Christine Heuer: Dieselgate ist immer noch nicht aufgeklärt, die VW-Aktie dramatisch gefallen, im Gegensatz zu den Vorstandsboni übrigens, US-Anleger fordern milliardenschweren Schadenersatz und jetzt ermittelt auch noch die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen ehemalige und jetzige Vorstände wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Die Finanzwelt könnte vorsätzlich zu spät über Dieselgate informiert worden sein. Es brodelt an der Aktionärsbasis. Aufsichtsrat und Vorstand setzen bei der Hauptversammlung heute in Hannover trotzdem auf Entlastung.
In Hannover begrüße ich Markus Kienle, Vorstandsmitglied bei der Schutzgemeinschaft deutscher Kapitalanleger, also jemand, der die normalen Aktionäre, die Kleinaktionäre bei dem Treffen vertritt. Guten Tag, Herr Kienle.
Markus Kienle: Schönen guten Tag.
Heuer: Der Aufsichtsratschef, Hans Dieter Pötsch, hat sich heute bei den Anlegern entschuldigt. Nehmen Sie die Entschuldigung an?
Kienle: Das wird maßgeblich abhängen davon, wie ehrlich und offen die Aufklärung sein wird. Denn allein eine Entschuldigung macht keinen Schaden wieder gut. Es geht um die Zuweisung von Verantwortung, es geht um die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und es geht um Abstellung von Defiziten, und zu alledem haben wir bislang nichts gehört, außer dass Gremien eingerichtet worden sind, über deren Effizienz man wohl trefflich streiten kann.
Heuer: Haben Sie selbst eigentlich VW-Aktien?
Kienle: Ich selbst habe auch VW-Aktien, ja.
Heuer: Sind die noch was wert?
Kienle: Meine ja.
Heuer: Wie kann das sein?
Kienle: Das belassen wir bei mir, bitte.
Heuer: Okay. Dann müssen Sie sehr viele Aktien haben, Herr Kienle. Ich sage es mal so, weil die Dividende ja auch wahnsinnig gesunken ist. - Wie sauer sind Sie persönlich auf den Vorstand? Deshalb stelle ich diese Fragen, nicht um indiskret zu sein.
Kienle: Für uns ist vollkommen unerklärlich, wie ein derartiges System sich über ein Jahrzehnt lang, wie es jetzt aussieht, halten konnte, ohne dass das an die maßgeblichen und für die Entscheidungen befugten Stellen vorgedrungen sein soll. Das ist, glaube ich, auch einer der Umstände oder der Behauptungen, die hier auf am meisten Missverständnis, Unverständnis stoßen. Man kann sich schlicht nicht vorstellen und das fällt auch uns schwer, dass der gesamte Vorstand und auch die Management-Ebenen von all diesen Manipulationsversuchen und Manipulationen, die vorsätzlich begangen worden sind, um offenbar Abgasvorschriften auszuhebeln, zu unterlaufen, nichts gewusst haben will und kann.
Ich will es mal anders sagen: Ist es wirklich so, sollte sich wirklich am Ende des Tages herausstellen, dass der Vorstand davon nichts gewusst hat, wäre er schon allein aus dem Grund nicht zu entlasten, weil er dann seinen Geschäftsbetrieb nicht ordnungsgemäß organisiert hat. Das ist eine komplette Falsch- und Fehlorganisation. Und hat er was gewusst, ist er ohnehin auch nicht zu entlasten. Das versteht sich, denke ich, von selbst.
Wie Sie es drehen und wenden, im Grunde genommen ist die Frage über die Entlastung entscheidungsreif, denn so oder so liegt aus unserer Sicht eine wesentliche Pflichtverletzung vor, entweder in Form einer Desorganisation, oder in Form einer positiven Kenntnis, die heute verschwiegen wird.
Heuer: Ist das so - ich nenne die jetzt schon zum dritten Mal in dieser Sendung die normalen Anleger, aber um die von den großen Aktionären zu unterscheiden mache ich das -, dass die das alle so sehen wie Sie, oder gibt es da so eine Konfrontation zwischen, ich sage mal, Porsche und dann den Tausenden, die einfach Aktien bei VW halten?
Kienle: Könnten Sie die Frage etwas konkretisieren? Ich weiß im Moment nicht, worauf Sie mit dieser Frage hinaus wollen.
Heuer: Die Frage ist, ob Sie für alle Anleger sprechen, die nicht zu den Großaktionären gehören? Sehen die das alle so, oder gibt es da ein differenzierteres Stimmungsbild?
Kienle: Nach dem, was wir aufgefangen haben, ist das wohl die Hauptfrage. Es bleibt dabei: Dieses Unverständnis, dass das über so lange Zeit angeblich vom Vorstand nicht entdeckt worden sein will. Ich glaube, das ist vollkommen unverständlich und das stößt auch auf die größte Kritik, natürlich verbunden mit den Begleiterscheinungen, den gewährten Boni, diesem unsäglichen Streit über die Frage, was gibt man an Boni, gibt es Verzichte, dem weiteren unsäglichen Streit, wird überhaupt eine Dividende ausgeschüttet in einer derartigen Krisenzeit, und natürlich in der schieren Ohnmacht, nicht genau zu wissen, was ist da vorgefallen und - das ist ja noch die nächste Frage - gibt es vielleicht weitere versteckte Risiken, die noch gar nicht erkannt worden sind.
Heuer: Herr Kienle, Porsche sagt, wir entlasten den Vorstand trotzdem. Wie finden Sie das?
"Auf keinen Fall Vorstand und Aufsichtsrat entlasten"
Kienle: Für mich kaum nachvollziehbar, es sei denn, man ist selbst in diese Vorgänge mit involviert.
Heuer: Was meinen Sie damit?
Kienle: Es ist für mich vollkommen unverständlich, dass jemand, der diese Entdeckung miterlebt hat Ende des Jahres 2015, dass der sagt, ich kann hier, obwohl noch keine Ermittlungsergebnisse definitiv vorliegen, wirklich auch entlasten.
Heuer: Was raten Sie den Kleinaktionären von VW?
Kienle: Auf jeden Fall, so wie wir es auch machen, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten. Und um gleich mal ein Argument vorwegzunehmen: Das ist auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Das ist ein geradezu dümmliches bauernfängerhaftes Argument, das man kaum mit Worten würdigen kann. Die Unschuldsvermutung ist ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat, aber die Vertagung der Entlastung sagt ja nicht, dass nicht zu einem späteren Zeitpunkt, wenn dann alles aufgeklärt ist, entlastet werden kann. Das was jetzt gefordert wird, nämlich die Entlastung, ist im Grunde genommen, als ob die Staatsanwaltschaft auf einen Strafanspruch verzichtet, bevor sie ausermittelt hat - ein absurdes System.
Heuer: Genau, und in der Tat ermittelt ja die Staatsanwaltschaft wegen Marktmanipulation. Das ist keine Kleinigkeit. Das wäre ein vorsätzliches Vergehen gewesen. Der Vorstand hätte dann die Öffentlichkeit absichtlich zu spät informiert über Dieselgate und die Folgen, die das haben kann. - All das gehört ja wohl auch in die interne Prüfung bei VW. Wir haben gerade gehört, der Bericht liegt immer noch nicht vor. Sie fordern eine Sonderprüfung. Trauen Sie denn den Ermittlern nicht, die VW beauftragt hat?
Kienle: Genau das ist das Problem. Aufgrund der auch hier sehr zurückhaltenden Kommunikationspolitik - und nicht alles ist beileibe geheimhaltungsbedürftig - sind wir sehr in Zweifel, ob wirklich eine ergebnisoffene und schonungslose Aufklärung überhaupt gewünscht ist. Noch nicht einmal der konkrete Prüfungsauftrag, den Jones Day und die sonstigen Ermittler bekommen haben, ist hier verlesen worden. Denn das Ergebnis hängt ja entscheidend davon ab, was sie überhaupt zur Prüfung abgeben.
Heuer: Alles unaufgeklärt. Sie werden aber bei der Hauptversammlung im Zweifel nicht verhindern können, dass dieser Vorstand entlastet wird. In den USA machen das die Kleinaktionäre vor, die haben Sammelklagen eingereicht, da geht es um milliardenschwere Schadensersatzansprüche. Das ist so in Deutschland rechtlich nicht möglich. Was raten Sie mit Blick auf Schadensersatz den Anlegern?
Kienle: Dass sie sich an spezialisierte Anwaltskanzleien wenden, die dort schon Modelle entwickelt haben. Da steht es mir im Übrigen aber auch nicht an, konkrete, sage ich mal, rechtliche Empfehlungen zu geben.
Heuer: Aber für wie aussichtsreich halten Sie solche Versuche?
Kienle: Das kann ich schwer beurteilen, weil ich mich in diese Frage der rechtlichen Erfolgsaussichten der verletzten ad-hoc-Verpflichtung - darum geht es ja am Ende des Tages - nicht intensiv eingearbeitet habe. Ich sehe da durchaus Ansatzpunkte. Ich sehe da auch durchaus Erfolgschancen.
Heuer: Aber so ein bisschen hat man, um das Gespräch mit Ihnen abzubinden, Herr Kienle, den Eindruck, diejenigen, die sich da heute in Hannover am meisten aufregen, die sind eigentlich relativ machtlos und haben wenig Instrumente in der Hand, um sich zu wehren.
Kienle: Ja. Es gibt da verschiedene Gruppen, Sie haben es ja schon angeführt. Das eine sind die klassischen Kleinaktionäre oder Streubesitz-Aktionäre. Den Begriff haben wir eigentlich lieber, denn auch Kleinaktionäre können durchaus schon mal wesentliche Positionen haben. Und dann gibt es sicherlich die Aktionäre, die reine Klageinteressen verfolgen. Die letztere Gruppe wird sicherlich diese Hauptversammlung dazu nutzen, hier Informationen zu bekommen, und wird sicherlich das, was Sie als Machtdurchsetzung benennen, im Rahmen des Schadensersatzes auf gerichtlichem Wege zu klären versuchen. Davon zu unterscheiden sind, glaube ich, die Aktionäre, die die Frage stellen - dazu gehöre ich auch -, wie geht es weiter, und dazu brauchen wir die Aufklärung. Sind unsere Management-Kontrollsysteme und Management-Strukturen so gut, dass wir einen derartigen Supergau in Zukunft verhindern können? - Wenn Sie gestatten, darf ich noch ein Beispiel nehmen aus der Hauptversammlung.
Heuer: Es rennt uns ein bisschen die Zeit weg, Herr Kienle, ehrlich gesagt. Wenn Sie mir nicht böse sind, würde ich Ihnen das jetzt nicht mehr gestatten, …
Kienle: Ich bin selten böse.
Heuer: …, halte aber fest, dass es schon so ist, dass Sie den Eindruck haben, zum Beispiel diese Anleger mit Klageinteressen, dass die vielleicht was reißen können in Ihrem Sinne. - Markus Kienle war das, Vorstandsmitglied bei der Schutzgemeinschaft deutscher Kapitalanleger, und ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
Kienle: Ich danke auch.
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