"Ich bin ein Flüchtling in meinem eigenen Haus geworden", klagt Othman. Angefangen hat alles im vergangenen Sommer mit einem Schreiben der israelischen Regierung.
In den Unterlagen stand etwas von einem Befehl zur Übernahme von Grundstücken. Das betraf fast 50 Hektar Land, auf denen 5000 Olivenbäume stehen. Wir haben diese Unterlagen einen Tag vor Beginn der Olivenernte bekommen, das war Ende August. Da hatten wir in Tulkarem gerade 30 Tage Ausgangssperre, das hat es für uns schwierig gemacht, Widerspruch einzulegen. Wir haben zwar einen Rechtsanwalt damit beauftragt; aber auch das war schwierig: Wegen der Ausgangssperre konnten wir nur mit ihm telefonieren. Er hat uns dann gesagt, dass der Grund für die Übernahme des Grundstückes die Sicherheit des Staates Israel sei.
Bereits eine Woche nach Eingang des Schreibens kamen die Bulldozer und begannen mit den Arbeiten an dem Projekt, das in Israel "Trennungszaun" genannt wird: ein meist 70 bis 100 Meter breites Sperrgebiet, bestehend aus verschiedenen Stacheldrahtwällen, elektrisch geladenem Hauptzaun mit Kameras und mehreren Wegen, auf denen die Armee patrouillieren kann.
Ortswechsel: Abu Dis, ein Vorort von Ost-Jerusalem. In Abu Dis ist ein Abschnitt des Zaun-Projektes - hier in Form einer Mauer - schon fertiggestellt. Carol Glas, Sarah und Rachel Landau streiten mit einem Soldaten, der eine Gruppe von Palästinensern nicht durch das Eisentor in der Mauer lassen will. Die beiden Israelinnen und die Amerikanerin gehören zu machsóm watch, einer Gruppe von Frauen, die die Arbeit der Soldaten an den Checkpoints überwacht. Die Mauer, die in Abu Dis mitten durch den Ort verläuft, soll die Palästinenser aus der Westbank daran hindern, unkontrolliert Jerusalem zu betreten. Durchgelassen wird nur, wer sich ausweisen kann, und auch das, so Rachel Landau, nicht immer.
Manchmal lassen sie sie durch, manchmal nicht und manchmal ist auch gar kein Soldat da – es ist ein Katz und Maus-Spiel. Die Palästinenser können nie entspannt sein. Und das Absurde ist: Wenn die Leute hier nicht durchkommen, können sie sich woanders immer noch reinschleichen. Ich meine, die Leute müssen was essen, es ist eine Frage des Überlebens, die sie nach Jerusalem treibt.
In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Palästinenser in der Westbank drastisch verschlechtert. So hoffen viele, wenigstens in Jerusalem eine Arbeit zu finden, mit der sie ihre Familie über Wasser halten können. Während sie Zaun und Mauer vor allem als Schikane empfinden, steht für die Israelis etwas anderes im Vordergrund: die Sicherheit. Shimon Stein, Botschafter Israels in Deutschland:
Die Entscheidung über den Zaun geht zurück auf eine traurige Feststellung, dass die Palästinenser nicht in der Lage sind, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen, und deshalb müssen wir für unsere Sicherheit leider viel mehr tun, als wir es hofften, hätten wir auf der anderen Seite auch Unterstützung gegen den Terror.
Die Idee eines Zaunes oder einer Mauer als Maßnahme gegen Selbstmordattentäter aus den palästinensischen Gebieten wird in Israel seit vielen Jahren diskutiert. Im Gaza-Streifen ist ein solcher Zaun schon Realität und - aus israelischer Sicht - ein Erfolg: Seit er gebaut wurde, ist es kaum einem Attentäter gelungen, den Gaza-Streifen zu verlassen. Die Befürworter eines Zaunes auch im Westjordanland, in der Westbank, stammten ursprünglich vor allem aus dem Lager der Arbeitspartei, die mit einem Zaun entlang der Grünen Grenze die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung verbindet. Aus dem gleichen Grund stieß der Plan bei vielen Siedlern auf Kritik. Sie befürchteten, dass der Zaun einen Verzicht auf das Westjordanland bedeuten könnte. Doch seit Beginn der zweiten Intifada im Herbst 2000 hat die Zahl der Anschläge dramatisch zugenommen. In diesem politischen Klima kippte die Stimmung: Und so beschloß die Regierung im Juni vergangenen Jahres den Bau einer Trennungsanlage in der Westbank. Nicht ob, sondern wo genau der Zaun gebaut werden soll, ist seitdem die Frage:
Man muss sich entscheiden, wo der Zaun verlaufen soll. An manchen Stellen stimmt er mehr oder weniger mit der Grünen Grenze überein, also der Waffenstillstandslinie von 1949, in anderen Bereichen dagegen geht er in die Westbank hinein, und da fängt das Problem an: Um den Sicherheits- oder Trennungszaun zu bauen, wird arabisches Land beschlagnahmt. Wenn man einmal anfängt, den Zaun so zu bauen, dass Siedlungen auf der israelischen Seite liegen, muss man arabisches Land beschlagnahmen. Und das ist ein grundlegendes Problem.
Arnon Golán ist Professor für Geographie an der Universität in Haifa. Sein Schwerpunkt ist die Geschichte der Sharon-Ebene zwischen Tel Aviv und Haifa und des östlich davon gelegenen Berglandes von Samaria. Dazwischen verläuft die Grüne Grenze. Seit Generationen, so Golan, haben Juden und Araber in dieser Gegend meist friedlich zusammengelebt – beide Seiten haben wirtschaftlich voneinander profitiert. Am Wochenende drängten sich kaufwütige Israelis in den Straßen der palästinensischen Dörfer, weil die Preise auf der anderen Seite der Grünen Grenze viel niedriger waren.
Das war die Situation bis Oktober 2000, doch mit Beginn der Intifada hörte alles schlagartig auf. Bis heute traut sich kein Israeli, die Grüne Grenze zu überqueren und in arabischen Dörfern einzukaufen. Dazu kommen die Ausgangs- und Straßensperren, die beeinträchtigen die ökonomische Situation in den arabischen Dörfern ja noch einmal zusätzlich. Seitdem ist die Region praktisch wieder getrennt.
Seit einigen Monaten ist diese Trennung auch nicht mehr zu übersehen: Mitten durch die Region verläuft der Zaun. Das erste Teilstück hat eine Länge von rund 130 Kilometern: von Umm El Fahm im Norden bis südlich von Kalkilya. Aus Rücksicht auf die israelischen Siedlungen und die Siedlerstraßen verläuft der Zaun in zahlreichen Kurven, einige palästinensische Dörfer sind dadurch fast vollkommen von ihrer Umgebung abgeschnitten. Die palästinensische Autonomiestadt Kalkilya ist durch eine zusätzliche Absperrung rund um die ganze Stadt zur Enklave geworden. Der Geograph Arnon Golan ist über das Für und Wider gespalten:
Als Israeli möchte ich einerseits, dass meine Familie in Sicherheit lebt. Ich habe Kinder, Verwandte, Freunde, und ich will nicht, dass sie Opfer eines Terroranschlages werden. Andererseits sehne ich mich nach Frieden, und ich befürchte, dass uns so ein Zaun kurzfristig vielleicht mehr Sicherheit verschafft – aber dass langfristig das Misstrauen zwischen Israelis und Palästinensern und die Bereitschaft zum Krieg zunehmen werden. Es gibt ein militärisches Sprichwort: Kein Zaun kann denjenigen stoppen, der den Zaun überwinden will. Er wird einen Weg finden, um durchzukommen.
In der palästinensischen Ortschaft Baka El Sharkíya werden Tankwagen mit Wasser beladen, das hier aus dem Boden gepumpt wird. Wasser, das für die Landwirtschaft in der Westbank unverzichtbar ist. Allerdings haben die Israelis den Zaun so gebaut, daß Baka El Sharkiya nun auf ihrer Seite liegt. Durch eine Lücke kommen die palästinensischen Lastwagen zur Zeit zwar noch ohne Probleme an die Wasser-Stationen heran. Aber wie lange noch? fragt Agrar-Experte Fayez Al Tarib. Es sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Lücke im Zaun geschlossen werde:
Die Israelis werden die Kontrolle der Wasserquellen übernehmen und damit unsere Wirtschaft zerstören. Außerdem geht mit dm Zaun ein Riss durch das palästinensische Volk: auf der einen Seite die Palästinenser in der Westbank, auf der anderen Seite die israelischen Araber. Manchmal geht so eine Trennung mitten durch die Familie: der eine lebt hier, der andere auf der anderen Seite der Grünen Grenze. Und darunter leiden wir.
Dann nimmt Al Tarib die Karte und zeichnet eine Linie ein - zwischen Baka El Sharkiya und der Grünen Grenze. "Hier werden sie einen weiteren Zaun bauen", sagt er. Dann sind wir vollkommen eingesperrt – oder wir verschwinden." Und die Sicherheit der Israelis? Jamal Othman, dessen Olivenhaine rund zehn Kilometer weiter südlich liegen, schüttelt nur den Kopf:
Wenn man zwei Parteien trennt, dann verschärft man doch den Konflikt zwischen ihnen. Um Frieden zu schaffen, müssen sich die beiden Parteien näher kommen, damit sie den anderen und seine Probleme kennen lernen. Wir haben 30 Jahre lang in Frieden mit den Israelis gelebt - trotz der Besatzung. Wieso will Israel jetzt eine Apartheid zwischen beiden Parteien schaffen? Wenn sie überhaupt eine gerechte Trennung wollen, dann müssen sie die Grenzen von 1967 respektieren. Das sind die internationalen Grenzen. Aber Israel versucht, uns Land, Wasser, Gemüse und Olivenbäume wegzunehmen. Obwohl sie wissen, dass 70% der Palästinenser von den Olivenbäumen leben. Deswegen bringt diese Mauer auch keine Sicherheit für die Israelis.
Shimon Stein ist auf diese Form der Kritik nicht gut zu sprechen:
Wir hätten ja nie auf den Gedanken gekommen vor zehn Jahren, einen Zaun aufzurichten. Das folgt einfach aus einer traurigen Bilanz, und die Israelis erwarten einfach, dass die Regierung alles in ihrer Macht tun wird, um das Leben zu schützen. 810 Israelis haben in den letzten 34 Monaten ihr Leben verloren, vergleichen Sie das mit Enteignung von Land oder dass das Land nicht weiter bebaut wird. Das Land wird unter Umständen in paar Jahren in Folge einer politischen Regelung an ihre Besitzer zurückgegeben werden. Das Leben von 810 Israelis wird ja nie wieder zurückgegeben werden. Insofern man muss auch die Proporze im Augen sehen.
Genau an dieser Frage, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, setzt die Kritik der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem an: Yehezkel Lein hat für Betselem die Auswirkungen des Trennungszaunes in den besetzten Gebieten untersucht. Schon von dem in diesen Tagen fertiggestellten ersten Abschnitt, so sein Ergebnis, sind mehr als 200 000 Palästinenser direkt betroffen: Sie können Schulen oder Krankenhäuser kaum noch erreichen, der Zugang zum eigenen Acker-Land bleibt ihnen oft verwehrt – für viele eine wirtschaftliche Katastrophe. Das langfristige Problem, so Lein, seien allerdings die politischen Konsequenzen. Er verweist auf die Erfahrung aus dem Siedlungsprojekt:
Als in den 70er Jahren Land für den Bau der Siedlungen beschlagnahmt wurde, wurde das auch mit der militärischen Notwendigkeit begründet, dort die Armee zu stationieren. Es war von Anfang an klar, dass diese Siedlungen von Dauer sein sollten und dass durch sie Tatsachen geschaffen werden sollen. Ich glaube, beim Bau des Zaunes wird eine ähnliche Methode angewandt. Die Leute im Verteidigungsministerium und im Büro des Premierministers denken ernsthaft über die zukünftigen Grenzen Israels und des Palästinenserstaates nach – und sie sprechen auch ganz offen darüber, einige oder die meisten Siedlungen zu annektieren. Sie schaffen also wieder Tatsachen, und in den zukünftigen Verhandlungen wird es sehr schwierig sein, daran etwas zu ändern. Sie werden sagen: Wir haben doch eine Grenze, die Palästinenser und Israelis trennt.
Wir sehen das anders als Betselem. Es ist eine Organisation, ich habe großes Respekt für ihre Arbeit, aber sie spiegeln wider die überwältigende Mehrheit der Israelis? Dann sagt Betselem, was sie sagt: so what? Ich habe schon gesagt, die Entscheidung über den Zaun soll man aus Sicherheitsgründen sehen und nicht als eine Art fait accompli. Und so wollen wir hoffen, dass dieses kleinere Übel morgen, wenn wir ein Abkommen mit den Palästinensern unterzeichnen, wo unter anderem auch die Fragen der Grenzen geregelt wird, dass die Notwendigkeit, die für uns heute so wichtig ist, wird auch dann nicht mehr geben. Und diese Mauer, dieser Zaun, wo immer er verlaufen wird, wird auch dann abgebaut.
Offizielle Angaben über den Zaunverlauf gibt es nicht – Botschafter wie Geographieprofessor müssen passen. Dennoch hat die auflagenstärkste israelische Tageszeitung – Yediot Ahronot – vor zwei Monaten eine Karte des gesamten Zaunsystems veröffentlicht, mit den Kategorien: geplant, beschlossen, im Bau. Gesamtlänge: gut 650 Kilometer. Gesamtkosten: Weit über eine Milliarde Dollar. Wird der Zaun tatsächlich genau so gebaut, bestätigen sich die Befürchtungen der Kritiker. Dann werden die meisten jüdischen Siedlungen an Israel angeschlossen, im Osten der Westbank bleibt ein 20-Kilometer breiter Streifen – das Jordantal – fast vollständig unter israelischer Kontrolle. "Wer behauptet, der Zaun sei keine politische Grenze, weiß nicht, wovon er spricht", zitiert Yediot Ahronot den Vorsitzenden des regionalen Siedlerrates aus dem Jordantal. Und der Bürgermeister von Ariel, einer der größten Siedlungen mitten in der Westbank, äußert sich verwundert: "Die Karte mit dem Zaun ist doch nicht neu. Ariel Sharon hat sie bei jedem seiner Besuche hier dabeigehabt – seit 1978." Ariel Sharon ist einer der Väter des Siedlungsprojektes. Der Trennungszaun steht in dieser Tradition, sagt Gadi Algazi, Historiker an der Universität von Tel Aviv:
Wenn man alle Projekte zusammen sieht, begreift man erstens, es handelt sich um die praktische Annektion von um 40 bis 50 Prozent der Westbank, und das ist genau, was Scharon im Moment auch den Palästinensern verspricht, wenn er von einem Palästinenserstaat spricht: 40% der 23% von Palästina. Wenn man diese 40% einen Staat nennen würde, ist das eher ein Witz. Zweitens: Es geht nicht nur um die Prozentzahl. Was eigentlich entsteht, ist die Zersplitterung der Westbank in kleine oder mittlere, größere Enklaven, alle voneinander getrennt, wo Palästinenser in kleinen oder größeren Käfigen leben sollen, mit israelischer Kontrolle aller Zugangswege. Das ist das Ende vom Palästinenserstaat.
Der israelische Botschafter widerspricht dieser Schlussfolgerung:
Wer sagt etwas über den Ablauf der zukünftigen Grenzen zwischen Israel und einem möglichen palästinensischen Staat. Die UNO-Resolution 242, die ja die Basis für die Friedensverhandlungen sein wird, spricht ja eben nicht von einem Rückzug aus allen Gebieten. Diese Resolution spricht von Rückzug aus Gebieten zu anerkannten und gesicherten Grenzen. Über den Ablauf dieser Grenzen wollen wir, werden wir mit unseren palästinensischen Partnern auch sprechen.
Die Aussage des Botschafters wirft grundsätzliche Fragen auf: ist Israel zu einer Räumung der meisten Siedlungen in der Westbank überhaupt bereit? Und wenn nicht: Was bedeutet das für einen zukünftigen Palästinenserstaat? Yehezkel Lein von Betselem:
Man kann jedes Stück Land nehmen und es einen Staat nennen. Aber die Frage ist doch, ob er politisch und wirtschaftlich lebensfähig ist. Und wenn das Zaunprojekt weitergeht, dann ist das Ziel offensichtlich, verschiedene Enklaven zu schaffen, die der Idee einer Zwei-Staaten-Lösung fundamental widersprechen. Leider wird dieses Problem im Text der Roadmap überhaupt nicht erwähnt, und es scheint, als ob alle Seiten dieses Riesenprojekt ignorieren.
In den letzten Tagen hat sich das geändert. Die Mauer verhindere die Vertrauensbildung zwischen Palästinensern und Israelis, kritisierte der amerikanische Präsident nach dem Besuch des palästinensischen Ministerpräsidenten Abbas. Die Forderung nach einem Baustopp hat der israelische Ministerpräsident Sharon bei seinem Besuch in Washington jedoch zurückgewiesen. Und über den Verlauf des Zaunes, so Sharon danach auf einer Pressekonferenz, sei gar nicht geredet worden. Während die Palästinenser über das Treffen Bush-Sharon enttäuscht sind, herrscht in Israel überwiegend Erleichterung, dass in der Frage des Zaunes keine weiteren Zugeständnisse gemacht wurden. Denn die Mehrheit der Israelis sieht in dem Zaun einen unverzichtbaren Schutz vor Terroranschlägen - so auch Arnon Golan:
Es geht uns nicht darum, Zäune zu bauen. Zäune bringen keinen Frieden. Aber in der derzeitigen Situation brauchen wir einen. Ich verlange von den Palästinensern nicht, dass sie das verstehen, und sie werden es nicht verstehen. Sie werden wütend sein, und der Zaun wird den Friedensprozess wahrscheinlich belasten – vor allem kurzfristig. Aber ich hoffe, dass in fünf Jahren eine gemäßigte palästinensische Führung mehr Verständnis hat. Und ich hoffe, dass eine gemäßigte israelische Regierung anständig genug ist, den Zaun wieder abzureißen und den Leuten ihr Eigentum zurückzugeben, wenn die derzeitige Situation sich irgendwann entspannt.
In den Unterlagen stand etwas von einem Befehl zur Übernahme von Grundstücken. Das betraf fast 50 Hektar Land, auf denen 5000 Olivenbäume stehen. Wir haben diese Unterlagen einen Tag vor Beginn der Olivenernte bekommen, das war Ende August. Da hatten wir in Tulkarem gerade 30 Tage Ausgangssperre, das hat es für uns schwierig gemacht, Widerspruch einzulegen. Wir haben zwar einen Rechtsanwalt damit beauftragt; aber auch das war schwierig: Wegen der Ausgangssperre konnten wir nur mit ihm telefonieren. Er hat uns dann gesagt, dass der Grund für die Übernahme des Grundstückes die Sicherheit des Staates Israel sei.
Bereits eine Woche nach Eingang des Schreibens kamen die Bulldozer und begannen mit den Arbeiten an dem Projekt, das in Israel "Trennungszaun" genannt wird: ein meist 70 bis 100 Meter breites Sperrgebiet, bestehend aus verschiedenen Stacheldrahtwällen, elektrisch geladenem Hauptzaun mit Kameras und mehreren Wegen, auf denen die Armee patrouillieren kann.
Ortswechsel: Abu Dis, ein Vorort von Ost-Jerusalem. In Abu Dis ist ein Abschnitt des Zaun-Projektes - hier in Form einer Mauer - schon fertiggestellt. Carol Glas, Sarah und Rachel Landau streiten mit einem Soldaten, der eine Gruppe von Palästinensern nicht durch das Eisentor in der Mauer lassen will. Die beiden Israelinnen und die Amerikanerin gehören zu machsóm watch, einer Gruppe von Frauen, die die Arbeit der Soldaten an den Checkpoints überwacht. Die Mauer, die in Abu Dis mitten durch den Ort verläuft, soll die Palästinenser aus der Westbank daran hindern, unkontrolliert Jerusalem zu betreten. Durchgelassen wird nur, wer sich ausweisen kann, und auch das, so Rachel Landau, nicht immer.
Manchmal lassen sie sie durch, manchmal nicht und manchmal ist auch gar kein Soldat da – es ist ein Katz und Maus-Spiel. Die Palästinenser können nie entspannt sein. Und das Absurde ist: Wenn die Leute hier nicht durchkommen, können sie sich woanders immer noch reinschleichen. Ich meine, die Leute müssen was essen, es ist eine Frage des Überlebens, die sie nach Jerusalem treibt.
In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation der Palästinenser in der Westbank drastisch verschlechtert. So hoffen viele, wenigstens in Jerusalem eine Arbeit zu finden, mit der sie ihre Familie über Wasser halten können. Während sie Zaun und Mauer vor allem als Schikane empfinden, steht für die Israelis etwas anderes im Vordergrund: die Sicherheit. Shimon Stein, Botschafter Israels in Deutschland:
Die Entscheidung über den Zaun geht zurück auf eine traurige Feststellung, dass die Palästinenser nicht in der Lage sind, die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen, und deshalb müssen wir für unsere Sicherheit leider viel mehr tun, als wir es hofften, hätten wir auf der anderen Seite auch Unterstützung gegen den Terror.
Die Idee eines Zaunes oder einer Mauer als Maßnahme gegen Selbstmordattentäter aus den palästinensischen Gebieten wird in Israel seit vielen Jahren diskutiert. Im Gaza-Streifen ist ein solcher Zaun schon Realität und - aus israelischer Sicht - ein Erfolg: Seit er gebaut wurde, ist es kaum einem Attentäter gelungen, den Gaza-Streifen zu verlassen. Die Befürworter eines Zaunes auch im Westjordanland, in der Westbank, stammten ursprünglich vor allem aus dem Lager der Arbeitspartei, die mit einem Zaun entlang der Grünen Grenze die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung verbindet. Aus dem gleichen Grund stieß der Plan bei vielen Siedlern auf Kritik. Sie befürchteten, dass der Zaun einen Verzicht auf das Westjordanland bedeuten könnte. Doch seit Beginn der zweiten Intifada im Herbst 2000 hat die Zahl der Anschläge dramatisch zugenommen. In diesem politischen Klima kippte die Stimmung: Und so beschloß die Regierung im Juni vergangenen Jahres den Bau einer Trennungsanlage in der Westbank. Nicht ob, sondern wo genau der Zaun gebaut werden soll, ist seitdem die Frage:
Man muss sich entscheiden, wo der Zaun verlaufen soll. An manchen Stellen stimmt er mehr oder weniger mit der Grünen Grenze überein, also der Waffenstillstandslinie von 1949, in anderen Bereichen dagegen geht er in die Westbank hinein, und da fängt das Problem an: Um den Sicherheits- oder Trennungszaun zu bauen, wird arabisches Land beschlagnahmt. Wenn man einmal anfängt, den Zaun so zu bauen, dass Siedlungen auf der israelischen Seite liegen, muss man arabisches Land beschlagnahmen. Und das ist ein grundlegendes Problem.
Arnon Golán ist Professor für Geographie an der Universität in Haifa. Sein Schwerpunkt ist die Geschichte der Sharon-Ebene zwischen Tel Aviv und Haifa und des östlich davon gelegenen Berglandes von Samaria. Dazwischen verläuft die Grüne Grenze. Seit Generationen, so Golan, haben Juden und Araber in dieser Gegend meist friedlich zusammengelebt – beide Seiten haben wirtschaftlich voneinander profitiert. Am Wochenende drängten sich kaufwütige Israelis in den Straßen der palästinensischen Dörfer, weil die Preise auf der anderen Seite der Grünen Grenze viel niedriger waren.
Das war die Situation bis Oktober 2000, doch mit Beginn der Intifada hörte alles schlagartig auf. Bis heute traut sich kein Israeli, die Grüne Grenze zu überqueren und in arabischen Dörfern einzukaufen. Dazu kommen die Ausgangs- und Straßensperren, die beeinträchtigen die ökonomische Situation in den arabischen Dörfern ja noch einmal zusätzlich. Seitdem ist die Region praktisch wieder getrennt.
Seit einigen Monaten ist diese Trennung auch nicht mehr zu übersehen: Mitten durch die Region verläuft der Zaun. Das erste Teilstück hat eine Länge von rund 130 Kilometern: von Umm El Fahm im Norden bis südlich von Kalkilya. Aus Rücksicht auf die israelischen Siedlungen und die Siedlerstraßen verläuft der Zaun in zahlreichen Kurven, einige palästinensische Dörfer sind dadurch fast vollkommen von ihrer Umgebung abgeschnitten. Die palästinensische Autonomiestadt Kalkilya ist durch eine zusätzliche Absperrung rund um die ganze Stadt zur Enklave geworden. Der Geograph Arnon Golan ist über das Für und Wider gespalten:
Als Israeli möchte ich einerseits, dass meine Familie in Sicherheit lebt. Ich habe Kinder, Verwandte, Freunde, und ich will nicht, dass sie Opfer eines Terroranschlages werden. Andererseits sehne ich mich nach Frieden, und ich befürchte, dass uns so ein Zaun kurzfristig vielleicht mehr Sicherheit verschafft – aber dass langfristig das Misstrauen zwischen Israelis und Palästinensern und die Bereitschaft zum Krieg zunehmen werden. Es gibt ein militärisches Sprichwort: Kein Zaun kann denjenigen stoppen, der den Zaun überwinden will. Er wird einen Weg finden, um durchzukommen.
In der palästinensischen Ortschaft Baka El Sharkíya werden Tankwagen mit Wasser beladen, das hier aus dem Boden gepumpt wird. Wasser, das für die Landwirtschaft in der Westbank unverzichtbar ist. Allerdings haben die Israelis den Zaun so gebaut, daß Baka El Sharkiya nun auf ihrer Seite liegt. Durch eine Lücke kommen die palästinensischen Lastwagen zur Zeit zwar noch ohne Probleme an die Wasser-Stationen heran. Aber wie lange noch? fragt Agrar-Experte Fayez Al Tarib. Es sei es nur eine Frage der Zeit, bis die Lücke im Zaun geschlossen werde:
Die Israelis werden die Kontrolle der Wasserquellen übernehmen und damit unsere Wirtschaft zerstören. Außerdem geht mit dm Zaun ein Riss durch das palästinensische Volk: auf der einen Seite die Palästinenser in der Westbank, auf der anderen Seite die israelischen Araber. Manchmal geht so eine Trennung mitten durch die Familie: der eine lebt hier, der andere auf der anderen Seite der Grünen Grenze. Und darunter leiden wir.
Dann nimmt Al Tarib die Karte und zeichnet eine Linie ein - zwischen Baka El Sharkiya und der Grünen Grenze. "Hier werden sie einen weiteren Zaun bauen", sagt er. Dann sind wir vollkommen eingesperrt – oder wir verschwinden." Und die Sicherheit der Israelis? Jamal Othman, dessen Olivenhaine rund zehn Kilometer weiter südlich liegen, schüttelt nur den Kopf:
Wenn man zwei Parteien trennt, dann verschärft man doch den Konflikt zwischen ihnen. Um Frieden zu schaffen, müssen sich die beiden Parteien näher kommen, damit sie den anderen und seine Probleme kennen lernen. Wir haben 30 Jahre lang in Frieden mit den Israelis gelebt - trotz der Besatzung. Wieso will Israel jetzt eine Apartheid zwischen beiden Parteien schaffen? Wenn sie überhaupt eine gerechte Trennung wollen, dann müssen sie die Grenzen von 1967 respektieren. Das sind die internationalen Grenzen. Aber Israel versucht, uns Land, Wasser, Gemüse und Olivenbäume wegzunehmen. Obwohl sie wissen, dass 70% der Palästinenser von den Olivenbäumen leben. Deswegen bringt diese Mauer auch keine Sicherheit für die Israelis.
Shimon Stein ist auf diese Form der Kritik nicht gut zu sprechen:
Wir hätten ja nie auf den Gedanken gekommen vor zehn Jahren, einen Zaun aufzurichten. Das folgt einfach aus einer traurigen Bilanz, und die Israelis erwarten einfach, dass die Regierung alles in ihrer Macht tun wird, um das Leben zu schützen. 810 Israelis haben in den letzten 34 Monaten ihr Leben verloren, vergleichen Sie das mit Enteignung von Land oder dass das Land nicht weiter bebaut wird. Das Land wird unter Umständen in paar Jahren in Folge einer politischen Regelung an ihre Besitzer zurückgegeben werden. Das Leben von 810 Israelis wird ja nie wieder zurückgegeben werden. Insofern man muss auch die Proporze im Augen sehen.
Genau an dieser Frage, ob die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, setzt die Kritik der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem an: Yehezkel Lein hat für Betselem die Auswirkungen des Trennungszaunes in den besetzten Gebieten untersucht. Schon von dem in diesen Tagen fertiggestellten ersten Abschnitt, so sein Ergebnis, sind mehr als 200 000 Palästinenser direkt betroffen: Sie können Schulen oder Krankenhäuser kaum noch erreichen, der Zugang zum eigenen Acker-Land bleibt ihnen oft verwehrt – für viele eine wirtschaftliche Katastrophe. Das langfristige Problem, so Lein, seien allerdings die politischen Konsequenzen. Er verweist auf die Erfahrung aus dem Siedlungsprojekt:
Als in den 70er Jahren Land für den Bau der Siedlungen beschlagnahmt wurde, wurde das auch mit der militärischen Notwendigkeit begründet, dort die Armee zu stationieren. Es war von Anfang an klar, dass diese Siedlungen von Dauer sein sollten und dass durch sie Tatsachen geschaffen werden sollen. Ich glaube, beim Bau des Zaunes wird eine ähnliche Methode angewandt. Die Leute im Verteidigungsministerium und im Büro des Premierministers denken ernsthaft über die zukünftigen Grenzen Israels und des Palästinenserstaates nach – und sie sprechen auch ganz offen darüber, einige oder die meisten Siedlungen zu annektieren. Sie schaffen also wieder Tatsachen, und in den zukünftigen Verhandlungen wird es sehr schwierig sein, daran etwas zu ändern. Sie werden sagen: Wir haben doch eine Grenze, die Palästinenser und Israelis trennt.
Wir sehen das anders als Betselem. Es ist eine Organisation, ich habe großes Respekt für ihre Arbeit, aber sie spiegeln wider die überwältigende Mehrheit der Israelis? Dann sagt Betselem, was sie sagt: so what? Ich habe schon gesagt, die Entscheidung über den Zaun soll man aus Sicherheitsgründen sehen und nicht als eine Art fait accompli. Und so wollen wir hoffen, dass dieses kleinere Übel morgen, wenn wir ein Abkommen mit den Palästinensern unterzeichnen, wo unter anderem auch die Fragen der Grenzen geregelt wird, dass die Notwendigkeit, die für uns heute so wichtig ist, wird auch dann nicht mehr geben. Und diese Mauer, dieser Zaun, wo immer er verlaufen wird, wird auch dann abgebaut.
Offizielle Angaben über den Zaunverlauf gibt es nicht – Botschafter wie Geographieprofessor müssen passen. Dennoch hat die auflagenstärkste israelische Tageszeitung – Yediot Ahronot – vor zwei Monaten eine Karte des gesamten Zaunsystems veröffentlicht, mit den Kategorien: geplant, beschlossen, im Bau. Gesamtlänge: gut 650 Kilometer. Gesamtkosten: Weit über eine Milliarde Dollar. Wird der Zaun tatsächlich genau so gebaut, bestätigen sich die Befürchtungen der Kritiker. Dann werden die meisten jüdischen Siedlungen an Israel angeschlossen, im Osten der Westbank bleibt ein 20-Kilometer breiter Streifen – das Jordantal – fast vollständig unter israelischer Kontrolle. "Wer behauptet, der Zaun sei keine politische Grenze, weiß nicht, wovon er spricht", zitiert Yediot Ahronot den Vorsitzenden des regionalen Siedlerrates aus dem Jordantal. Und der Bürgermeister von Ariel, einer der größten Siedlungen mitten in der Westbank, äußert sich verwundert: "Die Karte mit dem Zaun ist doch nicht neu. Ariel Sharon hat sie bei jedem seiner Besuche hier dabeigehabt – seit 1978." Ariel Sharon ist einer der Väter des Siedlungsprojektes. Der Trennungszaun steht in dieser Tradition, sagt Gadi Algazi, Historiker an der Universität von Tel Aviv:
Wenn man alle Projekte zusammen sieht, begreift man erstens, es handelt sich um die praktische Annektion von um 40 bis 50 Prozent der Westbank, und das ist genau, was Scharon im Moment auch den Palästinensern verspricht, wenn er von einem Palästinenserstaat spricht: 40% der 23% von Palästina. Wenn man diese 40% einen Staat nennen würde, ist das eher ein Witz. Zweitens: Es geht nicht nur um die Prozentzahl. Was eigentlich entsteht, ist die Zersplitterung der Westbank in kleine oder mittlere, größere Enklaven, alle voneinander getrennt, wo Palästinenser in kleinen oder größeren Käfigen leben sollen, mit israelischer Kontrolle aller Zugangswege. Das ist das Ende vom Palästinenserstaat.
Der israelische Botschafter widerspricht dieser Schlussfolgerung:
Wer sagt etwas über den Ablauf der zukünftigen Grenzen zwischen Israel und einem möglichen palästinensischen Staat. Die UNO-Resolution 242, die ja die Basis für die Friedensverhandlungen sein wird, spricht ja eben nicht von einem Rückzug aus allen Gebieten. Diese Resolution spricht von Rückzug aus Gebieten zu anerkannten und gesicherten Grenzen. Über den Ablauf dieser Grenzen wollen wir, werden wir mit unseren palästinensischen Partnern auch sprechen.
Die Aussage des Botschafters wirft grundsätzliche Fragen auf: ist Israel zu einer Räumung der meisten Siedlungen in der Westbank überhaupt bereit? Und wenn nicht: Was bedeutet das für einen zukünftigen Palästinenserstaat? Yehezkel Lein von Betselem:
Man kann jedes Stück Land nehmen und es einen Staat nennen. Aber die Frage ist doch, ob er politisch und wirtschaftlich lebensfähig ist. Und wenn das Zaunprojekt weitergeht, dann ist das Ziel offensichtlich, verschiedene Enklaven zu schaffen, die der Idee einer Zwei-Staaten-Lösung fundamental widersprechen. Leider wird dieses Problem im Text der Roadmap überhaupt nicht erwähnt, und es scheint, als ob alle Seiten dieses Riesenprojekt ignorieren.
In den letzten Tagen hat sich das geändert. Die Mauer verhindere die Vertrauensbildung zwischen Palästinensern und Israelis, kritisierte der amerikanische Präsident nach dem Besuch des palästinensischen Ministerpräsidenten Abbas. Die Forderung nach einem Baustopp hat der israelische Ministerpräsident Sharon bei seinem Besuch in Washington jedoch zurückgewiesen. Und über den Verlauf des Zaunes, so Sharon danach auf einer Pressekonferenz, sei gar nicht geredet worden. Während die Palästinenser über das Treffen Bush-Sharon enttäuscht sind, herrscht in Israel überwiegend Erleichterung, dass in der Frage des Zaunes keine weiteren Zugeständnisse gemacht wurden. Denn die Mehrheit der Israelis sieht in dem Zaun einen unverzichtbaren Schutz vor Terroranschlägen - so auch Arnon Golan:
Es geht uns nicht darum, Zäune zu bauen. Zäune bringen keinen Frieden. Aber in der derzeitigen Situation brauchen wir einen. Ich verlange von den Palästinensern nicht, dass sie das verstehen, und sie werden es nicht verstehen. Sie werden wütend sein, und der Zaun wird den Friedensprozess wahrscheinlich belasten – vor allem kurzfristig. Aber ich hoffe, dass in fünf Jahren eine gemäßigte palästinensische Führung mehr Verständnis hat. Und ich hoffe, dass eine gemäßigte israelische Regierung anständig genug ist, den Zaun wieder abzureißen und den Leuten ihr Eigentum zurückzugeben, wenn die derzeitige Situation sich irgendwann entspannt.