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Schwarzer Schelm unter Faschisten

In seinem neuen Buch "Streng vertraulich" schreibt Andrea Camilleri über den Faschismus in Italien. Der Neffe des äthiopischen Kaisers Negus reist 1929 zum Studium nach Vigàta in Sizilien. Er soll hofiert werden, aber er ist ein Neger und das passt nicht ins faschistische Rassen- und Weltbild.

Von Lerke von Saalfeld |
    Wieder einmal führt der sizilianische Schriftsteller Andrea Camilleri, inzwischen 86 Jahre alt, seine Leser in den fiktiven Ort Vigàta, - diesmal allerdings nicht auf den Spuren seines berühmten Kommissars Montalban, dem er zu Ehren seines Krimikollegen aus Barcelona diesen Namen verpasst hat, diesmal geht es um eine historische Geschichte aus dem Jahr 1929 - und die ist urkomisch:

    Historisch verbürgt ist, dass in den Jahren 1929 bis 1932 ein Neffe des äthiopischen Negus in Caltanisetta die Königliche Bergbauschule besuchte und dort ein Diplom ablegte; verbürgt ist auch, dass der Prinz ein großzügiges Leben führte und sich tief verschuldete; und weiterhin ist verbürgt, dass der äthiopische Aristokrat, eine außerordentlich elegante Erscheinung, ein hemmungsloser Frauenheld war. Stoff genug für den Sizilianer Camilleri, daraus eine aberwitzige Geschichte zu basteln, konzentriert auf das Jahr 1929. In der Nachbemerkung teilt der Autor mit:

    "Der aufmerksame Leser wird einige Anachronismen finden, aber man werfe sie mir nicht vor, sie sind gewollt. Und ich sage noch einmal: Wenn auch die wichtigsten Geschehnisse wie die versuchte Verwicklung des Prinzen in die expansionistischen Absichten Mussolinis, seine Amouren oder sein Streich zum Schluss frei erfunden sind, wahr bleibt dennoch das Klima echter allgemeiner Dummheit, die halb Farce, halb Tragödie jene Zeit geprägt hat."

    Auftakt des Romans ist ein streng vertraulicher Brief des Außenministers an den Leiter der Bergbauschule in Vigàta, der ihm den neuen Schüler annonciert und auffordert, die Mitschüler und deren Eltern auf diesen wichtigen Neuzugang vorzubereiten und einzustimmen, denn:

    Es handelt sich dabei um eine Situation, die größte Umsicht erfordert, insofern der junge Mann, obschon Neger, immerhin ein äthiopischer Prinz und zudem noch direkter Neffe des Negus ist, der offenbar sehr viel von ihm hält.

    Der Krieg Italiens gegen Äthiopien und dessen koloniale Einverleibung sollte erst sechs Jahre später einsetzen, noch ist man am besten Einvernehmen interessiert. Und so spinnt Camilleri seinen fiktiven vertraulichen Briefwechsel munter fort. Es folgt ein zweiter Brief vom Innenminister an den Commendatore der sizilianischen Provinzregierung, in dem dem faschistischen Kameraden die Ankunft des 19-jährigen Schülers mitgeteilt wird:

    Der Obengenannte ist ein Prinz, Neffe des Negus Negesti Haile Selassie, König der Könige und Kaiser vom Äthiopien. Der infrage stehende Fall wirft einige Probleme auf, die ich Euch unterbreiten möchte und die es allesamt mit umsichtiger faschistischer Entschlossenheit zu lösen gilt. Wofern das Außenministerium sein Placet zur Einschreibung geben sollte, obliegt es mir, nochmals Eure Aufmerksamkeit auf die Tatsache zu lenken, dass der junge Äthiopier zwar Prinz, doch gleichwohl Neger ist und bleibt.

    Die Verlegenheit liegt offen zutage, der Prinz soll hofiert werden, aber er ist ein Neger und passt nicht ins faschistische Rassen- und Weltbild. Also erfordert die Angelegenheit Fingerspitzengefühl von den Kameraden. Und wie dies geschieht, das versteht Camilleri, mit köstlichem Humor darzustellen. Dabei tritt der edle Prinz, von schlankem Wuchs und eine Augenweide für alle Frauen, nie persönlich in Erscheinung, er kommt nicht zu Wort. Nur die anderen verhandeln über ihn. Er wird verhandelt in den Briefen der aufgeregten staatlichen Machthaber, er wird verhandelt in Gesprächsausschnitten der Bürger vor Ort. Noch vor seiner Ankunft sind alle aufgeregt. Die schlichte Ehefrau Carmel fragt ihren Mann nächtens im Bett:

    Pippì stimmt es, dass er bei diese Bessinier so dick und lang ist wie der Rüssel bei die Elefanten?
    Auf was für Ideen ihr Frauen bloß kommt! Das ist doch ein Mann und kein Elefant!
    Ach, Gott sei Dank! Nacht, Pippì, schlaf gut.
    O nein Carmel! Jetzt erzählst du mir alles! Warum dankst du Gott, dass der Schwanz des Bessiniers normal lang ist?
    Ich hab an unsre Tochter gedacht.
    An Michilina? Was hat denn Michilina mit dem Schwa... mit dem Bessinier zu tun?
    Ich habe gedacht, womöglich könnt ja dieser Bessinier einen guten Ehemann für unsere Tochter abgeben.
    Du bist völlig übergeschnappt!


    Die Tochter des Ehepaares ist eine schwierige Partie, keiner will sie, denn sie ist bereits 29 Jahre alt und noch dazu potthässlich. Und so machen sich manche im Ort absurde Hoffnungen oder entwickeln abstruse Ängste. Der faschistische Ordnungskanon gerät mächtig durcheinander. Schon die Ankunft des hohen Gastes ist skandalös. Zerrissen und zerlumpt, ohne Gepäck steigt der Gast aus dem Zug und sein erster Gang führt ihn gleich in den Puff, wo er stündlich drei Prostituierte hintereinander vernascht. So ein hoher Herr hat hohe Ansprüche. Aus den Briefen der Dienststellen und den Gesprächskommentaren erfährt der Leser, wie bedrohlich sich die Situation zuspitzt, denn der Neffe des Negus kennt keinerlei Rücksicht. Er gibt hemmungslos Geld aus, macht Schulden aller Orten, ohne sich um die Begleichung zu kümmern, er lässt sich teuerste Kleidung schneidern und spielt die örtlichen Bonzen genüsslich gegeneinander aus. Er schafft es sogar, den Klub der Aristokraten, in dem er als Afrikaner gar keinen Zutritt haben dürfte, aufzumischen und schließlich zur Schließung zu bringen. Die katzbuckelnden Faschisten geraten in Verzweiflung angesichts des kecken schwarzen Schelms, der die Machenschaften und Intentionen der Ministerialen zu durchschauen scheint und sich bei seinen Eskapaden königlich amüsiert. So wollen sie ihn zum Beispiel zwingen, einen Jubelbrief an seinen Onkel, den Negus, zu schreiben, in dem er mitteilen soll, wie überaus freundlich und zuvorkommend er in Italien aufgenommen worden sei. Aber der Neffe zögert geschickt dieses Schreiben hinaus und fordert einen immer höheren Geldpreis, sollte er diesen Schmeichelbrief tatsächlich schreiben. Alle stöhnen unter den Unverschämtheiten des Neffen, der ganz ungeniert seinen Interessen nachgeht und keinerlei Rücksichten nimmt. Der Präfekt der Region schreibt an den Polizeipräsidenten einen der vielen Briefe und fügt ein Post Scriptum bei mit der Bemerkung "nach dem Lesen sofort ausradieren", darin steht:

    Wenn diese Geschichte endlich vorbei ist, verspreche ich, dass ich diesen vermaledeiten Neger, der keinen Tag vergehen lässt, ohne irgendeinen Riesenschlamassel anzurichten, eigenhändig erwürgen werde. Ich hoffe, Sie sind mit von der Partie.

    Aber immer ziehen die Faschisten den Kürzeren. Der Brief an den Kaiser von Äthiopien, den die Italiener teuer bezahlen und heimlich öffnen, um ihn zu kontrollieren, ist eine weitere Düpierung, denn darin schreibt der Neffe im Telegrammstil:

    lieber onkel die sizilianer wollten, dass ich einen brief schreibe, um dir zu erklären wie gutherzig und großzügig sie sind aber es ist mir gelungen sie hinters licht zu führen und ich sage dir tatsächlich sind sie dumm wie esel halten sich aber für schlau wie ein fuchs und deshalb wirst du bei deiner klugheit leichtes spiel mit ihnen haben.

    Dieser Streich ist nicht der letzte, den der Neffe genüsslich inszeniert - aber das größte Kunststück dieses fiktiv dokumentarischen Romans ist, dass der Protagonist bis zum Schluss immer nur im Spiegel der faschistischen Spießbürger aufscheint und doch dem Leser überaus lebendig vor Augen steht - in seiner ungezügelten Lebenslust, in seiner luxuriösen Verschwendungssucht, in seiner eleganten und verschmitzten Klugheit im Umgang mit den provinziellen Potentaten. Andrea Camilleri ist mit diesem Roman ein politsatirisches Meisterstück gelungen.

    Andrea Camilleri: Streng vertraulich. Aus dem Italienischen von Sigrid Vagt, Nagel & Kimche, 263 Seiten, 19,90 Euro