Ab Montag werden die Schulen in Nordrhein-Westfalen geschlossen bleiben, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Noch ist allerdings unklar, wie dann Kinder von Berufstätigen betreut werden können. Insbesondere für Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, ist eine Betreuung der Kinder aber natürlich notwendig. Ebenso unklar ist, wie die Millionen Schülerinnen und Schüler weiterlernen und auch ihre Prüfungen ablegen können. Wie das Schulsystem mit der Corona-Krise umgehen sollte, darüber haben wir mit Maike Finnern gesprochen, sie ist Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen
Ann-Kathrin Büüsker: Frau Finnern, die Schulen sind ab Montag dicht – ist das aus Ihrer Sicht die richtige Entscheidung?
Maike Finnern: Ja, das ist die richtige Entscheidung, denn in den letzten Wochen, klar, das muss man sehen, jeder Tag hat neue Entwicklungen ergeben, aber es ist, glaube ich, der richtige Schritt, weil es schon in gewisser Weise Klarheit schafft, wie wir Infektionsketten unterbrechen können. Insofern, ja. Und im Vorbericht haben Sie ja gesagt, Herr Lauterbach sagte ja, er würde sich bundesweite Regelungen wünschen, dem kann ich nur zustimmen. Das ist schon ein bisschen schwierig, glaube ich auch, zu erkennen, warum macht ein Land Schulen ganz zu, warum macht ein Land Schulen erst ab Mittwoch zu, warum macht ein Land vielleicht noch gar nicht zu, das ist schon schwer nachzuvollziehen.
Ann-Kathrin Büüsker: Aber das ist ja typisch für den deutschen Föderalismus. Wollen Sie den Föderalismus abschaffen?
Finnern: Nein, aber man muss schon, glaube ich, in bestimmten Bereichen gucken, dass man zu gemeinsamen Handlungen und zu gemeinsamer Grundlage kommt, das halte ich schon für wichtig. Das ist ja gerade, wenn wir im Schulbereich bleiben, da geht’s ja auch zum Beispiel um Finanzierungsfragen, das klassische Kooperationsverbot aufzuheben, also das sind schon Bereiche, wo ich sagen würde, ja, da brauchen wir mehr Gemeinsamkeit.
Büüsker: Was heißt denn diese Schulschließung jetzt ganz konkret für die Lehrerinnen und Lehrer?
Finnern: Ja, das ist nicht so ganz eindeutig. Erst mal heißt es natürlich, dass die jetzt nicht frei haben, sondern Montag, zumindest in Nordrhein-Westfalen ist es ja so, dass Montag und Dienstag die Lehrerinnen und Lehrer noch mal zur Schule kommen sollen, weil es noch sein kann, dass Kinder kommen, die eben jetzt noch nicht übers Wochenende untergebracht werden konnten für die nächste Zeit, oder eben weil Kinder von Eltern kommen, die eben bei der Polizei, bei der Feuerwehr oder im Gesundheitswesen arbeiten. Das ist im Moment erst mal die Situation. Bei den Kitas ist das anders, die sind wohl direkt geschlossen ab Montag, aber die Schulen haben erst mal noch zwei Tage Bereitschaft – so formuliere ich es mal.
Kinderbetreuung in geschlossenen Schulen denkbar
Büüsker: Das heißt aber, so richtig Klarheit existiert im Moment auch für die Eltern noch nicht, wo sie ihre Kinder jetzt hinschicken können, wie mit dem Ganzen umzugehen ist, also auch von Ihrer Seite sehen Sie da noch nicht so hundertprozentige Klarheit.
Finnern: Nee, also das ist schon noch was, was fehlt. Die Frage ist ja – so sehr ich auf der einen Seite verstehen kann, dass man sagt, wir müssen Kinderbetreuung für diejenigen Eltern, die es nicht möglich machen können, ihre Kinder anderweitig unterzubringen, weil Großeltern ja rausfallen, garantieren, die eben in besonders wichtigen Bereichen wie Gesundheitswesen, wie Polizei oder Feuerwehr arbeiten. Das muss man in der Tat irgendwie möglich machen, denn wir müssen ja dafür sorgen, dass unser gesamtes gesellschaftliches System nicht zusammenbricht, das ist ja klar. Trotzdem muss es aber eben natürlich Regelungen geben. Wir haben gerade in der letzten Woche über Schulbauten gesprochen, über Schulhygiene, das heißt also, wenn in irgendeinem Maße irgendeine Betreuung stattfinden soll in den Schulen, dann muss dafür gesorgt sein, dass alle hygienischen Regelungen wirklich auch eingehalten werden können. Dann darf es eben nicht an Seife und Waschbecken und Einmalhandtüchern fehlen zum Beispiel.
Unterricht zu Hause geht nur in Einzelfällen
Büüsker: Betreuung ist ja das eine, vielleicht reden wir auch noch über das andere, über das Lernen. Wir haben ja eben auch gehört im Beitrag, dass der Unterricht jetzt digital fortgesetzt werden soll, wir haben aber auch die Probleme gehört, dass viele Lehrerinnen und Lehrer dafür gar nicht entsprechend ausgestattet sind. Wie beurteilen Sie das?
Finnern: Ja, das ist ein Problem. Da sind wir weit hinterher im Vergleich zu dem, was die skandinavischen Länder in der Digitalisierung haben. Die können jetzt relativ leicht auf Unterricht zu Hause quasi umsteigen, das geht bei uns schlicht und einfach nicht. Das wird in Einzelfällen gehen, aber da es eben nur in Einzelfällen geht, kann man das nicht für alle voraussetzen, dass das funktioniert, und man kann es auch nicht bei Schülerinnen und Schülern voraussetzen. Und man muss auch ganz klar sagen, in den Punkten wird dann eben auch noch mal wieder so ein Unterschied deutlich, das heißt, es immer noch eine ganze Menge Schülerinnen und Schüler geben, die zu Hause eben nicht in der Lage sind, an einem Laptop oder an einem PC zu arbeiten und da entsprechend vernünftig weiter zu lernen über digitale Medien, sag ich jetzt mal.
Büüsker: Weil diese Mittel bei den Menschen schlichtweg nicht zur Verfügung stehen?
Finnern: Ja, weil es immer noch Familien gibt, die eben damit nicht so gut ausgestattet sind. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Familien, die haben eine Bombenausstattung, die haben alles, was man braucht, da wäre das sicherlich schneller möglich, aber das ist so. Wir haben da große Unterschiede, und wir haben eben nicht so wie in Skandinavien das System, dass jedes Kind und jeder Jugendliche einen Rechner gestellt bekommt vom Land oder von der Kommune, je nachdem, sondern bei uns ist das Eigenbedarf, und der ist eben sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das ist so.
Lehrer greifen auf private Geräte zurück
Büüsker: Ungleiche Voraussetzungen also bei den Schülerinnen und Schülern. Wie sieht denn das bei den Lehrerinnen und Lehrern aus, kann ich jetzt beispielsweise als Lehrerin, wenn ich digital gut aufgestellt bin, einfach improvisieren?
Finnern: Na ja, auch das ist etwas schwierig. Für Nordrhein-Westfalen kann ich die Situation relativ gut beurteilen. Wir haben immer noch keine Dienstgeräte für Lehrkräfte, das heißt also, in aller Regel ist das, was Lehrerinnen und Lehrer tun, mit privaten Geräten zu tun. Auch da ist natürlich die Frage – finde ich persönlich nach wie vor nicht richtig, sondern ich denke, wenn man das erwartet, dann muss man auch digitale Endgeräte zur Verfügung stellen, mit denen gearbeitet werden kann. Insofern ist auch da die Situation durchaus unterschiedlich.
Büüsker: Das heißt, wir müssen uns darauf einstellen, dass bei den Schülerinnen und Schülern große Wissenslücken entstehen.
Finnern: Na ja, das hängt jetzt ja ein bisschen davon ab, wie lange diese Phase der Schulschließung andauert, aber vielleicht müssen wir einfach noch mal wieder andere Formen finden. Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen, dass sie mit Portfolioarbeit zum Beispiel gestartet sind, im Deutsch-Bereich kann man so was wirklich gut machen. Da muss man nicht digital sein, sondern wenn man eine Lektüre vorbereitet und dazu ein paar Portfolioaufgaben gibt, da haben die schon ganz gut was zu tun. In anderen Fächern ist das nicht so einfach, aber es gibt bestimmte Bereiche, in denen kann man das machen. Das ist vielleicht noch mal ein Weg, um da wirklich weiterarbeiten zu können noch in der Zeit.
Abschlussprüfungen "müssen stattfinden"
Büüsker: Können denn aber unter solchen Voraussetzungen Abschlussprüfungen überhaupt stattfinden?
Finnern: Ja, die müssen stattfinden, darüber gibt es gar keine Diskussion, denn wir müssen das Ganze ja vom Ende her denken. Das heißt, was passiert, wenn wir die Abitur- beziehungsweise zentralen Prüfungen im Jahrgang zehn nach hinten verschieben, wo auch immer hin, dann wird es eben irgendwann schwierig mit einem Anschluss an einen Ausbildungsplatz beziehungsweise mit einem Anschluss ins Studium. Ich meine, das ist ja die Grundlage für das weitere berufliche Leben der jungen Menschen. Ich glaube, da gibt es gar keinen Weg dran vorbei. Ich glaube, man muss sich jetzt gute Wege überlegen, wie es gehen kann.
Büüsker: Kann man denn nicht unter Umständen auch sagen – gehen wir davon aus, die Schulschließungen müssen vielleicht auch ein bisschen länger als diese zwei Wochen jetzt andauern –, kann man denn nicht am Ende vielleicht sagen, okay, das funktioniert so alles nicht, wir müssen das komplette Jahr wiederholen lassen?
Finnern: Nein, das würde ich wirklich nicht als gute Alternative ansehen. Nein, das glaube ich nicht, weil dann verlieren ja die Kinder, die Jugendlichen, die es dann ja sind, die jungen Erwachsenen, die verlieren ein ganzes Jahr. Nein, also das halte ich für keine Alternative, die gangbar ist, sondern dann muss man eben zum Teil die Prüfungen anpassen. Vielleicht geht es da auch noch mal mehr, so was wie Abi online zu machen, also da noch mal andere Prüfungsformen zu finden, oder eben die Klausuren schreiben zu lassen unter großen hygienischen Bedingungen. Da kann man ja auch große Räume nehmen mit einer kleinen Anzahl an Menschen, die eben weit auseinander sitzen können. Ich glaube, da gäbe es Regelungsmöglichkeiten, und die müssen wir auch finden.
Büüsker: So sehr ich verstehe, dass Sie jetzt die Prüfungen in den Mittelpunkt stellen, aber geht’s bei der Schule nicht um mehr als Prüfungen, geht’s nicht auch um das Vermitteln von Wissen?
Finnern: Ja, natürlich geht’s um mehr, aber letztlich, wenn die Frage ist, ob wir die Prüfung verschieben oder nicht, das glaube ich eben, das sollte man nicht tun. Selbstverständlich hat Schule nicht nur Prüfungen am Ende, das ist ja völlig klar, sondern da geht’s um ganz viele Dinge. Deswegen ist es ja auch ganz schwierig, sich dauerhaft Schule, sag ich mal, ohne Gemeinschaft vorzustellen, weil da geht es um Vermitteln von Wissen, da geht’s aber auch um Vermitteln von Sozialverhalten, von Sozialkompetenz, von Gemeinsamkeit erleben. Insofern, auf Dauer funktioniert Schule nicht ohne soziale Kontakte, das ist so.
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