Vor knapp 15 Jahren war das um ein Jahr verkürzte Gymnasium (G8) in Bayern an den Start gegangen - ein Schnellschuss. Ein Anlass für die Reform war der damalige späte Berufseinstieg deutscher Akademiker, etwa wegen der Wehrpflicht und vergleichsweise langer Studienzeiten. Doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, Studiengänge gestrafft.
Nun hat die CSU das Ende des umstrittenen Turbo-Abis in Bayern besiegelt - und ist damit nicht allein. Nachdem sich in der Vergangenheit fast alle Bundesländer dem internationalen G8-Standard angeschlossen hatten, gibt es in einigen Ländern inzwischen eine teilweise oder sogar vollständige Rückkehr zum G9 - wobei fast jedes Bundesland sein eigenes Konzept verfolgt.
Der deutsche Flickenteppich
Niedersachsen beispielsweise ist inzwischen wieder komplett beim neunjährigen Abitur. Leistungsstarke Schüler haben aber weiter die Möglichkeit, ein Jahr früher Abi zu machen. So soll es künftig auch in Bayern laufen: Am neuen G9 soll es eine sogenannte Überholspur für Schüler geben, die das Abitur auch weiterhin nach acht Jahren ablegen wollen. Diese sollen zwei Jahre lang Zusatzkurse besuchen und dann die elfte Klasse auslassen dürfen.
Nordrhein-Westfalen bietet aktuell beide Optionen, momentan läuft ein Volksbegehren für eine generelle Rückkehr zum "klassischen Abitur", unter dem Druck protestierender Eltern ist das Thema auch im Wahlkampf gelandet. Im Saarland spielte das Thema im Wahlkampf ebenfalls eine Rolle. Das Bundesland bietet ein Zwei-Säulen-Modell: Am Gymnasium gibt es das Abitur nach 12 Schuljahren, an der Gemeinschaftsschule nach 13 Jahren.
Als einziges West-Bundesland hatte Rheinland-Pfalz G8 nicht flächendeckend als einzige Gymnasialform eingeführt, sondern nur an den Standorten, an denen Schule, Eltern und Schulträger dies wünschten und gemeinsam beantragten. In den ostdeutschen Ländern wird das Abitur in der Regel nach zwölf Schuljahren abgelegt.
Burn-out durch das Turbo-Abi?
Der deutsche Flickenteppich zeigt: Am Turbo-Abitur nach nur zwölf Schuljahren scheiden sich nach wie vor die Geister. Das Turbo-Abi hat einen schlechten Ruf: Pädagogen kritisieren, dass die G8-Reform zu schnell eingeführt wurde. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, nannte im Deutschlandfunk die Einführung des Abis nach acht Jahren deswegen "einen Fehler". Befürworter räumen zwar auch einen mitunter holprigen Start des Turbo-Abis ein, sehen aber weiterhin gute Gründe für die Schulzeitverkürzung - vor allem als Mittel gegen den Fachkräftemangel.
Kinder haben keine Zeit mehr für Hobbys
In einer repräsentativen Umfrage der Landeselternschaft der Gymnasien in Nordhrein-Westfalen sprachen sich allerdings 80 Prozent der Eltern für eine Rückkehr zum G9-Abi aus. Als eines der Hauptargumente der G8-Gegner wird Stress genannt. Die Schüler seien an der Grenze der Belastbarkeit, weil der gleiche Lernstoff in kürzerer Zeit gepaukt werden müsse. Zudem reiche die wenige Freizeit nicht mehr für Hobbys und die Entwicklung der Persönlichkeit aus. Und obendrein sinke das Leistungsniveau, was Probleme an der Uni nach sich ziehe.
Belege dafür gibt es allerdings nicht: G8-Schüler sind nicht besser oder schlechter als G9-Abiturienten, das legt eine Untersuchung der Uni Duisburg-Essen nahe. Die Wissenschaftler hatten sich die Entwicklung eines Doppelabi-Jahrgangs von 2013 genauer angeschaut. Das Ergebnis: Der Verlauf der Bildungs- und Berufswege zwischen G8- und G9-Abiturienten unterscheidet sich kaum. Auch für den Bildungsforscher Olaf Köller spielen strukturelle Unterschiede eine untergeordnete Rolle: "Letztendlich ist es wirklich der Punkt, was wird im Unterricht gemacht, was lernen die Schülerinnen und Schüler, welche Lerngelegenheiten gibt es?", so Köller im Deutschlandfunk.
Programmhinweis: Warum der Bildungsforscher Wilfried Bos die Abkehr vom Turboabitur für falsch hält, erklärt der Wissenschaftler heute Nachmittag in der Sendung Campus & Karriere.