Die Qualität des Unterrichts hängt vom Lehrer ab. Das ist die Kernerkenntnis von John Hattie, einem bekannten Bildungsforscher in Melbourne. Und im Sportunterricht? Dort auch, findet Dr. Udo Eversheim. Der Kölner Sportlehrer bildet Studierende in diesem Fach aus. Er gibt ihnen vor allem mit, dass
"sie sich ganz persönlich Gedanken machen müssen, was sie unter gutem Sportunterricht verstehen. Und das müssten sie dann im Prinzip vor sich und eben auch vor den Schülern vertreten können. Das macht dann auch so den eigenen Unterricht aus."
Zu diesem Idealbild des Unterrichts kommt bei Sportlehrkräften auch oft noch die perfekte Vorstellung der Sportausübung selbst. Sie übertragen ihre eigene Sportbegeisterung auf die Klasse. Dabei fehle häufig die Sensibilität dafür, dass es nicht allen so geht, sagt Martin Röttger von der Universität Göttingen. Er beschäftigt sich mit Verunsicherung im Sportunterricht. Dass sich Sportlehrkräfte häufig nicht in die Situation von sportlich schwachen Kindern hineinversetzen können, sorge für unangenehme Situationen:
"Es wurde auch jetzt vor einigen Jahren wieder festgestellt, dass bei der Befragung von Lehrkräften zum Thema Scham im Sportunterricht, dass über die Hälfte aller Lehrkräfte noch überhaupt keinen Kontakt zu diesem Thema hatten. Da muss sich natürlich auch noch etwas entwickeln. Also das muss noch mehr in den Blick genommen werden, dass sich einfach eine grundsätzliche Sensibilisierung ergibt. Denn fast alle Personen, die negative Erfahrung gemacht haben, mit denen ich gesprochen habe, haben immer gesagt, es gab ganz viele Faktoren, die mit reingespielt haben in diese negativen Erfahrungen. Aber ganz relevant war immer die Lehrkraft."
Lehrkräfte sind von Teilnahme abhängig
Doch sich auf jedes Kind explizit einstellen? Auch nicht ganz so einfach, findet Tobias Linnenweber nach seinem ersten Jahr als Sportreferendar an einem Gymnasium in Zündorf:
"Wenn ich als Lehrperson sage: Ja, jedes Mal, wenn ihr euch schlecht fühlt, könnt ihr auf die Bank und könnt von außen zugucken. Dann habe ich hinterher 25 pubertierende Zehntklässler*innen auf meiner Bank sitzen. Das kann natürlich auch nicht Sinn der Sache sein."
Vor allem würden dann viele Spiele und Übungen gar nicht mehr funktionieren. Die Sportlehrkraft ist aufs Mitmachen der Kinder angewiesen. Aber nicht jeder kann und will alles. Deshalb versucht Valerie von Zahn, angehende Sportlehrerin in Köln, sich an Tiefpunkte in ihrer eigenen Sportbiographie zu erinnern:
"Auch welche, die super sportlich sind, haben dann im Zuge eines Sportstudiums mal irgendwie erfahren, dass es eben auch Bereiche gibt, in denen man nicht so gut ist und wo man vielleicht auch erst überhaupt keine Lust hat. Und ich glaube, wenn man sich da mal versucht, so ein bisschen dran zurückzuerinnern, was einem da vielleicht geholfen hat oder geholfen hätte, dann ist man, glaube ich, schon an einem ganz wichtigen Punkt und auf einem ganz gutem Weg."
Und man müsse vor allem den Sinn hinter dem Sportunterricht vermitteln können, findet Tobias Linnenweber:
"Ich muss es schaffen, irgendeinen Zugang zu dem Inhaltsfeld zu schaffen, irgendeine Motivation. Ich kann nicht erwarten, dass alle meine 30 Schüler*innen komplett eigenmotiviert in den Unterricht gehen, auch wenn das natürlich wünschenswert wäre. Aber das ist ja de facto nicht der Fall."
Mit den Berufsjahren geht vieles verloren
Von Zahn und Linnenweber kommen beide frisch aus dem Studium. Das Gelernte ist noch präsent, die Motivation groß. Aber bei älteren Kollegen und Kolleginnen ist das nicht immer der Fall, hat von Zahn festgestellt:
"Und ich frage mich jetzt, ob sich das bei mir dann auch irgendwann verliert und ob es vielleicht einfach auch für Sportlehrkräfte, die schon länger an Schulen sind, einfach mehr Weiterbildungen geben sollte. Denn wir kommen halt jetzt relativ frisch von der Uni und haben diesen ganzen Input so ein bisschen bekommen."
Mit den Berufsjahren steigt auch das Alter und damit nimmt die Sportlichkeit ab. Nicht gerade einfach für die Lehrkraft, beschreibt Dr. Helga Leineweber vom Institut für Sportdidaktik und Sportunterricht an der Deutschen Sporthochschule Köln:
"Während ich in anderen Fächern ja sozusagen durch die Anreicherung von Wissen immer kompetenter und im besten Falle immer besser werde, habe ich im Sport das Problem, dass zumindest die eigene Physis schwächer wird, im Laufe der Zeit. Das heißt: Körperliche Abbauprozesse führen sicherlich dazu, dass Lehrkräfte ja unter einem gewissen Druck stehen, körperlich Dinge immer noch zu schaffen, die sich vielleicht mit 25 im Studium geschafft haben, oder Dinge, die Schüler problemlos bewältigen."
Sportlehrkraft als Vorbild
Sportlehrkräfte haben auch immer eine Vorbildrolle. Der sollten sie sich bewusst sein und einen richtigen Umgang miteinander vorleben, etwa wenn es um kulturelle Unterschiede geht. Das finde aber nicht immer statt, kritisiert Professorin Christa Cachay von der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld:
"Für mich ist eine ganz wichtige Erkenntnis, Differenzen als was Normales anzuerkennen. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft. Damit müssen sich alle auseinandersetzen. Und die Differenzen, die durch die Einwanderung in unsere Gesellschaft hineingetragen werden, bereichern uns einerseits. Andererseits stören sie uns natürlich in vieler Hinsicht. Aber wir können nur gemeinsam miteinander leben, wenn wir diese Differenzen versuchen zu integrieren, soweit es geht."
Auch das Vorbeugen von sexualisierter Gewalt im Unterricht erfordert mehr Handlungssensibilität. Sportwissenschaftlerin und ehemalige Lehrerin Dr. Birgit Palzkill forscht seit Jahrzehnten zu Geschlechterfragen. Häufig werden Grenzüberschreitungen nicht als solche wahrgenommen oder als normal akzeptiert, auch bei den Lehrkräften:
"Die wichtigste Aufgabe von Lehrkräften ist aus meiner Sicht, dass sie erst mal wahrnehmen überhaupt, was sexualisierte Gewalt ist, dass sie überhaupt mitkriegen, wenn Schüler*innen sich beschämt fühlen und dass sie dann auch eingreifen."
Vielfalt ist notwendig
Nur so könnten sie sich auch wie Vorbilder verhalten. Außerdem brauche es auch mehr Muslima, die Sportlehrerinnen werden, meint Christa Cachay:
"Wir brauchen die muslimischen Lehrerin zum einen als Modelle für die muslimischen Mädchen, damit klar ist, eine Frau kann Muslima sein und die Regeln befolgen und gleichzeitig aber auch sportiv sein. Und wir brauchen die Lehrkräfte als Mittlerinnen zwischen der Institution Schule und manchen Familien."
Und so braucht es neben der Sensibilität, auch Vielfalt. Auch wenn Lehrpläne Vorgaben machen, für eine kreative Umsetzung und für einen Unterricht, der möglichst viele anspricht, braucht es das Engagement der Lehrkraft.
Teil 1 der Serie "Schulsport - Zwischen Hassfach und Höhenflug"