Christiane Kaess: Heute tritt der Promotionsausschuss der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zusammen, um dann eine Empfehlung an den Fakultätsrat auszusprechen, ob Annette Schavan der Doktortitel aberkannt werden soll. Mittlerweile hat die Uni Strafanzeige erstattet, es bestehe der Verdacht auf Weitergabe vertraulicher Informationen. Rückendeckung bekommt die Bundesbildungsministerin von führenden Wissenschaftlern, die das Plagiatsverfahren kritisieren, und einer von ihnen ist jetzt am Telefon: der Präsident der Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz. Guten Morgen, Herr Schwarz!
Helmut Schwarz: Einen schönen guten Morgen nach Deutschland.
Kaess: Herr Schwarz, die Sache ist ja noch gar nicht entschieden. Haben Sie keine Bedenken, sich so offen hinter Schavan zu stellen?
Schwarz: Ich habe gar keine Bedenken. Ich habe primär mit meiner Äußerung in der "Süddeutschen Zeitung" die Absicht verfolgt, darauf hinzuweisen, dass wir auch darauf achten müssen, den Schaden vom gesamten System abzuwenden. Hier ist ja nicht nur Frau Schavan betroffen, hier ist die Universität Düsseldorf betroffen, hier ist das Wissenschaftssystem betroffen, denn zu jedem Verfahren gehört, dass man die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis tatsächlich beachtet. Und nach allem, was ich erfahren habe, scheinen, diese Regeln verletzt worden zu sein.
Kaess: Da kritisieren Sie die Indiskretion des Prüfungsausschusses. Inwieweit wird die denn das weitere Verfahren überhaupt beeinflussen?
Schwarz: Man muss doch davon ausgehen, dass ein Promotionsausschuss oder eine Fakultät nicht unbeeinflusst davon bleiben, was eine öffentliche Meinung ist.
Kaess: Warum ist das so?
Schwarz: Es hätte in jedem Fall dazugehört, dass man zuerst einmal die Betroffene selber anhört. Zweitens hätte es dazugehört, dass man auch externe Personen damit beauftragt, eine Doktorarbeit zu prüfen. Und drittens halte ich es für sehr seltsam, dass die Person, die das Gutachten abgibt, gleichzeitig den Vorsitz führt in dem Promotionsausschuss und eine führende Position im Fakultätsrat einnimmt. Dies ist eine Konstellation, die man bestenfalls als unglücklich bezeichnen sollte.
Kaess: Warum glauben Sie, eine externe Person wäre zu einer anderen Beurteilung gekommen?
Schwarz: Ich kann nicht davon ausgehen, sie wäre zu einer anderen Beurteilung gekommen. Aber in einem Fall, wo ein so schwerwiegender Vorwurf erhoben wird, sollte man in der Regel mehrere Meinungen hören. Wenn Sie eine Promotionsarbeit selber beurteilen, gibt es ja auch nicht nur einen einzigen Gutachter. Im Falle Guttenberg, den ich nur deshalb zitiere, weil es das Verfahren betrifft, war es eine Kommission, die ausschließlich aus Mitgliedern bestand, die nicht unmittelbar zur Universität gehören, und ich glaube, dies ist eine Art von Fairness, die in Düsseldorf nicht beachtet worden ist, und die Universität Düsseldorf wäre aus meiner Sicht gut beraten, dafür zu sorgen, dass nicht sie selber nachher Schaden an diesem ganzen Verfahren nimmt.
Kaess: Schauen wir noch mal auf den Vorwurf der Indiskretion. Die Weitergabe des Gutachtens ist rechtswidrig. Aber mal abgesehen von der rechtlichen Lage: Das öffentlich werden ändert ja nichts an dem Sachverhalt?
Schwarz: Damit haben Sie vollkommen recht, und trotzdem muss man die Regeln einhalten, die in einem solchen Verfahren es einzuhalten gilt.
Kaess: Sind diese Regeln denn so genau festgelegt?
Schwarz: Es gibt auch Regeln des Anstandes. Ich glaube, die Regeln sind nicht genau festgelegt? Aber gehört es nicht dazu, in einem Verfahren zuerst den Beschuldigten anzuhören? Gehört es nicht dazu, dass man, bevor öffentlicher Druck ausgeübt wird – und der öffentliche Druck wird natürlich ausgeübt; Sie können doch keine Zeitung mehr öffnen, keine Rundfunksendung mehr hören, sie sind permanent damit beschäftigt, was sagt Person A, Person B, Person C, ob das Wissenschaftler sind, ob dies Politiker sind, zu diesem Verfahren.
Mit anderen Worten: Hier wird eine Art von Meinungsbildung vorgenommen, die besser unterblieben wäre. Das ist meine Hauptkritik an dem gesamten Verfahren. Ich selber würde mir niemals anmaßen zu beurteilen, ist das, was Frau Schavan getan hat, ein Plagiat, sind es Flüchtigkeitsfehler, sind es handwerkliche Fehler. Sie merken ja bereits daran, es gibt ein ganzes Spektrum an Meinungen. Die Sache hätte es verdient, im internen Kreis sehr im Detail behandelt zu werden und dann eine Empfehlung auszusprechen und dann ein Urteil auszusprechen. Aber hier ist doch bereits eine Verurteilung erfolgt.
Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Schwarz, könnte man sagen, es geht ja immerhin um eine Ministerin, also ist doch das öffentliche Interesse legitim.
Schwarz: Eine Ministerin muss genauso behandelt werden wie ein Helmut Schwarz oder ein Lieschen Müller. Hier darf man keinen Unterschied machen. Natürlich ist nicht zu übersehen, dass die gesamte Plagiatsangelegenheit vermutlich von Anfang an gar nicht auf den Tisch gekommen wäre, wenn es sich nicht um eine prominente Person handelte. Mit anderen Worten: Hier werden auch politische Interessen von Anfang an verwischt mit einer gebotenen sachlichen Aufklärung. Eine Universität hat die Pflicht, diese Dinge auseinanderzuhalten. Die Öffentlichkeit wird doch in jedem Fall davon erfahren, wie eine Universität zu dem Vorwurf steht. Aber im Vorfeld bereits mit Meinungen zu operieren, ist der Sache abträglich, und dies, denke ich, sollte rasch, ganz rasch von der Universität abgestellt werden, in ihrem eigenen Interesse.
Kaess: Herr Schwarz, nun hat Frau Schavan 2011 selbst gefordert, die Universitäten müssten sich selbstkritisch mit Plagiatsvorfällen auseinandersetzen. Welche Schuld trifft denn diejenigen, durch die Annette Schavan promoviert wurde? Hätte da nicht schon früher mal jemandem etwas auffallen können?
Schwarz: Also vermutlich ist es zutreffend, dass hin und wieder die Meinung vorgetragen wird, dass in geisteswissenschaftlichen Promotionen die Art des Zitierens, um die es ja vorwiegend im Falle Schavan auch geht, Regeln folgt, die wir heutzutage mit guten Gründen kritisieren: dieses paraphrasierende Zitieren von Arbeiten, wo ein Gedankengang entwickelt wird, der sich aufbaut auf dem, was andere vorher gesagt und gedacht haben, und wo dann nicht an jeder Stelle immer wieder darauf hingewiesen wird, was ist die eigene Leistung, was ist die fremde Leistung.
Kaess: Das heißt, damals galten andere Maßstäbe als heute?
Schwarz: Die Maßstäbe galten im Prinzip selbstverständlich immer, aber die Praxis hat eben anders ausgesehen. Und dieses in einen Kontext mit einer Arbeit zu stellen, ist nach wie vor wichtig. Niemand bestreitet ja, selbst Frau Schavan bestreitet nach meiner Kenntnis nicht, dass handwerkliche Fehler begangen worden sind. Aber all dies hat doch nichts damit zu tun, dass man einen Vorwurf erhebt, von einer bewussten Täuschung zu sprechen, ohne erstens eine sachliche Prüfung durch mehrere Personen hat vornehmen lassen, B die Person selber, die betroffene Person selber zu dieser Sache gehört hat. Ich denke, das sind Verfahrensfragen, wo jeder Betroffene, jede Person ein Recht darauf hat, dass korrekt verfahren wird, unbesehen davon, ob die Person eine Politikerin ist, die prominent ist, oder eine Person ist, die mehr oder weniger unbedeutend im Wissenschaftsgeschäft eine kleine Rolle spielt. Ich vertrete diesen Standpunkt ausschließlich, den ich auch gestern vertreten habe, um dafür zu sorgen, dass das Wissenschaftssystem durch diese Art einer Verfahrensweise keinen Schaden nimmt, und hier sehe ich eine große Gefahr. Das ist meine Hauptsorge. Meine Hauptsorge gilt nicht der Zukunft von Frau Schavan.
Kaess: Helmut Schwarz war das, er ist Präsident der Humboldt-Stiftung. Wir haben gesprochen über die Plagiatsvorwürfe gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schwarz.
Schwarz: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Helmut Schwarz: Einen schönen guten Morgen nach Deutschland.
Kaess: Herr Schwarz, die Sache ist ja noch gar nicht entschieden. Haben Sie keine Bedenken, sich so offen hinter Schavan zu stellen?
Schwarz: Ich habe gar keine Bedenken. Ich habe primär mit meiner Äußerung in der "Süddeutschen Zeitung" die Absicht verfolgt, darauf hinzuweisen, dass wir auch darauf achten müssen, den Schaden vom gesamten System abzuwenden. Hier ist ja nicht nur Frau Schavan betroffen, hier ist die Universität Düsseldorf betroffen, hier ist das Wissenschaftssystem betroffen, denn zu jedem Verfahren gehört, dass man die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis tatsächlich beachtet. Und nach allem, was ich erfahren habe, scheinen, diese Regeln verletzt worden zu sein.
Kaess: Da kritisieren Sie die Indiskretion des Prüfungsausschusses. Inwieweit wird die denn das weitere Verfahren überhaupt beeinflussen?
Schwarz: Man muss doch davon ausgehen, dass ein Promotionsausschuss oder eine Fakultät nicht unbeeinflusst davon bleiben, was eine öffentliche Meinung ist.
Kaess: Warum ist das so?
Schwarz: Es hätte in jedem Fall dazugehört, dass man zuerst einmal die Betroffene selber anhört. Zweitens hätte es dazugehört, dass man auch externe Personen damit beauftragt, eine Doktorarbeit zu prüfen. Und drittens halte ich es für sehr seltsam, dass die Person, die das Gutachten abgibt, gleichzeitig den Vorsitz führt in dem Promotionsausschuss und eine führende Position im Fakultätsrat einnimmt. Dies ist eine Konstellation, die man bestenfalls als unglücklich bezeichnen sollte.
Kaess: Warum glauben Sie, eine externe Person wäre zu einer anderen Beurteilung gekommen?
Schwarz: Ich kann nicht davon ausgehen, sie wäre zu einer anderen Beurteilung gekommen. Aber in einem Fall, wo ein so schwerwiegender Vorwurf erhoben wird, sollte man in der Regel mehrere Meinungen hören. Wenn Sie eine Promotionsarbeit selber beurteilen, gibt es ja auch nicht nur einen einzigen Gutachter. Im Falle Guttenberg, den ich nur deshalb zitiere, weil es das Verfahren betrifft, war es eine Kommission, die ausschließlich aus Mitgliedern bestand, die nicht unmittelbar zur Universität gehören, und ich glaube, dies ist eine Art von Fairness, die in Düsseldorf nicht beachtet worden ist, und die Universität Düsseldorf wäre aus meiner Sicht gut beraten, dafür zu sorgen, dass nicht sie selber nachher Schaden an diesem ganzen Verfahren nimmt.
Kaess: Schauen wir noch mal auf den Vorwurf der Indiskretion. Die Weitergabe des Gutachtens ist rechtswidrig. Aber mal abgesehen von der rechtlichen Lage: Das öffentlich werden ändert ja nichts an dem Sachverhalt?
Schwarz: Damit haben Sie vollkommen recht, und trotzdem muss man die Regeln einhalten, die in einem solchen Verfahren es einzuhalten gilt.
Kaess: Sind diese Regeln denn so genau festgelegt?
Schwarz: Es gibt auch Regeln des Anstandes. Ich glaube, die Regeln sind nicht genau festgelegt? Aber gehört es nicht dazu, in einem Verfahren zuerst den Beschuldigten anzuhören? Gehört es nicht dazu, dass man, bevor öffentlicher Druck ausgeübt wird – und der öffentliche Druck wird natürlich ausgeübt; Sie können doch keine Zeitung mehr öffnen, keine Rundfunksendung mehr hören, sie sind permanent damit beschäftigt, was sagt Person A, Person B, Person C, ob das Wissenschaftler sind, ob dies Politiker sind, zu diesem Verfahren.
Mit anderen Worten: Hier wird eine Art von Meinungsbildung vorgenommen, die besser unterblieben wäre. Das ist meine Hauptkritik an dem gesamten Verfahren. Ich selber würde mir niemals anmaßen zu beurteilen, ist das, was Frau Schavan getan hat, ein Plagiat, sind es Flüchtigkeitsfehler, sind es handwerkliche Fehler. Sie merken ja bereits daran, es gibt ein ganzes Spektrum an Meinungen. Die Sache hätte es verdient, im internen Kreis sehr im Detail behandelt zu werden und dann eine Empfehlung auszusprechen und dann ein Urteil auszusprechen. Aber hier ist doch bereits eine Verurteilung erfolgt.
Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Schwarz, könnte man sagen, es geht ja immerhin um eine Ministerin, also ist doch das öffentliche Interesse legitim.
Schwarz: Eine Ministerin muss genauso behandelt werden wie ein Helmut Schwarz oder ein Lieschen Müller. Hier darf man keinen Unterschied machen. Natürlich ist nicht zu übersehen, dass die gesamte Plagiatsangelegenheit vermutlich von Anfang an gar nicht auf den Tisch gekommen wäre, wenn es sich nicht um eine prominente Person handelte. Mit anderen Worten: Hier werden auch politische Interessen von Anfang an verwischt mit einer gebotenen sachlichen Aufklärung. Eine Universität hat die Pflicht, diese Dinge auseinanderzuhalten. Die Öffentlichkeit wird doch in jedem Fall davon erfahren, wie eine Universität zu dem Vorwurf steht. Aber im Vorfeld bereits mit Meinungen zu operieren, ist der Sache abträglich, und dies, denke ich, sollte rasch, ganz rasch von der Universität abgestellt werden, in ihrem eigenen Interesse.
Kaess: Herr Schwarz, nun hat Frau Schavan 2011 selbst gefordert, die Universitäten müssten sich selbstkritisch mit Plagiatsvorfällen auseinandersetzen. Welche Schuld trifft denn diejenigen, durch die Annette Schavan promoviert wurde? Hätte da nicht schon früher mal jemandem etwas auffallen können?
Schwarz: Also vermutlich ist es zutreffend, dass hin und wieder die Meinung vorgetragen wird, dass in geisteswissenschaftlichen Promotionen die Art des Zitierens, um die es ja vorwiegend im Falle Schavan auch geht, Regeln folgt, die wir heutzutage mit guten Gründen kritisieren: dieses paraphrasierende Zitieren von Arbeiten, wo ein Gedankengang entwickelt wird, der sich aufbaut auf dem, was andere vorher gesagt und gedacht haben, und wo dann nicht an jeder Stelle immer wieder darauf hingewiesen wird, was ist die eigene Leistung, was ist die fremde Leistung.
Kaess: Das heißt, damals galten andere Maßstäbe als heute?
Schwarz: Die Maßstäbe galten im Prinzip selbstverständlich immer, aber die Praxis hat eben anders ausgesehen. Und dieses in einen Kontext mit einer Arbeit zu stellen, ist nach wie vor wichtig. Niemand bestreitet ja, selbst Frau Schavan bestreitet nach meiner Kenntnis nicht, dass handwerkliche Fehler begangen worden sind. Aber all dies hat doch nichts damit zu tun, dass man einen Vorwurf erhebt, von einer bewussten Täuschung zu sprechen, ohne erstens eine sachliche Prüfung durch mehrere Personen hat vornehmen lassen, B die Person selber, die betroffene Person selber zu dieser Sache gehört hat. Ich denke, das sind Verfahrensfragen, wo jeder Betroffene, jede Person ein Recht darauf hat, dass korrekt verfahren wird, unbesehen davon, ob die Person eine Politikerin ist, die prominent ist, oder eine Person ist, die mehr oder weniger unbedeutend im Wissenschaftsgeschäft eine kleine Rolle spielt. Ich vertrete diesen Standpunkt ausschließlich, den ich auch gestern vertreten habe, um dafür zu sorgen, dass das Wissenschaftssystem durch diese Art einer Verfahrensweise keinen Schaden nimmt, und hier sehe ich eine große Gefahr. Das ist meine Hauptsorge. Meine Hauptsorge gilt nicht der Zukunft von Frau Schavan.
Kaess: Helmut Schwarz war das, er ist Präsident der Humboldt-Stiftung. Wir haben gesprochen über die Plagiatsvorwürfe gegen Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schwarz.
Schwarz: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.