Schweizer Volksabstimmungen sorgten in Deutschland stets für Schlagzeilen, wenn es um große Themen ging, wie Religion oder Migration - 2009 etwa, als die Eidgenossen für ein Bauverbot für Minarette stimmten oder 2014, als sich eine Mehrheit dafür aussprach, die Zuwanderung zu begrenzen. Doch seit der ebenfalls vielbeachteten Abstimmung über die Rundfunkgebühren Anfang des Jahres, kümmern sich die Schweizer eher um "Kleinkram" - so scheint es zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Im September ging es beispielsweise um die Frage, ob Fahrradwege in der Verfassung verankert werden sollen. Am kommenden Sonntag sollen die Schweizer über einen Vorschlag einer Initiative abstimmen, die erreichen will, dass es wieder mehr Kühe und Ziegen mit Hörnern gibt.
Mal kleine, mal größere Fragen
Doch ein Trend weg von eher grundlegenden Fragen hin zu kleinen Themen, sei bei den Schweizer Volksabstimmungen nicht zu beobachten, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Widmer von der Universität Zürich:
"Es gibt immer wieder so kleinere Vorhaben von geringer Bedeutung, ich sehe aber keine Entwicklung hin, dass das immer kleiner oder unbedeutender wird. Es gibt immer wieder bedeutendere oder weniger bedeutende Vorlagen, die wechseln sich ab und ich sehe keinen Trend in die eine oder andere Richtung."
Thomas Widmer, der die Entscheidungsprozesse in der Schweizer Politik analysiert, sagt, schon immer wurde auch über Fragen abgestimmt, bei denen man sich fragen musste, ob sie wirklich Verfassungsrang haben sollten:
"Ganz früh, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde zum Beispiel über ein Verbot von Absinth, also einem alkoholischen Getränk, in die Verfassung festgeschrieben, also schon etwas, das eher kleinere Bedeutung hat."
Per Internet zum Volksentscheid
Dennoch kann der Politikwissenschaftler über die Jahrzehnte eine Veränderung bei den Schweizer Volksabstimmungen beobachten. Diese seien allerdings weniger inhaltlicher, sondern eher struktureller Natur.
"Traditionell ist es so, dass vor allem Volksinitiativen ergriffen worden sind von entsprechend etablierten Verbänden mit einer guten Organisationsstruktur. Das hat sich verändert, indem vermehrt auch Parteien und auch Parteien nicht nur von den Polen, sondern auch Mitte-Parteien, Volksinitiativen ergriffen haben, nicht zuletzt auch deswegen, weil damit auch Wahlkampf betrieben wird und man sich als Promotor eines bestimmten Themas etablieren kann in der öffentlichen Debatte."
Lange Zeit war aus rein technischen Gründen eine gewisse Struktur notwendig, denn damit eine Volksinitiative auf Landesebene zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimmberechtigten gesammelt werden.
Doch in letzter Zeit ist etwas zu festzustellen, was vor einigen Jahrzehnten kaum vorstellbar war. Immer häufiger stehen Einzelpersonen oder auch kleinste Gruppen hinter einer Volksinitiative, beobachtet Thomas Widmer:
"Es ist schon so, dass nicht mehr nötig ist, dass eine ganze Organisation zu einem bestimmten Anliegen verpflichtet und die Initiative ergreift, sondern es ist eben möglich, dass auch kleinere Gruppen in der Lage sind, diese Unterschriften erfolgreich zu sammeln."
Chance für Einzelpersonen
Die Entwicklung neuer Technologien mache möglich, dass "eben auch mit geringer Infrastruktur, mit geringem Organisationsgrad es möglich ist, entsprechend Unterschriften zu mobilisieren über das Internet oder Social-Media-Kanäle."
Aktuelles Beispiel dafür ist die sogenannte "Wasserrebellin". Die Fitnesstrainerin Franziska Herren hat als Einzelperson eine Initiative für sauberes Trinkwasser angestoßen, ohne Partei oder Verband im Rücken. Sie will via Volksinitiative erreichen, dass Landwirte nur noch Subventionen erhalten sollen, wenn sie ohne Pestizide wirtschaften und auch auf die prophylaktische Gabe von Antibiotika verzichten. Natürlich musste sich auch Franziska Herren an den rechtlichen Rahmen halten. Der erfordert die Gründung eines Initiativkomitees.
Doch führt das veränderte Zustandekommen der Volksinitiativen zu einem erfolgreichen Ausgang am Abstimmungssonntag? Politikwissenschaftler Thomas Widmer sagt nein:
"In der Regel werden Volksinitiativen in der Abstimmung abgelehnt. Es gibt einige Ausnahmen, aber grundsätzlich sind die Erfolgsaussichten eines direkten Erfolgs relativ gering."
Und dennoch können Volksinitiativen etwas bewegen. Einerseits sorgen sie dafür, dass gewisse Themen überhaupt auf die politische Tagesordnung gesetzt werden. Andererseits können sie dazu führen, dass das Parlament einen Gegenvorschlag formuliert, der dem Anliegen der Initiatoren einer Volksabstimmung zumindest teilweise entgegenkommt.