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"Schwarze Null"
"Kein Gegensatz zu Investitionen"

Die "schwarze Null" hat eine hohe Symbolkraft, sagte Christoph Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, im DLF. Sie stehe für eine solide Finanzpolitik. Dennoch sollte ein ausgeglichener Haushalt nicht zu Lasten von Investitionen gehen. Man könne und müsse beides in der Finanzstrategie berücksichtigen.

Christoph Schmidt im Gespräch mit Gerd Breker |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält den Jahresbericht der Wirtschaftsweisen, hier mit den Professoren Peter Bofinger (l.) und Christoph Schmidt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält den Jahresbericht der Wirtschaftsweisen, hier mit den Professoren Peter Bofinger (l.) und Christoph Schmidt. (dpa / Rainer Jensen)
    Gerd Breker: Der erste ausgeglichene Bundeshaushalt seit mehr als vier Jahrzehnten hat eine wesentliche parlamentarische Hürde genommen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages beschloss am frühen Morgen mit den Stimmen von Union und SPD den Etat für das kommende Jahr.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Christoph Schmidt, Präsident des Essener RWI und zugleich Vorsitzender des Sachverständigenrates. Guten Tag, Herr Schmidt.
    Christoph Schmidt: Ich grüße Sie!
    Breker: Wie wichtig ist die schwarze Null, auf die die Bundesregierung so stolz ist?
    Schmidt: Ich denke, dass die Symbolkraft schon nicht zu unterschätzen ist. Wir hatten bereits in unserem vergangenen Jahresgutachten darauf hingewiesen, dass die gute konjunkturelle Lage, die gute demographische Lage, noch gute demographische Lage und das niedrige Zinsniveau Sonderfaktoren darstellen, die den Einstieg in üppige strukturelle Mehrausgaben eigentlich verbieten sollten. Dennoch hat die Große Koalition vieles getan, um ihre strukturellen Ausgaben zu erhöhen, hat aber - damals auch schon von uns sehr befürwortet - gesagt, keine Steuererhöhungen. Und in der Tat will man sich ja an dieses Vorhaben halten. Das ist schon mal ein gutes Signal, denn was an öffentlichen Ausgaben zu tätigen ist, was an öffentlichen Investitionen zu tätigen ist, ist nach unserer Einschätzung auch mit Umschichtungen, mit guter Prioritätensetzung in den öffentlichen Haushalten zu erreichen, also ohne noch mal strukturelle Mehrausgaben zu erhöhen. Und von daher, weil wir auch aus der Wirtschaftskrise kommen, die durchaus auch Vertrauensverluste in solides finanzpolitisches Handeln und in das Einhalten von Abreden und Regeln mit sich gebracht hat, ist es schon ganz vernünftig, hier zurückhaltend zu sein und Spielräume nicht bis zum Letzten auszureizen.
    Breker: Wenn die schwarze Null so wichtig ist, dann haben wir nach der Vorlage ihres Gutachtens gelernt, der Sachverständigenrat selber ist nicht mehr so wichtig.
    Begründete Schlussfolgerungen
    Schmidt: Ja das ist eine Sache, die sich immer erst in der historischen Rückschau zeigen kann, wie viel Beitrag hat eigentlich ein wissenschaftliches Gremium zu einer vernünftigen Debatte liefern können. Ich denke, bei der Frage, ob man sinnvollerweise den Boten schlechter Nachrichten köpfen sollte, oder lieber sich die Kritik anhören und konstruktiv mit ihr umgehen sollte, kann sich jeder ein Urteil bilden. Ich denke auch, dass wir Ökonomen durchaus Anlass haben, demütig zu sein aufgrund auch der Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir nicht in ihren ganzen Auswirkungen so vorhergesehen haben. Wir haben vielleicht nicht hinreichend gewarnt in der Vergangenheit. Deswegen haben wir auch viel gelernt, werden immer evidenzbasierter in unserem Vorgehen. Das gilt für den Sachverständigenrat insbesondere. Das heißt, wir sammeln wirklich sehr sorgfältig empirische Belege, wägen sorgfältig Argumente pro und contra ab und kommen dann zu Schlussfolgerungen, die wir auch begründen können. Damit muss man natürlich umgehen können. Kritik ist manchmal unangenehm, aber das gehört dazu.
    Breker: Ihnen wird ja Unwissenschaftlichkeit bescheinigt, weil der Mindestlohn ja noch gar nicht in Kraft ist. Wie kann er sich dann negativ auswirken, sagt die Kanzlerin.
    Schmidt: Ja. Ich denke, dass sich das in einem kurzen Gespräch mit der Kanzlerin, die ja bei der Übergabe kurz vor ihrer Abreise stand, sehr leicht wird klären lassen. Die Aufregung um diese Frage kann ich wirklich nicht ganz nachvollziehen. Ich habe das ja auch verfolgt in den vergangenen Tagen, dass das ein Aufreger gewesen ist. Natürlich bilden Leute Erwartungen, bevor sie eine langfristige Anschaffung tätigen. Insbesondere Unternehmer fragen sich, wie sieht es in der Zukunft aus. Und wenn mehrere Hemmnisse zusammenkommen, die ihre Investition, die sonst günstig wäre, die sonst renditeträchtig wäre, nicht mehr so renditeträchtig machen, dann werden sie sich es anders überlegen. Und wenn geopolitische Krisen, der Nachfragerückgang im Euro-Raum und noch eine nicht gerade gute Weichenstellung der Wirtschaftspolitik zusammenkommen, hat das halt auch schon vorher Auswirkungen, bevor die entsprechenden Gesetze in Kraft getreten sind. Menschen bilden Erwartungen in all ihren Handlungen und vor allem auch beim wirtschaftlichen Denken.
    Breker: Hört sich so an, als ob die Bundesregierung den Sachverstand für sich reklamiert.
    Schmidt: Ja. Das, denke ich, muss man auch sehr differenziert sehen. Da hat sich ja auch nicht jeder gleichförmig geäußert. Da gab es ja durchaus sehr unterschiedliche Reaktionen. Ich denke, dass unser Jahresgutachten auch etwas ist, was man ohne große Aufregung werten und würdigen sollte. Das ist ja nicht eine Sache, die tagespolitisch einen Tag interessant ist und dann sind die Aussagen ungültig. Wir gehen ja sehr tief in verschiedenen Bereichen, bei der Frage der Investitionstätigkeit in Deutschland, bei der Politik, die wir im Euro-Raum für die richtige halten, bei der richtigen Architektur des Euro-Raums, bei der Frage der bund-Länder-Finanzen. Das sind ja alles Themen, die man in Ruhe gewichten und auch diskutieren sollte. Ich bin überzeugt, dass, wenn sich diese erste Aufregung gelegt hat, die viel mit dem Köpfen des Boten zu tun hat, wenn sich das gelegt hat, wird auch die Sachdiskussion, glaube ich, im Vordergrund stehen.
    Breker: Herr Schmidt, kann man sagen, die schwarze Null geht auf Kosten der Investitionen? Etwa in Sachen Infrastruktur ist die Rede von sieben Milliarden Euro, die investiert werden müssten. Die schwarze Null sozusagen der Preis dafür, dass man diese Investitionen nicht tätigt?
    "Schwarze Null" geht nicht auf Kosten von Investitionen
    Schmidt: Nein, überhaupt nicht. Wir sehen da gar keinen Gegensatz. Es ist in der Tat so, dass der Infrastruktur-Bedarf, also der Investitionsbedarf bei den Engpässen der Verkehrsinfrastruktur insbesondere, natürlich nicht eine Sache ist, die man einfach nur vernachlässigen sollte. Aber in seiner Größenordnung ist dieses Problem bei den üppigen Einnahmen der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen insgesamt natürlich durch ganz solide, einfache, normale Haushaltspolitik und Prioritätensetzung in den Haushalten zu bewerkstelligen. Da braucht es keine zusätzlichen Anstrengungen. Das kann innerhalb der Budget-Spielräume geschafft werden. Das muss man natürlich dann auch seinen Wählern jeweils erklären, dass man an einer Stelle auf konsumtive Ausgaben verzichtet und seine üppigen Einnahmen lieber für Investitionen ausgibt. Das ist aber eine Sache der Verantwortung der Politik vor Ort in den Kommunen, in den Ländern und natürlich auch im Bund, die die Politik auch stemmen muss.
    Breker: Was ich heute nicht investiere, das muss ich morgen investieren. Und dann wird's teurer.
    Schmidt: Definitiv ist es so, dass politisch Verantwortliche, wirtschaftspolitisch Handelnde mit ihren Entscheidungen heute für die Zukunft die Basis bilden. Wir haben einen demographischen Wandel vor der Tür, der ab 2020 sehr verstärkt zunehmen wird. Wir haben eine immer weiter fortschreitende Globalisierung, Herausforderungen kommen auf uns zu, vor denen wir uns wappnen müssen. Investitionen sind der Schlüssel dazu, in Sachkapital, aber vor allem auch in das Wissen der Menschen, in unsere Anpassungsfähigkeit unserer Märkte, in die produktive Kapazität der Arbeitnehmer, die später auch die sozialen Sicherungssysteme finanzieren sollen. Es gibt üppige Gründe fürs Investieren, aber es gibt auch keine Hemmnisse innerhalb der bestehenden Einnahmen, die die Politik daran hindern sollte, das Richtige zu tun.
    Breker: Offenbar hindert sich aber diese Bundesregierung selber. Kann man sagen, daraus wird heute die Null und morgen werden die Zahlen wieder rot?#
    Schmidt: Nein. Ich denke, dass es keinen Automatismus gibt, der von einer soliden Finanzpolitik heute hinweist darauf, dass sie deswegen morgen weniger solide ist. Ganz im Gegenteil! Es ist ja so, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa auch wieder Vertrauen bilden müssen in das solide finanzpolitische Handeln von Regierungen, in den Willen, Verabredungen, Regeln einzuhalten. Da muss die Bundesrepublik Deutschland sicherlich aufgrund ihrer großen Bedeutung mit einem guten Vorbild vorangehen. Hier für solide Finanzpolitik zu sorgen und hier solide Finanzpolitik zu verfolgen, ist ja auch ein wichtiges Signal an unsere Partnerländer und die anderen Mitgliedsstaaten im Euro-Raum. Man kann aber das alles tun, ohne auf das richtige Investieren seitens der öffentlichen Hand zu verzichten. Da gibt es keinen Widerspruch, das lässt sich alles auflösen, und von daher muss man die beiden Dinge, Investitionen auf der einen Seite und solides finanzpolitisches Handeln auf der anderen, nicht als Widerspruch empfinden. Ganz im Gegenteil!
    Breker: Im Deutschlandfunk war das Christoph Schmidt. Er ist Präsident des Essener RWI und zugleich Vorsitzender des Sachverständigenrates. Herr Schmidt, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Schmidt: Ich danke Ihnen ebenfalls. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.