Personennahverkehr
Schwarzfahren: Soll es strafbar bleiben oder nicht?

In Deutschland sitzen tausende Schwarzfahrer im Gefängnis, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können. Die Kosten dafür sind hoch. Immer mehr Kommunen verzichten inzwischen auf Strafanzeigen. Zeit für eine bundesweite Reform?

    Fahrscheinkontrolleure in einem Bus in Wesel.
    Schwarzfahren kann nicht nur teuer werden, sondern im schlimmsten Fall im Knast enden. (IMAGO / Funke Foto Services / Markus Weissenfels)
    Wer in Bus oder Straßenbahn wiederhohlt ohne Fahrschein erwischt wird ist, muss mit einer Strafanzeige rechnen. Doch inzwischen verzichten viele Kommunen darauf, notorische Schwarzfahrer juristisch zu verfolgen. Bundesjustizminister Marco Buschmann will das Delikt sogar aus dem Strafgesetzbuch streichen. Die Meinungen dazu gehen allerdings weit auseinander.

    Inhalt

    Welche Strafen drohen Schwarzfahrern?

    Im öffentlichen Personennahverkehr steht der umgangssprachliche Begriff „Schwarzfahren“ für das Fahren ohne einen gültigen Fahrschein. Der juristische Fachausdruck dafür lautet "Erschleichen von Beförderungsleistungen". Gemäß § 265a Strafgesetzbuch ist die Beförderungserschleichung keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Meist begnügen sich die Verkehrsunternehmen mit einem "erhöhten Beförderungsentgelt" in Höhe von 60 Euro. Wer wiederholt ohne Ticket erwischt wird, muss aber mit einer Anzeige rechnen. Den Täterinnen und Tätern droht ein Strafverfahren, das mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr enden kann.

    Wer kommt wegen Schwarzfahren ins Gefängnis?

    Wann es beim Schwarzfahren zu einer Strafanzeige kommt, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. In Köln, wo das Schwarzfahren seit Dezember 2023 entkriminalisiert ist, war es zum Beispiel gängige Praxis, dass gegen eine Person, die dreimal innerhalb eines Jahres oder vier Mal innerhalb von zwei Jahren aufgefallen war, Anzeige erstattet wurde.
    Jährlich werden zehntausende Menschen in Deutschland wegen Schwarzfahren verurteilt. Wer seine Geldstrafe nicht zahlt, dem droht eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe. Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Uni Köln schätzt, dass 8000 bis 9000 Schwarzfahrer pro Jahr in Haft kommen, die meisten von ihnen konnten ihre Strafe nicht bezahlen, ebenso wenig wie ein Fahrticket. Daher sitzen meist arme Menschen ein.

    Was spricht für die bestehende Regelung beim Schwarzfahren?

    Schwarzfahren ist ein Massenphänomen, das die Kommunen und den Staat viel Geld kostet. Durch Schwarzfahren haben die Verkehrsunternehmen bundesweit Einnahmeverluste in Höhe von bis zu 300 Millionen Euro – trotz regelmäßiger Kontrollen. Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) spricht sich deshalb gegen eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne gültigen Fahrschein aus.
    „Die Idee, Schwarzfahren nicht mehr zu bestrafen, zeugt nicht von Respekt für unsere Leistung und die Arbeit unserer Beschäftigten,“ sagt VDV-Präsident Ingo Wortmann. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg ließ in einem Statement verlauten, dass Bagatellisierung auch die Verkehrswende verhindere. Im Nahverkehr werde jeder Euro aus den Ticketeinnahmen dringend benötigt.
    Grafik zeigt Anteil der Befragten, die schon mal/noch nie schwarz gefahren sind. 14% Einmal, 16% Mehrmals, 2% Regelmäßig, 45% Noch nie, 2% Möchte ich nicht sagen, 17% Trifft nicht zu (keine Nutzung des ÖPNV), 4% Weiß nicht/keine Angabe
    So gängig ist Schwarzfahren in Deutschland (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    Anlässlich des Beschlusses der Stadt Potsdam befürchtet der Potsdamer FDP-Stadtverordnete Björn Teuteberg einen "Freifahrtschein für Alle“. Er sagte: „Wir brauchen in Potsdam einen funktionierenden ÖPNV, und der kostet Geld. (…) Mit einem kostenfreien ÖPNV werden wir keine bessere Taktverbindung hinbekommen, wir werden keine erforderlichen Investitionen tätigen können, wenn man es so auf die Spitze treibt.“
    Die Gegner der Straffreiheit für Schwarzfahrer argumentieren auch, dass sie zu einem Gerechtigkeitsproblem gegenüber anderen Nutzern des ÖPNV führen kann, nämlich, denjenigen, die sich eine Fahrkarte kaufen. Der Stuttgarter Verkehrsverbund VVS spricht von einem „falschen Signal an die ehrlichen Fahrgäste“. Die Münchner Verkehrsgesellschaft plädiert: Für Menschen, die sich kein Ticket leisten könnten, gebe es Lösungen, diese müssten aber sozialstaatlich sein.

    Welche Gründe sprechen für eine Straffreiheit beim Schwarzfahren?

    Die Ersatzfreiheitsstrafen treffen in den meisten Fällen arme Menschen, die sich kein Ticket leisten können. Laut der Initiative Freiheitsfonds sind viele von ihnen sind arbeitslos (87 Prozent), ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) und suizidgefährdet (15 Prozent). Im Gefängnis sitzen sie dann teilweise mit Schwerverbrechern wie Mördern in ein- und derselben Zelle – wegen eines Bagatelldelikts. So werde Armut kriminalisiert, argumentieren Aktivisten wie Arne Semsrott, Gründer des Freiheitsfonds, der Geld für Betroffene sammelt und ihre Strafen bezahlt, damit sie aus dem Gefängnis kommen oder gar nicht erst hinein müssen.
    Semsrott ist nicht allein: Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2023 sind 69 Prozent der Deutschen dafür, Schwarzfahren künftig als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. In den letzten Jahren sprechen sich immer mehr Politiker, Soziologen, Richterverbände und Gefängnisverwaltungen für Straffreiheit aus.
    Grafik zeigt Anteil der Befragten, die Schwarzfahren als Ordnungswidrigkeit sehen: 69% sagen richtig, 25% nicht richtig und 6% weiß nicht/keine Angabe.
    Ein Großteil würde Schwarzfahren als Ordnungswidrikeit einstufen. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
    „Wir sprechen hier von Menschen, die die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. (…) Diese Menschen gehören eigentlich nicht her“, sagt Uwe Meyer-Odenwald, Leiter der JVA Plötzensee. In 250 der 670 Haftplätze in seiner Vollzugsanstalt sitzen Menschen mit Ersatzfreiheitsstrafen. Diese bedeuten enorme Kosten für die Gemeinschaft: Laut Recherchen der ARD-Sendung „Monitor“ beliefen sie sich im Jahr 2018 bundesweit auf mehr als 200 Millionen Euro.
    Zahlreiche Städte verzichten bereits darauf, Schwarzfahrer anzuzeigen – in Bremerhaven beispielsweise seit 2012. Seit 2023 haben zahlreiche Städte nachgezogen: Karlsruhe, Mainz, Wiesbaden, Köln, Düsseldorf, Münster, Bremen, Halle, Dresden und Potsdam.
    Eine Abschaffung der Haftstrafen für Bagatelldelikte wäre nur bundesweit möglich. In der Vergangenheit sind mehrere Versuche im Bundestag und Bundesrat gescheitert, das Gesetz aus dem Jahr 1935 zu reformieren. 2019 kam eine Bund-Länder-Gruppe zu dem Ergebnis, die Ersatzfreiheitsstrafe beizubehalten.
    Nun setzt sich auch Bundesjustizminister Marco Buschmann dafür ein, dass die "Beförderungserschleichung" aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird. Einen konkreten Gesetzentwurf dazu gibt es allerdings noch nicht.

    pj