Archiv


Schwach und ohne Einfluss

Das kubanische Fernsehen berichtet ausführlich über den Tod des Oppositionellen. Oswaldo Payá war vor zwei Wochen bei einem Autounfall ums Leben bekommen. Und schnell spekulierten die Angehörigen des Toten, dass er wahrscheinlich umgebracht wurde – von den kubanischen Behörden.

Von Martin Polansky | 04.08.2012
    Ein anderes Fahrzeug habe den Wagen Payas und der drei Mitinsassen gerammt. Denn Oswaldo Payá war einer der bekanntesten Dissidenten auf der sozialistischen Insel – 2002 ausgezeichnet mit dem Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit des Europaparlaments.

    Nicht nur die Angehörigen verbreiteten die Mord-Theorie, auch aus dem kubanischen Exil in Miami kamen und kommen scharfe Attacken - die langsam zum Eigentor werden. Denn die Mordthese basiert auf reinen Vermutungen. Und Kubas Staatsmedien schießen sich nun ebenfalls ein. Ausgiebig wird der Mann vorgeführt, der am Steuer von Payás Wagen saß. Angel Carromero, ein Jungpolitiker der konservativen spanischen Volkspartei. Er gibt an, schlicht zu schnell gefahren zu sein:

    "Wir wurden von keinem Auto gerammt. Plötzlich war da ein Schlagloch, ich habe gebremst und dann die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Die internationale Gemeinschaft bitte ich, sich darauf zu konzentrieren, dass ich hier rauskomme. Und nicht einen Verkehrsunfall, der jedem passieren könnte, politisch auszunutzen."

    Ganz ähnlich die Aussagen von Jens Aron Modig, der ebenfalls im Wagen saß. Er ist Chef der Jugendorganisation der schwedischen Christdemokraten. Die sprechen von einem "fürchterlichen Unfall". Modig ist inzwischen nach Schweden zurückgekehrt. Eine Stützung der Mordthese ist von ihm auch jetzt nicht zu hören.

    Kubas Staatsmedien präsentieren unterdessen genüsslich immer mehr Details rund um den Fall. Die beiden konservativen Jungpolitiker aus Europa waren mit Touristen-Visa in Kuba eingereist. Tatsächlich hatten sie aber offenbar Geld dabei, mit dem sie Payás Oppositionsgruppe unterstützten wollten. Für Kubas Staatsmedien ein klarer Fall: Verstoß gegen die Einreisebestimmungen, illegale politische Aktivitäten mit ausländischem Geld. Dem Unfall-Fahrer Angel Carromero droht jetzt eine Anklage wegen verlässiger Tötung.
    So ist der Tod Oswaldo Payás in vielerlei Hinsicht tragisch für Kubas Opposition. Und auch symptomatisch für deren Lage.

    "Libertad", Freiheit, skandierten einige hundert Kubaner bei der Beerdigung Oswaldo Payás in Havanna. Die Polizei rückte an, nahm nach Oppositionsangaben etwa 50 Personen kurzzeitig fest. Leider ziemlich normal in Kuba, beklagen Menschenrechtsgruppen. Immer wieder würden Oppositionelle für ein paar Stunden oder Tage festgesetzt. Eine Art Strategiewechsel sei erkennbar. Regelmäßige Schikane statt Dauer-Inhaftierung.

    Denn vor zwei Jahren hatte Kubas Führung damit begonnen, die langjährigen politischen Gefangenen freizulassen. Deren Schicksal hatte immer wieder für laute internationale Kritik gesorgt. Mit der Freilassung entledigte sich Kuba des Problems. Denn die meisten politischen Gefangenen wurden ins Exil nach Spanien gedrängt. Dort leben sie jetzt und fallen nicht weiter auf.

    Dabei sind es spannende Zeiten in Kuba. Ein Hauch von Wandel liegt in der Luft. Überall in Havanna hört man die Rufe der Kleinhändler, die Pizza, Obst oder selbst gebrannte CD´s verkaufen. Arbeiten auf eigene Rechnung. Ein bisschen Marktwirtschaft hält Einzug. Der vorsichtige Wandel ist aber aus der Not geboren. Denn das bisherige starre, sozialistische Modell ist ineffizient und kaum noch zu finanzieren. Das hat sogar Präsident Raul Castro eingestanden. Gleichzeitig ist aber klar: Eine völlige Abkehr vom Sozialismus soll es nicht geben – und eine politische Öffnung auch nicht, erklärt etwa Politbüro-Mitglied Marino Murillo:

    "Wir haben die Erfahrungen Chinas, Russlands und anderer Länder studiert. Auch wenn sie interessant sind, wäre es ein Fehler, sie automatisch zu kopieren. Hier in Kuba wird es keine politische Reform geben. Vielmehr eine Aktualisierung unseres Wirtschaftsmodells, hin zu einem nachhaltigen Sozialismus zum Wohl unseres Volkes."

    Aber Zeiten des Wandels sind normalerweise gefährlich für eine Regierung, die auf ihrem Alleinvertretungsanspruch beharrt. Trotzdem hat die Opposition bisher in keiner Weise an Einfluss gewonnen. Und das liegt auch an den Dissidenten selbst. Die verschiedenen kleinen Oppositionsgruppen sind zersplittert und verfolgen zum Teil unterschiedliche Strategien. Da sind radikale Castro-Gegner wie Guillermo Farinas, der schon dutzendfach im Hungerstreik war und an dessen Dauerdrohung des Märtyrertods sich viele schon gewöhnt haben. Da ist die kritische Bloggerin Yoani Sanchez, die schon eine Reihe von ausländischen Auszeichnungen bekommen hat, aber in Kuba mangels Internet-Anschlüssen vielen gar nicht bekannt ist. Und da war Oswaldo Payá mit christlich-pazifistischem Hintergrund, der versuchte, durch Unterschriftensammlungen Volksabstimmungen zu erzwingen. Der ansonsten aber zur Mäßigung riet, denn nicht alles in Kuba sei einfach nur schlecht:

    "Wir brauchen eine wirtschaftliche Öffnung, die Privatisierung einiger Unternehmen. Aber ohne neoliberale Schocks. Auch weiterhin soll es eine kostenlose Gesundheitsversorgung geben. Der Wandel soll keine neuen Konfrontationen im Land bringen. Alle Kubaner müssen sich beteiligen können. Wir sprechen von Teilhabe, Aussöhnung und Öffnung."

    Das US-Embargo gegen Kuba lehnte Payá ab. Auch warnte er vor einer zu großen Nähe zu kompromisslosen Castro-Gegnern im Exil von Miami. Denn viele Kubaner mögen sich zwar mehr politische Freiheiten wünschen, aber einen radikalen Umbruch im Sinne der Exilanten wollen einige dann doch nicht.
    So verkehrt sich manch laute Unterstützung aus dem Ausland für Kubas Opposition ins Gegenteil. Die ewige Fortsetzung des Kalten Krieges verhindert wohl eher einen Wandel durch Annäherung.

    Und auch die forschen Jung-Politiker aus Spanien und Schweden haben der Opposition letztlich geschadet. Die Sache mit dem Geld ist ziemlich peinlich, die diplomatischen Beziehungen zu Kuba sind erneut belastet. Und Oswaldo Payá, einer der profiliertesten Dissidenten, ist tot.