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Schulstreiks als Auftakt für bundesweite Aktionen im Länder-Tarifkonflikt

Zum Auftakt der Warnstreikwelle haben in Berlin rund 5000 Lehrer und Erzieher die Arbeit niedergelegt. In der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes der Länder bleibt ein Anliegen Dauerthema: Das Einkommen der öffentlich Beschäftigten soll nicht hinter den Gehältern der Privatwirtschaft zurückbleiben.

Von Axel Flemming |
    Im Mittelpunkt steht immer wieder das Argument der Gewerkschaften, die Beschäftigten dürften nicht abgehängt werden von der allgemeinen Entwicklung der Löhne, die Schere zwischen Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor dürfte nicht weiter auseinandergehen. Denn längst vorbei sind die goldenen Zeiten der 70er-Jahre. Damals hieß die Gewerkschaft noch Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, kurz ÖTV, der Bundeskanzler Willy Brandt und Innenminister Hans-Dietrich Genscher. Der vereinbarte nach dem Preisschock der Ölkrise und einem dreitägigen Streik der Müllwerker und Straßenbahner 1974 eine Tariferhöhung von elf Prozent mit dem ÖTV-Chef Heinz Kluncker. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" - dem setzen die Arbeitgeber entgegen, dass der öffentliche Dienst dafür krisensichere Arbeitsplätze bietet. So ganz stimmt das aber nicht mehr, denn Personalkosten sind ein großer Ausgabenfaktor und weniger Beschäftigte bedeuten weniger Kosten.

    Das führte dazu, dass die Gewerkschaften auch Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung abschlossen: weniger Geld, geringere Arbeitszeit, dafür der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen. Auch Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld sind längst nicht mehr Standard im Öffentlichen Dienst. Und um die Zahl der Urlaubstage wird in den Verhandlungen immer wieder gestritten. Der Streit um die Arbeitszeit war auch der Grund, dass die Tarifgemeinschaft der Länder 2005 aus den gemeinsamen Verhandlungen mit dem Bund und den Kommunen ausgestiegen ist. Bei ihnen sind rund zwei Millionen beschäftigt, in den Ländern nur um die 800.000. Nach langwierigen Verhandlungen einigten sich Bund und Kommunen 2005 auf eine umfassende Tarifreform, die unter anderem die Unterscheidung von Angestellten und Arbeitern aufgibt, die Bezahlung auch an Leistung und nicht nur an Lebensalter und Dienstalter koppelt und die Arbeitszeit flexibler regelt; der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst TVÖD löste den Bundesangestelltentarifvertrag BAT ab. Eine lineare Gehaltserhöhung bringt absolut mehr Geld für die besser Verdienenden, soziale Komponenten wie Sockelbetrag oder Einmalzahlungen können dem entgegenwirken; auch das eine häufige Forderung der Gewerkschaften. Die deutsche Einheit brachte auch die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst in Schwierigkeiten, das Land Berlin wurde sogar 1994 aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ausgeschlossen, weil es eigene Wege im Tarifrecht für seine Beschäftigten beschritten hatte; nämlich eine gesetzliche Regelung für die Einkommen der Beschäftigten im Ostteil der Stadt, die an das Niveau der Westbeschäftigten angeglichen wurden.

    Seit Beginn dieses Jahres ist Berlin wieder in der TdL; bis das Tarifrecht mit dem in den anderen identisch ist, dauert es aber noch: bis zum Jahr 2017. Im Bund und den Kommunen wurden zum 1. Januar 2010 alle Entgelte Ost auf 100 Prozent des Westniveaus angepasst.
    Krankenschwestern und Straßenwärter, Lehrerinnen und Polizisten, Justizvollzugsbedienstete und Steuerfahnder, Mitarbeiterinnen der Verwaltungen und Behörden - die Spanne der Beschäftigten ist weit und ebenso kompliziert die Einzelfragen in den Tarifverhandlungen.

    Momentan (wie schon vor zwei Jahren) geht es neben einer Lohnerhöhung vor allem um die Lehrer, die eine gemeinsame Regelung fordern, wie sie in den Ländern eingruppiert werden. Von Bundesland zu Bundesland ist das aus Gewerkschaftssicht 'nach Gutsherrenart' geregelt, die Unterschiede betragen bis zu drei Besoldungsstufen.

    Elf Prozent mehr Geld 1974, Nullmonate in den 90er-Jahren, die Schere zwischen der Bezahlung in der Privatwirtschaft und dem Öffentlichen Dienst öffnet sich. In den vergangenen zwölf Jahren verlief die Tarifentwicklung im Öffentlichen Dienst deutlich langsamer als in anderen Branchen. Die Gewerkschaft Ver.di rechnet: Abstand zur Metallindustrie 7,5 Prozent, zur chemischen Industrie sogar 9,4 Prozent.