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Schulz als SPD-Parteichef wiedergewählt
"Eher ein Übergangskandidat"

Nach dem Turbulenzen der letzten Bundestagswahl: Auf dem SPD-Parteitag wurde Martin Schulz mit über 80 Prozent als Parteichef wiedergewählt. "Ein Zeichen des Respekts", sagte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Dlf. Doch für mögliche Neuwahlen hält er Schulz für den falschen Kandidaten.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Schulz zeigt das Victory-Zeichen nach seiner Wiederwahl.
    Mit 81,9 Prozent bleibt er Parteichef: Martin Schulz (dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Martin Zagatta: Mit mehr als 80 Prozent der Stimmen ist Martin Schulz als SPD-Chef bestätigt worden. Das ist ja ein ganz gutes Ergebnis für jemanden, der die SPD zum schwächsten Ergebnis, zum schwächsten Wahlergebnis der Nachkriegszeit geführt hat und der ihr jetzt diese Kehrtwende beschert hat hin zu Gesprächen über die so ungeliebte Neuauflage der Großen Koalition. Deshalb die Frage an den Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann, wie er sich dieses gute Ergebnis für Martin Schulz erklärt.
    Ulrich von Alemann: Ich glaube, das ist ein Zeichen von Respekt. Respekt für Schulz, wie er sich gerade heute - und zwar sowohl bei seiner großen Anfangsrede als auch am Ende; noch kurz vor seiner Wahl hat er noch mal an die Delegierten appelliert, jetzt doch aus dieser großen und kontroversen Debatte die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich glaube, es ist Respekt der Delegierten, dass Schulz eine sehr offene, sehr selbstkritische Rede gehalten hat, sich entschuldigt hat bei der Partei, bei den Wählern, bei der ganzen Öffentlichkeit, dass er ein so schlechtes Ergebnis hingelegt hat. Für mich dominiert der Respekt, der von Schulz gegenüber der Partei gezeigt wurde, und damit ist es – oft ist das Wort missbraucht worden – ein durchaus ehrliches Ergebnis.
    50:50 - Kritiker und Befürworter
    Zagatta: Mit großer Mehrheit haben die Delegierten ja auch für die Aufnahme von Gesprächen mit der Union gestimmt. Hatten die überhaupt eine andere Wahl?
    von Alemann: Ja, schon. Sie hätten schon natürlich einen inneren Aufstand erlebt und inszeniert, wenn sie tatsächlich den Parteivorstand hätten im Regen stehen lassen, wie die Jusos das wollten - die haben einen ganz harten Antrag gestellt – und wie heute Nachmittag auch die Debatte war. In der Debatte, wie ich das fand – ich war nicht die ganze Zeit am Fernseher -, wie ich das verfolgt habe, war es fast 50:50 von den Kritikern und den Befürwortern einer Großen Koalition beziehungsweise überhaupt Gespräche zu beginnen. Da hat sich aber wieder gezeigt, das ist oft auf Parteitagen, dass die kritische Minderheit sich sehr viel deutlicher engagiert und sich motivierter Zeit, dann auch wirklich in die Bütt zu steigen und den Kurs, den sie für verhängnisvoll halten, zu kritisieren und zu geißeln. Die Befürworter des Vorstandsbeschlusses haben sich mehr zurückgehalten in der Debatte, haben aber dann am Ende ein überdeutliches Ergebnis erzeugt, das man nicht so genau sehen konnte im Fernsehen. Zwischen 70 und 80 Prozent der Delegierten müssen die Hand gehoben haben zu Gunsten der Vorstandsvorlage.
    Zagatta: Glauben Sie denn jetzt irgendwie an einen Neuanfang der SPD? Oder anders gefragt: Was unterscheidet denn die SPD von heute, von diesem Parteitag, von der, die die Wahl so krachend verloren hat?
    von Alemann: Die SPD hat diese Wahl krachend verloren. Sie hat die letzte Wahl davor auch verloren, allerdings übrigens nicht gegen eine Große Koalition, sondern gegen eine schwarz-gelbe Regierung. Und davor hat sie auch schon einmal verloren, und das war wiederum die damalige Große Koalition. Verloren hat die SPD dreimal, zweimal gegen eine Große Koalition, einmal gegen eine bürgerliche Regierung. Dass sie nur und weil eine Große Koalition herrschte verloren hat, ist überhaupt nicht haltbar, kann man überhaupt nicht so sagen. Aber genau das hat die Linke in der SPD jetzt immer wieder vertreten und vertritt es immer noch, dass es allein an der Großen Koalition gelegen hat. Gerade ein Blick in die europäische Sozialdemokratie zeigt, dass die Sozialdemokratie fast überall verliert. Darüber hat die deutsche SPD noch glimpflich verloren bisher und sich glimpflich gehalten. Es ist einfach nicht alleine die Große Koalition an allem und jedem schuld, was der SPD passiert. Das ist ein Mythos. Deswegen ist es auch durchaus gerechtfertigt, dass die SPD jetzt Gespräche aufnimmt, und zwar offensichtlich mit dem Willen, jetzt eine noch deutlichere Handschrift für eine mögliche Mitregierung einzubauen, als es in der Vergangenheit sowieso schon der Fall gewesen ist.
    Ein Schuss in den Ofen?
    Zagatta: ,Dabei scheint Martin Schulz jetzt auch ganz besonders, so wie es ihm geraten wurde, auf das Thema Europa zu setzen, auf die EU. Er hat heute gefordert, die EU in die Vereinigten Staaten von Europa umzuwandeln, mit neuer Verfassung, und das Ganze schon bis 2025. Wer da nicht mitmachen will, der müsse die EU verlassen, hat er gesagt. Ist das schon wieder so ein Schuss in den Ofen?
    von Alemann: Ja, das ist schon erstaunlich. In der Tat haben viele Martin Schulz, der ja Präsident des Europäischen Parlamentes war, im Wahlkampf vorgeworfen, dass er viel zu wenig über Europa gesprochen hat. Und jetzt macht er genau das Gegenteil und macht eine so starke Formulierung für Europa, ein neuer Verfassungskonvent, eine neue Verfassung Richtung Vereinigte Staaten von Europa, was viele für absolut unwahrscheinlich und problematisch halten. Ich verstehe das auch nicht, ehrlich gesagt, denn das ist unnötig. Ein einfaches Bekenntnis zu den Vorschlägen des französischen Präsidenten Macron wäre schon viel gewesen, aber darüber ist er bei weitem hinausgegangen. Ob das wirklich die neue Richtung ist, die Wähler ihm in Scharen zutreibt und Unterstützer, das kann man bezweifeln.
    Neuwahlen als Katastrophe
    Zagatta: Was schätzen Sie, wie das jetzt mit der SPD weitergeht? Ist die zu einer Neuauflage der Großen Koalition verdammt, weil Neuwahlen wären für die Sozialdemokraten wahrscheinlich eine Katastrophe? Oder ist das falsch?
    von Alemann: Neuwahlen wären wohl sicherlich auch für die SPD eine Katastrophe, aber für die Union, denke ich, nicht minder. Vielleicht würden am meisten die Grünen profitieren von den bisherigen Diskutanten einer Jamaika-Koalition. Ob überhaupt die AfD davon profitieren würde, ist durchaus offen. Das weiß man nicht. Man weiß es in der Tat eigentlich nicht wirklich. Und auch wir Experten sollten uns mit zu großen Prognosen zurückhalten. Wir haben uns auch in der Vergangenheit öfters geirrt, muss man ganz offen zugestehen. Was bei möglichen Neuwahlen wirklich herauskäme, weiß man nicht, und deswegen sind aber auch alle eigentlich vorsichtig. Insbesondere sind alle Fraktionen, alle, die im Bundestag jetzt sitzen, einschließlich AfD, jetzt vorsichtig, von Neuwahlen zu reden, weil kein Abgeordnetensitz sicher ist.
    Zagatta: Dennoch die Frage: Halten Sie es für vorstellbar, dass Martin Schulz noch einmal Kanzlerkandidat wird?
    von Alemann: Das halte ich bisher weiterhin für unwahrscheinlich, auch wenn er jetzt ein ordentliches Ergebnis eingefahren hat und sich jetzt durchsetzt mit seinem Kurs beim Parteitag. Aber falls es doch irgendwann Neuwahlen geben sollte, dann, glaube ich, wäre die SPD gut beraten, hier einen neuen Anlauf zu machen mit einem neuen Spitzenkandidaten oder einer Spitzenkandidatin insbesondere auch. Ich glaube, dass er seine Chance gehabt hat und dass er jetzt doch eher ein Übergangskandidat ist für die nächsten Jahre und nicht unmittelbar wieder die SPD-Spitze repräsentieren wird.
    Zagatta: Sagt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Herr von Alemann, danke schön für das Gespräch.
    von Alemann: Bitte, bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.