Ein Donnerstagmorgen Ende April. Sportunterricht im Städtischen Von-Müller-Gymnasium in Regensburg. Die Mädchen der 11. Klasse üben Volleyball. Einmal in der Woche haben sie bei Sportlehrerin Barbara Michler eine Doppelstunde Sport. So sieht es der bayerische Lehrplan für Gymnasien vor.
„Ansonsten haben wir das Schuljahr schon getanzt, geturnt, im Schwimmbad waren wir, da haben wir die Kraultechnik geübt. Da wird ein Bus gechartert, der fährt uns ins städtische Westbad.“
Heute hat Michler zwei Volleyballfelder für die Schülerinnen aufgebaut. In der Dreifachhalle wäre sogar noch Platz für ein weiteres. Die Turnhalle und der anliegende Kraftraum gehören zur benachbarten Grundschule, das Von-Müller-Gymnasium darf sie aber mitnutzen. Und das, obwohl es auch noch zwei schuleigene Turnhallen für die knapp 750 Schüler und Schülerinnen gibt. Sportunterricht fällt selten aus. Eine absolute Luxussituation, sagt Schulleiter Ralf Krottenthaler:
„Wir sind da wahrscheinlich ein Stück weit ein Glücksfall. In personeller Hinsicht, dass wir genügend Lehrkräfte auch für den sportlichen Bereich haben. Aber auch im Bereich der Ausstattung für die Sporthallen. Und da sind wir wahrscheinlich in einer etwas privilegierten Situation im Vergleich zu anderen Schulen.“
Sport-Unterrichtsausfall wird nicht separat erhoben
Krottenthaler weiß: Die Realität in Deutschland ist eine ganz andere. „Die Situation des Schulsports sieht alles andere als rosig aus, wenn wir das insgesamt betrachten", so die Sportwissenschaftlerin und Schulsport-Expertin Valerie Kastrup von der Uni Bielefeld. Sie sagt: Eigentlich empfehle die Kultusministerkonferenz drei Unterrichtsstunden Sport pro Woche.
„Nicht an allen Schulen können die drei obligatorischen Sportstunden unterrichtet werden. Das wird dann beispielsweise gekürzt auf zwei Stunden generell oder man verzichtet in manchen Jahrgangsstufen ganz auf das Fach Sport oder unterrichtet dann nur eine Stunde.“
In welchem Umfang Sportunterricht genau ausfällt, wird von den einzelnen Bundesländern, die für Bildung zuständig sind, nicht separat erhoben, heißt es auf Deutschlandfunk-Anfrage bei allen 16 Kultusministerien. In der Regel finden die im Lehrplan vorgesehenen Sportstunden statt, versichert die große Mehrheit. Einschränkungen für den Sportunterricht: eine Ausnahme.
Sportlehrerverband: "Man kann von einer Krise im Schulsport sprechen"
In Bayern sollen zwischen 2005 und 2017 zum Beispiel nur 0,3 Prozent aller Sportstunden an Grund- und Mittelschulen ausgefallen sein. Das Kultusministerium in Bremen gesteht immerhin ein, dass die im Lehrplan vorgesehenen drei Stunden Schulsport pro Woche teilweise nicht vollständig gewährleistet werden können.
Aber Bewegung, beteuern wiederum alle, habe einen hohen Stellenwert, das Fach Sport eine besondere Bedeutung. Und: Man werde dem Lehrauftrag „Erziehung durch und zum Sport“ gerecht. „Also die Realität sieht sicher anders aus. Wenn man mit Kollegen spricht, dann werden ganz viele bestätigen, es fällt viel Unterricht aus", sagt auch Daniel Möllenbeck, Vizepräsident Schulsport beim Deutschen Sportlehrerverband und selbst Sportlehrer in Niedersachsen: „Man kann von einer Krise im Schulsport sprechen.“
Ähnlich klingt der Befund des Deutschen Städtetages. Der Unterrichtsausfall im Fach Sport sei überdurchschnittlich hoch, heißt es schon 2018 in einem Positionspapier. „Weil wir die Situation haben, dass wir zu wenig Lehrkräfte haben, dass viel Unterricht ausfällt. Und dass wir es auch mit einer schleichenden De-Professionalisierung zu tun haben. Das heißt: Wir haben immer mehr Lehrkräfte oder Personal an Schulen, das nicht so ausgebildet ist, wie wir uns das wünschen würden.“
Fachlehrermangel wirkt sich negativ auf Schulsport aus
Die Gründe dafür sind seit langem bekannt. Insgesamt werden im deutschen Schulsystem bis 2035 70.000 Lehrkräfte fehlen, hat kürzlich die Kultusministerkonferenz berechnet. Manche Bildungsforscher rechnen sogar mit einem noch größeren Mangel. Gerade im Sport sei der Fachlehrermangel „erheblich“, heißt es vom Deutschen Städtetag. Auch von den Bundesländern wird der Lehrkräftemangel auf Anfrage als größtes Problem identifiziert. Hinzu kommt: Die Sport-Lehrkräfte, die da sind, sind nicht selten krank oder erschöpft.
Viele Länder investieren deswegen in Fortbildungsprogramme oder etablieren neue Sport-Studiengänge. Oder sie werben Trainer aus Sportvereinen oder gar Studierende an. Die Konsequenz: Sport wird immer häufiger auch von fachfremdem Personal geleitet. In Sachsen und Sachsen-Anhalt ist es laut den beiden Kultusministerien über alle Schulformen hinweg fast jede fünfte Sportstunde, an deutschen Grundschulen aufgrund des Klassenlehrerprinzips mehr als jede zweite, schätzen Sportwissenschaftler.
Möllenbeck: „Wenn jemand nicht ausgebildet ist in einem Fach Sport, dann wird die Person den Unterricht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so durchführen können, wie das halt jemand kann, der studiert hat. Viele Dinge werden einfach weggelassen und die Qualität ist nicht da.“
Schwimmbäder schließen, Sportstätten sind marode
Qualität fehlt auch in einem anderen Bereich: Der Sanierungsstau an deutschen Sportstätten und Schwimmbädern beträgt 31 Milliarden Euro, schätzt der DOSB. Eine Bestandsaufnahme in Köln hat zum Beispiel ergeben, dass mehr als 80 Prozent der Sporthallen deutliche oder schwerwiegende Mängel aufweisen.
Und in den vergangenen Jahren sind überall in Deutschland immer mehr Schwimmbäder geschlossen worden. Aber für die Finanzierung der Sportstätten sind die Kommunen zuständig. Und ihre Kassen sind häufig leer. „Also ich habe das Gefühl, dass die Politik die schlechte Situation des Schulsports verwaltet, aber nicht behebt“, sagt Sportwissenschaftlerin Valerie Kastrup.
Dem Schulsport fehle schlicht die Lobby – obwohl während der Pandemie, als Turnhallen geschlossen waren, deutlich wurde, wie wichtig er ist. Studien würden zudem nicht erst seit gestern vor Bewegungsmangel, Adipositas und gestiegenen Nichtschwimmerzahlen bei jungen Menschen warnen:
„Und hier hat der Schulsport einen ganz besonderen Auftrag. Weil er eben alle Kinder erreichen kann. Schulsport kann Kinder an die Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur heranführen und ihnen auch Freude an der Bewegung vermitteln. Und von daher darf Sportunterricht nicht gekürzt werden oder gar ausfallen."