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Schutz der Bevölkerung oder sinnlose Panikmache?

Medizin.- Im Europarat wurde heute Morgen über den Umgang mit der Schweinegrippe diskutiert. Gerüchte stehen im Raum, nach denen die Pharmaindustrie die Entscheidungen der Weltgesundheitsorganisation zur Bekämpfung der Krankheit beeinflusst haben soll. Der Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide berichtet im Gespräch mit Michael Böddeker.

    Böddeker: Weltweite Panikmache, Hysterie, eine Verschwörung der Pharmafirmen: so wird in manchen Internetforen über die Impfung gegen die sogenannte Schweinegrippe geschrieben. Heute hat sich auch der Europarat in Straßburg mit dem Thema befasst. Und dort sah sich die Weltgesundheitsorganisation WHO gleich mehreren Vorwürfen ausgesetzt. Die Pharmaindustrie soll die Entscheidungen der WHO in Sachen Schweinegrippe beeinflusst haben. Und die Definition dafür, was eine Pandemie ist, wurde im vergangenen Jahr geändert, nur deshalb sei dann auch die vergleichsweise harmlose Schweinegrippe zur weltweiten Bedrohung hochgespielt worden, so die Kritiker. Mein Kollege Martin Winkelheide hat sich die Anhörung im Europarat angesehen. Herr Winkelheide, zunächst mal zu dem Punkt, ob die Impfaktionen und die Ausrufung der höchsten Pandemiestufe angebracht waren. Wie wurden denn diese Kriterien für die Pandemien im vergangen Jahr geändert?

    Winkelheide: Wichtigstes Kriterium für die Ausrufung der Pandemiestufe sechs, also der höchsten Pandemiestufe, war, wie weit das Virus verbreitet war, also ob sich das Virus in zwei verschiedenen Weltgesundheitsorganisationsregionen, also Europa und Amerika zum Beispiel, sich unabhängig voneinander ausbreitet und das mit einer großen Geschwindigkeit, das war das wichtigste Kriterium, das war erfüllt. Und die Weltgesundheitsorganisation hat darauf dann im Juni 2009 die Pandemiestufe sechs ausgerufen.

    Böddeker: Das heißt, es kommt eigentlich nur auf die Verbreitung an und nicht darauf, wie schwer diese Erkrankung nun ist?

    Winkelheide: Das war das Hauptkriterium, genau. Und das ist auch der Kritikpunkt jetzt rückwirkend. Dass auch einige im Mai schon gesagt haben, man kann die Verbreitung nicht einzig und allein als Kriterium nehmen, sondern man muss gucken, wie gefährlich ist das Virus tatsächlich. Wie viele Menschenleben fordert es? Und dass das ein genauso wichtiges Kriterium ist. Nun sind die Kriterien, wann eine Pandemiestufe ausgerufen werden kann, mehrfach revidiert worden. Die Weltgesundheitsorganisation arbeitet seit Ende der 90er-Jahre, im Prinzip mit Auftreten der Vogelgrippe, an Pandemieplänen weltweit. Sie sind gedacht als Handreichung für die einzelnen Staaten, dass sie nach genauen Kriterien und koordiniert Aktionen ergreifen können. Und sie sollen eben einfach sein. Und das war der Grund, warum man das Verbreitungskriterium so nach vorne geschoben hat, sagte Keji Fukuda von der Weltgesundheitsorganisation in Genf.

    Böddeker: Ein weiterer Vorwurf ist die Einflussnahme von Seiten der Pharmaindustrie. Was genau werfen die Kritiker dort der WHO vor?

    Winkelheide: Der Hauptvorwurf ist eigentlich, dass die Weltgesundheitsorganisation eben Berater hat, die auch pharmanah sind. Und das ist nun im Einzelfall sehr schwierig nachzuweisen. Und tatsächlich ist es so, dass es ganz viele Virologen gibt, die auch gleichzeitig entweder finanziert werden in ihrer Forschung von der Pharmaindustrie, die teilweise für die Pharmaindustrie beratend tätig sind und die eben nicht vollkommen unabhängig sind. Das ist aber ein Systemproblem, denn es gibt kaum einen Universitätsprofessor, der ohne Drittmittel arbeiten kann. Also wenn man sagen will, man müsste vollkommen unabhängig sein von Pharmainteressen und Pharmaeinflussnahmen, dann müsste man auch sagen, die Weltgesundheitsorganisation muss eigene Forschung betreiben und sie muss auch finanziell so ausgestattet sein, dass sie konkurrenzfähig ist.

    Böddeker: Also hat die WHO da auch eingeräumt, dass es Interessenskonflikte möglicherweise geben könnte?

    Winkelheide: Da hat der Vertreter der Weltgesundheitsorganisation sehr vage geantwortet und auch nur nach mehrfachem Nachfragen dann tatsächlich zugegeben, dass es einzelne Berater geben könnte, die möglicherweise Interessenskonflikte verschwiegen haben. Aber er ist da nicht sehr konkret geworden.

    Böddeker: Ein weiterer Vorwurf ist die Nebenwirkung der Impfstoffe. Was wurde dazu gesagt.

    Winkelheide: Da waren zumindest die Vertreter der WHO und der Pharmaindustrie, also der Impfstoffhersteller, sich sehr einig und haben gesagt: Der Nutzen überwiegt tatsächlich die Risiken.

    Boeddeker: Wie soll es denn nun weitergehen? Was wünschen sich die Kritiker, wie weiter aufgeklärt werden soll?

    Winkelheide: Also Ulrich Kahl von der Universität Münster sagte ganz klar, es müssen Prioritäten verschoben werden, weg von Infektionskrankheiten, hin zu den Krankheiten, die wirklich viele Menschenleben fordern, also Krebserkrankungen, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes. Und das andere ist, dass mehr Transparenz her muss, denn es sind ja im Vorfeld von den Staaten auch Verträge geschlossen worden mit den Pharmaunternehmen. Und diese sind bis heute nicht offengelegt worden. Das heißt, eigentlich weiß heute keiner genau: Wie viel haben die Pharmafirmen selber hineingesteckt in die Entwicklung von Impfstoffen und wie viel haben sie heraus bekommen? Und wenn da nicht Transparenz hergestellt wird, wird immer das Gerücht im Raum stehenbleiben, dass man da Druck ausgeübt hat auf die Weltgesundheitsorganisation, um schneller eine Impfkampagne durchzudrücken.

    Boeddeker: Vielen Dank. Das war Martin Winkelheide über die Anhörung im Europarat. Dort wurde heute Morgen über den Umgang mit der Schweinegrippe diskutiert.