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Schwere Geburt
Hebammen-Mangel in Deutschland

Viel Arbeit, schlechte Bezahlung, hohes Regressrisiko: Deutschland mangelt es an Hebammen. Vor allem seit die Haftpflichtprämien für die freiberuflichen Geburtshelferinnen stark gestiegen sind, geben immer mehr ihren Beruf auf oder arbeiten nur noch in Teilzeit - mit entsprechenden Folgen für die werdenden Mütter.

Von Anja Nehls |
Hebamme Simone Scherer überprüft mit einem Holzstethoskop als Alternative zur Kardiotokographie die Herztöne des ungeborenen Kindes bei der Medizinstudentin Nadja Schwark.
Die Arbeitsbedingungen für Hebammen in Deutschland haben sich verschlechtert, immer mehr geben ihren Beruf auf. (dpa / Waltraud Grubitzsch)
Der Bauch der werdenden Mutter ist noch nicht mal dick, aber die Herztöne des ungeborenen Babys sind schon zu hören. Julia Sandforth ist zur Vorsorgeuntersuchung im Geburtshaus in Berlin-Charlottenburg. Hier soll in ein paar Monaten ihr Kind zur Welt kommen, möglichst ausschließlich mit Hebammenhilfe, in bereits vertrauter Umgebung, in einem kuscheligen Gebärzimmer mit Schummerlicht, dunkelroten Vorhängen, Gebärwanne und bunter Bettwäsche. Dass Ihr Wunsch Wirklichkeit werden kann, empfindet sie als absoluten Glücksfall.
"Das war wirklich die Hauptpanik schon lange bevor wir schwanger waren, dass es ganz schwierig wird, einen Platz zu bekommen und das reichte dann zu so unqualifizierten Äußerungen meinerseits: 'Oh ich muss unbedingt mich mit einer Hebamme befreunden, wenn ich das nicht hinkriege, dann bekomme ich bestimmt nie eine'. Aber auf jeden Fall war klar, wenn wir irgendwie den Schwangerschaftstest haben, müssen wir anrufen und den Termin machen."
Also gingen Julia Sandforth und ihr Mann bereits zum Infoabend im Geburtshaus, als der Schwangerschaftstest noch nicht ganz trocken war. Alleine waren sie an diesem Abend nicht.
Verzweifelte Mütter, zusammengeklappte Väter
"Da haben sich schon so Dramen abgespielt, von verzweifelten Frauen, die keinen Platz mehr bekommen haben. Ja tatsächlich, das Haus war hier wirklich proppevoll, zum anderen äußerte sich dieser Andrang dann auch so, dass einer der werdenden Väter tatsächlich hier auf dem Gang zusammengeklappt ist."
Die enorme Nachfrage von werdenden Eltern kann das Geburtshaus Charlottenburg bei weitem nicht mehr befriedigen. Die Zahl der Geburten in Deutschland steigt. Zwar ist auch die Zahl der Hebammen insgesamt von rund 16.000 im Jahr 2.000 auf jetzt rund 23.000 angewachsen, aber immer weniger möchten Geburten betreuen und immer mehr arbeiten nur Teilzeit. Die einen arbeiten Teilzeit, weil sie aufgrund der gestiegen Belastung einfach überfordert sind, die anderen weil sie zum Beispiel wegen der eigenen Familie nicht mehr wollen.
Die Hebamme Jutta Meyer-Kytzia (r) legt in ihrer Praxis der schwangeren Christin Hartje die Sensoren eines Wehenschreibers an.
Eine Hebamme legt die Sensoren eines Wehenschreibers an, 80 Prozent von ihnen arbeiten freiberuflich. (dpa / Focke Strangmann)
Wie schwierig die Lage der Hebammen ist, verdeutlicht die Situation im Geburtshaus Charlottenburg. Die Einrichtung ist die älteste ihrer Art in Deutschland und wurde schon vor 30 Jahren gegründet. Eigentlich ein Grund zum Feiern, doch die Belegschaft entschied sich dagegen, das Jubiläum zu begehen, sagt Christine Bruhn.
"Weil wir alle Hände voll zu tun haben, das Haus zu halten, aber das sind ungefähr zehn Frauen weniger im Monat, die wir annehmen können. Also das ist dramatisch viel weniger und das ist dramatisch viel weniger, was wir an Einkommen hier haben. Also, wir könnten viel, viel mehr Frauen betreuen, weil Frauen haben wir und Hebammen haben wir nicht."
Hohe Quote an Freiberuflerinnen
Der Beruf der Hebamme ist wenig attraktiv. Angestellte Hebammen im Krankenhaus arbeiten im Schichtdienst und werden schlecht bezahlt. 80 Prozent aller Hebammen sind freiberuflich tätig, zum Beispiel in Geburtshäusern, als Beleghebammen in Krankenhäusern oder in der Geburtsvorbereitung und Wochenbettbetreuung.
Im Geburtshaus Charlottenburg organisieren sich die Hebammen selbst, jede arbeitet so viel sie möchte, beziehungsweise so viel sie schafft, sagt Christine Bruhn.
"Die Dienste sind immer 24 Stunden lang, und die gehen von abends um acht bis zum nächsten Abend, weil die Kinder kommen ja meistens nachts und nicht tagsüber, also sind die Dienste 24 Stunden. Das hat den Hintergrund, dass wir natürlich möchten, dass die Frau zur Geburt wirklich von einer Hebamme begleitet wird, die erstens total ausgeschlafen und ausgeruht ist und die natürlich die ganze Zeit auch da bleibt und nicht noch ein Schichtwechsel."
Wer gut plant und Vollzeit arbeitet, kann auf 40.000 Euro Jahresumsatz kommen, so Christine Bruhn. Freie Hebammen, die Geburten betreuen, müssen allerdings sehr hohe Haftpflichtprämien bezahlen, um sich gegen die Folgekosten möglicher Fehler abzusichern und haben Probleme, so viel Geld zu erwirtschaften - besonders wenn sie nur wenige Geburten betreuen, denn die Vergütungssätze der Krankenkassen sind gering. Zwischen 300 und 700 Euro bekommt eine freie Hebamme für eine normale Geburt, je nachdem, ob sie im Krankenhaus, zuhause oder im Geburtshaus stattfindet.
Mehr als 7.000 Euro an Versicherungskosten
Für die Versicherung sind aber über 7.000 Euro im Jahr fällig. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Haftpflichtprämien verfünffacht. Zwar liegt die Zahl der Geburtsschäden, die durch Fehler von Hebammen verursacht werden seit Jahrzehnten im Promillebereich, aber die Kosten, die ein möglicherweise behindertes Kind verursacht, steigen, erklärt Hebamme Jana Friedrich aus Berlin.
"Es ist so, dass die ganzen nachsorgenden Behandlungen immer teurer werden, ja. Es gibt viel mehr Möglichketen, was ja schön ist für die Betroffenen, dass es sehr viele Therapiemöglichkeiten gibt, dass es sehr viele Förderungsmöglichkeiten gibt, aber die kosten ja auch alle. Und auch die ganzen Tools, wie ein Rollstuhl oder ein Bett, das hoch und runter fahren kann, dass die Eltern nicht so heben müssen oder irgendwas, ja. Das ist ja alles wahnsinnig teuer."
Eine Hebamme untersucht in Oldenburg den Bauch einer werdenden Mutter.
Ein sogenannter Sicherstellungszuschlag sollte den Hebammen das finanzielle Risiko mindern, doch in der Praxis gibt es Schwierigkeiten. (picture alliance / dpa / Foto: Thorsten Helmerichs)
Zweieinhalb Millionen Euro im Durchschnitt leistet die Versicherung für ein durch einen Fehler bei der Geburt geschädigtes Kind. Die hohen Versicherungsprämien schrecken auch Jana Friedrich ab. Früher hat sie in Berlin in der Geburtshilfe gearbeitet und schließlich damit aufgehört, weil sich die Schichtdienste im Krankenhaus nicht mit der eigenen Familie vereinbaren ließen. Seit einigen Jahren ist sie als freie Hebamme tätig und bietet ausschließlich Vorsorge und Wochenbettbetreuung an, wie die Mehrzahl ihrer Kolleginnen. Nur noch gut 2.500 der 23.000 Hebammen in Deutschland machen tatsächlich Geburtshilfe. Vor sieben Jahren waren es noch rund 1.000 mehr.
Hohe Hürden beim Sicherstellungszuschlag
Dabei wurde 2014 ein so genannter Sicherstellungszuschlag eingeführt. Damit haben die Hebammen die Möglichkeit, bis zu dreiviertel der Versicherungsprämie erstattet zu bekommen. Im Prinzip eine gute Idee, finden die Hebammen. Allerdings sei der Zuschlag an bestimmte, nicht immer erfüllbare Bedingungen gebunden. Die Hebammen müssen mit der Prämie erst mal in Vorleistung gehen und anschließend einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben, um das Geld wieder zu bekommen, kritisiert Jana Friedrich. Also arbeitet sie weiter wie bisher - und ist dabei nachgefragt wie nie. Ihre Geburtsvorbereitungskurse sind in der Regel ausgebucht.
"Hinten überkreuzen. So nimmt man sich das Baby, legt sich das auf die Schulter und lässt das da reinrutscheln. Die Beine kommen raus bis zu den Knien und dann knotet man zweimal, dann ist man fertig."
Und schon liegt die lebensechte Babypuppe im kunstvoll geknoteten Tragetuch. In einem großen Zimmer der Altbauwohnung von Jana Friedrich sitzen ein knappes Dutzend werdende Mütter und fast genauso viele Väter auf gemütlichen Kissen auf dem Boden. Es geht um die Ernährung des künftigen Nachwuchses, ob die Mutter Orangensaft lieber weglassen sollte, um wunde Babypopos, Blähungen, Schreikinder und geeignete Schlafsäcke. Man will vorbereitet sein auf die Zeit nach der Geburt. Die Schwangeren hier wollen zwar im Krankenhaus entbinden, wünschen sich aber eine Hebamme für die Nachbetreuung zuhause im Wochenbett. Auch das ist schwierig geworden, klagen die werdenden Mütter.
"Ich habe über 50 Hebammen angerufen, jetzt haben wir gar keine. Nachbetreuung oder auch mal zwischendurch hat man ja mal Fragen, man ist ja nicht immer beim Frauenarzt oder so. Vor allem die Nachbetreuung bezüglich des Stillens danach." - "Wir haben eine Hebamme, ja für die Zeit danach, für die Wochenbettzeit. Ich habe schon ganz früh angefangen zu suchen, es hat sehr lange gedauert, sie zu finden. Und für die Vorsorge wollte ich eigentlich auch eine haben, aber das war gar nicht mehr zu finden."
Knapp kalkulierte Wochenbettbetreuung
Auch viele Hebammen, die lediglich Vorsorge, Nachbetreuung und Geburtsvorbereitungskurse anbieten, haben ihren Job aufgegeben, weil er sich einfach nicht rechnet, sagt Jana Friedrich. Knapp 27 Euro bekommt sie für eine Vorsorgeuntersuchung, 33 Euro für einen Wochenbettbesuch.
"Die Krankenkasse geht davon aus, dass wir 20 Minuten brauchen für eine Wochenbettbetreuung, 20 Minuten! Also die Frau müsste im Prinzip mir nackt die Tür aufmachen, das Kind müsste nackt sein und dann dürfte die keinerlei Fragen haben, dann würde man vielleicht mit 20 Minuten hinkommen, ha, ha. Also ich weiß nicht wie das gehen soll. Also der Erstbesuch dauert eine gute Stunde mindestens mal. Die Frauen brauchen die Zeit, um ihre Fragen loszuwerden und das braucht einfach ein bisschen."
Außerdem müsse die Nachbetreuungs-Hebamme auffangen, was die Krankenhäuser nicht mehr leisten können oder wollen, weil sie für eine Geburt lediglich Fallpauschalen bekommen, sagt Susanna Rinne-Wolf vom Berliner Hebammenverband. Die Mütter würden immer früher mit den Neugeborenen nach Hause geschickt. Dagegen sei im Prinzip auch nichts zu sagen, aber:
"Das Kind wird beispielsweise ein bisschen gelb, bekommt also diese Neugeborenengelbsucht. Ein Milcheinschuss passiert bei der Frau. Vielleicht kommen die Heultage mit dazu. Klappt das mit dem Stillen? Nimmt das Kind gut zu? Also so diese Kernthemen in den allerersten Tagen, die früher noch im Krankenhaus abgedeckt wurden, müssen jetzt von uns in der ambulanten Betreuung auf eine ganz andere Art aufgefangen werden."
Kampf mit Petitionen und Demonstrationen
Und all das werde nicht entsprechend bezahlt, finden die Hebammen. Seit Jahrzehnten schon kämpfen sie mit unzähligen Petitionen und Demonstrationen für höhere Vergütungssätze und eine Regelung der Haftungsfrage. Im April 2014 versprach Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, CDU, sich um das Problem der Hebammen zu kümmern.
"Sie können sich darauf verlassen, dass wir mit ganzer Kraft daran arbeiten, dass wir die Hebammen in unserem Land verlässlich gegen Sorgen um ihre berufliche Zukunft schützen. Das sind wir ihrer unverzichtbaren Arbeit weiß Gott schuldig. Vielen Dank!"
Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift "Rettet unsere Hebammen" bei einer Demonstration hoch
Unzählige Petitonen und Demonstrationen von Hebammen ´- bislang ohne durchschlagenden Erfolg. (dpa / Axel Heimken)
Aus Sicht der Hebammen und der Opposition hat das allerdings bisher nicht geklappt. Cornelia Möhring von den Linken zwei Jahre später, im Mai 2016, im Bundestag:
"Um die Geburtshilfe in unserem Land ist es wahrlich sehr, sehr schlecht bestellt und das seit Jahren. Der Hebammenberuf ist in großer Gefahr und Ihre Bundesregierung hat mitnichten, mitnichten irgendetwas angeschoben, was diese Situation wirklich nachhaltig verbessert."
Konter des Bundesgesundheitsministeriums
Diesen Vorwurf weist das Bundesgesundheitsministerium zurück. Sprecherin Katja Angeli meint, dass man in der vergangenen Legislaturperiode viel auf den Weg gebracht habe. Der Sicherstellungszuschlag sei dafür nur ein Beispiel:
"Dazu gehören Verbesserungen bei der Vergütung von Hebammen. Und dazu gehören auch Verbesserungen bei der Haftpflichtabsicherung der Hebammen, zum Beispiel auch ein Regressverzicht der Kranken- und Pflegekassen, was die Rückforderungen im Haftpflichtfall anbelangt."
Damit ist gemeint, dass die Haftpflichtprämien sinken würden, wenn Kranken- und Pflegekassen auf Schadenersatz verzichten, solange der Hebamme keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Um das zu überprüfen würden aber die Versicherungen wohl in Zukunft vermehrt die Gerichte bemühen. Und allein das könnte die Einsparungen wieder aufzehren, befürchtet der Deutsche Hebammenverband.
Die Rentenversicherung verschärft das Problem mit dem Schadensersatz zusätzlich. Kommt ein Kind bei der Geburt zu Schaden und ist dauerhaft behindert, klagt die Rentenversicherung von der Hebamme fiktive Rentenversicherungsbeiträge ein, die das Kind ohne die Behinderung später hätte zahlen können.
Wunsch nach einem staatlichen Fonds
Die Hebammenverbände wünschen sich deshalb einen staatlichen Fonds, wie in Skandinavien, der geschädigte Kinder und Mütter absichert.
Über die Erhöhung der Vergütungssätze gibt es darüber hinaus Streit zwischen den verhandelnden Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen GKV. Weil die Positionen der beiden Parteien meilenweit auseinander liegen, hat der GKV jetzt die Schiedsstelle eingeschaltet. Dabei geht es auch darum, wie viele Schwangere eine Beleghebamme im Krankenhaus gleichzeitig betreuen und abrechnen kann und ob die ersten Termine in der Wochenbettbetreuung höher zu vergüten sind. Die Krankenkassen wollen den Hebammen entgegen kommen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass ein gutes Fünftel aller Hebammen sich gegen eine Weitergabe ihrer Kontaktdaten durch die Kassen an die Versicherten ausgesprochen hat, sodass die Schwangeren sie gar nicht so leicht finden könnten. Außerdem würden die meisten freiberuflichen Hebammen lediglich Teilzeit arbeiten, sich schlecht koordinieren und alle in der gleichen Zeit zum Beispiel immer in den Sommerferien, Urlaub machen, meint Ann Marini vom GKV:
"Wenn ich für mich als Freiberufler entscheide, ich möchte gar nicht Vollzeit arbeiten, dann kann ich natürlich auch nicht den Anspruch haben, wie ein Vollzeitarbeiter zu verdienen. Also grundsätzlich gehen wir davon aus, dass es gar nicht zu wenige Hebammen gibt, dass wir ausreichend Hebammen haben, dass sie aber ähnlich wie bei Ärzten, nicht optimal verteilt sind."
Keine Hebammen mehr auf den Inseln
Auf den Nordseeinseln ist die Situation bereits so, dass Schwangeren zwei Wochen vor der Geburt empfohlen wird, in ein sogenanntes Boarding Haus auf dem Festland umzuziehen, weil es auf den Inseln keine Hebammen mehr gibt. Per Gesetz ist in Deutschland bei jeder Geburt, egal wo sie stattfindet, und sogar bei Kaiserschnittgeburten, eine Hebammenbetreuung vorgeschrieben. Selbst die Kliniken können das neuerdings immer schwerer sicherstellen.
Die Zahl der Krankenhäuser mit Geburtshilfe hat deutlich abgenommen und für die verbliebenen gibt es keine Hebammen. In manchen Kliniken seien bis zu sieben Hebammenstellen unbesetzt, berichtet der Berliner Hebammenverband. Schichtdienst und geringe Bezahlung machen den Hebammenberuf auch im Angestelltenverhältnis nicht besonders attraktiv. Als Einstiegsgehalt sind am Ende des Monats durchschnittlich knapp 1.800 Euro auf dem Konto.
Geöffneter Koffer der Hebamme Kerstin Lauterberg auf Föhr mit Utensilien. Der Koffer steht auf dem Boden.
Besonders schwierig ist die Situation für werdende Mütter auf den deutschen Inseln. (dpa / Carsten Rehder)
Dafür ist die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren immens gestiegen, sagt Susanna Rinne-Wolf vom Berliner Hebammenverband. Dass die verbliebenen Geburtsstationen durch die Zunahme der Geburten nun überfüllt sind, sei dabei nur eines der Probleme:
"Die Kolleginnen müssen in der Tat Parallelbetreuungen von bis zu drei Frauen unter der Geburt gleichzeitig erledigen. Der administrative Aufwand ist enorm gestiegen in den vergangenen Jahren. Außerdem laufen jetzt vielerorts auch noch Ambulanzen, Sprechstunden, teilweise sogar noch die gynäkologische Rettungsstelle über den Kreissaal. Also die eins zu eins Betreuung im Kreißsaal, das ist unsere Forderung."
St. Josephs Krankenhaus in Neukölln bundesweit Spitzenreiter
Das wünscht sich auch Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Geburtshilfe im Berliner St. Josephs Krankenhaus in Neukölln. 4.500 Babys kommen hier pro Jahr auf die Welt, so viele wie in keiner anderen Klinik in Deutschland. Wenn die Frauen durch eine Hebamme gut betreut sind, gebe es zum Beispiel weniger Kaiserschnitte und damit auch deutlich weniger Folgekosten, sagt Abou-Dakn:
"Diese Frauen brauchen weniger Schmerzmittel, es treten weniger Komplikationen auf Seiten des Kindes auf, also weniger Situationen, wo wir als Ärzte eingreifen müssten."
Wie viele Hebammen eingesetzt werden liegt allerdings in der Verantwortung des Krankenhauses und durch die Fallpauschalen rechnet sich eine komplikationslose Geburt für das Krankenhaus kaum.
Hälfte aller Geburtsstationen hat dicht gemacht
Seit 1991 ist die Hälfte aller Geburtsstationen in Deutschland geschlossen worden. Die Situation ist dramatisch. Besonders in Großstädten wie in Berlin oder München sind bereits diverse Male Frauen mit Wehen am Kreißsaal abgewiesen und eine Klinik weiter geschickt worden. Eine schreckliche Erfahrung, berichten diese Betroffenen in der ARD:
"Da hat uns die Hebamme, die dort im Dienst war aber schon gesagt, sollte ihr Kind heute Nacht kommen, dann müssen Sie nach Potsdam oder nach Bad Saarow zum Entbinden, weil alle Berliner Kreißsäle zur Zeit voll sind. Also ich war wie vor den Kopf gestoßen, also einerseits total empört, weil Bad Saarow sind glaube ich 80 km, Potsdam 50 km oder so. Ich hatte Angst." - "Die Angst, was wenn jetzt was schief geht, also ich meine, wenn ich da im Auto bin, das geht gar nicht." - "Als wir auf die Autobahn raugefahren sind, wusste ich eigentlich schon, dass wir es nicht schaffen werden, weil dann die Presswehen anfingen."
In diesen Fällen, ist alles noch einmal gut gegangen. Glück gehabt. Für die Krankenhausplanung sind die Länder zuständig. In Berlin werde man sich um das Problem kümmern, so heißt es aus der Gesundheitsverwaltung.
500 neue Hebammen werden pro Jahr ausgebildet
Dass sich die Situation irgendwann verbessert, hoffen die, die den Beruf Hebamme immer noch als ihren Traumberuf sehen. Deutschlandweit werden pro Jahr 500 neue Hebammen ausgebildet. An der Evangelischen Fachhochschule in Berlin studieren 20 junge Frauen pro Semester Hebammenkunde. Heute geht es bei Professorin Melita Griefhop um die Wochenbettbetreuung:
"Also bei Frau Sievers in unserem Fallbeispiel, haben sie ja festgestellt, welche Auffälligkeiten? Wollen wir die nochmal benennen?"
"Naja, das Pieken am Damm. Dann die leichten Kopfschmerzen und auch bei den unruhigen Nächten würde ich eben noch mal dann schauen, weil man mit ihr da vielleicht eine Lösung erarbeiten könnte."
"Ja."
Nach drei Jahren haben diese Studentinnen die Ausbildung analog der in den Hebammenfachschulen absolviert. Nach vier Jahren haben sie auch einen Bachelor, also einen akademischen Abschluss, der inzwischen fast überall in Europa Standard ist. Dass zurzeit weder der Verdienst noch die gesellschaftliche Anerkennung diesem Abschluss entsprechen, ist den künftigen Hebammen klar. Über ihre Zukunft haben sich einige bereits Gedanken gemacht.
"Also nach der Ausbildung würde ich gerne erst mal ein bisschen im Krankenhaus arbeiten und anschließend würde ich eigentlich gerne nach Norwegen auswandern, weil da die ganze Situation der Hebammen ganz anders ist. Die haben ganz andere Aufgabengebiete, haben eine ganz andere Anerkennung, eine bessere Bezahlung."
"Und ich würde gerne in ein arabisch sprechendes Land, ein bisschen Entwicklungsarbeit, sich da ein paar Jahre auszupowern und dann hofft man, wenn man zurückkommt, dass wenn man zurückkommt, dass sich das mit den Versicherungsbeiträgen besser geregelt hat."
"Krankenschwestern, Hebammen, das ist ja hier so, warum machst du das, du verdienst doch nichts. Was ist das für eine Aussicht? Aber in Norwegen hat man noch eine Wertschätzung für den Beruf."
Angebote mit Darlehensvorschuss
Keine guten Aussichten für die Bekämpfung des Hebammenmangels in Deutschland, auch wenn vielleicht nicht alle der jungen Frauen ihre Pläne umsetzen. Wer hier bleibt und tatsächlich auch als Hebamme tätig sein möchte, braucht sich jedenfalls um einen Job und zu wenig Arbeit keine Gedanken zu machen. Christine Bruhn vom Geburtshaus Charlottenburg versucht, die künftigen Hebammen schon während ihrer Ausbildung mit attraktiven Angeboten anzuwerben.
"Dass die Hebammen, die jetzt studieren und fertig sind und ihre Bachelor Arbeit schreiben, dass die die Möglichkeit haben zu uns zu kommen, weniger Dienste zu machen, weil sie müssen ja ihre Arbeit noch schreiben und auch sich finanzieren können. Und da fangen wir jetzt wirklich an, maßgeschneiderte Angebote mit Darlehensvorschuss alles Mögliche zu machen, dass die Hebamme, die Chance hat, hier zu landen."
Um dann Mutter und Kind bei der Geburt beizustehen. Davor, dabei und danach. Das Baby von Julia Sandforth im Geburtshaus Charlottenburg soll Mitte Dezember zur Welt kommen.
"Guck mal, hier ist die Gebärmutter schon. Das passt genau so zur Woche. Sie ist gewachsen, genauso wie es sich gehört. Du, dann würde ich tatsächlich mal mit dem Doktron hören. Ach da ist es schon."
"Das ging ja schnell."
"Da ist es. Das ist das Kindchen, so wie es sein soll."