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Schwarz-Schilling: EU muss Bosnien eine Perspektive geben

Christian Schwarz-Schilling sieht Bosnien-Herzegowina auf einem guten Weg. Das Zusammenleben der Bevölkerung sei erstaunlich gut, wenn man sich vor Augen führe, welche Gewaltexzesse es in den 90er Jahren gegeben habe, sagte der scheidende Hohe Repräsentant. Auf der staatlichen Ebene indes liege noch vieles im Argen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich war er angetreten, sein Amt überflüssig zu machen: Christian Schwarz-Schilling, der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Seit zweieinhalb Jahren macht der frühere Bundespostminister diesen Job, und eigentlich sollte er der letzte sein, der das junge Land auf seinem Weg zu Stabilität und Demokratie unterstützt. 15 Jahre nach dem Beginn des Bosnien-Krieges, über 11 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton sollten die Bosnier ihr Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen. Doch nach den Wahlen vom Herbst, die die Radikalen auf beiden Seiten gewonnen haben, hat die internationale Gemeinschaft entschieden, die internationale Aufsicht soll es noch mindestens ein weiteres Jahr geben, allerdings mit einem anderen an der Spitze. Christian Schwarz-Schilling hatte bereits Anfang des Jahres angekündigt, dass er nicht weitermachen werde. Am Wochenende übergibt er sein Büro seinem Nachfolger.

    Jetzt begrüße ich den scheidenden Bosnien-Beauftragten am Telefon. Guten Morgen, Christian Schwarz-Schilling, nach Sarajevo!

    Christian Schwarz-Schilling: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Schwarz-Schilling, mit welchem Gefühl im Bauch geben Sie Ihr Amt jetzt ab?

    Schwarz-Schilling: Zunächst einmal: Ich bin nicht zweieinhalb Jahre hier gewesen, sondern nur eineinhalb Jahre, genau 17 Monate. Es hätte natürlich etwas mehr Zeit bedurft, um noch einmal deutlichere Spuren zu legen, die auch in der Planung waren und jetzt von meinem Nachfolger mit Sicherheit auch in dieser Form durchgeführt werden.

    Meine, ja wie das so meistens ist. Einmal gehe ich mit einem lachenden Auge, indem ich nämlich durchgesetzt habe, dass die internationale Gemeinschaft am 30. Juni ihr OHR-Büro (Anm. d. Red: Büro des Hohen Repräsentanten) nicht schließt, was vollkommen einstimmige Beschlusslage zu Beginn meiner Amtszeit war, und es war sehr schwer, die internationale Gemeinschaft von einer völligen Kehrtwendung in dieser Frage zu überzeugen. Das ist mir gelungen.

    Nicht gelungen ist mir, die entsprechenden Konsequenzen mit der notwendigen Zeit durchzuführen, denn das kann man nicht in zwei, drei Monaten machen. Die Wahlen hatten ein sehr langes Vorspiel in einem Vorwahlkampf, wie Sie in Ihrer Berichterstattung richtig gesagt haben. Im Jahr 2006 wurde diese Sache gewaltig aufgeputscht. Dann kamen die Wahlen, und dann sind sehr extreme politische Richtungen sehr stark geworden, so dass auch die Regierungsbildung ungefähr fünf bis sechs Monate gedauert hat, so dass man eigentlich richtig mit bosnischen Verhandlungspartnern erst beginnen konnte zu verhandeln im Mai und im Juni. Und zwei Monate, das werden Sie wohl zugeben, sind ein bisschen kurz, um diese Probleme alle zu lösen. Trotzdem haben wir eine Menge Dinge gemacht. Und ich bin auch sehr froh, dass ich diese Chance hatte, bin sehr dankbar dafür, dass damals diese Kandidatur von Deutschland auch sehr stark unterstützt wurde. Und nun muss es eben weitergehen, und da werden wir sehen, wie es weitergeht.

    Heckmann: Sie haben es gerade eben gesagt. Die Wahlen im Herbst haben die Nationalisten gewonnen. Würden Sie sagen, dass die Spannungen im Land zunehmen und dass möglicherweise auch die Gefahr besteht, dass die Gewalt wieder explodiert?

    Schwarz-Schilling: Das kann man nicht ausschließen. Ich habe deswegen auch ganz klar meine Stellungnahme abgegeben, dass eine weitere Reduzierung von EUFOR (Anm. d. Red.: Militärstreitmacht der Europäischen Union) und EUPM, das ist die europäische Polizei, nicht zu empfehlen ist und dass jetzt wirklich der absolute Mindestpunkt der Präsenz hier erreicht ist und man die Bevölkerung nicht weiter dadurch beunruhigen soll, dass man von weiteren Abzügen redet. Das wäre unverantwortlich, und das wäre auch gegenüber denjenigen, die Gewalt als Möglichkeit ansehen, ebenso unverantwortlich. Deswegen muss hier die Balance gehalten werden. Und ich glaube, wenn die internationale Gemeinschaft klug handelt, dann wird es auch nicht zu Gewaltausbrüchen kommen.

    Heckmann: Jahre nach dem Abkommen von Dayton steht Bosnien immer noch unter internationaler Kontrolle. Muss man sich da nicht möglicherweise von der Vorstellung lösen, dass Serben auf der einen Seite und Bosnier und Kroaten auf der anderen Seite wirklich friedlich auch zusammenleben wollen? Muss man sich nicht von der Vorstellung verabschieden einer staatlichen Einheit?

    Schwarz-Schilling: Nein, überhaupt nicht. Gerade da die Rückkehr der Flüchtlinge in ihre ursprünglichen Heimatorte auch da, wo sie vorher von ihrer Nationalität, also Bosniaken oder Serben, die Mehrheit hatten, früher, und heute nur in der Minderheit sind, weil nicht alle zurückgekehrt sind, ist das Zusammenleben durchaus in Ordnung und wird eigentlich immer besser. Die Bevölkerung lebt zusammen, und dieser Zusammenwachsensprozess ist sehr positiv.

    Was nicht positiv ist, sind die politischen Führer. Meistens noch aus der früheren Kriegszeit her sind es ja auch die gleichen Parteien. Das sind auch alles meistens Leute, die aus dieser Zeit stammen und noch ihre alten ideologischen Dinge im Kopf haben. Das wird sich wahrscheinlich erst im Laufe der nächsten Jahre ändern, wenn auch die neue Generation einen entsprechenden frischen Wind dort hineinbringt. Das heißt also, die staatlichen Dinge sind nicht in Ordnung, nicht das Zusammenleben der Bevölkerung. Das Zusammenleben der Bevölkerung ist sogar erstaunlich gut. Wenn man sich vorstellt, dass noch vor zwölf Jahren dort Menschen in fürchterlichster Weise gegenseitig ermordet worden sind und die Leute heute friedlich zusammenleben, sich zum Kaffee einladen, miteinander arbeiten, dann kann man sich manchmal nur wundern, wie dieses überhaupt möglich ist. Insofern sollten wir auch sehr viel Respekt vor den Menschen hier haben, die das ermöglichen.

    !Heckmann: Herr Schwarz-Schilling, es gab teils heftige Kritik auch an Ihrer Amtsführung. Im Bosnien-Bericht der international crisis group, also der internationalen Krisengruppe, heißt es, die internationale Politik in Bosnien sei in Unordnung. Eine neue Strategie des Engagements sei notwendig. Und in dem Entwurf dieses Berichts, der in die Öffentlichkeit kam, heißt es, in Bosnien herrsche völliges Chaos. Ihre Behörde sei nur noch pro forma aktiv gewesen. Sie habe ein ernsthaftes politisches Versagen nur verwaltet. Ist diese Kritik komplett unberechtigt?

    Schwarz-Schilling: Ich meine, ich muss Ihnen leider sagen das ist ein Pamphlet, was ich eigentlich auch von der internationalen crisis group nicht erwartet hätte. Ich habe diese crisis group mit gegründet zusammen mit Soros und anderen, und da waren noch andere Männer in der Führung, als dieses Pamphlet, was hier von Journalisten aus Belgrad und mit entsprechenden Querverbindungen in die internationale Gemeinschaft vor allen Dingen nach Brüssel herausgegeben worden ist, um mich abzuschießen ganz einfach, um es so zu sagen. Erstens war der Deutsche sowieso nicht so erwünscht. Man sollte die Zeit möglichst kurz halten.

    !Heckmann: Weshalb?

    Schwarz-Schilling: Der Deutsche!

    Heckmann: Weshalb war der Deutsche nicht erwünscht?

    Schwarz-Schilling: Weil man hier noch so aus alter Zeit dachte, wir würden ja eine große Liaison mit den Kroaten haben, und wir hätten sowieso kein Verständnis für die Serben, also wir müssten das anders machen. Es ist ja nun auch von anderen Internationalen hier eine andere Politik gemacht worden während der ganzen 90er Jahre. Sie wissen, dass ich ja aus Protest aus dem Kabinett Kohl zurückgetreten bin, weil auch die Regierung Kohl sich damals nicht entschieden genug gegen diesen Völkermord eingesetzt hat. Das ist ja nun damals eine europäische Sache gewesen. Ich möchte darauf eigentlich nicht weiter eingehen. Da brauchen Sie nur einige Bücher lesen, und dann weiß man Bescheid.

    Ich kann nur eins sagen: Wenn ich diese Politik nicht durchgeführt hätte, dass ich zunächst einmal den Versuch unternommen habe, Bosnien-Herzegowina die Eigenverantwortlichkeit zurückzugeben, für alle sichtbar gemacht habe, wie die Realität ist, dass es eben nicht so ist, wie bis dahin erzählt wurde, dass die Dinge eigentlich sehr gut laufen, dass der Weg nach Europa freigestellt ist, dass die Polizeireform bereits vereinbart worden ist, dass es also nur noch darauf ankommt, den OHR zu schließen und Europa seine ganz normalen Dinge für solche Länder, die in die Europäische Gemeinschaft wollen, eröffnen kann, dass das, wenn man es so macht, dass der OHR seine Funktionen möglichst zurückhaltend macht - und das ist ja nun noch in entsprechender Weise wenig gegenüber einem ganzen Schließen, denn wir haben ja von morgens bis abends hier verschiedenste Dinge gemacht -, dann wäre diese Beweislage gar nicht entstanden, denn nur dadurch konnte die internationale Gemeinschaft sehen, wie ist denn die Wirklichkeit, wie ist die Realität, was sind hier Pontemkinsche Dörfer, was ist eine Erfolgsstory, die sich die internationale Gemeinschaft hier selber schreibt, um sozusagen mit Stolz herausgehen zu können, was ist die Realität? Das musste leider Gottes erst wirklich sichtbar werden, und das konnte nur sichtbar werden, indem wir die Selbstverantwortung den Leuten nicht am 30.6.2007, wie das ja vorgesehen war, sondern bereits zu der Zeit überantworten, als ich mein Amt angetreten habe. Da konnte es sichtbar werden. Da konnte es dann aber auch korrigiert werden, denn ohne mein Betreiben hätte ich ja nicht die gesamte internationale Gemeinschaft zu einem anderen Kurs gebracht, nämlich dass der OHR zunächst beibehalten werden muss, dass die Bonn Powers nicht aufgegeben werden dürfen und dass Bosnien-Herzegowina einer spezifischen Aufmerksamkeit bedarf, die man bisher in dieser Form nicht für notwendig gehalten hat.

    Heckmann: Die Bonn Powers, das sind die Befugnisse des Bosnien-Beauftragten. Ihr Vorgänger, Paddy Ashdown, hat von diesen Befugnissen offenbar wesentlich radikaler Gebrauch gemacht als Sie. Er hat Dekrete erlassen, Politiker abgesetzt. War die weichere Art, die Sie verfolgt haben, erfolgreicher?

    Schwarz-Schilling: Ja. Sie war erfolgreicher in dem Sinne, als die Realität sichtbar geworden ist. Ich habe ja gesagt, die Pontemkinschen Dörfer hätten uns zu Fehlentscheidungen gebracht, die katastrophal hätten werden können. Das ist dadurch vermieden worden. Und jetzt muss man den Prozess so führen, dass man mit sehr viel mehr Geduld die Selbstverantwortung schrittweise in Bosnien-Herzegowina übergibt und nicht mit einem Schlag. Dieses schrittweise bedeutet längere Zeit Geduld, fester Wille und diejenigen zu unterstützen, die die entsprechenden rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien auch selber für sich zu eigen machen. Das ist ein ganz klares Konzept, aber das kann man nicht in zwei Monaten machen, wie ich es nach dieser Regierungsbildung jetzt zur Verfügung hatte. Das braucht mit Sicherheit noch etwa zwei bis fünf Jahre.

    Heckmann: Sehen Sie eine EU-Perspektive für Bosnien?

    Schwarz-Schilling: Die sehe ich natürlich, aber die EU muss sich dann auch mit den Realitäten auseinandersetzen und nicht sagen, Bosnien ist ein Land wie jedes andere. Hier ist der schlimmste Völkermord seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa passiert mit Hunderttausenden von Toten, entsetzlichsten Massakrierungen und entsprechenden Grausamkeiten. Das kann man nicht so einfach vergessen und meinen, das ist jetzt ein normales Land. Hier wird es auf Jahrzehnte Traumatisierungen geben, und entsprechend eine ganze Generation ist davon gezeichnet. Das kann man nicht über den Leisten schlagen, und da muss auch die Europäische Union sprich die Kommission und der Rat mit einer anderen spezifischen Haltung auf dieses Land zugehen. Letztlich gibt es ja auch eine Bringschuld, nämlich die, dass Europa in den 90er Jahren bei der Verhinderung dieses Völkermordes völlig versagt hat und nur durch die Vereinigten Staaten überhaupt die Wende zu Dayton nachher gekommen ist.

    Heckmann: Der scheidende Bosnien-Beauftragte Christian Schwarz-Schilling war das hier im Interview vom Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schwarz-Schilling, und schöne Grüße nach Sarajevo.

    Schwarz-Schilling: Ich danke auch.