezeichnet Schütte den Anstoß?"
An diesem Vormittag geht es um den dramaturgischen Aufbau von Filmen. Als Hausaufgabe sollten sich die Gymnasiasten das Drehbuchstrukturmodell von Oliver Schütte durchlesen. Das Gelernte sollen sie nun im Unterricht an Filmbeispielen veranschaulichen. Erst hebt jeder brav die Hand, dann kommt es zum Schlagabtausch.
"Ist der Anstoß, wir rauben eine Bank aus? Diskussion zwischen den Schülern."
Martin Dorr unterrichtet neben dem Fach Film auch Deutsch. Bei der Besprechung von Goethes Faust würden seine Schüler in der Regel nicht so leidenschaftlich mitdiskutieren, sagt er.
"Ich selbst mach die Erfahrung, dass Schüler plötzlich bereit sind viel mehr Zeit und Leidenschaft in ein Unterrichtsfach zu investieren, als ich das dann in anderen Fächern erlebe und dass bedeutet für mich, dass Schüler dieser Gegenstand erreicht."
Trotz dieser Erfahrung führt das Unterrichtsfach Film an deutschen Schulen noch ein Nischendasein. Dabei sei die Analyse eines Kinostreifens nicht weniger seriös als die eines Buches, meint Martin Dorr. Neben den klassischen Themen wie der Filmanalyse realisieren die Schüler der 12. Klasse aber auch Filmprojekte. Am Ende der Stunde dürfen Lene Loitsch, Jonathan Holstein und die beiden Filmcrews ihre Kurzfilme präsentieren. Die Schülerinnen und Schüler hatten genau 99 Stunden Zeit, diese zu realisieren. Und weil die Schulstunde längst rum ist, gucken sich die Gymnasiasten die Filme halt in der Pause an.
"So gut, dann schauen wir uns mal den Ersten an."
"Was ich besonders gut an diesem Kurs finde, dass man auch lernt, mit seinen Mitschülern eine Idee zu entwickeln, die dann auf den Punkt zu bringen und auszuarbeiten. Also so mir ist ganz stark aufgefallen, in anderen Kursen machen wir immer wieder Teamarbeit, und es ist immer eine Person, die arbeitet. Und ich denke mir schon am Anfang, ich habe keine Lust auf Teamarbeit, ich bin nicht der Teammensch und hier nach diesem 99-Stunden-Film habe ich wirklich gemerkt, wir waren eine gute Gruppe und Teamarbeit das klappt wirklich, wenn alle das nicht wegen der Note machen, sondern wegen dem Spaß an der Sache."
Warum der Film in Frankreich seit Jahrzehnten zum normalen Unterrichtsstoff gehört, in Deutschland aber noch immer mit spitzen Fingern angefasst wird, kann sich Martin Dorr nur so erklären:
"In Frankreich gibt es den politischen Willen, durchaus auch in Gesetzesform Film größeren Raum einräumen als in Deutschland. In Deutschland wird Film als Wirtschafts- und Handelsgut gesehen nach wie vor. Und insofern wird das vielfältige Potenzial des Filmes als kulturelles Gut und kulturelles Erbe nicht so wahrgenommen, wie in anderen Ländern."
Ihm kommt das Schulprojekt der Berlinale darum gerade recht. Während des Festivals können sich Schüler für wenig Geld ausgewählte Filme angucken, die später im Unterricht besprochen werden. Und Filmpädagogen der Berlinale unterstützen ihn in dieser Zeit bei seinem Unterricht.
"Na da drängeln wir uns einfach durch."
Berlinale. In wenigen Minuten läuft der schwedische Film Ömheten. Der Jugendfilm feiert in Deutschland Premiere und die 12. Klasse der Königin-Luise-Stiftung feiert mit. Obwohl dies ihr letzter Ferientag ist, sind fast alle achtzehn Schüler gekommen. Till Hübner wäre ohne den Film-Kurs an seiner Schule wohl nicht zur Berlinale gegangen und Lene Loitsch hofft, auch bei diesem Besuch etwas fürs Leben zu lernen.
"Es sind Premieren, die wir uns angucken und ja ist schon ein besonderes Gefühl auf jeden Fall. Das ist super, dass man außerhalb des Kurses noch einmal Filme sich anschauen kann und die Möglichkeit hat, danach noch einmal drüber zu sprechen. Und wirklich jemanden hat, der erfahren ist und das studiert hat und einem helfen kann, da verschiedene Interpretationssätze zu haben."