Archiv

Schulsport-Serie (3)
Zwischen Leistung und positiven Umwegen

Die Notenvergabe - eines der größten Streitthemen im Schulsport. Denn dem einen liegt eine Sportart, dem anderen nicht. Dass es im Sportunterricht dennoch Noten gibt, ist seit langem umstritten. Sportlich sein könne man ja nicht lernen. Dennoch gibt es die Bewertung im Sportunterricht bis heute.

Von Sabine Lerche |
Ein Pauschenpferd steht während des Sportunterrichts in der Sporthalle einer Grundschule.
Leistung oder nur Bewegungsfreude - Benotungen im Sportunterricht sind umstritten (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert)
Anfang des 19. Jahrhunderts macht Karl Adolf Spieß Turnen zu einem offiziellen Schulfach. Dehnübungen, Hüpfen, systematisches Trainieren von Rumpf, Armen und Beinen. Alles unter strenger Aufsicht, mit Ernst und auf Kommando. Toben und Spielen hat es nicht gegeben. Damit ist Spieß der Wegbereiter für den Sportunterricht. Auch wenn es zum damaligen Unterricht heute viele Unterschiede gibt. Denn anders als in Mathe gibt es im Sport kein Einmaleins, das immer gleich bleibt. Der Sportunterricht entwickelt sich und nimmt immer wieder Input aus der Freizeitkultur auf, sagt die Kölner Sportwissenschaftlerin Helga Leineweber:
"Wir haben heute eine Sport- und Freizeitkultur, die unfassbar viele Angebote bietet, gerade auch informelle Sportszenen. Das ist ja fast so unter dem Motto "Anything goes" zu denken."
Eine Sportlehrerin steht vor einer Klasse und macht eine Übung vor.
Schulsport-Serie (1) - Auf die Lehrer kommt es an
Keiner kommt daran vorbei, am Schulsport. Für manche absolutes Lieblingsfach, für andere die schlimmste Stunde in der Woche. Unsere vierteilige Serie beleuchtet, was den Schulsport spaltet, was ihn beeinflusst und wie alle Akteure auf einen Nenner kommen könnten. Zentrale Figuren: Sportlehrkräfte.
Vielfältiger Sportunterricht erhöht die Chance, dass möglichst viele Kinder mit Spaß dabei sind. Es gehe aber auch darum den Erfolg des Unterrichts kontrollieren zu können, meint der Kölner Sportlehrer Udo Eversheim:
"In unserer Output-Orientierung gibt es natürlich auch wieder mehr den Wunsch oder die Idee, am Ende zu überprüfen, was im Unterricht passiert ist. Und das kann natürlich dazu führen, dass der Fokus des Unterrichts immer mehr auf Dingen liegt, die man dann tatsächlich abprüfen kann."

Nicht jeder Inhalt lässt sich benoten

Weiten und Zeiten sind messbar und können Grundlage für Noten sein. Bei anderen Inhalten des Sportunterrichts ist das nicht so. Sportreferendar Tobias Linnenweber glaubt, dass Noten nicht immer der beste Weg sind:
"Im Schulsport gibt es zum Beispiel in NRW die pädagogische Perspektive 'etwas wagen und verantworten'. Dann passt das aus meiner Sicht kaum zusammen, das mit einer Ziffernote auszudrücken, weil 'etwas wagen und verantworten' ist einfach so individuell. Wenn sich jetzt Schülerin X oder Schüler X nicht traut, von einem großen Kasten auf eine Weichbodenmatte zu springen und sich dann dementsprechend nichts wagt und nichts verantwortet. Ja, ist es dann eine schlechte Note, nur weil sie individuell entschieden hat, dass ich mich das gerade nicht traue."

Leistungsorientierung der Gesellschaft beeinflusst den Schulsport

Es gibt nicht nur den einen Lösungsweg, auch kreative Umwege führen zum Ziel, meint Sportwissenschaftler Martin Röttger von der Universität Göttingen. Er nennt das positive Fehlerkultur. Weg vom Leistungsgedanken und der Perfektion:
"Es geht häufig ums Gewinnen. Unsere Schule ist eben leistungsorientiert und auch defizitorientiert. Das heißt: Unser Sport ist immer noch sehr stark an diesem olympischen Gedanken ausgerichtet: Höher, schneller, weiter. Und noch werden Fehler zu selten als positiver Umweg, kreativer Umweg, andere Herangehensweise an ein Problem gesehen."
Doch auch die zunehmende Selbstdarstellung des eigenen Körpers in den sozialen Medien beeinflusse den Sportunterricht, so Helga Leineweber:
"Das Perfektionsstreben hinsichtlich des eigenen Körpers ist sicherlich auch etwas, was in den Bereich - im weiteren Sinne - soziale Kompetenz reinspielt. Das sind sicherlich auch neue Probleme, die Sportunterricht aufgreifen muss. Aber Sportunterricht alleine kann sicherlich solche Probleme nicht lösen oder aus der Welt schaffen. Aber wir müssen eben auch schauen, was ist denn der Kern des Sportunterrichts?"

Feedback ist wichtig

Der Kern des Sportunterrichts? Spaß an der Bewegung. Das finden jedenfalls die User des Deutschlandfunk-Instagram-Kanals. Neben dem Spaß sei auch wichtig, den Teamgeist zu fördern und ein positives Körpergefühl zu schaffen, so die Antworten auf unsere Fragen über das soziale Netzwerk Instagram. Dort waren die häufigsten Vorschläge in Sachen Leistungsbewertung: Noten abschaffen und Sport als Wahlfach anbieten. Schulsport völlig frei von Leistung, davon hält Daniel Möllenbeck vom Deutschen Sportlehrerverband nicht viel:
"Also erstmal: Leistung gehört immer auch dazu zum Sportunterricht. Kinder wollen auch Leistung bringen. Die wollen sich messen. Es muss immer wieder auch darum gehen, wie stoße ich persönlich am weitesten, wie laufe ich schneller und so weiter. Wenn ich mich anstrenge, wenn ich trainiere, dann werde ich besser, dann kann ich mehr erreichen. Das sind ja auch Dinge, die wichtig fürs Leben sind. Natürlich ist die Frage: Braucht man eine Benotung im Unterricht schon in unteren Jahrgängen? Kann ich das auch vielleicht als ein schriftliches Feedback machen?"
Die Willkommensklasse beim Sportunterricht
Schulsport-Serie (2) - Ein Sportangebot für alle gestalten
Sportbegeistert oder körperlich eingeschränkt, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund oder mit Förderbedarf – im Sportunterricht können sich Unterschiede stärker bemerkbar machen als in anderen Fächern. Mit der Heterogenität richtig umzugehen ist die große Herausforderung für Sportlehrkräfte.
Wenn es nach den Usern des Deutschlandfunk-Twitter-Kanals geht, dann sind mehr als die Hälfte der Meinung, es brauche keine Benotung. Eine Twitter-Nutzerin schlägt vor, statt der Leistung den Ehrgeiz zu bewerten:
"Benotung nach Bemühen und Ehrgeiz, nicht nach Resultat. Ich war immer die Langsamste und konnte auch nicht hoch oder weit springen, hatte aber trotzdem Spaß am Sport und viel Ehrgeiz, auch weil ich technisch gut war. Meine Lehrerin schätzte das und gab mir die Note 1 im Zeugnis."