In Paris hat eine jüngst eröffnete Fotografieausstellung mit Farbaufnahmen aus der Besatzungszeit Kontroversen ausgelöst. Dabei geht es erneut um das heikle Thema der Kollaboration mit den deutschen Okkupanten während des Zweiten Weltkriegs.
Zurecht ist das Pariser "Marais" - im vierten Arrondissement, nahe dem Rathaus - ein Touristenmagnet: nicht nur als historischer Stadtkern, sondern auch wegen der Konzentration von Erinnerungsorten, die Schauplätze für die Geschichte der Hauptstadt abgaben. Und der Museen und Bibliotheken, die dies dokumentieren. In einer von ihnen, der "Bibliothèque historique de la Ville de Paris", die von Zeit zu Zeit Ausschnitte ihres gewaltigen Fundus präsentiert, ist seit kurzem - und bis zum 1. Juli - eine Ausstellung zu sehen, die das deutsch-französische Verhältnis an seiner wundesten Stelle berührt.
Es geht um die Phase der Besatzung nach dem sogenannten Blitzkrieg von 1940. Die Franzosen sprechen von "occupation" - das waren die Deutschen -, und von "collaboration" - das waren sie selber. Genauer: Es war jeweils nur ein Teil von beiden, aber die Erinnerungen an diese "schwarzen Jahre", die "années noires", sind bis heute eher verdrängt denn aufgearbeitet, von einigen engagierten Zeithistorikern abgesehen. Als schwarz gilt diese Phase nicht nur wegen der materiellen Not und der erlittenen Unterdrückung, sondern wegen der nationalen Demütigung und den - aus dem Rückblick als Schande empfundenen – "Anpassungen" an die Sieger.
Die aktuelle Ausstellung von Farbfotografen André Zuccas "Die Pariser während der Besatzung" hat denn auch sogleich Polemiken ausgelöst, die in den führenden Blättern der Hauptstadt ausgetragen wurden. Wer war jener André Zucca, der als Fotograf, anders als seine Zeitgenossen Georges Brassai, Henri Cartier-Bresson oder Gisèle Freund, heute kaum noch bekannt ist?
Zucca kommt 1897 als einziger Sohn einer italienischen Schneiderin in Paris zur Welt. Deren Brüder haben in New York reüssiert, bei ihnen verlebt Zucca seine Jugendjahre. Zurück in Paris lebt er von Gelegenheitsarbeiten, bis er in den 20er Jahren mit der Fotografie in Berührung kommt. Er darf Schauspieler porträtieren - für Theater- und Filmrevüen. In den 30ern gelingt es ihm, sich als Fotoreporter zu etablieren. Es entstehen Reportagen über die Länder Südeuropas und Nordafrikas. Den "komischen Krieg", die "dròle-de-guerre" zwischen Frankreich und Deutschland, 1939/40, fotografiert er für das Millionen-Blatt "Paris-Soir". Ab 1941 folgen dann Jahre gesteigerter Aktivität: als "Collaborateur" der Deutschen.
Er arbeitet jetzt für "Signal", die - von der Wehrmacht herausgegebene - auflagenstärkste und technisch avancierteste Auslandspropagandaillustrierte. Zucca erhält neben üppigem Gehalt ein deutsches Passepartout und einen Presseausweis, er arbeitet mit einer Leica und einer Rolleiflex und hat vor allem Zugriff auf die neuen und sehr begehrten Agfacolor-Umkehrfilme. Für seine Kriegsreportagen fotografiert er in schwarz-weiß, für seine "atmosphärischen" Stimmungsbilder von Paris - sie sind in der Ausstellung zu sehen - nutzt er den Farbfilm.
An eben diesen Aufnahmen entzünden sich die Reaktionen des Publikums, auch des professionellen. Sie reichen von Bewunderung bis zur Verdammung. Die Farbe, rühmen die einen, mache auch die "schwarzen Jahre" plastischer, rücke sie heran, befreie sie vom spinnwebgrauen Firnis einer angeblich nur tristen und bleiernen Zeit. Die geschönte Sicht der Metropole, so die Kritiker des Kollaborateurs Zucca, Paris in Farbe zu zeigen - als auch im Krieg konfliktfreies, ewiges Faszinosum, nur durchsetzt von gelegentlichen grauen Uniformen - sei ein glatter Hohn angesichts der Opfer dieser Jahre.
Zucca habe Paris "durchs Objektiv der Nazis" gesehen, schreiben sie, und die Kuratoren der Ausstellung - stolz auf die exklusive Verfügung über Tausende von Negativen Zuccas - ließen die Aufnahmen ohne Skrupel für sich sprechen. Sie hätten versäumt, über deren Kontext aufzuklären und darüber, was Zucca nicht fotografiert habe: die Misere der Hungernden, die Verfolgung der "résistance", die Rückschritte der Zivilisation aus Mangel.
In seinen Aufnahmen erscheine die Hauptstadt vielmehr so, wie die Okkupanten sie präsentiert haben wollten: Als Metropole des angenehmen Lebens, der hypereleganten Garderoben, der überfüllten Straßencafés und exquisiten Restaurants, bedacht, wie immer, auf charmante Unterhaltung, auf Chique und vielfältige Abwechslung. Die Sieger tolerant, voller Großzügigkeit und Zurückhaltung. Kein Hauch von Gestapo, SS, von Judenlagern wie Drancy. Kein Hinweis auf die Zusammenarbeit der französischen Polizei (oder der Industriellen) mit den deutschen Machthabern. Stattdessen: starkes Interesse für die neuesten Kinofilme und das Outfit des Tout-Paris am Rande der Pferderennbahn von Longchamps.
Wie endete die abenteuerliche Karriere des André Zucca? Im Oktober 1944, wenige Monate nach der Befreiung , wurde er verhaftet, kam durch die Intervention eines befreundeten Widerständlers als minderbelastet vorläufig frei und verschwand im Frühjahr 1945, wie man französisch sagt, "in der Natur". Genauer: Er verzog sich in einen kleinen Ort der Provinz und eröffnete, unter falschem Namen, einen Fotoladen, machte Hochzeits- und Familienbilder.
In den letzten Jahren kehrte er in sein Pariser Stamm-Quartier, den Montmartre, zurück. Dort starb er, beinahe unbemerkt, 1973. Kennt man die Hintergründe, lohnt sich ein Besuch der Ausstellung allemal. Der Katalog ist - zum Preis von 34 Euro - im Verlag Gallimard erschienen.
Zurecht ist das Pariser "Marais" - im vierten Arrondissement, nahe dem Rathaus - ein Touristenmagnet: nicht nur als historischer Stadtkern, sondern auch wegen der Konzentration von Erinnerungsorten, die Schauplätze für die Geschichte der Hauptstadt abgaben. Und der Museen und Bibliotheken, die dies dokumentieren. In einer von ihnen, der "Bibliothèque historique de la Ville de Paris", die von Zeit zu Zeit Ausschnitte ihres gewaltigen Fundus präsentiert, ist seit kurzem - und bis zum 1. Juli - eine Ausstellung zu sehen, die das deutsch-französische Verhältnis an seiner wundesten Stelle berührt.
Es geht um die Phase der Besatzung nach dem sogenannten Blitzkrieg von 1940. Die Franzosen sprechen von "occupation" - das waren die Deutschen -, und von "collaboration" - das waren sie selber. Genauer: Es war jeweils nur ein Teil von beiden, aber die Erinnerungen an diese "schwarzen Jahre", die "années noires", sind bis heute eher verdrängt denn aufgearbeitet, von einigen engagierten Zeithistorikern abgesehen. Als schwarz gilt diese Phase nicht nur wegen der materiellen Not und der erlittenen Unterdrückung, sondern wegen der nationalen Demütigung und den - aus dem Rückblick als Schande empfundenen – "Anpassungen" an die Sieger.
Die aktuelle Ausstellung von Farbfotografen André Zuccas "Die Pariser während der Besatzung" hat denn auch sogleich Polemiken ausgelöst, die in den führenden Blättern der Hauptstadt ausgetragen wurden. Wer war jener André Zucca, der als Fotograf, anders als seine Zeitgenossen Georges Brassai, Henri Cartier-Bresson oder Gisèle Freund, heute kaum noch bekannt ist?
Zucca kommt 1897 als einziger Sohn einer italienischen Schneiderin in Paris zur Welt. Deren Brüder haben in New York reüssiert, bei ihnen verlebt Zucca seine Jugendjahre. Zurück in Paris lebt er von Gelegenheitsarbeiten, bis er in den 20er Jahren mit der Fotografie in Berührung kommt. Er darf Schauspieler porträtieren - für Theater- und Filmrevüen. In den 30ern gelingt es ihm, sich als Fotoreporter zu etablieren. Es entstehen Reportagen über die Länder Südeuropas und Nordafrikas. Den "komischen Krieg", die "dròle-de-guerre" zwischen Frankreich und Deutschland, 1939/40, fotografiert er für das Millionen-Blatt "Paris-Soir". Ab 1941 folgen dann Jahre gesteigerter Aktivität: als "Collaborateur" der Deutschen.
Er arbeitet jetzt für "Signal", die - von der Wehrmacht herausgegebene - auflagenstärkste und technisch avancierteste Auslandspropagandaillustrierte. Zucca erhält neben üppigem Gehalt ein deutsches Passepartout und einen Presseausweis, er arbeitet mit einer Leica und einer Rolleiflex und hat vor allem Zugriff auf die neuen und sehr begehrten Agfacolor-Umkehrfilme. Für seine Kriegsreportagen fotografiert er in schwarz-weiß, für seine "atmosphärischen" Stimmungsbilder von Paris - sie sind in der Ausstellung zu sehen - nutzt er den Farbfilm.
An eben diesen Aufnahmen entzünden sich die Reaktionen des Publikums, auch des professionellen. Sie reichen von Bewunderung bis zur Verdammung. Die Farbe, rühmen die einen, mache auch die "schwarzen Jahre" plastischer, rücke sie heran, befreie sie vom spinnwebgrauen Firnis einer angeblich nur tristen und bleiernen Zeit. Die geschönte Sicht der Metropole, so die Kritiker des Kollaborateurs Zucca, Paris in Farbe zu zeigen - als auch im Krieg konfliktfreies, ewiges Faszinosum, nur durchsetzt von gelegentlichen grauen Uniformen - sei ein glatter Hohn angesichts der Opfer dieser Jahre.
Zucca habe Paris "durchs Objektiv der Nazis" gesehen, schreiben sie, und die Kuratoren der Ausstellung - stolz auf die exklusive Verfügung über Tausende von Negativen Zuccas - ließen die Aufnahmen ohne Skrupel für sich sprechen. Sie hätten versäumt, über deren Kontext aufzuklären und darüber, was Zucca nicht fotografiert habe: die Misere der Hungernden, die Verfolgung der "résistance", die Rückschritte der Zivilisation aus Mangel.
In seinen Aufnahmen erscheine die Hauptstadt vielmehr so, wie die Okkupanten sie präsentiert haben wollten: Als Metropole des angenehmen Lebens, der hypereleganten Garderoben, der überfüllten Straßencafés und exquisiten Restaurants, bedacht, wie immer, auf charmante Unterhaltung, auf Chique und vielfältige Abwechslung. Die Sieger tolerant, voller Großzügigkeit und Zurückhaltung. Kein Hauch von Gestapo, SS, von Judenlagern wie Drancy. Kein Hinweis auf die Zusammenarbeit der französischen Polizei (oder der Industriellen) mit den deutschen Machthabern. Stattdessen: starkes Interesse für die neuesten Kinofilme und das Outfit des Tout-Paris am Rande der Pferderennbahn von Longchamps.
Wie endete die abenteuerliche Karriere des André Zucca? Im Oktober 1944, wenige Monate nach der Befreiung , wurde er verhaftet, kam durch die Intervention eines befreundeten Widerständlers als minderbelastet vorläufig frei und verschwand im Frühjahr 1945, wie man französisch sagt, "in der Natur". Genauer: Er verzog sich in einen kleinen Ort der Provinz und eröffnete, unter falschem Namen, einen Fotoladen, machte Hochzeits- und Familienbilder.
In den letzten Jahren kehrte er in sein Pariser Stamm-Quartier, den Montmartre, zurück. Dort starb er, beinahe unbemerkt, 1973. Kennt man die Hintergründe, lohnt sich ein Besuch der Ausstellung allemal. Der Katalog ist - zum Preis von 34 Euro - im Verlag Gallimard erschienen.