Oliver Ramme: Wir sitzen hier im Teatro Avenida. Die Mosambikaner benutzen gerne den Begriff Casa, also Heim. Würden Sie sagen das Haus hier ist so etwas wie ihr Zuhause?
Henning Mankell: Ich habe heute Morgen noch gedacht, als ich aufgestanden bin: Ich weiß gar nicht wie viele Stücke ich hier schon in diesem Theater aufgeführt habe. Das ist schon ein bisschen beängstigend. Es müssten über 30 sein. Ja klar, das Haus ist mehr als nur ein Heim für mich.
Ramme: Hatten sie entsprechend auch ihre Höhen und Tiefen hier - und was überwog?
Mankell: Wenn man als Künstler arbeitet, gibt es Höhen und Tiefen. Es gab schwierige Zeiten in diesem Theater. Über die Jahre haben wir Produktionen gehabt, die nicht hundertprozentig erfolgreich waren. Das geht auch nicht, nicht alles kann klappen. Aber die allermeiste Zeit hier war positiv, ein fantastisches Unternehmen unter besten Bedingungen.
Ramme: Was haben sie hier gelernt?
Mankell: Ach, ich habe hier viel gelernt, gut 30 Jahre lebe ich hier im Wechsel mit Schweden - und klar lernt man da was. Wenn mich die Leute fragen, was ist der Unterschied hier oder zum Beispiel im Frankfurter Schauspielhaus als Regisseur zu arbeiten, dann sage ich: Der Unterschied liegt nicht auf der Bühne. Schauspieler sind überall auf der Welt gleich! Den Unterschied macht das Publikum. Wir müssen davon ausgehen, dass viele im Zuschauerraum nicht lesen und schreiben können. Das bedeutet, dass Theater enorm wichtig ist für sie. Hier im Theater - aber beispielsweise auch im Radio - spiegelt sich ihr Leben auf künstlerische Weise. Der Unterschied liegt also im Publikum und nicht auf der Bühne.
Ramme: Wie entwickeln sie ihre Stücke? Wir haben hier gestern Hedda Gabler von Ibsen gesehen. Ihre Adaption nennt sich: Die Tochter des Generals. Wie funktioniert das dann? Sie kommen mit dem Buch zu ihren Leuten und sagen: Schaut mal, ich habe hier ein schönes Buch, lasst es uns mosambikanisieren. Wie machen sie das?
Mankell: Wenn wir hier ein Stück auswählen, fragen wir uns immer: Könnte das eine wichtige Geschichte für unser Publikum sein? Wenn nicht, machen wir es nicht. Vor ein paar Jahren bereits diskutierte ich schon einmal mit den Schauspielern dieses Stück und sagte: Es wurde um 1870 geschrieben. Was würde passieren, wenn wir es nach hier verlagerten? In ein Land wie Mosambik, dass 1975 unabhängig wurde und man bis heute konstatieren muss: Es ist einfacher ein Land als ein Frau zu befreien. Die Frauen in diesem Land leiden noch immer unter dem autoritären System, wo der Mann komplett das Sagen hat. Und ich dachte, vielleicht sollten wir das thematisieren. Wir lasen es noch mal, schoben es dann wieder vor uns her, bis ich nach Jahren eine Lösung fand und ich sagte: Ich will eine Adaption versuchen. Ich habe das dann getan, und von dem Ergebnis waren alle sehr überzeugt.
Ramme: Spielt denn Humor eine große Rolle im Theater hier in Mosambik?
Mankell: Humor spielt immer eine große Rolle. Humor ist eine der stärksten Waffen, um zu überleben in schwierigen Lebenslagen. Mosambikaner lachen genauso wie wir - auch wenn es hier enorme Probleme gibt. Ich glaube, wenn wir ein Stück machten ohne Humor, das wäre gar nicht menschlich. In dem Stück gestern lachten die Zuschauer nicht über Leute, sondern über die einzelnen Situationen.
Ramme: Ihr Stück ist auch politisch. Sie erwähnen immer wieder die regierende Partei Frelimo - und in diesem Zusammenhang lachen die Leute. Glauben sie, dass die Regierungspartei immer glücklich ist, mit dem was sie hier so treiben? Oder müssen sie gar aufpassen?
Mankell: Das ist eine gute Frage. Heute im Jahr 2012 ist Mosambik eines der liberalsten Länder in Sachen Meinungsfreiheit in Afrika. Wir wissen aber auch, dass sich das schnell ändern kann. Wenn wir mal 15 Jahre zurückdenken: Ich würde sagen, wir hätten das Stück so aufführen können. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir es gewagt hätten. Wir hätten uns fragen müssen: Ist der Preis nicht zu hoch? Da gibt es so etwas wie Selbstzensur, wenn da zwar niemand ist, der einen einschränkt, wir uns aber selber Einhalt gebieten sollten. Nämlich dann, wenn der Preis zu hoch ist. Aber heute können wir eigentlich alles sagen. Heute können wir über die Frelimo lachen, weil sich die Leute erinnern, was hier vor 25, 30 Jahren los war. Und wenn sie genau hinschauen: Es war kein böses, teuflisches Lachen, es war eher ein ironisches Lachen.
Ramme: Aber ein bisschen vorsichtiger müssen sie schon sein? Vorsichtiger als zum Beispiel in Schweden oder Europa?
Mankell: Heute nicht mehr. Vor 15 Jahren wären wir vorsichtiger an die Sache herangegangen.
Ramme: Schauen wir etwas breiter auf das Kulturleben hier in Maputo. Ich sprach kürzlich mit einem sehr gebildeten Mann darüber und der sagte: Das Kulturangebot der Stadt befände sich im Sinkflug, es verfalle. Stimmt das - oder stellen sie vielleicht einen umgekehrten Trend fest?
Mankell: Von Verfall würde ich nicht sprechen. Ich glaube, dass heute einige Leute in Maputo recht viel Geld haben, mit dem sie luxuriös leben können. Aber, es gibt auch ein massives Problem hier: Armut. Obwohl man mittlerweile auch viel Reichtum sieht, dicke Autos und so weiter - die aller meisten hier sind bettelarm. Die mit Geld sind leider mehr fixiert auf Konsumgüter als auf Kultur. Aber Verfall ist zu stark. Es passieren hier so viele Sachen.
In den letzten 25 Jahren unserer Existenz haben wir nie irgendeine Unterstützung von der Regierung erfahren. Die hat einfach kein Geld. Trotzdem haben wir überlebt. Es ist immer schwierig etwas zu starten, wenn du kein Geld hast. Das hemmt! Gut, wir leben jetzt in einer Zeit, in der die Leute sich alles Mögliche leisten, können aber nicht unbedingt ins Theater kommen. Aber, ich bin da eigentlich nicht besorgt, wir bekommen unser Publikum!
Ramme: Was gibt ihnen da die Hoffnung? Gibt es da Anzeichen für ein breiteres Kulturleben in Mosambik?
Mankell: Das Kulturleben in diesem Land war immer stark. Die neue Generation, die hier aufwächst, hat ihre eignen Ideen. Ich bin da nicht besorgt. Es laufen eine Menge Sachen hier, Shows und so weiter. Ich brauche da gar keine Hoffnung, ich weiß, dass da etwas passiert.
Henning Mankell: Ich habe heute Morgen noch gedacht, als ich aufgestanden bin: Ich weiß gar nicht wie viele Stücke ich hier schon in diesem Theater aufgeführt habe. Das ist schon ein bisschen beängstigend. Es müssten über 30 sein. Ja klar, das Haus ist mehr als nur ein Heim für mich.
Ramme: Hatten sie entsprechend auch ihre Höhen und Tiefen hier - und was überwog?
Mankell: Wenn man als Künstler arbeitet, gibt es Höhen und Tiefen. Es gab schwierige Zeiten in diesem Theater. Über die Jahre haben wir Produktionen gehabt, die nicht hundertprozentig erfolgreich waren. Das geht auch nicht, nicht alles kann klappen. Aber die allermeiste Zeit hier war positiv, ein fantastisches Unternehmen unter besten Bedingungen.
Ramme: Was haben sie hier gelernt?
Mankell: Ach, ich habe hier viel gelernt, gut 30 Jahre lebe ich hier im Wechsel mit Schweden - und klar lernt man da was. Wenn mich die Leute fragen, was ist der Unterschied hier oder zum Beispiel im Frankfurter Schauspielhaus als Regisseur zu arbeiten, dann sage ich: Der Unterschied liegt nicht auf der Bühne. Schauspieler sind überall auf der Welt gleich! Den Unterschied macht das Publikum. Wir müssen davon ausgehen, dass viele im Zuschauerraum nicht lesen und schreiben können. Das bedeutet, dass Theater enorm wichtig ist für sie. Hier im Theater - aber beispielsweise auch im Radio - spiegelt sich ihr Leben auf künstlerische Weise. Der Unterschied liegt also im Publikum und nicht auf der Bühne.
Ramme: Wie entwickeln sie ihre Stücke? Wir haben hier gestern Hedda Gabler von Ibsen gesehen. Ihre Adaption nennt sich: Die Tochter des Generals. Wie funktioniert das dann? Sie kommen mit dem Buch zu ihren Leuten und sagen: Schaut mal, ich habe hier ein schönes Buch, lasst es uns mosambikanisieren. Wie machen sie das?
Mankell: Wenn wir hier ein Stück auswählen, fragen wir uns immer: Könnte das eine wichtige Geschichte für unser Publikum sein? Wenn nicht, machen wir es nicht. Vor ein paar Jahren bereits diskutierte ich schon einmal mit den Schauspielern dieses Stück und sagte: Es wurde um 1870 geschrieben. Was würde passieren, wenn wir es nach hier verlagerten? In ein Land wie Mosambik, dass 1975 unabhängig wurde und man bis heute konstatieren muss: Es ist einfacher ein Land als ein Frau zu befreien. Die Frauen in diesem Land leiden noch immer unter dem autoritären System, wo der Mann komplett das Sagen hat. Und ich dachte, vielleicht sollten wir das thematisieren. Wir lasen es noch mal, schoben es dann wieder vor uns her, bis ich nach Jahren eine Lösung fand und ich sagte: Ich will eine Adaption versuchen. Ich habe das dann getan, und von dem Ergebnis waren alle sehr überzeugt.
Ramme: Spielt denn Humor eine große Rolle im Theater hier in Mosambik?
Mankell: Humor spielt immer eine große Rolle. Humor ist eine der stärksten Waffen, um zu überleben in schwierigen Lebenslagen. Mosambikaner lachen genauso wie wir - auch wenn es hier enorme Probleme gibt. Ich glaube, wenn wir ein Stück machten ohne Humor, das wäre gar nicht menschlich. In dem Stück gestern lachten die Zuschauer nicht über Leute, sondern über die einzelnen Situationen.
Ramme: Ihr Stück ist auch politisch. Sie erwähnen immer wieder die regierende Partei Frelimo - und in diesem Zusammenhang lachen die Leute. Glauben sie, dass die Regierungspartei immer glücklich ist, mit dem was sie hier so treiben? Oder müssen sie gar aufpassen?
Mankell: Das ist eine gute Frage. Heute im Jahr 2012 ist Mosambik eines der liberalsten Länder in Sachen Meinungsfreiheit in Afrika. Wir wissen aber auch, dass sich das schnell ändern kann. Wenn wir mal 15 Jahre zurückdenken: Ich würde sagen, wir hätten das Stück so aufführen können. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir es gewagt hätten. Wir hätten uns fragen müssen: Ist der Preis nicht zu hoch? Da gibt es so etwas wie Selbstzensur, wenn da zwar niemand ist, der einen einschränkt, wir uns aber selber Einhalt gebieten sollten. Nämlich dann, wenn der Preis zu hoch ist. Aber heute können wir eigentlich alles sagen. Heute können wir über die Frelimo lachen, weil sich die Leute erinnern, was hier vor 25, 30 Jahren los war. Und wenn sie genau hinschauen: Es war kein böses, teuflisches Lachen, es war eher ein ironisches Lachen.
Ramme: Aber ein bisschen vorsichtiger müssen sie schon sein? Vorsichtiger als zum Beispiel in Schweden oder Europa?
Mankell: Heute nicht mehr. Vor 15 Jahren wären wir vorsichtiger an die Sache herangegangen.
Ramme: Schauen wir etwas breiter auf das Kulturleben hier in Maputo. Ich sprach kürzlich mit einem sehr gebildeten Mann darüber und der sagte: Das Kulturangebot der Stadt befände sich im Sinkflug, es verfalle. Stimmt das - oder stellen sie vielleicht einen umgekehrten Trend fest?
Mankell: Von Verfall würde ich nicht sprechen. Ich glaube, dass heute einige Leute in Maputo recht viel Geld haben, mit dem sie luxuriös leben können. Aber, es gibt auch ein massives Problem hier: Armut. Obwohl man mittlerweile auch viel Reichtum sieht, dicke Autos und so weiter - die aller meisten hier sind bettelarm. Die mit Geld sind leider mehr fixiert auf Konsumgüter als auf Kultur. Aber Verfall ist zu stark. Es passieren hier so viele Sachen.
In den letzten 25 Jahren unserer Existenz haben wir nie irgendeine Unterstützung von der Regierung erfahren. Die hat einfach kein Geld. Trotzdem haben wir überlebt. Es ist immer schwierig etwas zu starten, wenn du kein Geld hast. Das hemmt! Gut, wir leben jetzt in einer Zeit, in der die Leute sich alles Mögliche leisten, können aber nicht unbedingt ins Theater kommen. Aber, ich bin da eigentlich nicht besorgt, wir bekommen unser Publikum!
Ramme: Was gibt ihnen da die Hoffnung? Gibt es da Anzeichen für ein breiteres Kulturleben in Mosambik?
Mankell: Das Kulturleben in diesem Land war immer stark. Die neue Generation, die hier aufwächst, hat ihre eignen Ideen. Ich bin da nicht besorgt. Es laufen eine Menge Sachen hier, Shows und so weiter. Ich brauche da gar keine Hoffnung, ich weiß, dass da etwas passiert.