Stefan Heinlein: Eine gesamtdeutsche Partei links von der SPD, die letzten Wahlergebnisse brachten Die Linken diesem Ziel näher. Erfolge im Bund und in den Ländern, doch weder in Hessen, noch im Saarland und auch nicht in Thüringen kam es zu rot-rot-grünen Bündnissen. Nur in Brandenburg entschloss sich Matthias Platzeck zur Koalition mit der Linkspartei. Doch der Start dort ist alles andere als gelungen. Fast jeden Tag neue Stasi-Enthüllungen, Vertuschung und Verdrängung, zahlreiche Abgeordnete der Linken werden nun von ihrer Vergangenheit eingeholt. Alarmstimmung deshalb bei den linken Genossen in Ost und West. Manche fürchten um die Glaubwürdigkeit der Partei, und darüber habe ich vor dieser Sendung mit dem Fraktionsvorsitzenden der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow, gesprochen und ihn gefragt, warum bisher versäumt worden ist, reinen Tisch zu machen.
Bodo Ramelow: Ehrlich gesagt glaube ich nicht mal, dass es nur meine Parteimitglieder angeht, sondern es ist eine Angelegenheit, die mit dem sogenannten Weg von Herrn Stolpe zusammenhängt. Man hat in Brandenburg keine gesetzliche Grundlage geschaffen, man hat die Regelanfrage abgeschafft, und zwar 1991 schon, und seitdem glaube ich, dass eine ganze Reihe von Akteuren geglaubt haben, einfach durchhuschen zu können. Auch für meine Partei galt immer: Man muss sich bekennen, man muss sich dem aufstellenden Parteitag bekennen, man muss seine Biografie, seine politische Biografie, also auch seine Tätigkeit als IM oder als gesellschaftlicher Mitarbeiter oder als hauptamtlicher Mitarbeiter offenlegen. Und wer nicht offenlegt, kann von der Partei keine Solidarität erwarten, und deswegen ist es um so bitterer, dass es uns jetzt in zwei Fällen kalt erwischt hat.
Heinlein: Also überall hat die Linkspartei ihre Vergangenheit aufgearbeitet, nur nicht in Brandenburg. Verstehe ich Sie da richtig?
Ramelow: Nein, das würden Sie jetzt falsch verstehen, weil ich glaube, dass viele Dinge nicht aufgearbeitet sind, und zwar nicht nur bei unserer Partei. Ich glaube, dass auch die Blockparteien sehr zweifelhaft mit ihrer Vergangenheit umgehen und gerne die Schuld ausschließlich bei uns abliefern. In Brandenburg erleben wir, dass zwei Personen von uns gerade öffentlich sich outen mussten, aber die Regelanfrage in Brandenburg hat noch gar nicht begonnen. Also wir reden über zwei Fälle, die jetzt relativ zufällig bekannt geworden sind, ohne dass die Regelanfrage überhaupt losgegangen ist. Ich bin gespannt, wie viele Personen in den anderen Parteien auch noch möglicherweise durch die Regelanfrage gefunden werden.
Heinlein: Reden wir, Herr Ramelow, über Ihre Partei. Was glauben Sie, wenn man bei ihnen genauer hinguckt, bei der Linkspartei in Thüringen? Werden dann auch noch neue Stasi-Fälle aufgedeckt werden, beispielsweise wenn sie denn doch irgendwann mal Regierungsverantwortung übernehmen sollten?
Ramelow: Wir haben zwei IM-Fälle, die bei uns immer bekannt waren, wobei eine Person gar keine IM ist, sondern bei der Kriminalpolizei war und deswegen in dem sogenannten gesetzlichen Regelbereich nie aufgezählt war. Aber es geht nicht darum, ob da diese oder jene Kategorie erreicht ist, sondern es geht um die Frage, wie arbeiten wir eigentlich eine autoritäre Struktur auf, wie arbeiten wir eine Diktatur auf. Und in einer Diktatur gibt es nicht nur eine einzelne Insel der Glückseligen, sondern es gibt Menschen, die darin gelebt haben, mit guten und schlechten Erfahrungen, und es wäre besser, dass diejenigen, die moralische oder politische Schuld auf sich geladen haben, diese für sich selber auch mal resümieren würden, damit man überhaupt darüber reden kann. Schweigen ist das eigentlich Schlimme.
Heinlein: Hat Ihre Partei bislang zu lange geschwiegen, oder nicht hinreichend die Vergangenheit aufgearbeitet?
Ramelow: Wir haben sehr intensiv seit 1990 immer wieder die Debatte geführt. Das Problem ist, man hat sie uns öffentlich nie abgenommen. Es gab immer wiederkehrend neue Diskussionen. Ich kann mich an den Thüringer Landesverband mehrfach erinnern, dass wir große Diskussionsrunden hatten, dass wir öffentliche Diskussionsrunden hatten. Die Öffentlichkeit hat daran nur nie teilgenommen.
Heinlein: Aber viele in Brandenburg haben bisher sich nicht zu ihrer Vergangenheit bekannt und ihre Vergangenheit unter den Teppich gekehrt?
Ramelow: Das mit dem "vielen" ist eine relative Angelegenheit.
Heinlein: Sieben Fälle derzeit.
Ramelow: Wir wissen ja sieben Fälle, von denen einer beim Wachregiment Felix Dzierzynski war. Das ist völlig lächerlich, den jetzt als IM einzuordnen. Und dass die ganzen Personenschützer, die alle von Herrn Schäuble eingestellt worden sind – selbst Frau Merkel wird heute ja von Personenschützern bewacht, die beim MfS tätig waren als Personenschützer. Offenkundig hatte die Bundesregierung überhaupt keine Probleme, wenn es um Teilübernahmen aus dem MfS ging, und selbst in der Birthler-Behörde sind bis heute fortgesetzt hauptamtliche MfS-Mitarbeiter tätig.
Heinlein: Sieben, Herr Ramelow, sieben von 26 Abgeordneten in Brandenburg.
Ramelow: Von den sieben, habe ich eben gerade gesagt, ist einer beim Wachregiment gewesen. Damit wären es sechs Personen. Dann sind es zwei, die immer schon ihre Vergangenheit auf dem Tisch liegen hatten, die sind mit ihrer Vergangenheit gewählt worden. Und es sind zwei dazu gekommen: Eine, das ist die Kollegin, die Parlamentsvizepräsidentin war. Deren Akte liegt seit 91 auf dem Tisch und da hat es jetzt eine Neubewertung gegeben. Die Frage ist aber trotzdem nicht die Anzahl sechs, sieben oder fünf macht das Problem aus, sondern die Frage, ob man in einem ganzen Bundesland nach Herrn Stolpes Maßstab überhaupt nicht mehr geredet hat, was dann zu einem besonderen Problem führt, oder ob man wie in Thüringen Jahr für Jahr erneut darüber debattiert hat, auch bis hin zur Aberkennung der Parlamentsrechte, was ich einfach für grundgesetzwidrig halte. Wenn die Bürger einen Menschen mit seiner IM-Akte als Bürgermeister wählen, haben die höchsten deutschen Gerichte entschieden, wenn die Bürger wussten, was er getan hat, und es selber bewerten konnten, darf man es hinterher nicht als politische Waffe einsetzen. Insoweit geht es um die Öffnung. Die Akten müssen auf den Tisch, das persönliche Bekenntnis muss auf den Tisch, denn eine Versöhnung kann erst stattfinden, wenn auch ein Einräumen – und darin steckt auch das Wort Reue – stattgefunden hat.
Heinlein: Herr Ramelow, Ihre Partei will in den nächsten Monaten die Arbeit an einem neuen Parteiprogramm beginnen. Was muss sich ändern an den programmatischen Schwerpunkten Ihrer Partei?
Ramelow: Wir haben ja programmatische Eckpunkte aus der WASG und der PdS gemeinsam verabredet. Dort sind eine ganze Reihe von offenen Fragen damals festgelegt worden. Wir haben sie ja nicht abschließend bewerten wollen, weil wir sie nicht durch einen Fusionsvertrag bewerten wollten, sondern wir wollten sie durch eine gemeinsame Programmdebatte in die Mitte der Partei stellen. Da will ich mal das Beispiel sagen: öffentlicher Dienst oder öffentlicher Service, also öffentlicher Bereich. Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen mit der Finanzierung von öffentlich geförderter Arbeit ist was anderes, wie den Ausbau des öffentlichen Dienstes. Das ist eine West-Ost-Debatte, denn der öffentliche Dienst, wie wir ihn in den neuen Ländern kennen, bei gleichzeitiger massiver Abwanderung der Bevölkerung, kann nicht so weitergeführt werden, als wäre da in der Zwischenzeit kein Bevölkerungsschwund, und das wird in Westdeutschland immer als Abbau des öffentlichen Dienstes begriffen. Deswegen werbe ich für eine andere Form der öffentlichen Bezahlung von Arbeit.
Heinlein: Wie notwendig ist neben dieser inhaltlichen Debatte, die Sie ja gerade angesprochen haben, auch ein Generationenwechsel an der Spitze Ihrer Partei?
Ramelow: Wir müssen permanent darauf achten, dass Generationen auch sich abwechseln. Deswegen muss man immer darüber nachdenken. Ich bin jetzt 53, bin seit zehn Jahren in der aktiven Parteipolitik. Auch ich muss darüber nachdenken, dass Jüngere nachkommen, denn die Lebenswelt hat sich verändert. Wenn ich mir angucke, was heute in der Online-Welt los ist, bei Twitter, bei Facebook, in den sozialen Netzwerken entstehen ganz neue politische Dimensionen, die muss eine Partei mitdenken, mitspüren und muss natürlich auch mit einem permanenten Verjüngungsprozess arbeiten. Bislang war es so, dass wir bei der Aufstellung von Landeslisten immer darauf geachtet haben, Stichwort drei unter 30, und ich glaube, dass wir auch in der Führung gut aufgestellt sind, wenn wir einen solchen Generationswechsel planvoll angehen.
Heinlein: Planvoll angehen einen Generationswechsel, das heißt auch offen nachdenken über eine Nachfolge von Oskar Lafontaine?
Ramelow: Erst mal geht es um die Nachfolge von Lothar Bisky, weil der jetzt Vorsitzender der Europäischen Linkspartei geworden ist, und damit ist dieser Platz, der bisher von Lothar Bisky eingenommen worden ist, neu zu besetzen, oder er entfällt. Oskar Lafontaine selber hat aber vorgeschlagen, dass er die Doppelspitze, und zwar eine geschlechtsquotierte Doppelspitze, also Mann/Frau, in den Vordergrund stellen will, und ich finde diesen Vorschlag gut und richtig und meine Sicht darauf ist, dass es auch eine Ost-West-Quote sein sollte. Es sollte in diesem Fall eine aktive, kluge, politisch eingebettete Frau aus den neuen Bundesländern sein, die als zweite Person neben Oskar Lafontaine die Geschicke unserer Partei leiten soll.
Heinlein: Also ist Oskar Lafontaine auch in Zukunft gesund, sollte er auch Parteivorsitzender bleiben?
Ramelow: Angesichts der Krebsdiagnose und angesichts des Heilungsprozesses verbietet sich jede Debatte aus Anlass der gesundheitlichen Situation. Er hat selber den Vorschlag gemacht. Ich wünsche im Moment meinem Vorsitzenden nur viel Genesung, viel Erholung, eine gute Weihnachtszeit und anschließend eine Rückkehr als Vorsitzender, und dann hat er selber die Debatte um die Geschlechterquote eingefordert und ich kann meine Partei nur ermahnen und ermuntern, diese Debatte jetzt endlich zu führen.
Heinlein: Zu Besuch im Deutschlandfunk der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Bodo Ramelow: Ehrlich gesagt glaube ich nicht mal, dass es nur meine Parteimitglieder angeht, sondern es ist eine Angelegenheit, die mit dem sogenannten Weg von Herrn Stolpe zusammenhängt. Man hat in Brandenburg keine gesetzliche Grundlage geschaffen, man hat die Regelanfrage abgeschafft, und zwar 1991 schon, und seitdem glaube ich, dass eine ganze Reihe von Akteuren geglaubt haben, einfach durchhuschen zu können. Auch für meine Partei galt immer: Man muss sich bekennen, man muss sich dem aufstellenden Parteitag bekennen, man muss seine Biografie, seine politische Biografie, also auch seine Tätigkeit als IM oder als gesellschaftlicher Mitarbeiter oder als hauptamtlicher Mitarbeiter offenlegen. Und wer nicht offenlegt, kann von der Partei keine Solidarität erwarten, und deswegen ist es um so bitterer, dass es uns jetzt in zwei Fällen kalt erwischt hat.
Heinlein: Also überall hat die Linkspartei ihre Vergangenheit aufgearbeitet, nur nicht in Brandenburg. Verstehe ich Sie da richtig?
Ramelow: Nein, das würden Sie jetzt falsch verstehen, weil ich glaube, dass viele Dinge nicht aufgearbeitet sind, und zwar nicht nur bei unserer Partei. Ich glaube, dass auch die Blockparteien sehr zweifelhaft mit ihrer Vergangenheit umgehen und gerne die Schuld ausschließlich bei uns abliefern. In Brandenburg erleben wir, dass zwei Personen von uns gerade öffentlich sich outen mussten, aber die Regelanfrage in Brandenburg hat noch gar nicht begonnen. Also wir reden über zwei Fälle, die jetzt relativ zufällig bekannt geworden sind, ohne dass die Regelanfrage überhaupt losgegangen ist. Ich bin gespannt, wie viele Personen in den anderen Parteien auch noch möglicherweise durch die Regelanfrage gefunden werden.
Heinlein: Reden wir, Herr Ramelow, über Ihre Partei. Was glauben Sie, wenn man bei ihnen genauer hinguckt, bei der Linkspartei in Thüringen? Werden dann auch noch neue Stasi-Fälle aufgedeckt werden, beispielsweise wenn sie denn doch irgendwann mal Regierungsverantwortung übernehmen sollten?
Ramelow: Wir haben zwei IM-Fälle, die bei uns immer bekannt waren, wobei eine Person gar keine IM ist, sondern bei der Kriminalpolizei war und deswegen in dem sogenannten gesetzlichen Regelbereich nie aufgezählt war. Aber es geht nicht darum, ob da diese oder jene Kategorie erreicht ist, sondern es geht um die Frage, wie arbeiten wir eigentlich eine autoritäre Struktur auf, wie arbeiten wir eine Diktatur auf. Und in einer Diktatur gibt es nicht nur eine einzelne Insel der Glückseligen, sondern es gibt Menschen, die darin gelebt haben, mit guten und schlechten Erfahrungen, und es wäre besser, dass diejenigen, die moralische oder politische Schuld auf sich geladen haben, diese für sich selber auch mal resümieren würden, damit man überhaupt darüber reden kann. Schweigen ist das eigentlich Schlimme.
Heinlein: Hat Ihre Partei bislang zu lange geschwiegen, oder nicht hinreichend die Vergangenheit aufgearbeitet?
Ramelow: Wir haben sehr intensiv seit 1990 immer wieder die Debatte geführt. Das Problem ist, man hat sie uns öffentlich nie abgenommen. Es gab immer wiederkehrend neue Diskussionen. Ich kann mich an den Thüringer Landesverband mehrfach erinnern, dass wir große Diskussionsrunden hatten, dass wir öffentliche Diskussionsrunden hatten. Die Öffentlichkeit hat daran nur nie teilgenommen.
Heinlein: Aber viele in Brandenburg haben bisher sich nicht zu ihrer Vergangenheit bekannt und ihre Vergangenheit unter den Teppich gekehrt?
Ramelow: Das mit dem "vielen" ist eine relative Angelegenheit.
Heinlein: Sieben Fälle derzeit.
Ramelow: Wir wissen ja sieben Fälle, von denen einer beim Wachregiment Felix Dzierzynski war. Das ist völlig lächerlich, den jetzt als IM einzuordnen. Und dass die ganzen Personenschützer, die alle von Herrn Schäuble eingestellt worden sind – selbst Frau Merkel wird heute ja von Personenschützern bewacht, die beim MfS tätig waren als Personenschützer. Offenkundig hatte die Bundesregierung überhaupt keine Probleme, wenn es um Teilübernahmen aus dem MfS ging, und selbst in der Birthler-Behörde sind bis heute fortgesetzt hauptamtliche MfS-Mitarbeiter tätig.
Heinlein: Sieben, Herr Ramelow, sieben von 26 Abgeordneten in Brandenburg.
Ramelow: Von den sieben, habe ich eben gerade gesagt, ist einer beim Wachregiment gewesen. Damit wären es sechs Personen. Dann sind es zwei, die immer schon ihre Vergangenheit auf dem Tisch liegen hatten, die sind mit ihrer Vergangenheit gewählt worden. Und es sind zwei dazu gekommen: Eine, das ist die Kollegin, die Parlamentsvizepräsidentin war. Deren Akte liegt seit 91 auf dem Tisch und da hat es jetzt eine Neubewertung gegeben. Die Frage ist aber trotzdem nicht die Anzahl sechs, sieben oder fünf macht das Problem aus, sondern die Frage, ob man in einem ganzen Bundesland nach Herrn Stolpes Maßstab überhaupt nicht mehr geredet hat, was dann zu einem besonderen Problem führt, oder ob man wie in Thüringen Jahr für Jahr erneut darüber debattiert hat, auch bis hin zur Aberkennung der Parlamentsrechte, was ich einfach für grundgesetzwidrig halte. Wenn die Bürger einen Menschen mit seiner IM-Akte als Bürgermeister wählen, haben die höchsten deutschen Gerichte entschieden, wenn die Bürger wussten, was er getan hat, und es selber bewerten konnten, darf man es hinterher nicht als politische Waffe einsetzen. Insoweit geht es um die Öffnung. Die Akten müssen auf den Tisch, das persönliche Bekenntnis muss auf den Tisch, denn eine Versöhnung kann erst stattfinden, wenn auch ein Einräumen – und darin steckt auch das Wort Reue – stattgefunden hat.
Heinlein: Herr Ramelow, Ihre Partei will in den nächsten Monaten die Arbeit an einem neuen Parteiprogramm beginnen. Was muss sich ändern an den programmatischen Schwerpunkten Ihrer Partei?
Ramelow: Wir haben ja programmatische Eckpunkte aus der WASG und der PdS gemeinsam verabredet. Dort sind eine ganze Reihe von offenen Fragen damals festgelegt worden. Wir haben sie ja nicht abschließend bewerten wollen, weil wir sie nicht durch einen Fusionsvertrag bewerten wollten, sondern wir wollten sie durch eine gemeinsame Programmdebatte in die Mitte der Partei stellen. Da will ich mal das Beispiel sagen: öffentlicher Dienst oder öffentlicher Service, also öffentlicher Bereich. Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen mit der Finanzierung von öffentlich geförderter Arbeit ist was anderes, wie den Ausbau des öffentlichen Dienstes. Das ist eine West-Ost-Debatte, denn der öffentliche Dienst, wie wir ihn in den neuen Ländern kennen, bei gleichzeitiger massiver Abwanderung der Bevölkerung, kann nicht so weitergeführt werden, als wäre da in der Zwischenzeit kein Bevölkerungsschwund, und das wird in Westdeutschland immer als Abbau des öffentlichen Dienstes begriffen. Deswegen werbe ich für eine andere Form der öffentlichen Bezahlung von Arbeit.
Heinlein: Wie notwendig ist neben dieser inhaltlichen Debatte, die Sie ja gerade angesprochen haben, auch ein Generationenwechsel an der Spitze Ihrer Partei?
Ramelow: Wir müssen permanent darauf achten, dass Generationen auch sich abwechseln. Deswegen muss man immer darüber nachdenken. Ich bin jetzt 53, bin seit zehn Jahren in der aktiven Parteipolitik. Auch ich muss darüber nachdenken, dass Jüngere nachkommen, denn die Lebenswelt hat sich verändert. Wenn ich mir angucke, was heute in der Online-Welt los ist, bei Twitter, bei Facebook, in den sozialen Netzwerken entstehen ganz neue politische Dimensionen, die muss eine Partei mitdenken, mitspüren und muss natürlich auch mit einem permanenten Verjüngungsprozess arbeiten. Bislang war es so, dass wir bei der Aufstellung von Landeslisten immer darauf geachtet haben, Stichwort drei unter 30, und ich glaube, dass wir auch in der Führung gut aufgestellt sind, wenn wir einen solchen Generationswechsel planvoll angehen.
Heinlein: Planvoll angehen einen Generationswechsel, das heißt auch offen nachdenken über eine Nachfolge von Oskar Lafontaine?
Ramelow: Erst mal geht es um die Nachfolge von Lothar Bisky, weil der jetzt Vorsitzender der Europäischen Linkspartei geworden ist, und damit ist dieser Platz, der bisher von Lothar Bisky eingenommen worden ist, neu zu besetzen, oder er entfällt. Oskar Lafontaine selber hat aber vorgeschlagen, dass er die Doppelspitze, und zwar eine geschlechtsquotierte Doppelspitze, also Mann/Frau, in den Vordergrund stellen will, und ich finde diesen Vorschlag gut und richtig und meine Sicht darauf ist, dass es auch eine Ost-West-Quote sein sollte. Es sollte in diesem Fall eine aktive, kluge, politisch eingebettete Frau aus den neuen Bundesländern sein, die als zweite Person neben Oskar Lafontaine die Geschicke unserer Partei leiten soll.
Heinlein: Also ist Oskar Lafontaine auch in Zukunft gesund, sollte er auch Parteivorsitzender bleiben?
Ramelow: Angesichts der Krebsdiagnose und angesichts des Heilungsprozesses verbietet sich jede Debatte aus Anlass der gesundheitlichen Situation. Er hat selber den Vorschlag gemacht. Ich wünsche im Moment meinem Vorsitzenden nur viel Genesung, viel Erholung, eine gute Weihnachtszeit und anschließend eine Rückkehr als Vorsitzender, und dann hat er selber die Debatte um die Geschlechterquote eingefordert und ich kann meine Partei nur ermahnen und ermuntern, diese Debatte jetzt endlich zu führen.
Heinlein: Zu Besuch im Deutschlandfunk der Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen, Bodo Ramelow. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.