Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat für sein Bundesland den Katastrophenfall ausgerufen - als bislang erstes und einziges Bundesland. Für Armin Schuster, CDU-Bundestagsabgeordnete und Obmann im Innenausschuss, kommen besondere Herausforderungen auf die süddeutschen Länder sowie Länder mit Grenzen wie Nordrhein-Westfalen zu.
Christine Heuer: Der Katastrophenfall nun in Bayern. Sollten das die anderen Bundesländer auch machen?
Armin Schuster: Ich halte viel von dem offensiven Vorgehen von Markus Söder. Nachlassen können wir immer noch. Die Bedrohung ist wirklich stark. Das muss aber jeder Ministerpräsident selbst entscheiden. Ich würde jedenfalls dazu tendieren, stark reinzugehen und wenn es die Lage ermöglicht nachzulassen. Deswegen eher ja.
Heuer: Wieso machen es dann die anderen Bundesländer nicht?
Schuster: Ich glaube, dass die süddeutschen Länder hier sowieso eine besondere Herausforderung haben, oder sagen wir mal die Länder mit Grenzen wie Nordrhein-Westfalen. Eigentlich leisten wir hier auch schon einen Dienst für den Rest von Deutschland, denn dass gerade auch den Hochrisikogebieten bei uns im Elsass, in Italien, aus den Alpenregionen der Virus in der Hauptsache zu uns Zugang gefunden hat, das erfordert auch, dass Baden-Württemberg – das tun wir ja auch, der Innenminister hat das ja gestern kraftvoll gemacht, mit den Grenzen. Das macht Markus Söder. Ich glaube, das ist wichtig – Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen. Wir haben da eine besondere Verantwortung. Ein bisschen durchatmen können die Brandenburger und Berliner noch und wir sind die, die bremsen können, gerade durch solche Maßnahmen.
"Wir im Süden müssen voranschreiten"
Heuer: Sie sind die Vorreiter im Süden und im Westen der Republik?
Schuster: So empfinde ich es jedenfalls. Und wenn man den Zustrom sieht, das Virus, dann sind, glaube ich, schon wir im Süden die, die jetzt voranschreiten müssen.
Heuer: Das gilt dann sicher auch für den Flugverkehr. Baden-Württemberg hat heute beschlossen, den einzustellen. Auch da wieder wieso nur ein Bundesland. Was soll das bringen? Wieso nicht alle?
Schuster: Wir dürfen jetzt nicht andauernd kritisieren, dass wir Föderalismus haben. Das kann man übrigens auch positiv sehen, weil wir maßgeschneidert auf die Situationen reagieren. Ich muss jetzt nicht unbedingt in einem Bundesland schon zu den härtesten Mitteln greifen, wo nun wirklich die Lage noch nicht dramatisch ist.
Heuer: Entschuldigung! Aber in Frankfurt kommen nun deutlich mehr Passagiere an als zum Beispiel in Stuttgart.
Schuster: Ja! Ich gehe stark davon aus, dass die Hessen genau das auch diskutieren in ihren Krisenstäben. Mir spräche das aus dem Herzen – das können Sie sich vorstellen, angesichts meines Lebenslaufs -, wenn wir hier stärker zentral koordinieren könnten im Bund.
Heuer: Sie waren Polizist.
Schuster: Ist aber nicht so! Und ich muss mal ganz offen sagen: Ich gehöre zu denen, die gerne politisch diskutieren in ruhigen Zeiten, dass der Bund mehr Kompetenz braucht für Krisensituationen. Das wird dann meistens barsch zurückgewiesen. Dann müssen wir jetzt aber auch mit dem umgehen, was alle vorher wollten.
"Jetzt muss an einem Strang gezogen werden"
Heuer: Kann denn der Bund für ganz Deutschland beschließen, den Flugverkehr einzustellen, oder geht das gar nicht?
Schuster: Das, meine ich, könnte er. Das würde aber, vermute ich, zu Konflikten führen mit den Ländern, die wir jetzt nicht brauchen. Ich bin nun wirklich ein bisschen krisenerfahren aus meinem ehemaligen Beruf, und da gilt immer eins: Jetzt bitte nicht streiten, jetzt bitte nicht diskutieren, jetzt muss an einem Strang gezogen werden, und schon gar nicht über andere reden. Das kann ich nur dringend empfehlen und das läuft zurzeit wirklich gut.
Heuer: Dann kommt aber in Kürze doch das bundesweite Verbot. Damit rechnen Sie, wenn ich Sie richtig verstehe?
Schuster: Nein, damit rechne ich nicht, weil ich nicht in den Krisenstäben sitze und das nicht jetzt prophezeien will. Dazu bin ich zu weit weg. Aber das ist ein Szenario, mit dem ich persönlich plane. Ich bin der Abgeordnete mit der weitesten Anreise nach Berlin und ich gucke jetzt schon, wie komme ich eigentlich zurück. Und ich sage Ihnen ganz offen: In meinem Szenario spielt das schon eine Rolle, dass demnächst der Flugverkehr nicht mehr stattfinden wird. Ich bin noch am Freitag in einer ziemlich voll besetzten Maschine gesessen. Das hätten die Gesundheitsämter andernorts gar nicht mehr erlaubt. Das sind ja 150 Menschen auf engstem Raum.
Heuer: Jetzt erleben wir die Grenzschließungen akut zur Schweiz, zu Österreich, zu Frankreich, Dänemark und Luxemburg. Ich habe bei Ihnen jetzt schon gehört, Sie finden das eigentlich gut, dass das passiert, oder nötig finden Sie es jedenfalls. Aber die Frage ist ja: Kann Deutschland sich abschotten vor einem Virus, der Grenzen ja gar nicht kennt?
Schuster: Deswegen wehre ich mich schon seit fünf Tagen ganz heftig gegen den Begriff Grenzschließung, weil er einfach nicht stimmt. Was wir jetzt tun - ich wohne hier im Dreiländereck. Ich bin heute Morgen extra die ganzen Übergänge abgefahren, habe mir das live angeschaut -, das ist genau das, was ich wollte: Intensive Grenzkontrollen, kleine Grenzübergänge geschlossen, große sind noch offen, da müssen alle drüber und dort kommst Du nur noch drüber, wenn Du einen sehr triftigen Grund hast, den musst Du auch vorweisen. Wenn nicht, wird zurückgewiesen, und das können Sie auch live beobachten. Das Wichtigste, Frau Heuer, an dieser Maßnahme ist – das habe ich gerade eben gesehen an etwa zehn Grenzübergängen – kaum Stau, weil es kaum noch jemand probiert. Es geht nicht nur um das Virus. Es geht auch darum, wenn Herr Macron das öffentliche Leben in Frankreich runterfährt, dann müssen wir irgendwie Gleichschritt halten auch in Deutschland. Das war jetzt über Tage nicht mehr der Fall gewesen und das schaffen Deutsche allein gar nicht mehr, und das geht nicht. Diesen Gleichschritt musste man halten.
"Druck im Dreiländereck ist sehr groß gewesen"
Heuer: Aber die Deutschen hamstern auch. Das müssen wir jetzt der Fairness halber erwähnen, Herr Schuster, oder?
Schuster: Ja, natürlich! Aber hier ist der Druck aus der Schweiz und Frankreich ins Dreiländereck sehr, sehr groß gewesen und das reguliert sich jetzt. Insofern ist es auch keine Abschottung. Was mir nicht gefallen hat, sind auch die vielen Alleingänge vieler Länder. Die hätte man natürlich verhindern können, wenn die Europäische Kommission schneller einen gemeinsamen Aktionsplan hinbekommen hätte. Wir konnten einfach nicht mehr warten.
Heuer: Das ist interessant. Zeigen die Grenzschließungen und die Alleingänge, die Sie beklagen, wenn es hart auf hart kommt, dann ist die EU einfach nicht viel wert?
Schuster: Na ja, ich will nicht allzu stark mit dem Finger auf die EU zeigen. Wir haben am Anfang des Gespräches ja darüber gesprochen, wie das in einem föderalen Deutschland ist. Aber eins lehrt diese Krise (übrigens nicht zum ersten Mal; ich hoffe, dieses Mal wirkt es), dass wir gerade in föderalen Strukturen für Notsituationen auf stärker zentrale Führung vorbereitet sein müssen. Das war bisher nicht möglich und ich hoffe, dass wir das daraus lernen. Es liegt ja wahrscheinlich nicht daran, dass die Kommission zu langsam ist. Es liegt vielleicht auch daran, dass sich alle 27 einigen müssten, oder damit zurechtkommen, dass die Kommission sagt, wo es langgeht, genauso wie ja auch Deutschland entscheiden könnte, dass im Bund stärker die Zügel in der Hand gehalten werden. Frau Merkel und Herr Spahn tun das jetzt. Gott sei Dank gibt es den Zusammenhalt und keiner guckt mehr auf Parteiinteressen. Insofern klappt es, aber ich würde mir schon wünschen, dass wir mehr zentrale Koordinierung nur für solche Fälle künftig vorbereiten.
"Auf zentralere Koordination setzen"
Heuer: Aber wenn die Kommission entscheiden würde, dann könnten Frau Merkel und Herr Spahn den Job nicht so machen, wie sie ihn gerade machen, und Sie loben das ja, Herr Schuster.
Schuster: Ja, das ist immer das Problem, wenn zentral geführt wird. Dann muss man sich entscheiden. Aber eins geht nicht: Ich kann mich nicht einerseits beklagen, dass es unterschiedliche Vorgehensweisen gibt, und andererseits zentrale Führung nicht mögen. Einen Tod muss man da sterben, und das ist, glaube ich, eine Frage der Lebens- und Berufserfahrung. Ich würde in Zeiten, wo man auch von Katastrophen spricht, auf zentralere Koordination setzen. Und dass Herr Spahn, jetzt mal nur für Deutschland gesprochen, und Frau Merkel das wunderbar können, das beweisen sie ja gerade.
Heuer: Wir haben jetzt über Grenzschließungen, Flugbetriebe, die eingestellt werden, und so weiter gesprochen. Was auch noch kommen kann sind Geschäftsschließungen, wie in Bayern schon von allem, was nicht zwingend notwendig ist zum Überleben, und auch so etwas wie Ausgehverbote für die ganz normalen Menschen. Wann, glauben Sie, kommt das in Deutschland, Herr Schuster, oder kommen wir daran noch vorbei?
Schuster: Ich glaube nicht, dass wir daran vorbei kommen. Wir können es nur noch deutlich hinauszögern, wenn wir uns wirklich alle diszipliniert verhalten. Ich sage es auch etwas drastischer: Es ist nicht die Zeit, den Helden zu spielen oder die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich beobachte es zumindest noch. Ich beobachte schon immer noch, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die das, glaube ich, nicht so ernst nehmen, wenn ich sehe, wie sie ihr Alltagsgebaren nicht verändern. Das wird sehr sorgfältig beobachtet von Bürgermeistern, Landräten, die da verantwortlich sind. Wir können das forcieren, indem wir die Verhaltenstipps nicht einhalten.
Heuer: Muss es da auch Strafe geben, wenn jemand zum Beispiel Corona-Partys feiert?
Schuster: Nein, ich rede jetzt nicht von Strafen. Das ist schlicht Gefahrenabwehr. Wenn ein Polizeirevier von so etwas erfährt, dann muss man dahin und das beenden. Aber es ist nicht die Zeit, über Strafen zu sprechen oder gar über Gesetze und Verschärfungen, aber das ist jetzt die Aufgabe der Polizei, hier auch gefahrenabwehrend tätig zu werden. Manchmal muss man auch gefahrenabwehrend tätig werden, wenn wirklich zu viel Dummheit am Werk ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.