Es ist vier Uhr morgens. Der spanisch-schottische Biologe Miguel McMinnist auf dem Weg zur Steilküste. Seit 20 Jahren erforscht er auf der Insel Dragonera, das Verhalten der Balea-rischen Sturmtaucher. McMinn hat seine Stirnlampe auf Rot gestellt. Er will die Vögel nicht erschrecken. In der Dunkelheit der Neumondnacht fühlen sie sich sicher. Jetzt kommen sie mit vollem Bauch vom Meer zurück, um ihre Küken zu füttern.
"Nachts sind sie am lautesten. Alle kommen zurück in die Kolonie und suchen ihre Nesthöhle, dabei kommt es zu lauten Streitereien. Sie verteidigen ihren Bau, machen den anderen deutlich, diese Höhle ist meine."
Balearische Sturmtaucher gehören zu den seltensten Vögeln Europas. Nur wenige Jungtiere überleben das erste Jahr. Im Licht der Küstenorte verlieren sie die Orientierung, oder sie bleiben bei der Futtersuche in einem Fischernetz hängen. Seo/Birdlife, die spanische Verei-nigung für Vogelschutz, schätzt, dass es noch rund 8.000 Exemplare gibt.
"Das Problem ist, dass der gesamte Bestand zwar hier auf den Balearischen Inseln brütet. Aber die Tiere ernähren sich an den Küsten des spanischen Festlandes, vor Portugal und vor den Britischen Inseln. Artenschutz ist immer auch internationale Kooperation, er kennt keine Länder und Grenzen. In Deutschland zum Beispiel sind die Brutplätze vieler Zugvögel geschützt. Das reicht aber nicht. Wenn wir hier, im Mittelmeer, nicht ihre Nahrungsgebiete erhalten, dann kehren diese Vögel im nächsten Jahr nicht mehr zu-rück."
Natura-2000-Netzwerk
Die Gebiete gehören zum europäischen Natura-2000-Netzwerk, das Lebensräume von Wildtieren schützt. Die sind bei Meeresvögeln groß und schwierig zu umgrenzen. Octavio Infante von Seo/Birdlife war an der Bestimmung der neuen Schutzgebiete vor Spaniens Küsten beteiligt. Zehn Jahre waren dazu nötig.
"Verglichen mit dem Land, wo Flüsse oder Berge natürliche Grenzen bilden, ist die Be-grenzung eines Meeresschutzgebietes ziemlich kompliziert. Wir haben Vögel mit GPS ausgestattet um zu sehen, wo sie brüten, wo sie sich ernähren und welche Flugrouten sie benutzen. Das war unser wichtigstes Werkzeug, um die einzelnen Gebiete abzustecken."
Erdölbohrung versus Artenschutz
Die meisten Schutzzonen liegen auf dem Kontinentalsockel vor der Küste. Dort ist das Meer nicht sehr tief und reich an Nahrung. Hier fressen sich neben Sturmtauchern auch Sturmschwalben, Kormorane, Trottellummen, Seeschwalben oder die seltenen Korallen-möwen satt – und hier nutzt auch der Mensch das Meer intensiv.
Im Delta des Flusses Ebro in Katalonien müssen Reisanbau und invasive Arten mit Arten-schutz in Einklang gebracht werden. Im Golf von Biskaya an der Nordküste ist Überfischung ein Problem, Andalusien plant Offshore-Windparks und vor den Kanarischen Inseln wurden Erdölbohrungen genehmigt. Vogelschützer Octavio Infante hofft auf Konsens.
"Das ist ein erster Schritt. Wir haben eine Linie auf der Landkarte gezogen. Jetzt müssen wir Verwaltungspläne ausarbeiten. Alle Nutzer des Meeres sollen wissen, was für die Umwelt zuträglich ist und was nicht. Fischfangmethoden, Walbeobachtung, Touris-musprojekte an der Küste, all das muss geprüft werden. Wir werden darauf achten, dass die Auflagen einfach und knapp geschrieben sind, nicht für Wissenschaftler, sondern für die Leute, die mit dem Meer arbeiten."
Fast alle von Seo/Birdlife vorgeschlagenen Gebiete wurden von der Regierung in das Netzwerk aufgenommen. Eine Zone fehlt jedoch: die Meerenge von Gibraltar, ein wichtiger Seeweg für Mensch und Tier.
"Aus politischen Gründen, wegen Grenzstreitereien zwischen Gibraltar, Großbritannien, Spanien und Marokko wurde die Meerenge kein Schutzgebiet. Für die Seevögel hier ist sie sehr wichtig, denn sie ist der Zugang zum Mittelmeerraum. Alle unsere Balearischen Sturmtaucher zum Beispiel überfliegen das Gebiet zweimal im Jahr. Gibraltar ist auch ein Durchzugsgebiet für Kontinentalvögel wie den Storch. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Gibraltar zum internationalen Schutzgebiet für die Fauna wird."
So lange es nur um die Ausweisung der anderen Schutzgebiete ging, lief die Zusammenar-beit mit den verschiedenen Nutzergruppen gut ab. Wenn aber die neuen Naturzonen Folgen für den Alltag der anderen Nutzer haben, dann - weiß McGinn - werden die Vogelschützer noch allerhand Konflikte aushalten müssen.