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Schwarze Flächen bei YouTube "werden auf jeden Fall bleiben"

Auch in Zukunft werde YouTube wohl weiterhin nicht verpflichtet, Videos im Vorfeld auf Urheberrechtsverletzungen zu untersuchen, glaubt der Medienrechtler Thomas Hoeren. Auf Zuruf von Rechteinhabern müsse die Videoplattform aber weiterhin schnell reagieren und Inhalte sperren.

Thomas Hoeren im Gespräch mit Christane Kaess |
    Christiane Kaess: Das Hamburger Landgericht fällt heute ein Urteil, das sich auf alle auswirken könnte, die gerne Videos im Internet abrufen, und das sind eine ganze Menge Leute. Alleine deutsche Nutzer haben zum Beispiel im April 2011 bei YouTube 3,8 Milliarden Videos angeklickt. YouTube ist heute eine Partei in dem Streit vor Gericht, genauer Google, das das Internetportal betreibt. Dem gegenüber steht die GEMA, die Komponisten oder Textautoren vertritt. Die GEMA nimmt Gebühren für alle Verwertungen von Musik, also beim Verkauf, bei Werbung oder im Radio ein, denn es geht dabei um das Urheberrecht dieser Stücke.
    Ich habe vor der Sendung mit Thomas Hoeren gesprochen. Er ist Rechtswissenschaftler an der Uni Münster, am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht. Ich habe ihn zuerst gefragt, von welchem Urteil des Hamburger Landesgerichts er ausgeht.

    Thomas Hoeren: Ich gehe davon aus, dass das Landgericht Hamburg die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bestätigen wird, nämlich dass es keine Haftung von YouTube gibt, proaktiv zur Filterung.

    Kaess: Das wäre ein Urteil für YouTube in dem Fall?

    Hoeren: Das wäre ein Urteil für YouTube und Google, das auf jeden Fall bewirken wird, dass YouTube von sich aus umfangreiche Sperrungs- und Filterungsmaßnahmen treffen müsste.

    Kaess: Mit welchem Argument denken Sie wird das Gericht zu diesem Urteil kommen?

    Hoeren: Es hat sich seit der Klageerhebung vor eineinhalb Jahren vieles geändert und wir haben eben zwei neue Urteile des Europäischen Gerichtshofs, in denen der Europäische Gerichtshof gesagt hat, ich kann nicht Menschen, die Plattformen betreiben, dazu zwingen, proaktiv von sich aus Filterungsmaßnahmen zu machen. Das war die Entscheidung von Februar des Europäischen Gerichtshofs. Das ist eins zu eins auf YouTube einschlägig. Das einzige Problem ist: Das Landgericht Hamburg ist ein bisschen berüchtigt für Eskapaden und eigenartige Urteile. Also ein kleines Restrisiko bleibt natürlich.

    Kaess: Schauen wir mal auf die andere Seite, wenn es anders ausgehen würde und für die GEMA sozusagen. Würde das ein Ende für Plattformen wie YouTube bedeuten, weil die Forderungen der GEMA nicht zu bezahlen sind beziehungsweise diese Vorabprüfungen nicht zu leisten sind?

    Hoeren: Das wäre ein sehr schwerer Eingriff in die Internetfreiheit, der aber wahrscheinlich nicht kommen wird, weil spätestens dann das Oberlandesgericht oder der Bundesgerichtshof es aufheben würde. Aber es wäre ein schwerer Eingriff, denn man muss sich eins klar machen: Ich kann eben im Internet nicht filtern, ich kann einem Bit nicht ansehen, was es beinhaltet, ich kann nicht die Millionen von YouTube-Videos, die da sind, auf urheberrechtliche Lagen hin durchprüfen. Deshalb hatte der Gesetzgeber ausdrücklich ins Gesetz hineingeschrieben, dass es solche Prüfungspflichten nicht geben soll. Das wäre dann wirklich eine Entscheidung contra legem.

    Kaess: Aber wo bleibt da der Schutz der Urheber?

    Hoeren: Es ist ja nicht so, dass das Urteil dann ein Freibrief wäre. Bisher wissen wir auf jeden Fall, dass auf Zuruf von Rechteinhabern YouTube sehr schnell reagieren muss und Dinge sperren muss. Das kennt auch jeder User. Dann steht auf einmal bei einem bestimmten Video, das man sehen will, "leider ist es aus urheberrechtlichen Gründen in Ihrem Land nicht möglich, das Video zu zeigen". Es geht also nicht darum, dass YouTube dann frei machen kann, was es will. Es geht nur um die Frage, ob YouTube über das Reagieren auf Zuruf hinaus von sich aus noch massiv filtern, herausfinden muss, wo Urheberrechtsverletzungen sind.

    Kaess: Das heißt, es wird auch nach einem Urteil, so wie Sie es vorhersehen, weiterhin zu diesen schwarzen Flächen kommen?

    Hoeren: Die schwarzen Flächen werden auf jeden Fall bleiben, denn die Grundsatzfrage, wie kann man das Ganze legalisieren, also die berühmte Einigungsfrage zwischen der GEMA und YouTube, die bleibt ja offen. Das heißt, deutsche Nutzer müssen auf jeden Fall ziemlich viele schwarze Videos hinnehmen.

    Kaess: Aber YouTube könnte sich doch auf der anderen Seite auf die Forderungen der GEMA einlassen und einfach zahlen.

    Hoeren: Das Problem ist, dass die GEMA seit Monaten damit beschäftigt ist, ihre Gebühren hochzurechnen. Das betrifft zurzeit Veranstalter von Musik-Events, aber eben auch YouTube. Die wollten auch fantastische Preise haben, was Videos angeht, sogar auch auf den einzelnen Klick eines Videos bezogen. Das hätte YouTube sehr viel Geld gekostet und da kann man zum Teil auch YouTube verstehen, dass sie sagen, so können wir nicht damit umgehen, zumal Deutschland damit das teuerste Land für die YouTube-Nutzung wäre, wenn man so viel Geld bezahlen müsste.

    Kaess: Aber noch mal zurück zu den Urhebern, denn hinter den Gebühren stehen ja die Urheber. Wer schützt die ausreichend?

    Hoeren: Erst einmal ist sowieso die spannende Frage, ob hinter der GEMA wirklich die Urheber stehen. Rein formal ist das so, aber es gibt ja nun ziemlich viele Fragen, was GEMA und GEMA-Praktiken angeht. Aber wenn wir mal den Satz so stehen lassen, sind ja die Urheber nicht schutzlos. Sie können auf jeden Fall immer protestieren gegen die entsprechende Verwendung. Das wird auch, wie wir wissen, sehr schnell aus dem Netz genommen, entsprechende Videos bei YouTube. Das einzige, was zurzeit das Problem ist, ist: Das ist wie Hase und Igel. Man muss natürlich immer wieder anrufen, sich melden bei YouTube, um die Videos herauszuziehen. Das ist lästig.

    Kaess: Aber wäre nicht deshalb mal eine Grundsatzentscheidung wichtig, die das verhindert?

    Hoeren: Das Problem, das wir haben, ... Oder was heißt das Problem? – Wir haben dazu eine Entscheidung. Die Entscheidung ist in Brüssel getroffen worden im Zusammenhang mit der sogenannten E-Commerce-Richtlinie, in der drinsteht, dass Host-Provider keine proaktiven Prüfungspflichten haben und letztendlich auch nur reagieren müssen, sobald sie wissen, dass irgendwas rechtswidrig ist. Man kann diese Entscheidung kritisieren, aber noch ist sie europäischer Standard, die der Europäische Gerichtshof so sieht.

    Kaess: Das heißt, letztendlich ein sehr laxer Schutz für Urheber?

    Hoeren: Ich würde es nicht lax nennen. Das einzige was unerfreulich ist für die Urheber: Immer nur verbieten, verbieten, verbieten, statt Geld zu bekommen, ist auf Dauer auch nicht tragbar. Das heißt, wir müssen auch in eine gesellschaftspolitische Diskussion über verbesserte Bezahlsysteme natürlich kommen.

    Kaess: Ist denn das Urteil morgen, von dem ja Signalwirkung ausgehen soll, dann der Weisheit letzter Schluss in Sachen Urheberrecht, oder rechnen Sie mit weiteren?

    Hoeren: Ein Urteil eines Landgerichts, vor allem aus Hamburg, ist nie letztendlicher Schluss. Das heißt, es wird sowieso hochgehen bis zum Bundesgerichtshof. Es wird noch viele Urteile geben und viele Diskussionen, vor allem, seitdem der Europäische Gerichtshof noch mal einen deutlichen Pflock zu Gunsten der Internetindustrie gesetzt hat.

    Kaess: Wie lässt sich denn der Streit im Urheberrecht – Sie haben es gerade schon angesprochen, der tobt ja schon eine ganze Weile -, wie lässt der sich denn lösen Ihrer Meinung nach?

    Hoeren: Zurzeit merkt man ja, brodelt das Thema Urheberrecht. Ich habe so was noch nie erlebt. Urheberrecht ist auf einmal ein Thekenthema. Wir haben Tausende von Münsteranern, die über die Straßen ziehen im Kampf um irgendein Urheberrecht. Das ist sehr merkwürdig, da hätte keiner mit gerechnet. Das zeigt eben, dass wir einen gesellschaftspolitischen Bedarf nach einer grundlegenden Reform des Urheberrechts haben, wo dann aber auch alles auf dem Prüfstand steht, auch die Frage, brauchen wir so viele Verbotsrechte, oder kann man nicht pfiffigere, flexiblere Bezahlsysteme einführen.

    Kaess: Was wäre denn der Vorteil von weniger Schutz von Urheberrechten im Internet?

    Hoeren: Die jetzigen Systeme zu Gunsten des Urhebers laufen auf reine Verbotsansprüche heraus, immer wieder sich melden, bei YouTube was verbieten. Auch ein Musiker hat ein großes Interesse daran, letztlich bei YouTube auch gesehen zu werden. Das ist ja zum Teil auch eine Werbeplattform, mit der man viel machen kann.

    Kaess: Aber die Musikindustrie hat auch ihr Problem damit.

    Hoeren: Ja die Musikindustrie hat mit vielem Probleme, hat aber auch ein völlig veraltetes Geschäftsmodell und versucht, durch Strippenziehereien im Hintergrund was zu machen, statt offensiv in einen gesellschaftlichen Dialog zu gehen. Das ist eben das Problem der Musikindustrie, die hat den Zug dann auch verpasst.

    Kaess: Sie hören sich jetzt gerade so ein bisschen an wie der Vorsitzende der Piratenpartei, wenn ich das mal so sagen darf. Was wünschen Sie sich denn von der Politik in der Diskussion?

    Hoeren: Also ich bin definitiv kein Pirat. Die Piraten gehen relativ unausgegoren noch mit dieser Thematik um und wissen letztendlich selbst nicht, was sie machen sollen. Der Punkt ist: wir müssen uns solchen Themen stellen wie Kultur-Flatrate vielleicht, wir müssen in eine Diskussion kommen, dass wir zu einer verbesserten Zahlung zu Gunsten der Musiker kommen. Das würde nämlich bewirken, dass man gesamtgesellschaftlich auch den Wert von Urheberrecht noch mal anders einstuft, weil zurzeit haben wir eine Erosion des Urheberrechts, sodass man selbst einem Schüler kaum noch klar machen kann, warum er überhaupt irgendwas bezahlen sollte.

    Kaess: Sie haben das Stichwort Kultur-Flatrate aufgebracht. Wie sollte so eine Kultur-Flatrate aussehen, wie muss man sich so was vorstellen?

    Hoeren: Es wird diskutiert, einen Teil der GEZ-Gebühren dazu zu verwenden, es wird mit Steuern darüber nachgedacht. Ich finde, man darf das nicht, die Kultur-Flatrate, zu der "alles oder nichts"-Lösung machen, denn wenn man sie gesamtgesellschaftlich wieder sieht, wieso soll jemand a la GEZ 100 Euro im Monat bezahlen für den Download von Musik, der überhaupt keinen Download macht. Das wird also eine breite Diskussion geben wie bei der GEZ, ich will das nicht, die Sätze sind zu hoch, an wen gehen die überhaupt. Aber die Flatrate ist schon ein Modell, wenn man zum Beispiel an eine Wissenschafts-Flatrate denken würde, also den gesamten Bereich der wissenschaftlichen Nutzung von Verlagsprodukten im Internet durch Flatrate-Modelle legalisieren könnte, weil da tobt der Streit ja weiter im Urheberrecht.

    Kaess: Das ist ein breites Feld, Sie haben es gerade schon angesprochen. Noch mal zurück zur Piratenpartei, die plant einen Runden Tisch, um den Streit ums Urheberrecht zu entschärfen. Kann das eine Lösung bringen, oder denken Sie, dass es kurz- und mittelfristig weiterhin auf gerichtliche Lösungen hinauslaufen wird?

    Hoeren: Ich habe eben meine Zweifel, ob die Piratenpartei im jetzigen Zustand in der Lage ist, sozusagen solche Prozesse zu steuern. Es wird, glaube ich, noch eine Zeit lang gerichtliche Prozesse geben, wir brauchen auch bestimmte Pflöcke, die die Rechtsprechung in das Ganze System erst mal einzieht, wir brauchen auch so eine Art Hypertrophie des Urheberrechts, so eine Art Explosion. Die merkt man ja, das ist "ACTA, SOPA, PIPA". Da geht es nicht mehr um Piratenpartei, um ein paar verrückte Juraprofessoren, die irgendwas sagen, sondern der Kampf zwischen der ganz großen Internetindustrie gegen die Content-Industrie, und der muss noch ein bisschen weitergehen, der ist noch nicht so ausgereift. Erst wenn der Leidensdruck richtig gewachsen ist, glaube ich, dann kommen wir zu Runden Tischen.

    Kaess: Thomas Hoeren, er ist Rechtswissenschaftler am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.