João Pinto sitzt in einem Lissabonner Café und erzählt von seinem Bruder. Es gehe ihm gut in der Schweiz, sagt er: Besser als hier in Portugal. Vor drei Jahren ist Joãos Bruder ausgewandert. So wie Zehntausende seiner Landsleute, die in der schweren Wirtschaftskrise keine Zukunft in ihrem Heimatland sahen. Er hat einen sicheren Job und eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Doch seitdem die Schweiz in einem Volksentscheid beschlossen hat, den Zulauf von Migranten schärfer zu begrenzen, mache er sich, sagt João, Sorgen um die Zukunft seiner erwachsenen Söhne, die in Lissabon geblieben sind:
"Die Söhne meines Bruders sind hier noch beim Militär. Aber danach sollten sie eigentlich in die Schweiz nachkommen. Jetzt weiß mein Bruder nicht, was daraus wird. Keiner weiß, wie die EU und die Schweiz das regeln wollen. Es herrscht eine große Verunsicherung."
Arbeitslosigkeit unter Portugiesen höher als im Durchschnitt
Offiziell leben über 250.000 Portugiesen in der Schweiz. Nach den Italienern und Deutschen ist das die drittgrößte Migrantengruppe. Allein in den vergangenen drei Jahren wanderten über 40.000 Portugiesen in die Schweiz aus. Viele von den Neuankömmlingen könnten von schärferen Aufenthaltsbestimmungen betroffen sein. Zum einen ist die Arbeitslosigkeit unter den Portugiesen in der Schweiz wesentlich höher als im allgemeinen Durchschnitt. Zum anderen befinden sich viele Migranten der jüngsten Generation in fragwürdigen Arbeitsverhältnissen. Das sagt Adelino Sá, der seit 15 Jahren in Luzern eine Monatszeitung für Portugiesen herausgibt:
"Es gibt in der Schweiz eine Reihe von Unternehmen, die von portugiesischen Migranten der älteren Generation gegründet wurden. Viele Portugiesen, die erst in den vergangenen Jahren in die Schweiz gekommen sind, haben in diesen portugiesischen Firmen einen Job gefunden. Und teilweise haben diese Neuankömmlinge noch keine richtigen Arbeitsverträge erhalten. Wer zu dieser Gruppe gehört und der Gruppe der Kurz- und Saisonarbeiter, muss sich Sorgen um seine Aufenthaltsgenehmigung machen."
Maßnahmen gegen Familienzusammenführung
Aus Nordportugal und dem strukturschwachen Landesinnern sind besonders viele Portugiesen in den vergangenen Jahren in die Schweiz ausgewandert. Sie haben Arbeit in der Bauwirtschaft und in der Gastronomie gefunden, obwohl sie eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben. So wie João Pintos Bruder, der in Portugal als Ton- und Keramikmaler tätig war und jetzt in der Schweiz im Straßenbau arbeitet. Die überwiegende Mehrheit der Portugiesen ist in die Schweiz gegangen, weil dort schon Verwandte lebten. Doch der Familienzusammenführung könnte jetzt ein Riegel vorgeschoben werden, warnt Adelino Sá:
"Viele aus der neuen Generation portugiesischer Migranten haben hier in der Schweiz Familie. Seit der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens zwischen der EU und der Schweiz im Jahr 1999 ist die Familienzusammenführung erleichtert worden. Doch was passiert jetzt mit ihnen, wenn die neuen Beschränkungen kommen?"
Die Regierung in Lissabon hat versucht, die Gemüter der Portugiesen in der Schweiz zu beruhigen. Für alle portugiesischen Migranten werde sie jedoch nicht ihre Hand ins Feuer legen können, so Außenminister Rui Machete am Rande des EU-Gipfels in Brüssel:
"Die Portugiesen, die ihre Papiere noch nicht zusammen haben, müssen sich ernsthafte Sorgen machen und auf alles vorbereitet sein."
Gerade der konservativen Regierung kommt die Migrations-Debatte nach dem Schweizer Volksentscheid denkbar ungelegen. Premierminister Pedro Passos Coelho hatte in den vergangenen zweieinhalb Jahren immer wieder angedeutet, dass die massenhafte Auswanderung der Portugiesen keine Schande sei, sondern ein notwendiges Ventil, um die Ungleichgewichte der portugiesischen Wirtschaft auszugleichen. Wenn die Schweiz jetzt ihre Türen schließt, dann wird es der portugiesischen Regierung schwerfallen, an diesem Standpunkt festzuhalten.