Es ist eine Premiere in der Hochschulgeschichte der Schweiz: Alle 34 Universitäten und Fachhochschulen verabschieden gemeinsam ein Manifest gegen die sogenannte "Durchsetzungsinitiative", eine Initiative der rechtskonservativen SVP zur massiven Verschärfung des Ausländerrechts. Denn Studierende und Lehrende befürchten massive Nachteile für den Hochschulstandort Schweiz.
"Ich wohne jetzt seit 19 Jahren in der Schweiz, lebe und arbeite hier. Und ja, ich habe ziemliches Magengrummeln, muss ich sagen: Ich bin auch schon zu schnell gefahren, hab‘ auch schon ein Knöllchen bekommen."
Die deutsche Informatikerin Angelika Spanke ist Vorstandsmitglied im Verband Schweizer Akademikerinnen. Und ihr Magengrummeln kommt nicht von ungefähr: Denn am Sonntag entscheiden die Eidgenossen im Rahmen einer Volksabstimmung über die sogenannte "Durchsetzungsinitiative", die die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei eingebracht hat. Inhalt: In der Schweiz lebende Ausländer, die straffällig geworden sind, fliegen aus dem Land, werden ausgewiesen, und zwar ohne jeglichen Ermessensspielraum für den Richter. Und straffällig im Sinne der neuen Regelung heißt eben auch: Verstöße gegen Verkehrsregeln im Wiederholungsfall.
"Das würde die Zusammenarbeit mit der EU erschweren"
"Wenn Sie schon 50 Kilometer fahren in einer Tempo-30-Zone, und das passiert schon einmal, wenn sie dieses 30-Schild nicht sehen, dann haben Sie schon ein Problem. Wenn Sie das zwei Mal machen, fliegen Sie möglicherweise raus," schildert Professor Michael Hengartner, Rektor der Universität Zürich und Präsident des Schweizer Hochschulverbandes "Swissuniversities", aus seiner Sicht die Auswirkungen der Durchsetzungsinitiative, sollte die bei der Volksabstimmung am Sonntag eine Mehrheit finden. Für den Hochschulstandort Schweiz, glaubt Uni-Rektor Michael Hengartner, wäre dies verheerend:
"Weil dies die Rahmenbedingungen für unsere Zusammenarbeit mit der EU erschweren wird. Wir würden dieses Freizügigkeitsabkommen verletzten, wenn das dann so umgesetzt wird. Und das wird dann eine Gegenreaktion der Europäischen Union hervorbringen, genauso wie es passiert ist nach der Masseneinwanderungs-Initiative."
Und daran erinnert sich Hengartner noch mit Schrecken: Im Februar 2014 beschlossen die Schweizer Bürger ebenfalls im Rahmen einer Volksabstimmung eine Einschränkung der EU-Personenfreizügigkeit. Stattdessen, so der Beschluss, dürfen nur noch bestimmte Kontingente von EU-Ausländern zum Arbeiten in die Schweiz kommen, egal, ob es sich um einen Müllmann oder einen Hochschulprofessor handelt. Die Europäische Union reagierte prompt - mit dem Ausschluss der Schweizer Hochschulen von europäischen Forschungs- und Bildungsfördertöpfen:
"Also wir waren sicher die stärksten Leidtragenden bei diesem Entscheid: Wir wurden sofort aus Horizon 2020 und Erasmus plus rausgeschmissen. Das hat sehr weh getan."
So etwas, so Hengartner, dürfe nicht noch einmal passieren: Deshalb empfehlen alle 34 Hochschulen der Schweiz in einem gemeinsamen Manifest die Ablehnung der "Durchsetzungsinitiative." Dabei haben sie auch ihre eigenen Lehrenden und Studierenden im Auge: An der Uni Zürich kommt jeder zweite Professor aus dem Ausland, ebenso wie zahlreiche Studierende.
ETH Zürich: 30 Prozent ausländische Studierende
"Ich heiße Nurhayati. Und ich komme aus Singapur."
Studentin Nurhayati Zakana spricht zwar noch nicht fließend Deutsch, fühlte sich bislang aber wohl in und rund um die Uni Zürich. Allerdings:
"Ich bin hierher in die Schweiz gekommen, weil ich eigentlich schon dachte, die Leute sind weltoffen, sowohl persönlich als auch in der Politik. Aber nun weiß ich nicht mehr so recht, ob das noch stimmt. Ich bin einfach nicht glücklich darüber, wenn man gleich so extreme Maßnahmen ergreift."
Wenn sich ausländische Studierende wie Nurhayati Zakana nicht mehr wohl in ihrer Haut fühlen, ist das auch ein Alarmsignal für ihre Schweizer Kommilitonen. Denn auch viele von ihnen sehen die "Durchsetzungsinitiative" kritisch.
"Zumindest bei uns an der ETH in unserem Studiengang haben wir 30 Prozent ausländische Studierende im Master. Und wenn das für sie ein Problem sein würde, in der Schweiz zu bleiben, würde natürlich die Qualität der Schule leiden," so der angehende Informatiker Patrick Frey aus Zürich. An Studierende wie ihn richtet sich das Manifest der Hochschulen zuallererst, betont der Züricher Uni-Rektor Michael Hengartner: Sie könnten bei der Abstimmung am Sonntag das "Zünglein an der Waage" sein:
"Es gibt 250.000 Studierende in der Schweiz. Für uns ist es wichtig, dass die auch wissen, das ihr Studienort, ihr zukünftiger Arbeitsort hier zukünftig möglicherweise negativ beeinträchtigt werden könnte."