Im Garten des Münchner Prinzregententheaters marschieren die oberbayerischen Gebirgsschützen auf. Die trachtengewandete Traditions-Kompanie mit den weißen Federn am Hut spielt ein Geburtstagsständchen für Edmund Stoiber. Der 70 Jahre alte CSU-Ehrenvorsitzende nimmt den Taktstock und dirigiert die Kapelle genauso, wie er früher den Freistaat dirigierte: konzentriert und zackig.
Stoibers Parteifreunde haben die Wolfrathauser Gebirgsschützen nach München geholt. Als wollten sie die Heimatverbundenheit des gebürtigen Wolfratshauseners Stoiber noch zusätzlich betonen. Der Alt-Ministerpräsident zitiert in seiner Geburtstagsrede seinen Ziehvater Franz-Josef Strauß.
"Bayern, sagte er, das ist meine Heimat. Deutschland, das ist unser Vaterland. Und Europa, das ist unsere Zukunft. Heimat, das Vaterland und Europa gehören in der Welt des 21.Jahrhunderts zusammen – und sie müssen auch zusammenhalten."
Edmund Stoiber, ein leidenschaftlicher Europäer? Jener Edmund Stoiber, der als bayerischer Ministerpräsident gegen das "gefräßige Brüssel" zu Felde zog? Wer hätte das vor fünf Jahren für möglich gehalten? Theo Waigel sicher nicht, der Vater des Euro, der in der zweiten Reihe des Prinzregententheaters sitzt. Und auch nicht der Schnauzbartträger mit dem grünen Trachtenjanker in Reihe 4: Peter Gauweiler. Auch er ein Ziehsohn von Franz-Josef Strauß – und der schärfste Euro-Kritiker in der CSU. Er hat im Bundestag gegen den Euro-Rettungsschirm gestimmt, er hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Milliarden-Bürgschaften für Griechenland geklagt ...
"... und ich möchte auch dieser Position mehr Repräsentanz in der unmittelbaren CSU-Führung verleihen."
Peter Gauweiler, der Schwarze Peter, wie er in Bayern heißt, sitzt auf dem Stoffsofa seiner Münchner Anwaltskanzlei am Promenadeplatz. Über ihm hängen bayerische Landschaftsbilder in Öl. Gauweiler kandidiert beim morgen beginnenden CSU-Parteitag in Nürnberg als stellvertretender Parteivorsitzender der Christlich Sozialen Union.
"Das große Thema, für das die CSU überhaupt gegründet wurde, das ist bayrisch. Nämlich die Regionalität und die Eigenständigkeit Bayerns. Nicht um eines Los-Seins vom Deutschen Bund, sondern um ihn zu stärken. Aber zu stärken durch eine Eigenständigkeit und auch durch mehr Selbstbestimmung."
Bayern zuerst, Europa zuletzt. Damit spricht der CSU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Landes-Umweltminister Gauweiler vielen an der CSU-Basis aus der Seele. Nirgendwo in Deutschland ist das Misstrauen gegenüber dem Euro und die Sehnsucht nach der D-Mark größer als in Bayern. Gauweiler hat klare politische Ziele:
"Eine kritischere Haltung in der Debatte um den Euro. Die Wiederherstellung der Stabilitätskriterien. Ein Eintreten für ein selbstbewusstes Bayern in einem Europa der Regionen und gegen einen europäischen Zentralstaat. Ich möchte auch mir selber sagen können: Ich habe rechtzeitig einzugreifen versucht."
Dieses rechtzeitige Eingreifen hat Peter Gauweiler auf seine ganz eigene Art in Szene gesetzt: Er kündigte seine Kandidatur öffentlich an, nachdem Parteichef Seehofer vor der Presse seine fertig ausgearbeiteten Stellvertreter-Pläne präsentiert hatte. Seehofer gibt sich alle Mühe, diesen Affront zu einem ganz normalen Vorgang in einer demokratischen Partei herunterzuspielen:
"Wahl heißt auch Auswahl und heißt nicht, dass es ein Betriebsunfall in einer Partei ist. Mir kommt’s vor allem darauf an, dass wir diese Wahlvorgänge mit Stil und Format auf dem Parteitag durchführen."
Gauweilers Format ist eher kantig, sein Stil bisweilen unvorhersehbar. Tagelang schlug der schwarze Peter das angebotene Telefonat mit dem Parteivorsitzenden aus. Stattdessen ließ er verlauten, er verstehe das Stellvertreter-Amt nicht als politisches Austragshäuserl, also als dekorativen Posten ohne Einfluss. Gauweiler will gestalten – notfalls auch gegen Seehofer. Er wird ein unbequemer Stellvertreter sein, wenn er sich durchsetzt. Der Münchner Politik-Professor und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter:
"Ich hab den Eindruck, dass die CSU nach wie vor in sich verunsichert ist. Dass die Stimmung leicht aufgereizt oder auf alle Fälle nicht so ist, dass man nur mit Optimismus in die Zukunft schaut. Wenn man sich anschaut, dass also auch ein austariertes Tableau von Stellvertretern für den Parteivorsitz nicht mehr akzeptiert wird, sondern plötzlich aus heiterem Himmel eine Gegenkandidatur entsteht, die auch noch hervorragende Aussicht auf Erfolg hat, sieht man, dass da die Balance in Unordnung geraten ist. Von daher muss man sagen: Seehofer ist als Führer im Augenblick sicher unbestreitbar, aber er ist nicht in einer Situation, in der es ihm gelingt, den Laden ruhig zu halten oder ihm Sicherheit zu geben."
Denn die Umfrage-Werte der CSU sind derzeit bescheiden. Von 50 plus X ist schon lange keine Rede mehr. Nicht mal für 50 minus X reicht es derzeit. Nach aktuellen Umfragen liegen die Christsozialen bei gerade mal knapp über 40 Prozent. Würde morgen in Bayern gewählt, hätten SPD, Grüne und Freie Wähler theoretisch eine Mehrheit. Dabei verlief das letzte Jahr für Seehofer erstaunlich günstig, erklärt Professor Oberreuter:
"Er hat einen Haufen Glück gehabt. Er ist den Guttenberg losgeworden durch dessen Leichtfertigkeit und Leichtsinn. Und er ist in der Tat in Baden-Württemberg die konservative Konkurrenz losgeworden. Wer in der CDU, im Unionslager nach konservativem Profil sucht, der wird nach Bayern schauen müssen. Solange die CSU in der Lage ist, diesen Markenkern zu vertreten."
Horst Seehofer hat diesen schwarzen Markenkern aus Sicht vieler CSU-Abgeordneter lange Zeit ungenügend gepflegt. Sein erratischer Politik-Stil und sein unsteter Kurs - ob bei Studiengebühren, Rente mit 67 oder der Energiewende - hat viele verwirrt. Auch die junge Katrin Poleschner, die designierte Vorsitzende der Jungen Union Bayern, sie ist nicht immer glücklich mit dem CSU-Chef. Sie hatte beim letzten CSU-Parteitag für Unruhe gesorgt, weil sie sich vehement gegen die Einführung einer Frauenquote stellte – und damit auch gegen Parteichef Seehofer. Für Poleschner ist Peter Gauweiler das genaue Gegenteil von Seehofer: geradlinig, standfest, prinzipientreu.
"Er steht auch für ein insgesamtes Grummeln in der Partei. In Zeiten, in denen nicht mehr die Überflieger-60-Prozent-Marken geknackt werden, ist eine latente Unzufriedenheit von einer bestimmten Menge an Leuten vorhanden. Und da sind dann natürlich Menschen, die das auch mal ansprechen, die sich auch mal trauen, gegen den Strom zu schwimmen, durchaus die, die der Partei was Gutes tun können."
So gesehen könnte Peter Gauweiler für Horst Seehofer durchaus nützlich sein. Denn Gauweiler stärkt den konservativen Markenkern der CSU. Allerdings wird der Münchner Rechts-Außenseiter voraussichtlich gegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer antreten. Der hat sich intern schon Schützenhilfe von Seehofer erbeten – und nicht bekommen. Der Parteichef bleibt neutral. Damit die Abstimmung über den Vize nicht auch zur indirekten Abstimmung über den Vorsitzenden wird. Denn nicht nur Ramsauer weiß, dass er gegen den beliebten Gauweiler durchaus verlieren und dadurch beschädigt werden könnte. Der Bundesverkehrsminister ist nicht sonderlich beliebt in der Partei. Das hat mit dem zweiten großen Thema des Parteitags neben der Euro-Schuldenkrise zu tun: der Pkw-Maut. Die CSU will eine Autobahngebühr einführen, um dringend notwendige Infrastruktur-Maßnahmen zu finanzieren, für die es derzeit im Verkehrs-Etat kein Geld gibt. Die Gebühr soll vor allem ausländische Autofahrer auf deutschen Straßen belasten. Deutsche Autofahrer will die CSU über eine verminderte Steuer entlasten. Kanzlerin Merkel und die CDU sind gegen das Projekt. Verkehrsminister Ramsauer hielt sich bislang zu diesem Thema bedeckt. Jetzt hat er zusammen mit Bayerns Innenminister Joachim Hermann einen Maut-Antrag für den Parteitag formuliert. Damit hat er Stellung bezogen und muss die Konsequenzen auch mittragen, fordert Katrin Poleschner:
"Er sollte auf jeden Fall das Thema seiner eigenen Partei so vertreten, wie es seine eigene Partei beschließt. Sofern seine Partei pro Pkw-Maut stimmt, wird er auch die Aufgabe haben, diese Entscheidung weiter zu tragen. Das ist natürlich eine schwierige Situation für einen Bundesverkehrsminister, der natürlich auch die Regierungskoalition nicht gefährden sollte. Aber das erfordert Fingerspitzengefühl von ihm, und ich glaube, das kriegt er dann schon hin. Wenn es einfach wäre, könnte es ja jeder. Und Politik ist nicht einfach. Das ist die große Herausforderung."
Ramsauer ist nervös vor diesem Parteitag. Beim Geburtstag von Edmund Stoiber reagiert er gereizt, als Reporter ihn, den Oberbayern, auf den Münchner Peter Gauweiler ansprechen. Es sei ihm egal, sagt Ramsauer, ob nun einer oder zehn Bewerber gegen ihn anträten. Bundeslandwirtschafts-Ministerin Ilse Aigner, die oberbayerische Bezirks-Chefin, unterstützt ihren Landsmann Ramsauer – recht müde:
"Manche Niederlage muss man auch mal einstecken können, was ich dem Peter Ramsauer nicht wünsche, aber auch ich hab schon welche einstecken müssen. Das gehört zum Geschäft."
"Man weiß auch nicht, ob Herr Ramsauer tatsächlich antritt oder ob sie sich zum Schluss noch einig werden. So viel ist unsicher momentan, aber das ist ja das Schöne daran, dass man auch mal Überraschungen erlebt."
Eine dieser Überraschungen könnte mit der Euro-Schuldenkrise zusammenhängen. Seitdem die Zweifel wachsen, ob Griechenland überhaupt noch zu helfen ist, lässt die CSU und besonders Horst Seehofer keine Gelegenheit aus, sich gegen die CDU und Angela Merkel zu positionieren. Wenn der Euro scheitere, müsse Europa noch lange nicht scheitern, widerspricht Seehofer der Kanzlerin – und sprang demonstrativ Wirtschaftsminister Philipp Rösler bei, als der öffentlich über eine mögliche Insolvenz Griechenlands nachdachte. Bis zum Sommer hatte das noch ganz anders ausgesehen. Da hatte Seehofer der Kanzlerin noch die Unterstützung der Schwesterpartei zugesagt. Das ist vorbei:
"Sie kennt unsere Haltung, sie kennt meine Meinung, ich kenn die Meinung der CDU und ihre. Bei uns ist die Haltung sehr, sehr eindeutig. Und sie weiß das auch."
Beim CSU-Parteitag will Seehofer die Delegierten über einen Europa-Leitantrag abstimmen lassen, den Generalsekretär Alexander Dobrindt und der frühere Staatsminister für Europa-Angelegenheiten Reinhold Bocklet geschrieben haben. Dieser Leitantrag würde die CSU zur europakritischsten Partei im Deutschen Bundestag machen. Dabei war die ursprüngliche Version des Thesenpapiers noch ein fein austarierter Kompromiss zwischen Euro-Befürwortern und Euro-Skeptikern in der CSU. Doch mit jeder neuen Version wurde das Papier schärfer, bis schließlich sogar eine Art verklausulierte "Griechen raus"-Passage Einzug hielt. Horst Seehofer zitiert den umstrittensten Passus des Leitantrags:
"‘Euro-Staaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln zur Haushalts-Disziplin halten, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen.’ Wir können nicht in Bayern eine Null-Verschuldung fahren – der Bund wird sie im Jahre 2014 erreicht haben – um dann das, was wir mit großen Anstrengungen auf national erreichen, zu konterkarieren auf europäischer Ebene. Das geht nicht, das würde in unserer Bevölkerung dauerhaften Vertrauensverlust bedeuten."
Möglicherweise wird dieser Leitantrag auf dem Parteitag noch zusätzlich verschärft. Die "rote Linie", die Parteichef Seehofer bisher bei der Einführung von Euro-Bonds gezogen hat, könnte auf Druck der Basis weiter vorgezogen werden. Sie könnte dann auch eine mögliche Hebelwirkung des gerade beschlossenen Rettungsschirms EFSF betreffen. Bundesfinanzminister Schäuble hatte angedeutet, der Rettungsschirm solle Zitat "möglichst effektiv" genutzt werden. Beispielsweise, indem die Haftungssumme von 440 Milliarden Euro durch eine komplizierte Weiterreichung an Fonds und Versicherungen vervierfacht würde. "Nicht mit uns", heißt es dazu aus der CSU. Peter Gauweiler will zudem die Themen "Bankenaufsicht" und "Transaktions-Steuer" zur Sprache bringen:
"Über das Thema Brüssel kann man ja viel streiten. Nicht streiten kann man darüber, dass bei uns das System des Investmentbanking aus dem Ruder gelaufen ist. Und dass es hier einer stärkeren verbesserten Banken-Aufsicht bedarf. Das ist etwas, das ich dem amtlichen Berlin wirklich übel nehme, dass hier so wenig geschehen ist."
Beim Thema Euro, Banken- und Schuldenkrise ist die CSU-Basis stark zersplittert. Es gibt jene, die am liebsten zurück zur D-Mark wollen, und andere wie Theo Waigel, die sich darüber beklagen, die Erfolge des Euro würden zu wenig gewürdigt. Die CSU-Landesleitung in München fürchtet sich vor einer Abspaltung innerhalb der Partei. Vor einer Anti-Euro-Gruppierung. Manche in der CSU-Zentrale reagierten deshalb geradezu erleichtert über Peter Gauweilers Ankündigung, als Stellvertreter Horst Seehofers zu kandidieren. So gründet der "schwarze Peter" wenigstens keine neue Partei. "Es ist wie beim Kinder-Kartenspiel", sagt ein CSU-Stratege, "manchmal ist es besser, den Schwarzen Peter selbst im Blatt zu halten. Dann weiß man, dass ihn kein anderer auf der Hand hat". Katrin Poleschner, die designierte Vorsitzende der Jungen Union Bayern, hält die Gefahr einer Partei-Neugründung für überschaubar:
"Ich glaube nicht, dass dieses Thema unsere Partei spaltet. Ich glaube, dass einfach beide Linien, die einen, die sehr pro-europäisch sind, denen gegenüberstehen, die sehr Euro-skeptisch eingestellt sind. Wir waren aber immer eine europäische Partei. Eine, die Europa immer gewollt hat. Und insofern glaube ich, dass wir uns insgesamt durchaus einig werden können."
Für die 27-jährige Poleschner ist das Thema "Schuldenkrise" eng mit der Frage verknüpft, welche Lasten die alte Generation der jungen Generation aufbürdet. Ob die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland überhaupt noch zukunftsfähig sind, wenn die Bundesrepublik sich mit Hunderten von Milliarden Euro für andere Staaten verbürgt oder gar verschuldet. Poleschner stellt fest:
" ... dass so eine Schuldenkrise einem schon vor Augen führt, was es bedeutet, wenn ein Staat nicht nachhaltig mit seiner Finanzpolitik umgeht. Und gerade für uns junge Leute ist es enorm wichtig, dass wir nachhaltig für die neuen Generationen – und uns selbst natürlich auch – so verantwortlich umgehen, dass wir hinterher noch Möglichkeiten haben zu investieren und innovationsfähig zu sein. Um den kommenden Generationen noch was bieten zu können."
Der Münchner Parteiforscher und CSU-Experte Heinrich Oberreuter macht Katrin Poleschner wenig Hoffnung. In der deutschen Parteienlandschaft nähmen Gruppen-Interessen immer weiter ab, sagt er. Stattdessen würden Partikular-Bedürfnisse wichtiger.
"Die Menschen in unserer Gesellschaft denken immer mehr an ihre eigenen Interessen. Es gibt ja einen Satz, der sehr viel Zustimmung findet: ‘Unterm Strich zähl ich’. Wenn unterm Strich nur ich zähle, dann bin ich im Kern nicht organisationsfähig, nicht mehr parteifähig. Wenig politisch gemeinschaftsfähig. Und genau deswegen werden die kleineren Parteien immer interessanter, immer attraktiver am Wählermarkt. Deswegen entsteht auch so was wie eine Piratenpartei, die ja nur das wiederholt, was die Grünen vor Jahrzehnten schon geschafft haben. Deswegen gehen die Volksparteien immer mehr zurück. Keine von denen ist noch in der Lage, vierzig Prozent zu erreichen wie ehedem. Ich glaube nicht, dass die CSU noch mal in die Lage kommt, 50 plus X zu erzielen. Ich glaube, dass sie gegenwärtig schon, zumindest mittelfristig, um die 40-Prozentgrenze kämpft."
Vor einem Jahr noch war die CSU von der Hoffnung angetrieben, ein adliger Freiherr aus Oberfranken könne sie dereinst wieder in absolute Mehrheits-Höhen führen. Der Traum zerplatzte an einer abgeschriebenen Doktorarbeit. Über Karl-Theodor zu Guttenberg spricht in der CSU fast niemand mehr. Eine Rückkehr des Freiherrn ist so fern wie jenes Anwesen in Connecticut, in dem der Franke derzeit residiert. Aber 40 Prozent – das kann für eine Partei mit dem Anspruch und dem Selbstbewusstsein eines Edmund Stoiber keine Alternative sein. An seinem 70. Geburtstag vor einer Woche trieb der Ehrenvorsitzende seine Nachfolger zu mehr Ehrgeiz an:
"Ohne Erfolgshunger gibt es keinen Erfolg. Nirgends. Man muss auch Erster werden wollen."
Vielleicht stachelt ja die drohende Christianisierung Bayerns die CSU an. Christian Ude, der Münchner Oberbürgermeister, wird morgen vom bayerischen SPD-Landesvorstand offiziell als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2013 ausgerufen. Ude hat die CSU schon einmal einen Wahlsieg gekostet: vor 18 Jahren bei der Wahl des Oberbürgermeisters von München. Der Verlierer damals: Peter Gauweiler.
"Naja, ich hab die Erfahrung gemacht, dass ich gegen ihn verloren hab. Ich find das gut, dass Ude kandidiert und sich zur Verfügung stellt. Es ist eine ernste Herausforderung, und ich fände es ganz ungekonnt, da so zu tun, als ob man davon nicht beeindruckt wäre. Nicht auf die leichte Schulter nehmen!"
Horst Seehofer scheint seinen Gegenkandidaten tatsächlich ernst zu nehmen. Die Ude-Nominierung der SPD hat den CSU-Chef diszipliniert. Er wirkt seitdem konzentrierter, weniger sprunghaft. Wie ein Boxer, der endlich einen Gegner vor sich hat und nicht mehr gegen Schatten boxt. Der morgige Parteitag wird wichtige Weichen stellen. Eigentlich ist er sogar schon eine Art Wahlkampf-Auftakt, sagt Katrin Poleschner:
"Der Parteitag dieses Jahr wird definitiv das Team zusammenstellen, das zum Schluss gemeinsam ins Jahr 2013 gehen wird. Das heißt, wir stellen heute, dieses Jahr, auf, was uns in den nächsten zwei Jahren im Wahlkampf und bei allem, was kommt, helfen soll. Dieses Team wird sich finden, da bin ich ganz sicher."
Sicher ist: Einen Peter wird es im neuen CSU-Führungsteam geben. Offen ist noch, ob es ein Schwarzer Peter sein wird.
Stoibers Parteifreunde haben die Wolfrathauser Gebirgsschützen nach München geholt. Als wollten sie die Heimatverbundenheit des gebürtigen Wolfratshauseners Stoiber noch zusätzlich betonen. Der Alt-Ministerpräsident zitiert in seiner Geburtstagsrede seinen Ziehvater Franz-Josef Strauß.
"Bayern, sagte er, das ist meine Heimat. Deutschland, das ist unser Vaterland. Und Europa, das ist unsere Zukunft. Heimat, das Vaterland und Europa gehören in der Welt des 21.Jahrhunderts zusammen – und sie müssen auch zusammenhalten."
Edmund Stoiber, ein leidenschaftlicher Europäer? Jener Edmund Stoiber, der als bayerischer Ministerpräsident gegen das "gefräßige Brüssel" zu Felde zog? Wer hätte das vor fünf Jahren für möglich gehalten? Theo Waigel sicher nicht, der Vater des Euro, der in der zweiten Reihe des Prinzregententheaters sitzt. Und auch nicht der Schnauzbartträger mit dem grünen Trachtenjanker in Reihe 4: Peter Gauweiler. Auch er ein Ziehsohn von Franz-Josef Strauß – und der schärfste Euro-Kritiker in der CSU. Er hat im Bundestag gegen den Euro-Rettungsschirm gestimmt, er hat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Milliarden-Bürgschaften für Griechenland geklagt ...
"... und ich möchte auch dieser Position mehr Repräsentanz in der unmittelbaren CSU-Führung verleihen."
Peter Gauweiler, der Schwarze Peter, wie er in Bayern heißt, sitzt auf dem Stoffsofa seiner Münchner Anwaltskanzlei am Promenadeplatz. Über ihm hängen bayerische Landschaftsbilder in Öl. Gauweiler kandidiert beim morgen beginnenden CSU-Parteitag in Nürnberg als stellvertretender Parteivorsitzender der Christlich Sozialen Union.
"Das große Thema, für das die CSU überhaupt gegründet wurde, das ist bayrisch. Nämlich die Regionalität und die Eigenständigkeit Bayerns. Nicht um eines Los-Seins vom Deutschen Bund, sondern um ihn zu stärken. Aber zu stärken durch eine Eigenständigkeit und auch durch mehr Selbstbestimmung."
Bayern zuerst, Europa zuletzt. Damit spricht der CSU-Bundestagsabgeordnete und Ex-Landes-Umweltminister Gauweiler vielen an der CSU-Basis aus der Seele. Nirgendwo in Deutschland ist das Misstrauen gegenüber dem Euro und die Sehnsucht nach der D-Mark größer als in Bayern. Gauweiler hat klare politische Ziele:
"Eine kritischere Haltung in der Debatte um den Euro. Die Wiederherstellung der Stabilitätskriterien. Ein Eintreten für ein selbstbewusstes Bayern in einem Europa der Regionen und gegen einen europäischen Zentralstaat. Ich möchte auch mir selber sagen können: Ich habe rechtzeitig einzugreifen versucht."
Dieses rechtzeitige Eingreifen hat Peter Gauweiler auf seine ganz eigene Art in Szene gesetzt: Er kündigte seine Kandidatur öffentlich an, nachdem Parteichef Seehofer vor der Presse seine fertig ausgearbeiteten Stellvertreter-Pläne präsentiert hatte. Seehofer gibt sich alle Mühe, diesen Affront zu einem ganz normalen Vorgang in einer demokratischen Partei herunterzuspielen:
"Wahl heißt auch Auswahl und heißt nicht, dass es ein Betriebsunfall in einer Partei ist. Mir kommt’s vor allem darauf an, dass wir diese Wahlvorgänge mit Stil und Format auf dem Parteitag durchführen."
Gauweilers Format ist eher kantig, sein Stil bisweilen unvorhersehbar. Tagelang schlug der schwarze Peter das angebotene Telefonat mit dem Parteivorsitzenden aus. Stattdessen ließ er verlauten, er verstehe das Stellvertreter-Amt nicht als politisches Austragshäuserl, also als dekorativen Posten ohne Einfluss. Gauweiler will gestalten – notfalls auch gegen Seehofer. Er wird ein unbequemer Stellvertreter sein, wenn er sich durchsetzt. Der Münchner Politik-Professor und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter:
"Ich hab den Eindruck, dass die CSU nach wie vor in sich verunsichert ist. Dass die Stimmung leicht aufgereizt oder auf alle Fälle nicht so ist, dass man nur mit Optimismus in die Zukunft schaut. Wenn man sich anschaut, dass also auch ein austariertes Tableau von Stellvertretern für den Parteivorsitz nicht mehr akzeptiert wird, sondern plötzlich aus heiterem Himmel eine Gegenkandidatur entsteht, die auch noch hervorragende Aussicht auf Erfolg hat, sieht man, dass da die Balance in Unordnung geraten ist. Von daher muss man sagen: Seehofer ist als Führer im Augenblick sicher unbestreitbar, aber er ist nicht in einer Situation, in der es ihm gelingt, den Laden ruhig zu halten oder ihm Sicherheit zu geben."
Denn die Umfrage-Werte der CSU sind derzeit bescheiden. Von 50 plus X ist schon lange keine Rede mehr. Nicht mal für 50 minus X reicht es derzeit. Nach aktuellen Umfragen liegen die Christsozialen bei gerade mal knapp über 40 Prozent. Würde morgen in Bayern gewählt, hätten SPD, Grüne und Freie Wähler theoretisch eine Mehrheit. Dabei verlief das letzte Jahr für Seehofer erstaunlich günstig, erklärt Professor Oberreuter:
"Er hat einen Haufen Glück gehabt. Er ist den Guttenberg losgeworden durch dessen Leichtfertigkeit und Leichtsinn. Und er ist in der Tat in Baden-Württemberg die konservative Konkurrenz losgeworden. Wer in der CDU, im Unionslager nach konservativem Profil sucht, der wird nach Bayern schauen müssen. Solange die CSU in der Lage ist, diesen Markenkern zu vertreten."
Horst Seehofer hat diesen schwarzen Markenkern aus Sicht vieler CSU-Abgeordneter lange Zeit ungenügend gepflegt. Sein erratischer Politik-Stil und sein unsteter Kurs - ob bei Studiengebühren, Rente mit 67 oder der Energiewende - hat viele verwirrt. Auch die junge Katrin Poleschner, die designierte Vorsitzende der Jungen Union Bayern, sie ist nicht immer glücklich mit dem CSU-Chef. Sie hatte beim letzten CSU-Parteitag für Unruhe gesorgt, weil sie sich vehement gegen die Einführung einer Frauenquote stellte – und damit auch gegen Parteichef Seehofer. Für Poleschner ist Peter Gauweiler das genaue Gegenteil von Seehofer: geradlinig, standfest, prinzipientreu.
"Er steht auch für ein insgesamtes Grummeln in der Partei. In Zeiten, in denen nicht mehr die Überflieger-60-Prozent-Marken geknackt werden, ist eine latente Unzufriedenheit von einer bestimmten Menge an Leuten vorhanden. Und da sind dann natürlich Menschen, die das auch mal ansprechen, die sich auch mal trauen, gegen den Strom zu schwimmen, durchaus die, die der Partei was Gutes tun können."
So gesehen könnte Peter Gauweiler für Horst Seehofer durchaus nützlich sein. Denn Gauweiler stärkt den konservativen Markenkern der CSU. Allerdings wird der Münchner Rechts-Außenseiter voraussichtlich gegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer antreten. Der hat sich intern schon Schützenhilfe von Seehofer erbeten – und nicht bekommen. Der Parteichef bleibt neutral. Damit die Abstimmung über den Vize nicht auch zur indirekten Abstimmung über den Vorsitzenden wird. Denn nicht nur Ramsauer weiß, dass er gegen den beliebten Gauweiler durchaus verlieren und dadurch beschädigt werden könnte. Der Bundesverkehrsminister ist nicht sonderlich beliebt in der Partei. Das hat mit dem zweiten großen Thema des Parteitags neben der Euro-Schuldenkrise zu tun: der Pkw-Maut. Die CSU will eine Autobahngebühr einführen, um dringend notwendige Infrastruktur-Maßnahmen zu finanzieren, für die es derzeit im Verkehrs-Etat kein Geld gibt. Die Gebühr soll vor allem ausländische Autofahrer auf deutschen Straßen belasten. Deutsche Autofahrer will die CSU über eine verminderte Steuer entlasten. Kanzlerin Merkel und die CDU sind gegen das Projekt. Verkehrsminister Ramsauer hielt sich bislang zu diesem Thema bedeckt. Jetzt hat er zusammen mit Bayerns Innenminister Joachim Hermann einen Maut-Antrag für den Parteitag formuliert. Damit hat er Stellung bezogen und muss die Konsequenzen auch mittragen, fordert Katrin Poleschner:
"Er sollte auf jeden Fall das Thema seiner eigenen Partei so vertreten, wie es seine eigene Partei beschließt. Sofern seine Partei pro Pkw-Maut stimmt, wird er auch die Aufgabe haben, diese Entscheidung weiter zu tragen. Das ist natürlich eine schwierige Situation für einen Bundesverkehrsminister, der natürlich auch die Regierungskoalition nicht gefährden sollte. Aber das erfordert Fingerspitzengefühl von ihm, und ich glaube, das kriegt er dann schon hin. Wenn es einfach wäre, könnte es ja jeder. Und Politik ist nicht einfach. Das ist die große Herausforderung."
Ramsauer ist nervös vor diesem Parteitag. Beim Geburtstag von Edmund Stoiber reagiert er gereizt, als Reporter ihn, den Oberbayern, auf den Münchner Peter Gauweiler ansprechen. Es sei ihm egal, sagt Ramsauer, ob nun einer oder zehn Bewerber gegen ihn anträten. Bundeslandwirtschafts-Ministerin Ilse Aigner, die oberbayerische Bezirks-Chefin, unterstützt ihren Landsmann Ramsauer – recht müde:
"Manche Niederlage muss man auch mal einstecken können, was ich dem Peter Ramsauer nicht wünsche, aber auch ich hab schon welche einstecken müssen. Das gehört zum Geschäft."
"Man weiß auch nicht, ob Herr Ramsauer tatsächlich antritt oder ob sie sich zum Schluss noch einig werden. So viel ist unsicher momentan, aber das ist ja das Schöne daran, dass man auch mal Überraschungen erlebt."
Eine dieser Überraschungen könnte mit der Euro-Schuldenkrise zusammenhängen. Seitdem die Zweifel wachsen, ob Griechenland überhaupt noch zu helfen ist, lässt die CSU und besonders Horst Seehofer keine Gelegenheit aus, sich gegen die CDU und Angela Merkel zu positionieren. Wenn der Euro scheitere, müsse Europa noch lange nicht scheitern, widerspricht Seehofer der Kanzlerin – und sprang demonstrativ Wirtschaftsminister Philipp Rösler bei, als der öffentlich über eine mögliche Insolvenz Griechenlands nachdachte. Bis zum Sommer hatte das noch ganz anders ausgesehen. Da hatte Seehofer der Kanzlerin noch die Unterstützung der Schwesterpartei zugesagt. Das ist vorbei:
"Sie kennt unsere Haltung, sie kennt meine Meinung, ich kenn die Meinung der CDU und ihre. Bei uns ist die Haltung sehr, sehr eindeutig. Und sie weiß das auch."
Beim CSU-Parteitag will Seehofer die Delegierten über einen Europa-Leitantrag abstimmen lassen, den Generalsekretär Alexander Dobrindt und der frühere Staatsminister für Europa-Angelegenheiten Reinhold Bocklet geschrieben haben. Dieser Leitantrag würde die CSU zur europakritischsten Partei im Deutschen Bundestag machen. Dabei war die ursprüngliche Version des Thesenpapiers noch ein fein austarierter Kompromiss zwischen Euro-Befürwortern und Euro-Skeptikern in der CSU. Doch mit jeder neuen Version wurde das Papier schärfer, bis schließlich sogar eine Art verklausulierte "Griechen raus"-Passage Einzug hielt. Horst Seehofer zitiert den umstrittensten Passus des Leitantrags:
"‘Euro-Staaten, die sich nicht an die gemeinsamen Regeln zur Haushalts-Disziplin halten, müssen damit rechnen, die Währungsunion verlassen zu müssen.’ Wir können nicht in Bayern eine Null-Verschuldung fahren – der Bund wird sie im Jahre 2014 erreicht haben – um dann das, was wir mit großen Anstrengungen auf national erreichen, zu konterkarieren auf europäischer Ebene. Das geht nicht, das würde in unserer Bevölkerung dauerhaften Vertrauensverlust bedeuten."
Möglicherweise wird dieser Leitantrag auf dem Parteitag noch zusätzlich verschärft. Die "rote Linie", die Parteichef Seehofer bisher bei der Einführung von Euro-Bonds gezogen hat, könnte auf Druck der Basis weiter vorgezogen werden. Sie könnte dann auch eine mögliche Hebelwirkung des gerade beschlossenen Rettungsschirms EFSF betreffen. Bundesfinanzminister Schäuble hatte angedeutet, der Rettungsschirm solle Zitat "möglichst effektiv" genutzt werden. Beispielsweise, indem die Haftungssumme von 440 Milliarden Euro durch eine komplizierte Weiterreichung an Fonds und Versicherungen vervierfacht würde. "Nicht mit uns", heißt es dazu aus der CSU. Peter Gauweiler will zudem die Themen "Bankenaufsicht" und "Transaktions-Steuer" zur Sprache bringen:
"Über das Thema Brüssel kann man ja viel streiten. Nicht streiten kann man darüber, dass bei uns das System des Investmentbanking aus dem Ruder gelaufen ist. Und dass es hier einer stärkeren verbesserten Banken-Aufsicht bedarf. Das ist etwas, das ich dem amtlichen Berlin wirklich übel nehme, dass hier so wenig geschehen ist."
Beim Thema Euro, Banken- und Schuldenkrise ist die CSU-Basis stark zersplittert. Es gibt jene, die am liebsten zurück zur D-Mark wollen, und andere wie Theo Waigel, die sich darüber beklagen, die Erfolge des Euro würden zu wenig gewürdigt. Die CSU-Landesleitung in München fürchtet sich vor einer Abspaltung innerhalb der Partei. Vor einer Anti-Euro-Gruppierung. Manche in der CSU-Zentrale reagierten deshalb geradezu erleichtert über Peter Gauweilers Ankündigung, als Stellvertreter Horst Seehofers zu kandidieren. So gründet der "schwarze Peter" wenigstens keine neue Partei. "Es ist wie beim Kinder-Kartenspiel", sagt ein CSU-Stratege, "manchmal ist es besser, den Schwarzen Peter selbst im Blatt zu halten. Dann weiß man, dass ihn kein anderer auf der Hand hat". Katrin Poleschner, die designierte Vorsitzende der Jungen Union Bayern, hält die Gefahr einer Partei-Neugründung für überschaubar:
"Ich glaube nicht, dass dieses Thema unsere Partei spaltet. Ich glaube, dass einfach beide Linien, die einen, die sehr pro-europäisch sind, denen gegenüberstehen, die sehr Euro-skeptisch eingestellt sind. Wir waren aber immer eine europäische Partei. Eine, die Europa immer gewollt hat. Und insofern glaube ich, dass wir uns insgesamt durchaus einig werden können."
Für die 27-jährige Poleschner ist das Thema "Schuldenkrise" eng mit der Frage verknüpft, welche Lasten die alte Generation der jungen Generation aufbürdet. Ob die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland überhaupt noch zukunftsfähig sind, wenn die Bundesrepublik sich mit Hunderten von Milliarden Euro für andere Staaten verbürgt oder gar verschuldet. Poleschner stellt fest:
" ... dass so eine Schuldenkrise einem schon vor Augen führt, was es bedeutet, wenn ein Staat nicht nachhaltig mit seiner Finanzpolitik umgeht. Und gerade für uns junge Leute ist es enorm wichtig, dass wir nachhaltig für die neuen Generationen – und uns selbst natürlich auch – so verantwortlich umgehen, dass wir hinterher noch Möglichkeiten haben zu investieren und innovationsfähig zu sein. Um den kommenden Generationen noch was bieten zu können."
Der Münchner Parteiforscher und CSU-Experte Heinrich Oberreuter macht Katrin Poleschner wenig Hoffnung. In der deutschen Parteienlandschaft nähmen Gruppen-Interessen immer weiter ab, sagt er. Stattdessen würden Partikular-Bedürfnisse wichtiger.
"Die Menschen in unserer Gesellschaft denken immer mehr an ihre eigenen Interessen. Es gibt ja einen Satz, der sehr viel Zustimmung findet: ‘Unterm Strich zähl ich’. Wenn unterm Strich nur ich zähle, dann bin ich im Kern nicht organisationsfähig, nicht mehr parteifähig. Wenig politisch gemeinschaftsfähig. Und genau deswegen werden die kleineren Parteien immer interessanter, immer attraktiver am Wählermarkt. Deswegen entsteht auch so was wie eine Piratenpartei, die ja nur das wiederholt, was die Grünen vor Jahrzehnten schon geschafft haben. Deswegen gehen die Volksparteien immer mehr zurück. Keine von denen ist noch in der Lage, vierzig Prozent zu erreichen wie ehedem. Ich glaube nicht, dass die CSU noch mal in die Lage kommt, 50 plus X zu erzielen. Ich glaube, dass sie gegenwärtig schon, zumindest mittelfristig, um die 40-Prozentgrenze kämpft."
Vor einem Jahr noch war die CSU von der Hoffnung angetrieben, ein adliger Freiherr aus Oberfranken könne sie dereinst wieder in absolute Mehrheits-Höhen führen. Der Traum zerplatzte an einer abgeschriebenen Doktorarbeit. Über Karl-Theodor zu Guttenberg spricht in der CSU fast niemand mehr. Eine Rückkehr des Freiherrn ist so fern wie jenes Anwesen in Connecticut, in dem der Franke derzeit residiert. Aber 40 Prozent – das kann für eine Partei mit dem Anspruch und dem Selbstbewusstsein eines Edmund Stoiber keine Alternative sein. An seinem 70. Geburtstag vor einer Woche trieb der Ehrenvorsitzende seine Nachfolger zu mehr Ehrgeiz an:
"Ohne Erfolgshunger gibt es keinen Erfolg. Nirgends. Man muss auch Erster werden wollen."
Vielleicht stachelt ja die drohende Christianisierung Bayerns die CSU an. Christian Ude, der Münchner Oberbürgermeister, wird morgen vom bayerischen SPD-Landesvorstand offiziell als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2013 ausgerufen. Ude hat die CSU schon einmal einen Wahlsieg gekostet: vor 18 Jahren bei der Wahl des Oberbürgermeisters von München. Der Verlierer damals: Peter Gauweiler.
"Naja, ich hab die Erfahrung gemacht, dass ich gegen ihn verloren hab. Ich find das gut, dass Ude kandidiert und sich zur Verfügung stellt. Es ist eine ernste Herausforderung, und ich fände es ganz ungekonnt, da so zu tun, als ob man davon nicht beeindruckt wäre. Nicht auf die leichte Schulter nehmen!"
Horst Seehofer scheint seinen Gegenkandidaten tatsächlich ernst zu nehmen. Die Ude-Nominierung der SPD hat den CSU-Chef diszipliniert. Er wirkt seitdem konzentrierter, weniger sprunghaft. Wie ein Boxer, der endlich einen Gegner vor sich hat und nicht mehr gegen Schatten boxt. Der morgige Parteitag wird wichtige Weichen stellen. Eigentlich ist er sogar schon eine Art Wahlkampf-Auftakt, sagt Katrin Poleschner:
"Der Parteitag dieses Jahr wird definitiv das Team zusammenstellen, das zum Schluss gemeinsam ins Jahr 2013 gehen wird. Das heißt, wir stellen heute, dieses Jahr, auf, was uns in den nächsten zwei Jahren im Wahlkampf und bei allem, was kommt, helfen soll. Dieses Team wird sich finden, da bin ich ganz sicher."
Sicher ist: Einen Peter wird es im neuen CSU-Führungsteam geben. Offen ist noch, ob es ein Schwarzer Peter sein wird.