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Schweigen hinter Kirchenmauern

Wegen ihrer Rolle im Kampf gegen den Sozialismus genießt die katholische Kirche in Polen noch immer hohes Ansehen. Umso schwieriger ist es, sexuellen Missbrauch, der von Geistlichen ausgeht, öffentlich anzusprechen. Eine neue Stiftung will das ändern.

Von Holger Lühmann |
    Vielen Opfern geht es nicht um finanzielle Entschädigung. Sie wollen eine Entschuldigung hören und Zeichen sehen, dass die Kirche die Täter ausfindig macht.

    Als Marek Lisinski 1981 von einem Priester sexuell belästigt wurde, behielt er dies für sich. Zu groß war die Scham. Und er hatte Angst, man würde ihm nicht glauben. Erst 30 Jahre später fand er Worte für das, was geschehen war. Nun will er eine Stiftung ins Leben rufen und anderen Betroffenen damit helfen. Sein Ziel: Eine breite Diskussion über Kindesmissbrauch durch Priester in Polen.

    "Mit der Gründung einer Gesellschaft wollen wir psychologische Hilfe leisten, damit sich Opfer und ihre Familien nicht mehr sorgen müssen. Und ich hoffe, wir haben dadurch bald eine Basis, um mit der Kirche offen über Kindesmissbrauch ins Gespräch zu kommen. Denn noch nimmt sie uns nicht ernst."

    Tatsächlich gehen von der katholischen Kirche wenige Impulse aus, sich des Problems anzunehmen. Auch in Deutschland hatte die Kirche zunächst verhalten reagiert, als Anfang der 1990er-Jahre erste Missbrauchsfälle publik wurden. Nur nach und nach lernten die Bischöfe, mit der Ungeheuerlichkeit der Taten umzugehen. In Polen sei man davon noch weit entfernt, meint Marek Lisinski. Viele Opfer würden deswegen auch weiterhin schweigen. Bis heute gibt es über ihre Zahl nur Schätzungen.

    "Ich will nicht übertreiben, aber auf einen betroffenen Pfarrer kommen sicher mehrere Missbrauchsopfer und von diesen Pfarrern gibt es Hunderte, also sind es am Ende wohl Tausende Opfer. Trotzdem, wir sind bis jetzt erst 15 Leute, die sich für die Stiftung stark machen."

    Die Bereitschaft, mit der eigenen Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen, ist gering. Sexueller Missbrauch ist Polen ein Tabuthema, erst recht wenn es um die Kirche geht. Wegen ihrer Rolle im Kampf gegen den Sozialismus genießt sie noch immer hohes soziales Ansehen. Viele Straßen und Plätze sind nach Priestern, Bischöfen und natürlich nach Papst Johannes Paul II. benannt. Lange Zeit kam Kirchenkritik einem Vaterlandsverrat gleich. Ekke Overbeek hat den Tabubruch gewagt. Der Polenkorrespondent aus den Niederlanden hat ein Buch über Pädophilie in der Kirche geschrieben.

    "Die Angst ist in Polen größer als in anderen Ländern. Zunächst natürlich auf der Opferseite, aber auch auf Seiten der Kirche. Die Opfer haben Angst vor den Reaktionen ihres Umfeldes. Aber auch die Kirche fürchtet sich: vor einem Autoritätsverlust und vor den finanziellen Konsequenzen. Verständlich, wenn man an die Vereinigten Staaten denkt."

    Dort hatten Schadensersatzklagen dazu geführt, dass bis heute acht katholische Bistümer Konkurs anmelden mussten. Missbrauchsopfer haben seit 1994 fast 1,3 Milliarden Dollar Schmerzensgeld erstritten. Adam Bodnar von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte hält dies in Polen allerdings für unwahrscheinlich.

    "Immer wenn ich mit Opfern rede, stelle ich fest, dass es ihnen nicht um Entschädigung geht, sondern ums Recht. Sie wollen kein zweites Mal Opfer werden. Sie wollen eine Entschuldigung hören und ein Zeichen sehen, dass die Kirche anfängt, die Täter ausfindig zu machen."

    Dennoch versucht die Amtskirche das Thema nach wie vor zu marginalisieren. Stanisław Jóźwiak, Sprecher des Erzbistums Breslau, hat in den vergangenen vier Jahren für seinen Amtsbezirk nur einen Missbrauchsfall registriert.

    "Pädophilie ist ein sehr ernstes Problem. Aber es gibt weder die meisten Fälle in der Kirche, noch hat die Kirche das Problem hervorgebracht. Die meisten Fälle, mit denen sich die Staatsanwälte beschäftigen, spielen sich außerhalb von Kirchenmauern ab. Und nicht nur die meisten, sondern auch die schwersten."

    Tatsächlich bearbeitet die Staatsanwaltschaft in Breslau derzeit 385 Verfahren wegen Missbrauchs. Nur ein Fall betrifft einen Geistlichen. Stanisław Jóźwiak vom Breslauer Erzbistum erklärt das mit der Infrastruktur der Kirche in Polen.

    "Anders als in Irland zum Beispiel, hatte Polen während der kommunistischen Zeit kaum eigene Einrichtungen – keine Krankenhäuser, keine Kinderheime, keine Internate. Bei uns gab es das nicht und darum waren auch wenige Kinder unter der Kontrolle von Geistlichen."

    Heute allerdings gibt es mehr als 550 katholische Schulen und Internate. Auch aus diesem Grund hat die Kirche vor eineinhalb Jahren reagiert. Józef Kloch, Sprecher der katholischen Bischofskonferenz in Polen:

    "Wir haben einen Leitfaden erarbeitet, mit dem die Priester zu mehr Wachsamkeit gegenüber ihren Mitbrüdern bewegt werden sollen. Damit hoffen wir, Missbrauch künftig von vorneherein zu verhindern."

    Der Leitfaden ruht allerdings noch immer in der Schublade. Für Kritiker ein verheerendes Signal. Adam Bodnar von der Helsinki-Stiftung fordert endlich Transparenz:

    "Ich sehe auf Seiten der Kirche keinen Willen, sich um Aufklärung zu bemühen. Die Kirche müsste endlich eine unabhängige Kommission gründen, die den Hintergründen des Missbrauchs nachgeht."

    Stanisław Jóźwiak vom Erzbistum Breslau hält das für überflüssig. Wo es keine Missbrauchsfälle gäbe, sei auch keine Kommission nötig:

    "Missbrauch ist ja der absolute Ausnahmefall. Bei drei oder vier Fällen gibt es keinen Grund, eine Kommission einzurichten. Es reicht, wenn die Opfer weiterhin an den Erzbischof schreiben, gerne auch per E-Mail, und über ihren Fall berichten. Er gibt es weiter an die Staatsanwaltschaft. Und dort werden entsprechende Schritte unternommen."

    Ob Opfer freilich an die Bischöfe schreiben wollen, wenn sie längst das Vertrauen in sie verloren haben, scheint mehr als fraglich. Denn auch unter den Bischöfen gab es bereits Täter. So wurde mit Janusz Paetz aus Poznan, 2002 ein Erzbischof wegen Missbrauchs vom Dienst suspendiert. Marek Lisinski will als Opfer Grundlegendes in der Kirche ändern. Seine Stiftung soll eine Art Mittlerrolle übernehmen:

    "Wir wollen mit der Kirche reden. Es geht uns um eine Entschuldigung und um eine Anerkennung der Opfer. Geld ist uns nicht wichtig. Wir wollen weder Krieg mit der Kirche, noch sind wir gegen sie."