Archiv


Schwein und Mensch in einer Zelle

Medizin. – Chimären, Mischwesen aus verschiedenen, nicht miteinander kreuzbaren Arten gibt es in der griechischen Mythologie – oder in Form von künstlich verschmolzenen Zellen. So dachte man bisher. US-Wissenschaftler haben jetzt jedoch bei Schweinen, denen man im Fötenstadium menschliche Blutstammzellen gespritzt hatte, Zellen entdeckt, die Erbgut und Proteine von beiden Arten aufwiesen. Die Entdeckung könnte Folgen haben, für unser Verständnis von der Übertragung von Erregern zwischen den Arten und auch für die Zukunftsaussichten der so genannten Xenotransplantation, des Organersatzteillagers Schwein also.

    Zellen aus der Verschmelzung zweier verschiedener nicht kreuzbarer Tierarten kann man nur künstlich im Labor erzeugen, diese bisher geltende Ansicht haben Forscher der Mayo-Klinik in Rochester, US-Bundesstaat Minnesota, ins Wanken gebracht. Sie haben erstmals die so genannten Chimären als Produkt eines weitgehend natürlichen Prozesses nachgewiesen. Sie fanden bei bestimmten Schweinen Zellen, die Informationen sowohl vom Schwein als auch vom Menschen in sich trugen. Die Besonderheit dieser Schweine: Die Mayo-Forscher hatten ihnen noch im Fötenstadium menschliche Blutstammzellen gespritzt.

    Ein Jahr nach der Geburt der so behandelten Tiere kontrollierte Jeffrey Platt, Chirurg und Immunologe an der Mayo-Klinik Eiweißmoleküle und Erbgut von verschiedenen Schweinezellen: "Die meisten Zellen waren typische Schweinezellen, und einige wenige waren typische Menschenzellen. Aber, was uns überrascht hat, war die große Zahl von Zellen, die menschliches und Schweine-Erbgut in sich trugen. Auch die Eiweiße auf der Zelloberfläche stammten teilweise vom Menschen und zum Teil vom Schwein. Sie waren beides zugleich: Mensch und Schwein." Klassische Chimären also, die es bislang nur nach Laborexperimenten gab. So etwas hatte bislang noch niemand beobachtet. Grund genug für Jeffrey Platt, sich diese Zellen genauer anzuschauen. Er fand, dass sie Produkte einer Zellfusion waren, einem Vorgang, bei dem zwei oder mehr Zellen miteinander verschmelzen und der bereits bei Transplantationen innerhalb einer Art beobachtet worden ist. Aber zu diesen Fusionen gab es einen gewichtigen Unterschied. Platt: "Bei denen entstehen normalerweise Zellen mit zwei oder mehr Zellkernen. Das genetische Material vereinigt sich also nicht. In diesem Fall jedoch fanden wir nur einen Zellkern in jeder Zelle. Und der enthielt Erbgut sowohl vom Schwein als auch vom Menschen."

    Rein äußerlich unterscheiden sich diese Zell-Chimären zunächst in nichts von den umgebenden Schweine-Zellen. Sie haben sich in Zellen verschiedener Gewebe entwickelt und sind dort integriert. Ob sie ihre jeweilige Funktion gut erfüllen, müssen die Wissenschaftler erst noch testen. Insofern wäre es kein Schlag für die Vertreter der Xenotransplantation, die zum Beispiel Schweine als Ersatzorgan-Banken für Menschen propagieren. Allerdings gibt es bei ihnen einen Haken. Platt: "Diese fusionierten Zellen erhalten zelleigene Retroviren von Schweinen. Und bei der Transplantation vom Schwein auf den Menschen könnten sie übertragen werden. Das geht aber auch ohne Transplantation. Auch auf einer Farm oder im Schlachthof könnte es passieren. Überall, wo sich Schweineblut und Menschenblut vermischen könnten."

    Dieser Weg der Erregerübertragung über Artgrenzen hinweg wäre auch eine plausible Erklärung für manche Infektionskrankheiten der jüngsten Vergangenheit. Möglicherweise sind Aids und Sars so auf den Menschen übertragen worden, möglicherweise entstehen so die immer neuen Stämme des Grippe-Virus.

    [Quelle: Michael Lange]