Der Hof liegt an einer Landstraße, nur wenige Kilometer sind es bis nach Lund, einer ehrwürdigen Universitätsstadt. Die Luft ist heiß an diesem Tag im August, und die goldgelben Felder erstrecken sich scheinbar endlos über die leicht hügelige Landschaft. Bald werden die Mähdrescher kommen – Erntezeit.
Im Hofladen von Nabil Fakhro und seinen Brüdern sind schon jetzt Körbe und Schalen voll von Gemüse und Obst: Karotten, Spitzkohl, Erdbeeren, Zitrusfrüchte, Pfifferlinge, Bohnen, Dill, Maiskolben, Zwiebeln - alles da, geradezu im Überfluss.
Nabil Fakhro ist 29 Jahre alt, das Haar ist kurz und korrekt frisiert, und er ist sorgfältig rasiert. Er trägt ein schwarzes Poloshirt mit dem Logo des Hofes und im Arm einen mit Holzwolle ausgelegten Korb. Vorsichtig legt er eine Dolde saftig grüner Weintrauben hinein, dann einen Granatapfel, und nach einigem Überlegen wählt er noch zwei blass gelbe Grapefruits und ein Schälchen Himbeeren: Ein Kunde hat einen Geschenkkorb bestellt. In ein paar Monaten kann diese Aufgabe vielleicht ein junger Flüchtling übernehmen, nachmittags nach der Schule. Wenn er mag.
"Hier bei uns sind sie ganz dicht dran. Sie kriegen all die sozialen Codes mit: Wie begegnet man einem Kunden, was sagt man zu ihm. Sie können zuhören, die ganze Zeit, ein Gespür für alles entwickeln. Es gibt ganz viel aufzuschnappen."
15 unbegleitete Minderjährige werden kommen
Im Oktober kommen sie - 15 unbegleitete Minderjährige. Flüchtlinge zwischen 14 und 18 Jahren. Ihr Asylverfahren ist dann geklärt - sie dürfen in Schweden bleiben. Und auf dem Hof der Familie Fakhro bis sie 21 Jahre alt sind. Nabil Fakhro will den Kindern und Jugendlichen aber mehr bieten als nur ein Dach über dem Kopf. Sie sollen auf dem Hof mithelfen dürfen: Die Tiere versorgen, Kartoffeln ernten, Waren tragen, Kunden beraten, hinter der Kasse stehen. Sie sollen eine Aufgabe haben, spüren, dass sie gebraucht werden.
"Ein Lächeln bedeutet überall in der Welt das gleiche. Und wenn sie ein Lächeln von einem Kunden bekommen, oder dessen Kind zum Lachen bringen, dann, finde ich, ist schon viel gewonnen."
Direkt neben dem Hofladen nageln Handwerker Holzpanel an die Außenwand eines Wohnhauses. Dieses und ein weiteres Gebäude auf dem Grundstück werden renoviert – eigens für die jungen Flüchtlinge und ihre Betreuer. Von der Gemeinde bekommen die Fakhros dafür eine monatliche Miete von umgerechnet gut 11.000 Euro.
Die alte Holzfassade war nicht mehr ok, erzählt Nabil, und: Ein anderer Hauswirt hätte sie vielleicht einfach überstrichen. Doch Nabil und seine Brüder wollen es besser machen. Neues, weißes Panel, davor eine Terrasse, Richtung Abendsonne.
"Dieses Heim für junge Flüchtlinge soll ein Vorreiter werden in der Region Lund. Wir wollen anderen Kommunen zeigen, was hinter dem Begriff 'unbegleitete Minderjährige' steht. Das sind nämlich Menschen, aus Fleisch und Blut. Häufig haben sie Schlimmes erlebt. Wir tun hier unser Bestes für sie."
Nabil Fakhro geht durch's Haus - es sind helle, freundliche Zimmer mit großen, an diesem Sommertag leicht geöffneten Fenstern. Eine Schar Hühner geht draußen ihrer unergründlichen Wege. Eine friedliche Idylle liegt über dem Hof.
Noch stehen drinnen Betten und andere Möbel aufeinandergestapelt, Nabil macht sich ein Bild, was, in welches Zimmer soll. Bald sollen diese Zimmer, weit entfernt von den Krisengebieten der Welt, den allein kommenden Kindern und Jugendlichen ein Zuhause sein.
In den 80er-Jahren aus dem Libanon geflohen
Nabil Fakhro ist deren Situation nicht fremd. Seine Eltern sind in den 80er-Jahren vor dem Krieg im Libanon geflohen.
"All die Geschichten, die meine Eltern erzählen. Wie sich die Armut ausbreitete, wie der Krieg kam, die Nahrungsmittel in den Läden knapp wurden - das ist so drin in ihnen, obwohl sie nun in einem der besten Länder der Welt leben. Sie sagen uns Geschwistern: Eines Tages kann all das zu Ende sein, nichts ist selbstverständlich, bleib am Boden, auch wenn du erfolgreich bist."
Seine Familie, sagt Nabil, hätte Schweden lange auf der Tasche gelegen - sie lebten von Sozialbeitrag. Kleidung kam immer vom Flohmarkt. Aufgewachsen ist Nabil in Rosengård, Malmö. Ein rauer Stadtteil.
"Erst als wir dort weggezogen sind, da war ich so 13, 14, habe ich zum ersten Mal schwedische Freunde bekommen. Und deren Eltern, sie haben mir auf die Schulter geklopft, "gut gemacht" sagten sie, wenn ich beim Fußballturnier der Schiedsrichter war. Und ich dachte nur, das kann nicht sein. Weil es ja sonst immer wir gegen die war. Obwohl die mir nie etwas getan hatten, war es immer "die dort" und "wir hier". Und das, obwohl ich schon lange in Schweden lebte und die Sprache konnte. Trotzdem fühlte ich mich außen vor."
Renovierung für die Neuankömmlinge
Der Boden um das Wohnhaus herum ist aufgewühlt - Abwasserrohre werden neu verlegt. Die Gemeinde hat eine lange Liste geschickt: Brandsicherheit, neue WCs und Duschen, ein Essensraum groß genug für alle, pro Kind ein Zimmer, Internetanbindung.
Außerdem mussten alle Familienmitglieder einen Auszug aus dem Vorstrafenregister vorlegen. Zwar werden sie nicht die Hauptbezugspersonen der Kinder sein - die Betreuer schickt die Gemeinde - aber der tägliche Kontakt mit den Kindern ist ja doch Sinn und Zweck der Sache.
Nabil hofft, dass es ihnen hier gut gehen wird. Vielleicht kann er ihnen später sogar einen Arbeitsplatz auf dem Hof anbieten. Er will Schweden etwas zurückgeben von dem, was er und seine Familie in diesem Land bekommen haben.
"Ich versuche nicht, hier den Helden zu markieren, aber: Ich bin hier, ich bin für sie da, ich habe meine eigene Story, ich kann erklären, sie dürfen mich alles fragen, z. B. was ihre Erfahrungen in der schwedischen Gesellschaft angeht. Sie werden ehrliche Antworten bekommen."