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Schweinegrippe-Impfung
Schlafkrankheit als natürliche Nebenwirkung

Als 2009 weltweit die Schweinegrippe grassierte, ließen sich Tausende Menschen in Europa mit Pandemrix impfen. Im Anschluss daran wurden vor allem bei Jugendlichen einige wenige Fälle von Narkolepsie - also Schlafkrankheit - registriert. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, war lange unklar. Ein internationales Forscherteam hat jetzt eine Spur gefunden.

Von Lucian Haas |
    Ein Mann wird gegen Masern geimpft.
    Menschen, die eine Grippeimpfung ablehnen, sollten verstehen, dass Narkolepsie als seltene Nebenwirkung nur bei Menschen auftritt, die dafür genetisch veranlagt sind. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Narkolepsie ist eine sehr seltene, chronische Krankheit, die mit erhöhter Müdigkeit und sogar plötzlichen Schlafattacken am Tage einhergeht. Alle Betroffenen tragen ein bestimmtes genetisches Merkmal in sich, aber nicht jeder Mensch mit diesem Merkmal entwickelt automatisch Narkolepsie. Offenbar spielen Umwelteinflüsse eine entscheidende Rolle. Schon länger hegen Forscher den Verdacht, dass möglicherweise Virusinfektionen die Krankheit auslösen könnten. Die genauen Mechanismen dahinter konnten sie bisher aber nicht erklären.
    Eine Studie im Fachmagazin "Science Translational Medicine" liefert jetzt neue Indizien. Sohail Ahmed vom Impfstoffhersteller Glaxo-Smith-Kline fand sie gemeinsam mit Forschern der Stanford University: "Ein Teil des Grippevirus H1N1 ähnelt vom Aufbau her sehr stark bestimmten Strukturen eines Rezeptors im Gehirn, der dort an der Schlafkontrolle beteiligt ist. Die Studie zeigt, dass Antikörper, die sich gegen ein Protein des Grippevirus richten, in einer Kreuzreaktion auch diesen Rezeptor erfassen können. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Narkolepsie eine Autoimmunkrankheit darstellt."
    Es handelt sich nicht um einen Nebeneffekt
    Einen eindeutigen Beweis, dass bei Narkolepsie das körpereigene Immunsystem die Schlafkontrolle im Gehirn gewissermaßen lahmlegt, liefert die Studie noch nicht. Aber sie bietet eine Erklärung dafür, warum in Europa nach 2009, als große Teile der Bevölkerung eine Impfung mit dem Impfstoff Pandemrix zur Abwehr der Schweinegrippe erhielten, die Fallzahlen von Narkolepsie nachweisbar ein klein wenig anstiegen. Damals kam der Verdacht auf, Narkolepsie könnte eine Nebenwirkung der in Pandemrix als Immunreaktionsverstärker verwendeten Adjuvantien sein. Doch das sieht Sohail Ahmed jetzt als widerlegt an. "Wir haben herausgefunden, dass es sich nicht um einen Nebeneffekt handelt von Stoffen, die dem Impfstoff zugesetzt wurden. Es hängt direkt mit etwas zusammen, das im Grippevirus ist."
    Und da eine Grippeimpfung auf Bestandteilen der Grippeviren basiert, kann also auch eine Impfung bei Menschen mit den entsprechenden genetischen Anlagen die fehlgeleitete Immunreaktion auslösen, die schließlich zu Narkolepsie führt. Interessanterweise fiel bei der Schweinegrippe allerdings nur der Impfstoff Pandemrix in dieser Hinsicht negativ auf. In Ländern, wo ein anderer Impfstoff namens Focetria eingesetzt wurde, gab es kein verstärktes Auftreten von Narkolepsie. Die Studie liefert auch dafür eine Erklärung. Untersuchungen zeigten, dass Pandemrix im Vergleich zu Focetria deutlich mehr von jenem Virusprotein enthält, das Ähnlichkeiten mit den Rezeptorstrukturen im Gehirn besitzt. "Wir lernen daraus, dass nicht alle Grippeimpfstoffe gleich sind. Nur manche Grippeimpfstoffe könnten genug von dem entscheidenden Protein enthalten, um die Bildung von Antikörpern anzuregen, die dann auch mit dem Schlafkontrollrezeptor reagieren."
    Nicht alle Grippeimpfstoffe sind gleich
    Nach Ansicht von Sohail Ahmed liefern diese Erkenntnisse aber keine neuen Argumente für Impfgegner. Im Gegenteil: "Menschen, die eine Grippeimpfung ablehnen, sollten verstehen, dass Narkolepsie als seltene Nebenwirkung nur bei Menschen auftritt, die dafür genetisch veranlagt sind. Und sie tritt auch bei einer natürlichen Virusinfektion auf. Den besten Schutz davor stellt wiederum eine Impfung dar. Denn das Prinzip der Impfung verleiht uns das, was wir Herdenimmunität nennen. Je mehr Menschen einer Bevölkerung sich impfen lassen, desto kleiner wird die Chance des Virus sich zu verbreiten."
    Ohne die Impfkampagnen – auch mit Pandemrix – hätten die Fallzahlen von Narkolepsie bei der Schweinegrippe als Folge natürlicher Virusinfektionen vielleicht sogar deutlich höher liegen können. Insgesamt trat Narkolepsie als Nebenwirkung der Pandemrix-Impfung in Europa sehr selten auf. Studien aus verschiedenen europäischen Ländern sprechen von vier bis 10 Fällen pro 100.000 Geimpfter.