66 Tote, knapp 3.000 Infizierte und wahrscheinlich eine sehr hohe Dunkelziffer, die den schwedischen Gesundheitsverantwortlichen aber wohl eher egal ist. Im Gegensatz zu den vor allem in und um Stockholm herum stark steigenden Kranken- und Opferzahlen. Das Gesundheitssystem stehe unter starkem Druck, räumte "Staatsepidemiologe" Anders Tegnell ein. Er steht für den "schwedischen Weg" im Umgang mit der Pandemie, der offenbar dem "Lagom"-Lebensprinzip folgt, "nicht zu viel, nicht zu wenig!"
In diesem Fall bedeutet das vor allem, nicht zu viel: Also keine aus schwedischer Sicht übertriebenen Maßnahmen wie im Ausland, in Deutschland, aber auch bei den Nachbarn Dänemark, Norwegen oder Finnland, wo die komplette Region um die Hauptstadt Helsinki weitgehend abgeriegelt ist. Hier? Nicht nötig, so Tegnell:
"Eine solche Maßnahme muss effektiv und durchführbar sein. In Finnland hat man relativ kleine Gebiete unter Quarantäne gestellt. In Schweden haben wir sicher die meisten Ansteckungen in den Großstädten, aber Corona breitet sich in allen Regionen aus. Deshalb haben wir Zweifel am Effekt einer Abriegelung."
Alles bleibt wie es ist - man vertraut sich
Und auch sonst bleibt in Schweden erst einmal alles so, wie es ist: Grundschulen, Läden und Restaurants sind offen, die Skigebiete auch. Man vertraut sich. Der Staat seinen Bürgern, dass die sich vernünftig verhalten, auf Abstand bleiben oder zu Hause, wenn sie husten. Und die Bürger ihrem Staat, der allerdings auch schon mal für Verwirrung sorgt. Vorgestern sprach Tegnell erst von einer stabilen Lage. Vier Stunden später erklärte Stockholms Gesundheitschef dann, der erwartete Sturm sei da. 'Ja was denn nun', wurde Tegnell bei einer Pressekonferenz gefragt:
"Ich habe nie gesagt, dass die Situation in Stockholm entspannt ist. Allerdings habe ich gesagt, dass die Entwicklung der Epidemie, so wie wir sie in Stockholm bisher gesehen haben, nach wie vor auf einem relativ akzeptablen Niveau liegt. Seit ein, zwei Tagen sehen wir deutlich mehr Fälle und da ändert sich die Lage. Wir haben uns also nicht widersprochen, sondern über unterschiedliche Dinge geredet."
Wissenschaftler fordern konsequente Anti-Corona-Maßnahmen
Widersprechen tun inzwischen andere. Nach einem Bericht der Zeitung "Dagens Nyheter" um die 2.000 Wissenschaftler verschiedener Universitäten und Fachrichtungen, die in einem offenen Brief das Ende des "schwedischen Weges" und endlich konsequente Anti-Corona-Maßnahmen gefordert haben. Maßnahmen, die sich nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation richten. Die schwedische Gesundheitsbehörde sei peinlich, heißt es. In schwedischen Medien wird Olle Kämpe zitiert, ein Immunologe am angesehenen Karolinska Institut. Er habe das Gefühl, man wolle geradezu, dass sich Corona ausbreite, um möglichst hohe Immunität in der Bevölkerung zu erreichen. Doch das werde Hunderte, wenn nicht Tausende Leben kosten. Und Anders Tegnell? Der bleibt unbeeindruckt…
"Wir denken, dass wir die wirklich wichtigen Maßnahmen ergriffen haben. Zu Hause bleiben, wenn man sich krank fühlt, alle, die von zu Hause arbeiten können, sollten dies tun und wir müssen unsere älteren Mitbürger schützen. Man könnte dann andere Regeln verändern, etwa für Restaurantbesuche oder Versammlungen. Aber den besten Effekt gibt es, wenn sich alle einfach an die grundlegenden Verhaltensweisen halten."