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Schweizer Initiative gegen Zuwanderung
"Unmenschlich nationalistisch"

Am Sonntag entscheiden die Schweizer in einer Volksabstimmung über "Ecopop". Die Initiative will die Einwanderung in die Schweiz strikt begrenzen. Der sozialdemokratische Nationalrat Andreas Gross kritisierte im Deutschlandfunk, "Ecopop" liege eine "Herrenmenschenmentalität" zugrunde.

Andreas Gross im Gespräch mit Silvia Engels |
    Plakat der Befürworter der Initiative
    Die Initiative "Ecopop" will die Zuwanderung in die Schweiz stoppen - und das Wachstum der Weltbevölkerung. (dpa / picture-alliance / Thomas Burmeister)
    Die jährliche Zuwanderung in die Schweiz soll auf 0,2 Prozent der ständigen Bevölkerung begrenzt werden, in Zahlen bedeutet das eine Nettozuwanderung von 16.000 statt bislang 80.000. Zehn Prozent des Schweizer Entwicklungshilfe-Budgets soll künftig in Verhütungsprogramme ärmerer Länder fließen.
    Die radikale Öko-Bewegung "Ecopop" will durchsetzen, die Zuwanderung - und das Wachstum der Weltbevölkerung - zu beschränken. Es gehe "Ecopop" zwar um die Erhaltung von Lebensgrundlagen durch Reduktion der Bevölkerung, sagte der Sozialdemokrat Andreas Gross. Die Menschen würden dabei jedoch auf Zahlen reduziert. Er bezeichnete die zugrunde liegende Geisteshaltung als nationalistische Tendenz, die sich selbst überschätze.
    "Ecopop" habe entstehen können, weil in der Vergangenheit Wachstum nicht sehr sorgfältig gestaltet worden sei. Der Markt habe in der Vergangenheit zu viel Freiraum bekommen. Das seien Fehler, die sich jetzt zeigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Silvia Engels: Am Sonntag sind die Schweizer wieder einmal aufgerufen, per Volksinitiative Weichen für die politische Richtung ihres Landes zu stellen. Eine Gruppe von radikalen Ökologen möchte durchsetzen, die jährliche Nettozuwanderung in die Schweiz auf nur noch 0,2 Prozent zu beschränken. Sie führen Sorge vor Überbevölkerung aus ökologischen Gründen ins Feld. Sie sprechen aber auch diejenigen an, die Angst vor Zuwanderung generell haben. Sollte diese Gruppe mit der Abkürzung "Ecopop" eine Mehrheit bekommen, dann müsste die Schweiz ihre Grenzen fast dicht machen. Die Nettozuwanderung müsste dann von derzeit rund 80.000 auf unter 16.000 sinken. Die etablierten Parteien in der Schweiz sind rundweg gegen diesen Antrag, so auch die Sozialdemokraten. Für die Sozialdemokraten sitzt Andreas Gross als Abgeordneter im Nationalrat in Bern. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Gross!
    Andreas Gross: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Trotz dieses Widerstands der etablierten Parteien, also auch Ihrer, sehen ja Umfragen eine Zustimmung von bis zu 40 Prozent für diese Initiative. Kann am Ende tatsächlich so etwas durchkommen?
    Gross: Im Prinzip ist es möglich, weil wir haben uns ja schon am 9. Februar getäuscht, als eine fundamentalistische Anti-Immigrations-Initiative zur Überraschung aller durchkam. Das heißt, man sollte als Demokrat nie so was ausschließen. Aber es wäre schlimm und ich hoffe keinesfalls und ich bin auch recht zuversichtlich, dass es bei den maximal 40 Prozent Zustimmung bleiben wird.
    "Wir haben bei uns eine egoistische nationalistische Tendenz"
    Engels: Worauf führen Sie es denn zurück, dass die Schweizer oder zumindest viele Schweizer so skeptisch gegenüber Einwanderung geworden sind?
    Gross: In dieser Initiative werden ja vor allem ökologische Gründe angeführt, Wachstumskritik, und da reduziert man einfach die Menschen auf Zahlen. Es ist letztlich ja auch eine unmenschliche Initiative, es ist ja ein Widerspruch in sich selber, dass die Ökologie - und der Mensch gehört ja zur Natur - sozusagen sich gegen den Menschen richtet. Es ist auch eine nationalistische Initiative, weil sie das Schweizer Verhalten überschätzt.
    Andreas Gross, Schweizer Nationalrat
    Andreas Gross, Schweizer Nationalrat (AP)
    Ich meine, wenn eine Million Amerikaner in die Schweiz kommen würden, würden sie anders leben als in Amerika, nur die Belastung der Erde, den ökologischen Fußabdruck der Menschen sozusagen abbauen. Es geht den Leuten ja um die Erhaltung von Lebensgrundlagen durch Reduktion der Bevölkerung. Das ist an sich eine alte Strategie, die Wachstumskritiker schon aus dem 19. Jahrhundert verfolgt haben, aber sie ist unmenschlich nationalistisch und es ist schade, dass so viele Schweizer dieser Stimmung zum Opfer fallen, weil sie sich zu wenig um die anderen auch kümmern.
    Wir haben bei uns eine egoistische nationalistische Tendenz, die letztlich sich selber überschätzt, die auch - das ist ja der zweite Teil der Initiative - den anderen in der sogenannten Dritten Welt vorschreiben möchte, wie sie die Bevölkerungspolitik gestalten möchten, eine Herrenmenschen-Mentalität, könnte ich fast sagen, und das ist Ausdruck unserer momentanen Defizite. Viele Leute in der Schweiz fühlen sich schlecht, aber sie sind sich nicht bewusst, dass sie wirklich die Ursachen sind, und sie setzen dann am falschen Ort an, um diese Ursachen zu beheben.
    "Es gibt natürlich auch Wachstumsverlierer"
    Engels: Vielleicht sollen wir noch mal etwas auf die Ursachen für diese Stimmung zu sprechen kommen. In den vergangenen Jahren ist ja der Ausländeranteil auch durch die EU-Freizügigkeitsregeln in der Schweiz gewaltig gestiegen. Er liegt bei rund 24 Prozent und damit höher als in vielen anderen westlichen Staaten. War das für die Schweizer Gesellschaft womöglich einfach zu viel in zu kurzer Zeit?
    Gross: Ja. Mit dieser Frage kommt vielleicht zum Ausdruck: Schon vor 100 Jahren hatten wir einen sogenannten Ausländeranteil von zwischen 15 und 20 Prozent. Wir waren immer überdurchschnittlich, so wie die Luxemburger, im Vergleich zu den anderen Europäern. In den letzten 50 Jahren hat es etwa 25 fremdenfeindliche Initiativen gegeben. Das heißt, die sogenannte Ausländerpolitik war ein ständiges Thema in den letzten 50 Jahren in der Schweiz.
    Schockiert hat uns einfach, dass das letzte Mal am 9. Februar das erste Mal eigentlich in der Geschichte die Mehrheit der Schweizer gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen gestimmt hat. Das kam bisher kaum vor. Ich würde sagen, die Schweizer sind natürlich bekannt für ihre ökonomisch gute Stellung, die hohen Löhne, die wenigen, die unterdurchschnittlich große Zahl der Arbeitslosen. Diesen Zusammenhang aber mit den Ausländerinnen und Ausländern haben wir vielleicht zu wenig den Menschen zeigen können und auch sie zu wenig davon überzeugen können.
    Und es gibt natürlich auch Wachstumsverlierer. Es gibt Leute, denen es weniger gut geht als den anderen. Zum Beispiel in der Raumplanung hat die Schweiz schwer gesündigt. Da hat sie dieses Wachstum - man sieht es der Landschaft manchmal an - nicht sehr sorgfältig gestaltet und hat den Markt zu sehr spielen lassen. Da haben wir schon Fehler gemacht, die sich dann sofort zeigen, und da sollte man dann auch davon lernen können.
    Engels: Andreas Gross war das. Er sitzt für die Sozialdemokraten im Nationalrat in Bern. Wir hätten gerne noch etwas weiter gesprochen, doch die Handy-Leitung, über die wir Sie leider nur erreichen können, hat sich jetzt doch etwas arg verschlechtert. Deswegen an dieser Stelle ein Punkt. Vielen Dank, Herr Gross, für Ihre Einschätzungen.
    Gross: Gern geschehen!
    Engels: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.